Die Raketengrundgleichung der Raumfahrtphysik beschreibt eine grundlegende Gesetzmäßigkeit des Raketenantriebs durch kontinuierlichen Ausstoß von Stützmasse. Die Gleichung wurde erstmals 1903 von Konstantin Ziolkowski und unabhängig von ihm später auch von Hermann Oberth und Robert Goddard aufgestellt.
Das Grundprinzip des Antriebes einer Rakete besteht darin, eine bestimmte Menge an Treibstoff (Stützmasse) mit einer vorgegebenen Austrittsgeschwindigkeit auszustoßen und gemäß dem 3. Newtonschen Axiom (Actio = Reactio) den Impuls und damit die Geschwindigkeit der Rakete in die entgegengesetzte Richtung zu erhöhen. Dabei kann die Rakete sowohl beschleunigt als auch abgebremst als auch in seitliche Richtung abgelenkt werden, je nachdem in welche Richtung die Stützmasse ausgestoßen wird.
Betrachtet wird eine einstufige Rakete mit Anfangsmasse $ \,m_{0} $ und Anfangsgeschwindigkeit Null. Das Triebwerk stoße die Stützmasse in infinitesimal kleinen Portionen und mit konstanter Geschwindigkeit $ \,v_{\mathrm {g} } $ aus. Diese Annahme sowie die Einschränkung auf nichtrelativistische Geschwindigkeiten ist für chemische Antriebe gerechtfertigt, siehe spezifischer Impuls. Andere Kräfte, wie Gravitation oder Reibung, werden nicht berücksichtigt. Unter diesen Voraussetzungen gilt die Raketengrundgleichung für die Geschwindigkeit der Rakete in Abhängigkeit von der Restmasse $ \,m $ (der um den verbrauchten Treibstoff verkleinerten Anfangsmasse):
Als Verständnisbeispiel dient eine Rakete mit einer Gesamtmasse von 100 Kilogramm. Aufgeteilt soll die Gesamtmasse in 10 Kilogramm Nutzlast und 90 Kilogramm Treibstoff sein.
Zur vereinfachten Darstellung wird der Treibstoff in neun Portionen zu je zehn Kilogramm mit einer Geschwindigkeit von zehn Meter pro Sekunde ausgestoßen. Die Rakete befindet sich zu Anfang in Ruhe.
In der folgenden Tabelle sind die einzelnen Schritte dargestellt:
Schritt | Masse der Treibstoffportion | Geschwindigkeit der Treibstoffportion | Impuls der Treibstoffportion | Zusätzlicher Impuls der Rakete | (Rest-)Masse der Rakete | Geschwindigkeit der Rakete | Bemerkung |
---|---|---|---|---|---|---|---|
0 | 0 kg | 0 m/s | 0 kg | 0 kg*m/s | 100 kg | 0 m/s | Anfangsbedingung |
1 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 90 kg | 1,11 m/s | Geschwindigkeit und Impuls des Treibstoffes ist negativ, da diese Größen einen entgegen der Flugrichtung der Rakete gerichteten Vektor besitzen. |
2 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 80 kg | 2,36 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 1,11 m/s nach Schritt 1 addieren sich die zusätzlichen 1,25 m/s aus Schritt 2. |
3 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 70 kg | 3,79 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 2,36 m/s nach Schritt 2 addieren sich die zusätzlichen 1,43 m/s aus Schritt 3. |
4 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 60 kg | 5,46 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 3,79 m/s nach Schritt 3 addieren sich die zusätzlichen 1,67 m/s aus Schritt 4. |
5 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 50 kg | 7,46 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 5,46 m/s nach Schritt 4 addieren sich die zusätzlichen 2,00 m/s aus Schritt 5. |
6 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 40 kg | 9,96 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 7,46 m/s nach Schritt 5 addieren sich die zusätzlichen 2,50 m/s aus Schritt 6. |
7 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 30 kg | 13,29 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 9,96 m/s nach Schritt 6 addieren sich die zusätzlichen 3,33 m/s aus Schritt 7. |
8 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 20 kg | 18,29 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 13,29 m/s nach Schritt 7 addieren sich die zusätzlichen 5,00 m/s aus Schritt 8. |
9 | 10 kg | -10 m/s | -100 kg*m/s | 100 kg*m/s | 10 kg | 28,29 m/s | Zur Raketengeschwindkeit von 18,29 m/s nach Schritt 8 addieren sich die zusätzlichen 10,00 m/s aus Schritt 9. Die Nutzlast hat ihre Endgeschwindigkeit erreicht. |
Bemerkung: Nimmt man 90 Schritte zu je 1 kg kommt man auf eine Endgeschwindigkeit von 23,48 m/s. Die Raketengrundgleichung setzt voraus, dass die Stützmasse in unendlich vielen Teilschritten in infinitesimal kleinen Portionen ausgestoßen wird. Nach ihr errechnet sich die Endgeschwindigkeit der Nutzlast, nach vollständiger Ausstoßung des Treibstoffes, zu 23,03 m/s.
