Die dielektrische Absorption (lateinisch absorbere „absaugen, aufsaugen“) beschreibt die Verluste bzw. Abweichungen vom einfachen idealen Verhalten eines Dielektrikums im elektrischen Feld. In Kondensatoren zeigt sich der Effekt einerseits als dielektrischer Verlust bei Wechselspannungsbetrieb und andererseits als eine zeitabhängige Spannung am Kondensator trotz konstanter Ladung, z. B. in Form einer nach dem Entladen wiederkehrenden Spannung im Kondensator, die u. U. auch gefährlich sein kann (Nachladeeffekt). In zeitbestimmenden Schaltungsteilen oder Halteschaltungen kann dies zu Fehlern führen.[1] In Hochfrequenzleitungen kann die dielektrische Absorption zur Dämpfung beitragen. In Elektrolytkondensatoren ist die dielektrische Absorption beim Einschalten ein Teil des Reststromes.[2]
In einem realen Dielektrikum kann die Polarisation nicht sofort einem veränderlichen, elektrischen Feld folgen. So erfordert es eine gewisse Zeit, bis permanente, elektrische Dipole im Dielektrikum durch Polarisation ihre mittlere Ausrichtung an ein verändertes Feld anpassen. Die dielektrische Absorption führt zu einer Umwandlung von Energie aus dem Wechselfeld in Wärme, sowohl ungewollt im nicht idealen Kondensator oder gezielt im Mikrowellenofen.
Das zwischen den Elektroden entstehende elektrische Wechselfeld richtet die ungeordneten permanenten elektrischen Dipole im Dielektrikum durch Polarisation zur jeweiligen Feldrichtung aus. Die Polarisation der Dipole hat Verluste durch dielektrische Erwärmung zur Folge und geht mit einer Erwärmung des Kondensators einher. Die dielektrische Absorption saugt, bildlich gesehen, die zur Polarisation benötigte Energie in sich auf. Dielektrische Absorption und dielektrische Verluste sind an sich synonym. Bei vielen Kondensatoren ist die dielektrische Absorption damit die wesentliche Quelle für elektrische Verluste und bestimmt – unter Vernachlässigung der Zuleitungsverluste – den Verlustfaktor, ESR oder Gütefaktor des Kondensators.
Diese Eigenschaften werden im Frequenzbereich von ca. 0,01 Hz bis 1 GHz, dem Bereich, in dem handelsübliche Kondensatoren gewöhnlich betrieben werden, bestimmt durch eine materialabhängige Relaxationszeitkonstante. Diese führt gegenüber dem Raumladungsprozess des Kondensators zu einer zeitlich verzögerten Ausrichtung der polarisierten permanenten molekularen Dipole im Dielektrikum. Die Zeitkonstante ist Erklärung für die Frequenzabhängigkeit der relativen Permittivität $ \varepsilon _{r} $ vieler Dielektrika für Kondensatoren. Da im genannten Frequenzbereich die Dipole überwiegend durch eine Orientierungspolarisation polarisiert werden, bei der die dielektrische Relaxation weitgehend mit der dielektrischen Absorption übereinstimmt, wird die dielektrische Absorption auch oft dielektrische Relaxation genannt.
Die materialabhängige Relaxationszeitkonstante bewirkt auch, dass nach einem vollständigen Entladen eines Kondensators eine materialabhängige Anzahl molekularer Dipole in Feldrichtung polarisiert sind, ohne dass zunächst noch eine Spannung an den Anschlüssen messbar ist. Die verbleibende Polarisation im Dielektrikum relaxiert allerdings im Laufe der Zeit, wodurch dann an den Elektroden des Kondensators wieder eine Spannung in der Polarität der vorher angelegten Spannung entsteht, sozusagen „nachgeladen“ wird. In älteren Veröffentlichungen wird die dielektrische Absorption deshalb auch als Nachladeeffekt beschrieben.
Die Spannung durch den Nachladeeffekt baut sich langsam auf, ähnlich einer Exponentialfunktion.[3] Bis zum Entladen aller Dipole kann es materialabhängig Tage bis Wochen dauern. Die „nachgeladene“ Spannung kann sich bei den hohen Isolationswiderständen heute üblicher Kondensatordielektrika – auch bei Elektrolytkondensatoren – monatelang halten. Das Entladen mit anschließender Nachladung lässt sich mehrfach wiederholen.
Das Messverfahren für den Nachladeeffekt der dielektrischen Absorption wird in EN 60384-1 festgelegt: Der Kondensator wird 60 Minuten mit Nennspannung geladen, dann über einen Widerstand von 5 Ω für 10 Sekunden entladen. Nach Entfernen des Entladewiderstandes wird nach einer 15 minütigen Erholungszeit die entstandene Spannung gemessen. Die Größe der durch die dielektrische Absorption entstehenden Spannung wird im Verhältnis zur ursprünglich angelegten Spannung in Prozent angegeben und hängt von dem verwendeten Dielektrikum ab. Sie wird bei vielen Herstellern in den Datenblättern spezifiziert.[4][5][6][7]
Kondensatortyp | Dielektrische Absorption |
---|---|
Luft- und Vakuumkondensatoren | nicht messbar |
Klasse-1-Keramikkondensatoren, NP0 | 0,6 % |
Klasse-2- Keramikkondensatoren, X7R | 2,5 % |
Polypropylen-Folienkondensatoren (PP) | 0,05 bis 0,1 % |
Polyester-Folienkondensatoren (PET) | 0,2 bis 0,5 % |
Polyphenylensulfid-Folienkondensatoren (PPS) | 0,05 bis 0,1 % |
Polyethylennaphthalat-Folienkondensatoren (PEN) | 1,0 bis 1,2 % |
Tantal-Elektrolytkondensatoren mit festem Elektrolyten | 1 bis 5 %[8], 10 %[2] |
Aluminium-Elektrolytkondensatoren mit flüssigem Elektrolyten | etwa 10 %[9] |
Doppelschichtkondensatoren | ? |
Für Doppelschichtkondensatoren gibt es keine von Herstellern abgesicherten Werte zur Größe der dielektrischen Absorption, deshalb kann in der obigen Tabelle kein Zahlenwert angegeben werden.
Bei den heute üblichen Kondensatoren hat dieser Effekt zwei Auswirkungen. Die durch die dielektrische Absorption entstehende Spannung an den Anschlüssen kann unter Umständen in der Funktion einer Schaltung zu Problemen führen. Bei empfindlichen Analogschaltungen wie beispielsweise Sample-and-Hold-Schaltungen, Integratoren oder Messverstärkern kommen dann Klasse-1-Keramik- oder Polypropylen-Kondensatoren anstatt Klasse-2-Kerkos, Polyester-Folienkondensatoren oder Elkos zum Einsatz. In der überwiegenden Anzahl der meisten Schaltungen, insbesondere wenn die Kondensatoren zur Siebung unerwünschter Frequenzen eingesetzt werden, hat aber diese oft minimale elektrische Nachladespannung keine Auswirkungen auf die elektrische Funktion.
Bei Aluminium-Elektrolytkondensatoren mit flüssigem Elektrolyten kann jedoch die durch den Nachladeeffekt entstehende Spannung für noch nicht eingebaute Bauelemente durch Funkenbildung während des Einbaus eine Gefährdung der Umwelt darstellen.[10] Es können durch diese Spannung, die bei 400 V-Elkos durchaus 50 V betragen kann, beim Einbau in die Schaltung Schäden an Halbleitern oder weiteren Bauelementen verursacht werden. Größere Aluminium-Elektrolytkondensatoren, aber auch Hochspannungs- und Leistungskondensatoren, müssen daher kurzgeschlossen transportiert bzw. geliefert werden.
Die zweite Auswirkung des Effektes der dielektrischen Absorption ist erst seit kurzem bekannt und ist auf die erheblich verbesserten Eigenschaften moderner Kondensatoren zurückzuführen. Bei der genaueren Betrachtung des zeitlichen Verlaufes des Reststromes von Tantal-Elektrolytkondensatoren mit Polymer-Elektrolyten nach dem Anlegen einer Spannung konnte herausgefunden werden, dass der Strom auf einen Wert ansteigt, der größer als der eigentliche Reststrom ist. Die Differenz wird mit dem Energiebedarf erklärt, der benötigt wird, um die zeitlich verzögerte spontane Ausrichtung der molekularen Dipole im Dielektrikum der Feldrichtung anzupassen. Dieser Strom ist somit ein Teil des Reststromes, kann aber durch gesonderte Betrachtungen von ihm getrennt werden.[2]