Neue Einblicke in die Entstehung und den Zerfall atomarer Cluster
Physik-News vom 04.11.2020
Atomare Cluster sind Ansammlungen von wenigen Atomen des gleichen Elementes oder auch von Atomen weniger unterschiedlicher Elemente. Unter welchen Bedingungen bilden sich atomare Cluster? Wann und wie zerfallen sie? Diese Fragen untersuchten Forschende der Universität Greifswald in der Arbeitsgruppe Atom- und Molekülphysik des Instituts für Physik mit Hilfe eines an der Universität Greifswald entwickelten Multireflexions-Flugzeit-Massenspektrometers. Es ist eine wichtige Zukunftstechnologie zur Erforschung der Eigenschaften von Atomen. Die Apparatur wurde nun erfolgreich bei der Untersuchung atomarer Cluster eingesetzt.
Atomare Cluster sind zwischen Atomen und Festkörpern einzuordnen. Ihre Eigenschaften unterscheiden sich von denen einzeln auftretender Atome und sind abhängig von der Clustergröße. In größer werdenden Clustern können sich die physikalischen Eigenschaften kontinuierlich ändern. Manchmal erfolgt die Änderung aber auch sprunghaft. Dies ist Gegenstand aktueller Forschungen. Dr. Fischer hat die Eigenschaften von Bismut- und Indium-Clustern als Funktion ihrer Größe mit neuartigen Anwendungen der Multireflexions-Flugzeit-Massenspektrometrie untersucht. Mit den Experimenten ist die erste Realisierung einer Tandem-Multireflexions-Flugzeit-Massenspektrometrie gelungen. Dabei wurden zwei spektrometrische Anwendungen kombiniert: Zum einen wurden mit Hilfe des Spektrometers die Cluster ihrer Größe nach vorselektiert, zum anderen wurden die Reaktionsprodukte analysiert, die infolge von Laseranregung entstehen.
Publikation:
Fischer P., Schweikhard L.
Decay-rate power-law exponent as link between dissociation energy and temperature
Physical Review Research. 2, 043177
DOI: 10.1103/PhysRevResearch.2.043177
„In einer ersten Messserie hat Dr. Fischer das Zerfallsverhalten von Bismut-Clustern in Abhängigkeit von der Größe der Zerfallsprodukte bestimmt. Darauf aufbauend, hat er diese Cluster zunächst mit Blei ‚gedopt‘. Das heißt, den Bismut-Clustern wurde jeweils ein Bleiatom zugegeben. Interessant war in diesem Zusammenhang, welche Bismut-Bruchstücke das Bleiatom beim Zerfall an sich binden. Beide Schritte, die Clusterselektion und die Elementanalyse, wurden jeweils mittels Multireflexion durchgeführt, um eine hohe Auflösung zu erzielen. In einem weiteren Experiment hat Dr. Fischer das zeitliche Zerfallsverhalten von Indium-Clustern beobachtet und Rückschlüsse auf die Bedingungen während der Clusterentstehung durch Laserbeschuss einer Probenoberfläche gezogen. Die Details der Clusterentstehung sind noch Gegenstand der Forschung,“ berichtet Prof. Dr. Lutz Schweikhard, Leiter der Arbeitsgruppe Atom- und Molekülphysik an der Universität Greifswald.
Die Massenspektrometrie (MS) ist eine weitverbreitete experimentelle Methode. Sie liefert in der Grundlagenforschung wichtige Erkenntnisse über die Zusammensetzung und Bindungsverhältnisse von Molekülen und atomaren Clustern. Bei der Flugzeit-Massenspektrometrie (ToF MS, Englisch für „time of flight“) wird Ionen – also geladenen Atomen und Molekülen – unterschiedlicher Masse mittels eines elektrischen Feldes die gleiche Bewegungsenergie gegeben. Im Anschluss werden die Ionen in eine Art Wettrennen geschickt. Sie starten zeitgleich an einer Quelle und fliegen im Anschluss durch ein Vakuumgefäß zu einem Detektor. Die leichten Ionen kommen dort früher an als die schweren, wobei die Flugzeiten außerdem auch noch von der Ladung der Ionen abhängen. Am Detektor werden die jeweiligen Flugzeiten der unterschiedlich schweren Ionen registriert. Es entsteht ein Flugzeitspektrum, mit dessen Hilfe die Massen der Ionen identifiziert werden können. Je länger die Flugstrecke ist, die die Ionen verschiedener Masse zwischen Quelle und Detektor zurücklegen, desto mehr unterscheiden sich deren Ankunftszeiten und desto besser lassen sich einzelne Ionen voneinander unterscheiden. Man spricht daher von einem erhöhten Auflösungsvermögen bei längerer Flugstrecke.
Damit die Ionen auch im Labor lange Flugstrecken zurücklegen können, werden die Ionen in der Greifswalder Messapparatur zwischen zwei ionenoptischen Spiegeln bis zu einige tausend Male hin und her reflektiert. Diese „Multireflexion“ (multi-reflection, kurz MR) lässt sich vergleichen mit Ionen-Pingpong. Durch diesen Trick lässt sich die Flugstrecke in einem Laborgerät von einem Meter Länge auf bis zu einige Kilometer verlängern und ToF MS wird zu MR-ToF MS. Wird die Flugstrecke beispielsweise von einem Meter auf einen Kilometer erhöht, so verbessert sich das Auflösungsvermögen auf Werte von einigen Hunderttausend. Das MR-ToF-Massenspektrometer kann zudem auch als eine Art Ionenfalle genutzt werden, die es erlaubt, Cluster über mehrere Umläufe zu verfolgen. Damit können, wie in der jüngsten Veröffentlichung demonstriert, die Clusterzerfälle als Funktion der Zeit nach dem Laserbeschuss bestimmt werden. Dies erlaubt weitere Rückschlüsse über die Clustereigenschaften.
Das MR-ToF-Spektrometer ist eines von mehreren, die an der Universität Greifswald gebaut und weiterentwickelt wurden. Insbesondere knüpft es an ein Instrument an, das für das Präzisionsmassenspektrometer ISOLTRAP zum europäischen Forschungszentrum CERN geliefert wurde und dort für den Nachweis und die Selektion exotischer Atomkerne sowie die Bestimmung ihrer Bindungsenergien eingesetzt wird.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Greifswald via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.