Accelerator Driven System

Accelerator Driven System

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Ein Accelerator-driven system (ADS), beschleunigergetriebenes System oder Hybridreaktor ist ein Leistungs-Kernreaktor, der unterkritisch betrieben und durch eine Spallationsquelle mit Neutronen versorgt wird. Solche Reaktoren könnten zugleich mit der Stromproduktion zur Transmutation langlebiger Reaktorabfälle dienen.

Neutronenphysikalische Vorteile

Damit ein Reaktor Kritikalität erreichen kann, dürfen Bestandteile mit besonders kleinem Generationenfaktor - wie etwa die minoren Actinoide (MA) Neptunium, Americium und Curium - nur eine geringe Beimischung zum Brennstoff bilden. Diese Beschränkung entfällt aber, wenn der Reaktor unterkritisch mit einer äußeren Neutronenquelle arbeitet, so dass die Kettenreaktion sich nicht selbst erhalten muss.[1] Auch die anderen Nachteile der MA als Kernbrennstoffe, z. B. der bei ihnen geringe Anteil verzögerter Neutronen und ein kleiner Dopplerkoeffizient, spielen im unterkritischen Betrieb keine Rolle. Ein solcher Reaktor könnte mit jedem überhaupt spaltbaren Kernbrennstoff Energie freisetzen; ein Teil dieser Energie würde ausreichen, um den Beschleuniger der benötigten Spallationsneutronenquelle zu betreiben.

Im Abfall der Kernkraftwerke stellen die MA wegen ihrer langen Halbwertszeiten ein besonderes Problem dar. Ein beschleunigergetriebener Reaktor könnte sie durch Kernspaltung in schneller zerfallende Nuklide (Spaltprodukte) umwandeln und dabei noch Nutzenergie liefern.

Konzepte

Zwei Konzepte sind besonders bekannt geworden. Charles D. Bowman u. M. (LANL) veröffentlichten 1992 einen ersten Vorschlag[2] und später eine geänderte und erweiterte Fassung.[3] Ein alternativer Vorschlag, der Energy amplifier (Energieverstärker) (manchmal auch als Rubbiatron oder Rubbiator bezeichnet), stammt von einer Gruppe um den früheren Direktor des CERN, Carlo Rubbia.[4][5] Die Vorschläge haben vielen anderen Forschergruppen als Basis für weitere Überlegungen gedient.[6]

Beschreibung

Ein ADS besteht aus drei Hauptkomponenten:

Reaktor

Bowman-Konzept

Das Reaktorkonzept von Bowman sieht ein thermisches Neutronenspektrum vor, weil hier die Spaltungs-Wirkungsquerschnitte der leicht spaltbaren Nuklide viel größer sind als in einem schnellen Spektrum; Nuklide mit gerader Neutronenzahl sind zwar nicht mit thermischen Neutronen spaltbar, wandeln sich aber durch Neutroneneinfang - mit ebenfalls großem Wirkungsquerschnitt - in leichter spaltbare Nuklide um. Das Spallationstarget ist von einem Moderator aus Graphit umgeben, der die Neutronen abbremst. Durch Bohrungen im Graphit strömt der Brennstoff, gelöst in einer Schmelze der Salzmischung NaF-ZrF4 in der Art des Flüssigsalzreaktors. Die Wärmeleistung der Kernspaltung entsteht also direkt im Wärmetransportmedium. So kann eine sehr hohe Wärmeleistung abgeführt werden. Der Neutronenfluss im Reaktor beträgt etwa 2×1014 cm−2s−1, ähnlich wie in heutigen Leistungsreaktoren.

Der Salzschmelze können in einem Nebenstrom ständig (on line) neuer Brennstoff und Trägersalz zugesetzt und Salz mit Abbrandprodukten entnommen werden. Die Brennstoffherstellung wäre laut Bowman[3] einfach: zerkleinerte abgebrannte Brennstäbe aus Kernkraftwerken werden mitsamt dem Zircaloy-Hüllrohrmaterial durch einen chemischen Prozess in Fluorverbindungen überführt, die im Salz löslich sind. Das noch enthaltene Uran wird dadurch automatisch abgetrennt, so dass der Brennstoff keinen Brutstoff enthält. Eine weitere Partitionierung ist nicht nötig, da auch Spaltprodukte transmutiert werden sollen. Das laufend entnommene Salz mit Abbrandprodukten wird als direkt endlagerfähig beschrieben.

