Neue Quantenmaterialien am Computer entworfen
Physik-News vom 20.09.2022
Eine neues Designprinzip kann nun die Eigenschaften von bisher kaum erforschbaren Quantenmaterialien vorhersagen. So wurde erstmals mit dem Computer ein hochkorreliertes topologisches Halbmetall entdeckt.
Wie findet man neuartige Materialien mit ganz bestimmten Eigenschaften – zum Beispiel einem speziellen Zusammenspiel von Elektronen, wie man es für Quantencomputer benötigt? Meist ist das eine sehr komplizierte Aufgabe: Man produziert verschiedene Verbindungen, in denen potenziell erfolgversprechende Atome in bestimmten Kristallstrukturen angeordnet sind und untersucht das Material dann, etwa im Tieftemperaturlabor der TU Wien.
Publikation:
Chen, L., Setty, C., Hu, H. et al.
Topological semimetal driven by strong correlations and crystalline symmetry
Nat. Phys. (2022)
DOI: 10.1038/s41567-022-01743-4
Nun gelang es durch eine Kooperation von Rice University (Texas), TU Wien und anderen internationalen Forschungsinstitutionen, geeignete Materialien am Computer aufzuspüren. Aus der unüberschaubar großen Anzahl von möglichen Materialien werden durch neue theoretische Methoden besonders vielversprechende Kandidaten identifiziert. Messungen an der TU Wien zeigten dann: Die gesuchten Materialeigenschaften sind tatsächlich messbar, die Methode funktioniert. Für die Forschung an Quantenmaterialien ist das ein wichtiger Schritt nach vorn. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Physics“ publiziert.
Topologische Halbmetalle
Auf der Suche nach neuartigen Quantenmaterialien mit ganz besonderen Eigenschaften arbeiteten die Rice University in Texas und die TU Wien schon in vergangenen Jahren sehr erfolgreich zusammen: 2017 wurde von den beiden Forschungsgruppen erstmals ein sogenanntes „Weyl-Kondo Halbmetall“ präsentiert – ein Material, das unter anderem für die Forschung an Quantencomputer-Technologien eine wichtige Rolle spielen könnte.
„Die Elektronen in einem solchen Material kann man nicht einzeln beschreiben“, erklärt Prof. Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Es kommt zu sehr starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen, sie überlagern sich nach den Gesetzen der Quantenphysik als Wellen, gleichzeitig stoßen sie einander durch ihre elektrische Ladung ab.“
Genau diese starke Wechselwirkung führt zu Anregungen der Elektronen, die man nur mit sehr aufwändigen mathematischen Methoden beschreiben kann. In den nun untersuchten Materialien spielt außerdem die Topologie eine wichtige Rolle – sie ist ein Teilgebiet der Mathematik, das sich mit geometrischen Eigenschaften befasst, die durch kontinuierliche Verformung nicht verändert werden, wie etwa die Zahl der Löcher in einem Doughnut, die auch dann gleichbleibt, wenn das Doughnut leicht gequetscht wird.
Auf ähnliche Weise können elektronische Zustände im Material stabil bleiben, auch wenn das Material leicht gestört wird. Genau deshalb sind diese Zustände für praktische Anwendungen wie Quantencomputer so nützlich.
Mit dem Computer mögliche Kandidaten identifizieren
Das Verhalten aller stark miteinander wechselwirkenden Elektronen im Material exakt zu berechnen ist unmöglich – kein Supercomputer der Welt ist dazu imstande. Doch auf Basis der bisherigen Erkenntnisse gelang es nun, ein Designprinzip zu entwickeln, das auf Basis vereinfachter Modellrechnungen zusammen mit mathematischen Symmetrieüberlegungen und einer Datenbank aus bekannten Materialien Vorschläge liefert, in welchem dieser Materialien die theoretisch erwarteten topologischen Eigenschaften vorliegen könnten.
„Drei solche Kandidaten hat diese Methode geliefert, eines dieser Materialien haben wir dann hergestellt und in unserem Labor bei tiefen Temperaturen vermessen“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Und tatsächlich deuten diese ersten Messungen darauf hin, dass es sich um ein hochkorreliertes topologisches Halbmetall handelt – das erste, das auf theoretischer Basis mit Hilfe eines Computers vorhergesagt wurde.“
Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war, die Symmetrien des Systems auf kluge Weise auszunutzen: "Wir haben postuliert, dass stark korrelierte Anregungen immer noch gewissen Symmetrieanforderungen unterliegen. Deshalb kann ich viel über die Topologie eines Systems aussagen, ohne auf Ab-Initio-Berechnungen zurückgreifen zu müssen, die oft erforderlich sind, aber bei der Untersuchung stark korrelierter Materialien eine besondere Herausforderung darstellen", sagt Qimiao Si von der Rice University. „Alles weist darauf hin, dass wir ein robustes Verfahren gefunden haben, um Materialien zu identifizieren, die die Eigenschaften aufweisen, die wir haben möchten.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.