Die Masse der Rakete habe bereits auf $ m $ abgenommen und ändere sich nun um $ \mathrm {d} m<0 $ als kleine Betrachtungseinheit. Die Stützmasse $ \mathrm {d} m $ wird im Bezugssystem der Rakete mit der Geschwindigkeit $ -v_{\mathrm {g} } $, im System des Beobachters also mit $ v-v_{\mathrm {g} } $ ausgestoßen und trägt folglich den Impuls $ -\mathrm {d} m(v-v_{\mathrm {g} }) $. Da keine äußeren Kräfte wirken, ist der Gesamtimpuls von Rakete und Stützmasse erhalten:
und damit
Diese Differentialgleichung wird nun von $ m_{0} $ nach $ m $ integriert. Integration der linken Seite ergibt $ \,v $ (eine Stammfunktion von $ \,f(v)=1 $). Auf der rechten Seite muss nur über $ -{\frac {\mathrm {d} m}{m}} $ integriert werden, da $ \,v_{\mathrm {g} } $ als konstant vorausgesetzt wurde:
Durch Anwendung der Logarithmengesetze erhalten wir:
Die Endgeschwindigkeit, wenn die gesamte Treibstoffmasse $ \,m_{\mathrm {T} } $ ausgestoßen ist, beträgt
ist also umso größer, je größer die Austrittsgeschwindigkeit $ \,v_{\mathrm {g} } $ ist und je kleiner die Restmasse $ \,m_{\mathrm {End} } $, die aus der Nutzlast, dem Triebwerk und Strukturmaterial besteht.
Bemerkenswert ist, dass Endgeschwindigkeiten größer als $ \,v_{\mathrm {g} } $ erreichbar sind. Um jedoch Geschwindigkeiten weit jenseits $ \,v_{\mathrm {g} } $ zu erreichen, werden unterwegs Teile der Struktur (leere Tanks) oder auch des Triebwerks (Booster) zurückgelassen, siehe Mehrstufenrakete. Übersichtlich ist der Fall aufeinandergesetzter Stufen, wobei die oberen Stufen die Nutzlast der unteren Stufen darstellen.
Es sei eine zweistufige Rakete angenommen, deren Stufen eine Masse von 100 bzw. 20 haben (in willkürlichen Einheiten) und zu jeweils 90 % aus Treibstoff bestehen, also Strukturmassen von 10 bzw. 2 haben. Die Nutzlast betrage ebenfalls 2 Einheiten. Die Raketengrundgleichung wird zweimal angewendet, wobei sich die Beiträge beider Stufen addieren (das sieht man, wenn man beim Brennschluss der ersten Stufe in das Bezugssystem wechselt, in dem die zweite Stufe anfangs ruht):
Zum Vergleich die einstufige Rakete mit gleicher Treibstoff- und Strukturmasse:
Für vertikale Raketenstarts, geringe Steighöhen und unter Vernachlässigung des Luftwiderstands gilt
mit der Fallbeschleunigung $ \!\,g $ und der Brenndauer $ \,\Delta t $. Diese Formel ist jedoch ungeeignet, das Erreichen der Erdumlaufbahn zu optimieren, denn dabei ändert sich neben der Fallbeschleunigung auch der Schubvektor kontinuierlich.