Auf dem Weg zum Nachweis des Gravitationswellen-Hintergrunds
Physik-News vom 27.10.2021
Die EPTA-Kollaboration berichtet über das Ergebnis einer 24-jährigen Kampagne mit den fünf größten europäischen Radioteleskopen, die zu einem möglichen Signal des Gravitationswellenhintergrunds im Nanohertz-Bereich geführt hat. Die Kollaboration umfasst die großen europäischen Institute, darunter das MPIfR in Bonn mit dem 100-Meter-Teleskop Effelsberg, sowie Forschergruppen, die auf die Datenanalyse und die Modellierung von Gravitationswellensignalen spezialisiert sind. Obwohl ein eindeutiger Nachweis damit noch nicht gelungen ist, bildet es doch einen wichtigen Schritt dahin, erstmals Gravitationswellen bei sehr niedrigen Frequenzen im Nanohertz-Bereich aufzuspüren.
Das „European Pulsar Timing Array“ (EPTA) ist eine wissenschaftliche Kollaboration von Teams von Astronomen an den großen europäischen Radioteleskopen sowie weiterer Gruppen, die sich auf die Datenanalyse und die Modellierung von Gravitationswellensignalen (GW) spezialisiert haben. Sie hat eine detaillierte Analyse eines möglichen Signals für den seit langem gesuchten Gravitationswellenhintergrund (GWB) veröffentlicht, der auf supermassereiche Schwarze Löcher zurückzuführen wäre, die sich in geringem Abstand voneinander umkreisen und durch das Verschmelzen von Galaxien entstehen. Obwohl ein eindeutiger Nachweis damit noch nicht gelungen ist, stellt das aktuelle Resultat doch einen bedeutenden Schritt auf dem Weg dar, Gravitationswellen bei sehr niedrigen Frequenzen im Nanohertzbereich (das entspricht einer Größenordnung von nur einem Milliardstel Hertz!) endlich aufzuspüren. Das Kandidatensignal ist das Ergebnis einer beispiellos detaillierten Analyse unter Verwendung zweier unabhängiger Methoden. Darüber hinaus weist das Signal starke Ähnlichkeiten mit den Signalen auf, die bereits in den Analysen von anderen Teams gefunden wurden.
Publikation:
S. Chen et al.
Common-red-signal analysis with 24-yr high-precision timing of the European Pulsar Timing Array: Inferences in the stochastic gravitational-wave background search
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society (2021)
Dieses Ergebnis wurde möglich aufgrund eines Datensatzes, der über einen langen Zeitraum von 24 Jahren mit den fünf großen europäischen Radioteleskopen gesammelt wurde (vgl. Abb. 2). Dazu gehören das 100-m-Radioteleskop des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie bei Effelsberg, das 76-m-Lovell-Teleskop in Cheshire/Großbritannien, das Nançay-Teleskop für Dezimeterradiowellen in Frankreich, das 64-m-Radioteleskop bei Pranu Sanguni (Sardinien/Italien) sowie die 16 Antennen des Westerbork-Synthesis-Radioteleskops in den Niederlanden. Im Beobachtungsmodus des „Large European Array for Pulsars“ (LEAP) sind diese fünf Teleskope so miteinander verbunden, dass sie ein virtuelles voll bewegliches 200-m-Radioteleskop darstellen, mit dem die Empfindlichkeit des EPTA für Gravitationswellen erheblich verbessert wird.
Die von den Magnetpolen der rotierenden Pulsare ausgehenden Strahlen werden als Pulse beobachtet, wenn sie die Sichtlinie zur Erde passieren, ähnlich wie beim Licht eines fernen Leuchtturms. Pulsar Timing Arrays (PTAs) sind Netzwerke von sehr stabil rotierenden Pulsaren, die als Detektoren für Gravitationswellen im galaktischen Maßstab eingesetzt werden. Sie sind insbesondere empfindlich für sehr niederfrequente Gravitationswellen im Milliardstel-Hertz- oder Nanohertz-Bereich. Dadurch wird das Beobachtungsfenster für Gravitationswellen von den hohen Frequenzen mit Hunderten von Hertz erweitert, wie es derzeit von bodengestützten Observatorien (LIGO, Virgo, KAGRA) beobachtet wird. Während deren Detektoren kurzzeitige Kollisionen von stellaren Schwarzen Löchern und Neutronensternen untersuchen, können mit den Pulsar Timing Arrays Gravitationswellen untersucht werden, wie sie von Systemen umeinander rotierender und langsam sich annähernder supermassereicher Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien ausgesandt werden. Die Addition der Gravitationswellen, die von einer kosmischen Population dieser Binärsysteme freigesetzt werden, bildet den Gravitationswellenhintergrund.
"Wir können kleine Änderungen in den Ankunftszeiten der Radiosignale der Pulsare auf der Erde messen, die durch die Deformation der Raumzeit aufgrund einer durchlaufenden Gravitationswelle sehr niedriger Frequenz verursacht werden. In der Praxis zeigen sich diese Deformationen in der Raumzeit als Quellen eines sehr niederfrequenten Rauschens in der Reihe der beobachteten Ankunftszeiten der Pulse, ein Rauschen, das von allen Pulsaren eines Pulsar Timing Arrays gemeinsam erfasst wird", erklärt Dr. Yanjun Guo, Forscher am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und Koautor der Untersuchung. Die Amplitude dieses Rauschens ist jedoch unglaublich winzig (schätzungsweise zwischen zehn und ein paar hundert Milliardstel Sekunden), und im Prinzip könnten viele andere Effekte ein entsprechendes Rauschen auf jeden einzelnen Pulsar im Pulsar Timing Array übertragen.
Zur Validierung der Ergebnisse wurden dann mehrere unabhängige Auswertungsprogramme mit unterschiedlichen statistischen Rahmen verwendet, um alternative Rauschquellen ausschließen zu können und nach dem Gravitationswellenhintergrund zu suchen. Wichtig ist, dass zwei unabhängige Verfahren im kompletten Verlauf der Analyse verwendet wurden, um eine gegenseitige Konsistenz zu gewährleisten. Zusätzlich wurden drei unabhängige Methoden verwendet, um mögliche systematische Effekte bei den Planetenparametern des Sonnensystems zu berücksichtigen, die in den Modellen zur Vorhersage der Impulsankunftszeiten verwendet werden. Sie stellen einen Hauptkandidaten für falsch-positive Gravitationswellen-Signale dar.
Die Analyse mit beiden Verfahren im Rahmen der EPTA-Beobachtungen ergab ein klares Kandidatensignal für einen Gravitationswellenhintergrund. Die ermittelten spektralen Eigenschaften (d.h. die Variation der Amplitude des beobachteten Rauschens mit der Frequenz) bleiben innerhalb der theoretischen Erwartungen für das erwartete Rauschen des Gravitationswellenhintergrunds.
Dr. Nicolas Caballero, Forscher am Kavli-Institut für Astronomy und Astrophysik in Peking und zweiter Autor der Studie, erklärt: "Mit dem European Pulsar Timing Array wurden in einem 2015 veröffentlichten Datensatz erstmals Hinweise auf ein solches Signal gefunden, aber da die Ergebnisse mit größeren statistischen Unsicherheiten behaftet waren, wurden sie nur streng als obere Grenzen diskutiert. Unsere neuen Daten bestätigen nun eindeutig das Vorhandensein dieses Signals und machen es zu einem Kandidatensignal für den Gravitationswellenhintergrund."
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt eine ganz bestimmte Beziehung zwischen den Raumzeitverformungen voraus, die die Radiosignale von Pulsaren erfahren, die sich in verschiedenen Himmelsrichtungen befinden. Die Wissenschaftler bezeichnen dies als die räumliche Korrelation des Signals oder die sogenannte Hellings-Downs-Kurve. Ihr Nachweis kann das beobachtete Rauschen als eindeutig von einem Gravitationswellenhintergrund verursacht identifizieren. Dr. Siyuan Chen, Forscher am Laboratoire de Physique et de Chimie de l'Environnement et de l'Espace in Orleans, einer der beiden leitenden Autoren der Untersuchung, bemerkt dazu: "Im Moment erlauben es uns die statistischen Unsicherheiten in unseren Messungen noch nicht, das Vorhandensein der für das Gravitationswellen-Hintergrundsignal erwarteten räumlichen Korrelation zu identifizieren. Für eine weitere Bestätigung müssen wir eine noch größere Zahl von Pulsardaten in die Analyse einbeziehen, aber die aktuellen Ergebnisse sind bereits sehr ermutigend."
Das „European Pulsar Timing Array“ ist ein Gründungsmitglied des „International Pulsar Timing Array“ (IPTA). Da die Analysen unabhängiger Daten, die von den anderen Partnern in dieser Kooperation (d. h. den NANOGrav- und PPTA-Experimenten) durchgeführt wurden, ebenfalls auf ähnliche gemeinsame Signale hinwiesen, ist es von entscheidender Bedeutung, mehrere Analysealgorithmen anzuwenden, um das Vertrauen in eine mögliche zukünftige GWB-Entdeckung zu erhöhen. Die Mitglieder der internationalen Kooperation arbeiten zusammen und ziehen Schlussfolgerungen aus dem Vergleich ihrer Daten und Analysen, um sich so besser auf die nächsten Schritte vorzubereiten.
Prof. Dr. Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und Mitglied der Leitungsgruppe des „European Pulsar Timing Arrays“, fasst zusammen: "Die Bestätigung des niederfrequenten Gravitationswellenhintergrunds im Nanohertzbereich, hervorgerufen durch eine Population von supermassereichen Schwarzen Löchern - oder eine andere kosmische Quelle – gibt uns einen einzigartigen Einblick in kosmologische Modelle, und zwar dadurch, dass wir den Prozess des Aufbaus der Galaxien, die wir heute beobachten, quantitativ stark einschränken können. Wir verstärken unsere Bemühungen, indem wir derzeit noch größere und bessere Datensätze analysieren, die es uns ermöglichen, mehr entsprechende Gegenkontrollen durchzuführen, so dass letztendlich kein Spielraum für möglich Fehler mehr bleibt."
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.