Neues vom Wasserstoff: Erkenntnisse über Planeten und Sterne
Physik-News vom 15.11.2022
Mit einer auf Zufallszahlen basierenden Simulationsmethode konnten Wissenschaftler die Eigenschaften von warmem dichten Wasserstoff so genau wie nie zuvor beschreiben.
Die Eigenschaften von Quantensystemen aus vielen wechselwirkenden Teilchen zu ermitteln ist immer noch eine enorme Herausforderung. Die zugrundeliegenden mathematischen Gleichungen sind seit Langem bekannt. Allerdings sind sie zu komplex, um sie in der Praxis zu lösen. Diese Barriere zu durchbrechen würde höchstwahrscheinlich zu einer Fülle neuer Erkenntnisse und Anwendungen in Physik, Chemie und Materialwissenschaften führen.
Publikation:
Maximilian Böhme, Zhandos A. Moldabekov, Jan Vorberger, and Tobias Dornheim
Static Electronic Density Response of Warm Dense Hydrogen: Ab Initio Path Integral Monte Carlo Simulations
Phys. Rev. Lett. 129, 066402 (2022)
DOI: 10.1103/PhysRevLett.129.066402
Forschern des Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) ist nun ein bedeutender Entwicklungsschritt gelungen: Sie konnten sogenannten warmen, dichten Wasserstoff – Wasserstoff unter extremen Bedingungen, wie etwa hohem Druck – mit bisher unerreichter Genauigkeit beschreiben. Mit ihrem auf Zufallszahlen basierenden Ansatz konnten die Wissenschaftler erstmals die Quantendynamik von Elektronen lösen, die bei der Wechselwirkung vieler Wasserstoffatome zum Beispiel im Inneren von Planeten oder in Fusionsreaktoren auftritt.
Wasserstoff ist das am weitesten verbreitetste Element im Universum. Als Brennstoff befeuert er nicht nur die Sterne und damit auch unsere Sonne, sondern bildet auch das Innere von Planeten wie etwa des Gasriesen Jupiter in unserem Sonnensystem. Die häufigste Form von Wasserstoff im Universum ist weder das farb- und geruchlose Gas noch die auf der Erde bekannten wasserstoffhaltigen Moleküle wie beispielsweise Wasser. Es ist der warme dichte Wasserstoff der Sterne und Planeten – extrem komprimierter Wasserstoff, der in bestimmten Fällen sogar elektrisch leitfähig wird, wie man es von Metallen kennt. Die Forschung im Bereich der warmen dichten Materie basiert auf Untersuchungen unter sehr hohen Temperatur- oder Druckbedingungen, wie sie überall im Universum anzutreffen sind. Auf der Erdoberfläche kommen derartige Umgebungsbedingungen indes nicht vor.
Simulationsmethoden und ihre Grenzen
Bei dem Versuch, die Eigenschaften von Wasserstoff und anderen Stoffen unter extremen Bedingungen zu ergründen, stützt sich die Wissenschaft überwiegend auf Simulationen. Eine weitverbreitete Methode ist die Dichtefunktionaltheorie (DFT). Trotz ihres Erfolgs ist sie für die Beschreibung von warmem dichten Wasserstoff unzureichend. Der Hauptgrund dafür ist, dass korrekte Simulationen genaue Kenntnisse über die Wechselwirkungen von Elektronen in warmem dichten Wasserstoff erfordern. Da dieses Wissen jedoch fehlt, müssen sich die Forschungsteams immer noch auf Näherungswerte für diese Wechselwirkung beschränken. Das führt zu verfälschten Simulationsergebnissen. Aufgrund dieser Wissenslücke ist es zum Beispiel nicht möglich, die Aufheizphase von Trägheitsfusionsreaktionen korrekt zu simulieren. Die Überwindung dieser Hürde könnte die Trägheitsfusion, einen der beiden Hauptzweige der Fusionsenergieforschung, erheblich voranbringen. Fusionsreaktoren könnten sich perspektivisch zu einer relevanten kohlenstofffreien Energieerzeugungstechnologie entwickeln.
In der neuen Publikation zeigen Erstautor Maximilian Böhme, Dr. Zhandos Moldabekov, CASUS-Nachwuchsgruppenleiter Dr. Tobias Dornheim (alle CASUS-HZDR) und Dr. Jan Vorberger (HZDR-Institut für Strahlenphysik) erstmals, dass sich die Eigenschaften von warmem dichten Wasserstoff mit sogenannten Quantum Monte Carlo (QMC)-Simulationen sehr genau beschreiben lassen. „Wir haben eine QMC-Methode namens Path-Integral Monte-Carlo (PIMC) erweitert, um die statische elektronische Dichteantwort von warmem dichten Wasserstoff zu simulieren“, sagt Böhme, der seine Promotion am CASUS vorantreibt. „Unsere Methode verlässt sich nicht mehr auf die Näherungswerte, die frühere Ansätze limitierten. Stattdessen berechnet sie direkt die fundamentale Quantendynamik und ist daher sehr genau. Aufgrund des enormen Rechenaufwands stößt unser Ansatz in Bezug auf den Umfang allerdings an seine Grenzen. Obwohl wir uns auf die derzeit leistungsfähigsten Supercomputer stützen können, sind wir bisher nur in der Lage, Teilchenzahlen im zweistelligen Bereich zu verarbeiten.“
Größerer Umfang – und trotzdem präzise
Die Konsequenzen dieser neuen Methode könnten weitreichend sein: Durch eine geschickte Kombination von PIMC und DFT könnte man sowohl von der Präzision der PIMC-Methode als auch von der Geschwindigkeit und Vielseitigkeit der weitaus weniger rechenaufwendigen DFT-Methode profitieren. „Bisher haben die Fachleute bei ihren DFT-Simulationen noch keine zuverlässigen Näherungen für Elektronenkorrelationen ermitteln können“, sagt Dornheim. „Mit den PIMC-Ergebnissen für sehr wenige Teilchen als Referenz können sie nun die Einstellungen ihrer DFT-Simulationen so lange anpassen, bis die DFT-Ergebnisse mit den PIMC-Ergebnissen übereinstimmen. Mithilfe dieser optimierten DFT-Simulationen sollten wir nun in der Lage sein, exakte Ergebnisse für Systeme mit Hunderten oder sogar Tausenden von Teilchen zu erzielen.“
Mit diesem Ansatz kann die DFT erheblich weiterentwickelt werden, wodurch sich das Verhalten jeglicher Art von Materie oder Material besser simulieren ließe. In der Grundlagenforschung würden damit prädiktive Simulationen möglich, die Forschenden zum Vergleich mit ihren experimentellen Ergebnissen aus Großgeräten wie der European X-Ray Free-Electron Laser Facility (European XFEL) bei Hamburg (Deutschland), der Linac Coherent Light Source (LCLS) am National Accelerator Laboratory in Menlo Park oder der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore (beide USA) benötigen.
Die Arbeit von Böhme und seinen Kollegen könnte dazu beitragen, die Umwandlung von warmem dichten Wasserstoff in metallischen Wasserstoff im Detail zu bestimmen. Dieser neue Aggregatzustand von Wasserstoff wird sowohl in Experimenten als auch in Simulationen intensiv untersucht. Die experimentelle Erzeugung von metallischem Wasserstoff im Labor könnte in Zukunft weitere sehr interessante Anwendungen ermöglichen.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.