Internationales Team rekonstruiert erstmals Eiskeime von Wolken der Arktis der vergangenen 500 Jahre

Internationales Team rekonstruiert erstmals Eiskeime von Wolken der Arktis der vergangenen 500 Jahre

Physik-News vom 25.06.2019
 

Erstmals hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) Eiskeime der Atmosphäre aus Eisbohrkernen untersucht, die Hinweise zur Art der Bewölkung der letzten 500 Jahre in der Arktis geben. Diese sogenannten eisnukleierenden Partikel (INP oder auch Eiskeime) spielen eine wichtige Rolle bei der Bildung von Eis in Wolken und haben dadurch großen Einfluss auf das Klima. Bisher gibt es jedoch nur einzelne Messungen, die lediglich wenige Jahre zurückreichen.

Die neue Methode könnte helfen, aus Klimaarchiven auch Informationen über die historische Bewölkung zu gewinnen und damit große Wissenslücken in der Klimaforschung zu schließen.


Erstmals hat ein internationales Forschungsteam Eiskeime der Atmosphäre aus Eisbohrkernen untersucht, die Hinweise zur Art der Bewölkung der letzten 500 Jahre in der Arktis geben.

Publikation:


Markus Hartmann, Thomas Blunier, Sandra Olivia Brügger, Julia Schmale, Margit Schwikowski, Alexander Vogel, Heike Wex and Frank Stratmann
Variation of ice nucleating particles in the European Arctic over the last centuries
Geophysical Research Letters, 46, 4007– 4016

DOI: 10.1029/2019GL082311



Erkenntnisse zu Schwankungen der Konzentrationen an Eiskeimen in der Atmosphäre über die letzten Jahrhunderte würden helfen, künftige Klimaveränderungen besser zu verstehen, schreibt das Team vom TROPOS, der Universität Kopenhagen, der Universität Bern und des Paul Scherrer Instituts im Fachjournal Geophysical Research Letters.

Klimaarchive sind wichtig, um das vergangene Klima zu rekonstruieren und Aussagen über die Entwicklung des Klimas in der Zukunft machen zu können. In Europa wird erst seit rund 300 Jahren regelmäßig das Wetter beobachtet und aufgezeichnet. Für die Zeit davor und für Orte ohne Wetterstation ist die Forschung jedoch auf Rückschlüsse aus natürlichen Archiven angewiesen. Die Paläoklimaforschung setzt dabei unterschiedlichste natürliche Archive wie zum Beispiel Baumringe, Eisbohrkerne, oder Sedimente ein. Dazu wurden in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Methoden entwickelt und verfeinert, die anhand von indirekten Indikatoren (Klimaproxys) Rückschlüsse auf Klimafaktoren wie Temperatur, Niederschläge, Vulkanausbrüche oder Sonnenaktivität ermöglichen. Wolken sind zwar u.a. verantwortlich für Niederschläge, aber sie sind sehr flüchtig und deshalb schwer zu untersuchen. Die Anzahl, Art und Ausdehnung der Wolken und deren Eisgehalt hat jedoch großen Einfluss auf das Strahlungsbudget der Atmosphäre, die Temperatur am Boden und die Niederschläge. Informationen über Parameter die Wolken beeinflussen sind daher wichtig zur Rekonstruktion des Klimas.

Eine Methode, mit der unser Wissen über Wolken und deren Rolle in der Klimageschichte verbessert werden kann, präsentiert jetzt ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Dänemark und der Schweiz. Ihren Angaben nach hat das Team erstmals die Konzentrationen an Eiskeimen - auch eisnukleierende Partikel (INP) genannt - aus Eisbohrkernen rekonstruiert. Diese Messungen könnten künftig bei der Rekonstruktion der Bewölkung helfen. „Die Eisbildung in Mischphasenwolken findet hauptsächlich durch heterogene Eisbildung statt, d.h. Eiskeime sind nötig, um das Gefrieren von unterkühlten Wolkentropfen anzuregen. Anzahl und Art dieser Partikel beeinflussen folglich Niederschläge, Lebenszeit und Strahlungseigenschaften der Wolken. Im Labor konnten wir zeigen, dass vor allem zwei Arten von Partikeln dafür in Frage kommen: Mineralstaub vom Boden sowie verschiedenste biologische Partikel wie Bakterien, Pilzsporen oder Pollen“, erklärt Dr. Frank Stratmann, Leiter der Arbeitsgruppe Wolken am TROPOS.

