Der Ramsauer-Effekt, auch als Ramsauer-Townsend-Effekt bekannt, bezeichnet die extreme Durchlässigkeit von Gasen gegenüber langsamen Elektronen und wurde von Carl Ramsauer 1920 entdeckt. Er gilt heute als der erste experimentelle Hinweis darauf, dass Elektronen nicht mit klassischer Mechanik beschreibbar sind.
Der ebenfalls für diesen Effekt verwendete Name Ramsauer-Townsend-Effekt schließt die Forschungen des irischen Physikers John Sealy Edward Townsend ein, der 1901 die Abhängigkeit der mittleren freien Weglänge von der kinetischen Energie bei der Bewegung freier Elektronen in Gasen entdeckt hatte.
Wenn Elektronen ein Gas durchqueren, treten sie mit den Gasmolekülen in Wechselwirkung. Um diese Wechselwirkung zu bestimmen, führte Ramsauer den Begriff Wirkungsquerschnitt ein: je größer der Wirkungsquerschnitt eines Gasmoleküls, desto eher wird es von einem Elektron getroffen, und desto weniger Elektronen durchdringen das Gas. Nach den Vorstellungen der klassischen Mechanik sollte der Wirkungsquerschnitt je geringer sein, desto größer die kinetische Energie und damit die Geschwindigkeit des Elektrons sei, da langsamere Elektronen stärker durch das elektrische Feld im Inneren der Atome abgelenkt würden.
Ramsauer stellte jedoch fest, dass der Wirkungsquerschnitt anders von der kinetischen Energie der Elektronen abhängt. So zeigen bei etwa einem Elektronenvolt viele Querschnitte ein Minimum an (Ramsauer-Querschnitt), das teilweise deutlich unter dem gaskinetischen Querschnitt liegt. Mit wachsender Elektronenenergie steigt der Stoßquerschnitt zunächst auf ein Maximum, um bei Werten oberhalb von 20 Elektronenvolt dann wieder stark abzufallen, teilweise unter den Wert des minimalen Stoßquerschnitts bei geringeren Energien.
Obwohl dieser Effekt damals noch nicht erklärbar war, reichte Ramsauer seine Ergebnisse am 7. September 1920 zur Publikation in den Annalen der Physik ein.
Erst mit de Broglies These der Materiewellen und damit durch den Welle-Teilchen-Dualismus wurde das Minimum des Wirkungsquerschnitts erstmals heuristisch verstanden: die von der Geschwindigkeit abhängige De-Broglie-Wellenlänge der Elektronen muss sich in der gleichen Größenordnung bewegen wie die Größe der Gasatome, die die Streuung der Elektronen verursachen. Dadurch erlauben die Gasatome die Transmission der Elektronen, sodass Elektronen einer bestimmten Wellenlänge die Gasmoleküle ungehindert passieren können.
Die vollständige Erklärung des Ramsauer-Effekts erfolgt mittels Streutheorie und erfordert daher die von 1925 bis 1927 entwickelte Quantenmechanik. Durch den Wellencharakter der Elektronen kommt es infolge der Transmission auch hinter den Atomen zu Interferenzerscheinungen, die jedoch nicht Objekte der Beobachtung sind.