Rubbia-Konzept

Der konventionellere Reaktor nach Rubbias Konzept nutzt festen, metallischen Brennstoff in Brennstäben. Es wird ein schnelles Neutronenspektrum verwendet, in dem alle Transurane spaltbar sind. Das Kühlmittel darf daher nicht moderierend wirken; vorgesehen ist flüssiges Blei oder, wegen der tieferen Schmelztemperatur, eine eutektische Blei-Bismut-Legierung. Der Reaktorkern umgibt ringförmig eine brennstofffreie, mit dem Kühlmittel gefüllte Region, die als Spallationstarget (siehe unten) dient. Die Wärmetauscher sind im gleichen Behälter weit oberhalb des Reaktorkerns angeordnet. Dieser räumliche Aufbau mit großer senkrechter Ausdehnung ermöglicht die Wärmeabfuhr ohne Pumpen durch passive Konvektion. Darin liegt ein wichtiger Sicherheitsvorteil des Konzepts. Der Neutronenfluss im Reaktorkern liegt auch hier bei etwa 1014 cm−2s−1.

Der feste Brennstoff muss durch konventionelle Wiederaufarbeitung der Reaktorabfälle und Partitionierung der Transurane (Plutonium mit MA) hergestellt und zu Brennelementen verarbeitet werden. Er bleibt etwa zwei Jahre im Reaktor und muss dann – wegen begrenzter Haltbarkeit der Brennstab-Hüllrohre, aufgebauter Neutronengifte und Druckanstieg durch gasförmige Spaltprodukte – ausgetauscht und erneut aufgearbeitet werden. Um den Großteil der MA abzubauen, muss das Material in dieser Weise bis zu zehnmal rezykliert werden.[7] Zum Ausgleichen des allmählichen Abbrands im Betrieb, also um den Multiplikationsfaktor konstant bei z. B. 0,95 zu halten, wird dem Brennstoff der Brutstoff Thorium zugesetzt, aus dem im Betrieb das leicht spaltbare Uran-233 entsteht. In der Erzeugung dieses isotopenreinen Spaltstoffs kann ein Missbrauchsrisiko im Sinne der Proliferation gesehen werden.[3]

Nachwärmeabfuhr

Auch ein unterkritisch mit Fremd-Neutronenquelle betriebener Kernreaktor erzeugt nach Beendigung der Kettenreaktion unvermeidlich noch Nachzerfallswärmeleistung. Damit diese auch bei einem Störfall mit Versagen der normalen Kühlung zerstörungsfrei abgeführt werden kann, wird auch ein ADS-Reaktor Einrichtungen zur Notkühlung benötigen.

Target

Als Target dient in beiden ADS-Konzepten strömendes flüssiges Blei, da auf diese Weise die hohe vom Protonenstrahl eingebrachte Wärmeleistung abgeführt werden kann. In Rubbias Entwurf ist das Blei oder Blei-Bismut zugleich Kühlmittel des Reaktors. Protonen der Energie 1 GeV haben in Blei eine Reichweite von etwa 1 m.

Die Technologie von Spallationstargets aus flüssigem Schwermetall wird weltweit in verschiedenen Forschungseinrichtungen entwickelt, darunter einer Anlage im Karlsruher Institut für Technologie.[8]

Beschleuniger

Der Beschleuniger ist bei Bowman ein Linearbeschleuniger. Er könnte zur Energieeinsparung und baulichen Verkleinerung mit supraleitenden Resonatoren arbeiten.

Rubbia sieht einen Linearbeschleuniger als Injektor vor, dessen Strahl seine Endenergie in einem nachfolgenden Zyklotron erhält. Eine vergleichbare Kombination von Beschleunigern ist bei der Spallationsquelle SINQ in der Schweiz verwirklicht; dort wird der Protonenstrahl von zwei hintereinandergeschalteten Zyklotrons geliefert.