Eisbohrkerne werden gerne genutzt, um verschiedenste Klimaparameter wie Temperatur, Niederschläge oder Vulkanausbrüche über Jahrtausende zu rekonstruieren. Für die jetzt veröffentlichte Studie konnte das Team auf Teile von zwei Eisbohrkernen aus der Arktis zurückgreifen: Der Bohrkern „Lomo09“ wurde 2009 auf dem Lomonosovfonna-Gletscher auf Spitzbergen in 1200 Metern Höhe gezogen. Der Bohrkern „EUROCORE“ wurde 1989 aufwendig am Gipfel des Grönländischen Eisschildes in über 3000 Metern Höhe gewonnen. Die Rückstellproben dieser Analysen gelangten tiefgefroren nach Leipzig, wo sie jetzt auf Eiskeime untersucht wurden. Kleine Proben des Eises wurden dabei geschmolzen und das Schmelzwasser in viele kleine Tropfen von 1 und 50 Mikrolitern aufgeteilt. Diese Tropfen landeten dann in zwei Versuchsanordnungen mit je knapp 100 winzigen Mulden und wurden dann kontrolliert heruntergekühlt.

Bei früheren Versuchen zur Eisnukleation kamen diese zwei kleinen Spezialkonstruktionen bereits zum Einsatz: Sowohl LINA (Leipzig Ice Nucleation Array) als auch INDA (Ice Nucleation Droplet Array) sind winzige Kammern, in denen die vielen Wassertropfen kontrolliert abgekühlt werden. Durch eine Glasplatte wird dabei von oben beobachtet, bei welcher Temperatur wieviel Tropfen gefrieren. Die Anzahl der gefrorenen Tropfen wird dann in die Konzentration an Eiskeimen umgerechnet. „2015 wurde das Prinzip von US-Amerikanischen Forschern für Proben aus Schnee und Niederschlagswasser angewendet. Was für Niederschläge geht, sollte auch für Eisproben funktionieren, war unser Ansatz. Und so konnten wir als erste zeigen, dass aus den Eisbohrkernen auch die historischen Eiskeimkonzentrationen extrahiert werden können“, freut sich Markus Hartmann vom TROPOS, der die Untersuchungen im Rahmen seiner Doktorarbeit durchführte.

Für die Paläoklimaforschung ergeben sich damit neue Möglichkeiten. Seit den 1930er Jahren wurden unzählige Eisbohrkerne von Gletschern in aller Welt gewonnen und das Klima der Vergangenheit rekonstruiert. Die Rekonstruktion der Bewölkung war daraus bisher noch nicht möglich. Die Studie der Polar- und Atmosphärenforschenden ist ein erster Schritt in diese Richtung. Da das Team keinen kontinuierlichen Eisbohrkern zur Verfügung hatte konnte es lediglich die Eiskeime von einzelnen Jahren des Zeitraums 1735 bis 1989 über Grönland und 1480 bis 1949 über Spitzbergen rekonstruieren. Insgesamt zeigte sich bei den Eiskeimen jedoch kein Trend über das vergangene letzte halbe Jahrtausend. „Allerdings erwärmt die Arktis sich erst seit rund 25 Jahren dramatisch. Das jetzt analysierte Eis entstand jedoch bevor diese starke Erwärmung begann. Sowohl Messungen eines kontinuierlichen Eisbohrkerns sowie auch von neuerem Eis wären daher wünschenswert“, ergänzt Markus Hartmann.

Dass die Menschheit durch ihre Emissionen die globale Erwärmung verursacht hat, ist unter Forschern unstrittig. Unklar ist aber, wie sehr damit auch die Wolken in der Atmosphäre verändert wurden. Von Untersuchungen zu Eiskeimen in der Luft erhofft sich die Forschung daher wichtige Erkenntnisse. Im Herbst/Winter 2016 hatte ein Team der Universität Peking, des TROPOS, der Universität Göteburg und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften die Konzentrationen an Eiskeimen in der Luft der chinesischen Hauptstadt Peking gemessen. Einen Zusammenhang mit der starken Luftverschmutzung dort konnten sie dabei aber nicht nachweisen. „Wir vermuten daher, dass die Eiskeime in Peking eher aus natürlichen Quellen wie Staubstürmen oder der Biosphäre stammen, die beide als Quellen für Eiskeime bekannt sind, und nicht aus anthropogenen Verbrennungsprozessen“, so Dr. Heike Wex vom TROPOS. „Allerdings ist das eine Momentaufnahme von einem Ort und auch der indirekte Einfluss des Menschen sollte nicht vergessen werden: Veränderungen in der Landnutzung oder Dürren wirken sich auf den Staub in der Atmosphäre und auf die Biosphäre aus, was wiederum Veränderungen in den Wolken nach sich ziehen kann.“ Um die Auswirkungen der Menschheit auf die Atmosphäre besser zu verstehen, messen Wolkenforschende sowohl an den Hotspots der Luftverschmutzung wie den Metropolen der Schwellenländer als auch in vergleichsweise sauberen Regionen wie den Polargebieten.

