Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorow-Gleichung

Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorow-Gleichung

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Die Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorow-Gleichung (kurz: JMAK-Gleichung, auch Avrami-Gleichung) beschreibt den Ablauf einer Phasen- oder Gefügeumwandlung bei gleich bleibender Temperatur (isotherme Zustandsänderung). Mit Hilfe der Gleichung erhält man eine ungefähre Kristallisationsrate. Die JMAK-Gleichung beschreibt den gesamten Vorgang der Umwandlung mit zwei Größen, der Nukleationsrate und der Geschwindigkeit des Wachstums bereits gebildeter Bereiche der neuen Phase.

Grundlagen

Wachstum einer Phase β in der Phase α: Keime entstehen an Nukleationszentren N. Das obere Bild zeigt einen früheren Zustand, das untere einen späteren.

Die Umwandlung einer Phase in eine andere, beispielsweise die Kristallisation eines amorphen Festkörpers, geschieht nicht überall zugleich, sondern beginnt an wenigen Punkten (Nukleation). Von diesen Punkten aus wächst die neue Phase (z. B. die Kristallite). Gleichzeitig kommt es auch immer wieder an anderen Stellen zur Nukleation; auch diese Bereiche der neuen Phase wachsen dann weiter. Dies geschieht, bis alle Bereiche der neuen Phase schließlich vereint sind und die alte Phase völlig verschwunden ist. Die JMAK-Gleichung gibt an, wie groß der Anteil der neuen Phase am Gesamtsystem in Abhängigkeit von der Zeit ist.

Voraussetzung für das hier beschriebene Verhalten ist ein System, das zuerst aus einer Phase (hier α) besteht, obwohl eine andere Phase (β) thermodynamisch stabiler ist. Dies tritt zum Beispiel ein, wenn beim Abkühlen einer Legierung die Löslichkeit eines Elementes so weit sinkt, dass die Legierung übersättigt ist, also wenn mehr von diesem Element im Festkörper ist, als darin in Lösung bleiben kann.

Die JMAK-Gleichung ist eine wichtige Grundlage für die Erstellung von Zeit-Temperatur-Umwandlungs-(ZTU-)Schaubildern.

Anwendungen

Die Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorov-Gleichung beschreibt zahlreiche Prozesse in den Materialwissenschaften, insbesondere der Metallurgie, und in der physikalischen Chemie:

  • Kristallisation in einem amorphen Festkörper (z. B. Polymer).
  • Phasenumwandlungen mit der Temperatur, z. B. wenn oberhalb einer Grenztemperatur eine, unterhalb eine andere Kristallstruktur thermodynamisch stabil ist.
  • In Legierungen beim Abkühlen: Bildung von Präzipitaten (Ausscheidungen) schlecht löslicher Elemente oder von Kristalliten mit intermetallischen Phasen, die ein oder mehrere schlecht lösliche Elemente enthalten (hier wird allerdings nur der Anfang des Prozesses beschrieben, weil es ja zu keiner vollständigen Umwandlung des gesamten Festkörpers kommt).
  • Chemische Reaktionen mit einer Reaktionsfront, wenn die Reaktion nahe am thermodynamischen Gleichgewicht stattfindet.

In vielen Fällen beschreibt die JMAK-Gleichung vor allem den Anfang der Umwandlung gut, während gegen Ende der Umwandlung Abweichungen vom JMAK-Verhalten auftreten können. Bei der Bildung von Kristallen kann dies beispielsweise damit zusammenhängen, dass verschieden orientierte Kristalle zusammenstoßen und zwischen ihnen energetisch ungünstige Grenzflächen entstehen.

Mathematische Behandlung

Betrachtet wird die Ausscheidung einer Phase β aus der metastabilen Phase α.
Unter den Annahmen

  • sphärischer Keime
  • einer zufälligen Verteilung der Keime im Volumen
  • einer konstanten Nukleationsrate N, mit der neue Keime gebildet werden,
  • einer konstanten Wachstumsgeschwindigkeit v der Keime

ergibt sich der Anteil f(t) des umgewandelten Gefüges mit der Zeit t zu:

$ f(t)=1-e^{-{\frac {\pi }{3}}N\cdot v^{3}\cdot t^{4}}. $

Diese Gleichung gilt für kurze und lange Umwandlungszeiten t sowie für kleine und große Umwandlungsanteile f:

  • Für kurze Zeiten, wo die Teilchen noch unabhängig voneinander wachsen und wo $ f\ll 1 $ gilt, lässt sich die JMAK-Gleichung vereinfachen zu:
$ f(t)={\frac {\pi }{3}}N\cdot v^{3}\cdot t^{4}. $
Dabei wird von der Gesetzmäßigkeit Gebrauch gemacht, dass für $ z\ll 1 $ gilt: $ 1-e^{-z}\approx z. $
Die Gleichung für kurze Zeiten kann vereinfacht so erklärt werden: die Anzahl der Keime wächst gemäß $ N\cdot t $ und der Radius jedes einzelnen Keims linear mit $ v\cdot t, $ sein Volumen also mit $ (v\cdot t)^{3}. $ Daher steigt am Anfang das Gesamtvolumen aller Keime mit $ t^{4}. $
  • Für lange Zeiten $ t\to \infty , $ wo es zum Zusammenstoß der wachsenden Teilchen kommt oder zur Überlappung ihrer Diffusionseinzugsgebiete, steigt das Volumen des umgewandelten Bereichs langsamer als mit $ t^{4}, $ und der Anteil f geht gegen eins: $ f\to 1. $

Beide Gleichungen sind mit den anfänglichen Annahmen über Keimformen und deren Wachstum Spezialfälle einer allgemeineren Gesetzmäßigkeit, die auch für viele andere Modelle gilt:

$ f=1-e^{-k\cdot t^{n}}. $

Der Avrami-Exponent n liegt dabei zwischen 1 und 4; beispielsweise erhält man in zwei Dimensionen (Kristallisation in einer sehr dünnen Schicht) einen Exponenten von n = 3.

Die Konstante k hängt ab von der Nukleationsrate N und der Wachstumsgeschwindigkeit v. Da diese von der Temperatur abhängen, ist somit auch k von der Temperatur abhängig:

$ k=k(N(T),v(T))=k(T). $

Literatur

  • A. N. Kolmogorov, Statistical theory of crystallization of metals. (in russisch), Izvestia Akademia Nauk SSSR Ser. Mathematica (Izv. Akad. Nauk SSSR, Ser. Mat; Bull. Acad. Sci. USSR. Ser. Math)., 1, 1937, S. 355–359
  • W. A. Johnson, R. F. Mehl, Reaction Kinetics in processes of nucleation and growth, Transactions of American Institute of Mining and Metallurgical Engineers (Trans. Am. Inst. Min. Metall. Eng.), 135, 1939, S. 416–458
  • M. Avrami, Kinetics of phase change. III: Granulation, Phase Change and Microstructure, Journal of Chemical Physics (J. Chem. Phys.), 9, 1941, S. 177–184
  • M. Fanfoni, M. Tomellini, The Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorov model: A brief review, Il Nuovo Cimento D, 20, 1998, S. 1171–1182
  • M. C. Weinberg, D. P. Birnie III, V. A. Shneidman, Crystallization kinetics and the JMAK equation, Journal of Non-Crystalline Solids, Volume 219, 1. Oktober 1997, S. 89–99, doi:10.1016/S0022-3093(97)00261-5

Siehe auch