Eine wichtige Anforderung an den Beschleuniger eines ADS ist hohe Betriebssicherheit, denn Strahlausfälle führen sofort zu einer geringeren Leistung und damit geringeren Temperatur im Reaktor, was Nachteile für die Haltbarkeit der Brennelemente und der Reaktorstruktur mit sich bringt. Hier gibt es Argumente zugunsten des Linearbeschleunigers.[9]

Versuchsanlagen

Am Beschleunigerzentrum J-PARC in Japan ist eine ADS-Versuchsanlage im Bau. Sie soll etwa 2020 den Betrieb mit MA-haltigem Brennstoff aufnehmen.[10][11]

Im Forschungszentrum Mol in Belgien soll MYRRHA (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications), eine geplante europäische Demonstrationsanlage, errichtet werden und etwa 2023 den Betrieb aufnehmen.[9][12] Sie steht technologisch den heutigen Reaktortypen und dem Rubbia-Konzept näher als dem Bowman-Konzept. MYRRHA soll auch den älteren Forschungsreaktor BR-2 für allgemeine Zwecke ersetzen und würde daher anfänglich mit U-Pu-MOX-Brennstoff arbeiten, später aber auch für MA-Transmutationsexperimente genutzt werden.

Literatur

  • Ortwin Renn (Hrsg.): Partitionierung und Transmutation – Forschung, Entwicklung, Gesellschaftliche Implikationen. Herbert Utz Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8316-4380-6.
  • Ken Nakajima (Hrsg.): Nuclear Back-end and Transmutation Technology for Waste Disposal. Springer, 2014, ISBN 978-4-431-55110-2.
  • H. Nifenecker, S. David, J. M. Loiseaux, A. Giorni: Hybrid nuclear reactors. Progress in Particle and Nuclear Physics. 43, 1999, S. 683–827.
  • Mikhail K. Khankhasayev (Hrsg.): Nuclear Methods for Transmutation of Nuclear Waste: Problems, Perspectives, Cooperative Research. In: Proceedings of the International Workshop, Dubna, Russia, 29–31 May 1996. World Scientific, 1997.
  • Wolf Häfele: Beschleuniger-gestützte Kernreaktoren. Die Vorschläge von C. Rubbia und C. D. Bowman. Physik Journal 50, 10/1994, S. 935–938, doi:10.1002/phbl.19940501007.

Einzelnachweise

  1. W. T. Hering: Angewandte Kernphysik: Einführung und Übersicht. Teubner 1999, ISBN 978-3-519-03244-1, S. 303.
  2. C. D. Bowman et al.: Nuclear energy generation and waste transmutation using an accelerator-driven intense thermal neutron source. Nuclear Instruments and Methods A 320, 1992, S. 336–367.
  3. 3,0 3,1 3,2 C. D. Bowman: Accelerator-driven systems for nuclear waste transmutation. Annual Review of Nuclear and Particle Science 48, 1998, S. 505–556, staff.ustc.edu.cn (PDF).
  4. F. Carminati, C. Rubbia et al.: An energy amplifier for cleaner and inexhaustible nuclear energy production by a particle beam accelerator. Report CERN/AT/93-47 (ET) cds.cern.ch (PDF).
  5. C. Rubbia, J.A. Rubio, S. Buono u. a.: Conceptual Design of a fast neutron operated High Power Energy Amplifier. Report CERN-AT-95-44 (ET), Geneva 1995.
  6. Review of national accelerator driven system programmes for partitioning and transmutation. Proceedings of an Advisory Group meeting, Taejon, Republic of Korea, November 1999. IAEA-TECDOC-1365, 2003, ISBN 92-0-106803-4, pub.iaea.org (PDF).
  7. Renn (s. Literaturliste) S. 107
  8. KALLA, KArlsruhe Liquid metal LAboratory
  9. 9,0 9,1 A. Mueller, H. Abderrahim: Transmutation von radioaktivem Abfall. Physik Journal 11/2010, S. 33–38.
  10. T. Sasa: Status of J-PARC transmutation experimental facility. 2008, oecd-nea.org (PDF).
  11. T. Sasa: Design of J-PARC transmutation experimental facility. (Stand ca. 2014). In: Nakajima (s. Literaturliste), S. 73–79.
  12. MYRRHA Home page (Memento vom 19. Februar 2015 im Internet Archive)