Bisher ist vergleichsweise wenig über die Menge, Eigenschaften und Quellen von Eiskeimen in der Arktis bekannt, obwohl diese ein wichtiger Faktor in der Wolkenbildung und damit für das Klima dort sind. Vor Allem lange Zeitreihen sind bisher praktisch nicht vorhanden, aber essentiell um saisonale Effekte zu untersuchen. Im Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics, einem Open-Access-Journal der European Geosciences Union (EGU), veröffentlichte vor kurzem ein internationales Team ebenfalls unter Leitung des TROPOS einen Überblick zu den saisonalen Schwankungen der Konzentrationen an Eiskeimen in der Arktis. Untersucht wurden dabei im Leipziger Wolken-Labor des TROPOS Proben von vier Forschungsstationen in der Arktis aus den Jahren 2012/2013 und 2015/2016: Alert in Kanada, Ny-Ålesund auf Spitzbergen (Norwegen), Utqiagvik (Barrow) in Alaska (USA) und Villum (Station Nord) in Grönland (Dänemark). „Dadurch haben wir erstmal einen Überblick über die Schwankungen zwischen den Jahreszeiten bekommen: Die meisten Eiskeime in der Luft gibt es vom Ende Frühling bis in den Anfang Herbst, die wenigstens im Winter und zu Anfang des Frühlings. Dies beeinflusst, wie sich die Art der Bewölkung im Laufe des Jahres in der Arktis verändert und damit welchen Einfluss die Wolken auf die Arktische Erwärmung haben“, erklärt Heike Wex. Von den Untersuchungen erhofft sich die Forschung bessere Prognosen zum Klimawandel, denn momentan können die Klimamodelle die Erwärmung der Arktis noch nicht ausreichend widergeben, was Unsicherheiten vom Anstieg des Meeresspiegels bis hin zu regionalen Klimaänderungen in Europa mit sich bringt.

Die komplexen Rückkopplungsprozesse zwischen Biosphäre und Klima werden auch Teil der Untersuchungen der MOSAiC-Expedition sein: Im September 2019 wird der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ein Jahr lang im arktischen Eis durch das Nordpolarmeer driften. Versorgt von weiteren Eisbrechern und Flugzeugen werden insgesamt 600 Menschen aus 17 Ländern an der MOSAiC-Expedition teilnehmen. Das AWI ist dabei jeweils gemeinsam mit einem internationalen Partner für die fünf Forschungsschwerpunkte verantwortlich: die Physik des Meereises und der Schneeauflage, die Prozesse in der Atmosphäre sowie im Ozean, die biogeochemischen Kreisläufe und das Ökosystem der Arktis. TROPOS wird sich dabei federführend an zwei zentralen Messungen beteiligen: Zum einen wird ein Fernerkundungscontainer für die gesamte Eisdrift kontinuierlich die vertikale Aerosol- und Wolkenverteilung mittels Lidar, Radar und Mikrowellenradiometern erkunden. Zum anderen wird ein Fesselballon während eines Fahrtabschnitts die arktische Grenzschicht möglichst genau ausmessen. Beide Messungen ermöglichen mehr oder weniger direkt eine Erfassung der vertikalen Verteilung der eisnukleierenden Partikel. Daneben wird TROPOS auch den Oberflächenfilm auf dem Meer und auf Schmelztümpeln untersuchen, der wahrscheinlich eine maßgebliche Quelle für INP in der Arktis ist.

Seit 2016 untersucht der Sonderforschungsbereich TR172 "Arktische Verstärkung" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die Gründe dafür, weshalb sich die Arktis deutlich stärker erwärmt als der Rest der Erde. Zu dem Forschungsverbund gehören neben der Universität Leipzig auch die Universitäten in Bremen und Köln sowie das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig. Tilo Arnhold


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt







warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte