Wie stehen quantenverschränkte Photonen mit der Erdrotation in Verbindung?

Wie stehen quantenverschränkte Photonen mit der Erdrotation in Verbindung?



Physik-News vom 19.06.2024

Ein von Philip Walther geleitetes Forscherteam an der Universität Wien hat in einem wegweisenden Experiment die Effekte der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen untersucht. Die Studie markiert einen signifikanten Fortschritt, indem sie die Grenzen der Rotationsmessung mit verschränkungsbasierten Sensoren erweitert und möglicherweise neue Wege für Forschungen an der Schnittstelle von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie ebnet.

Optische Sagnac-Interferometer gelten als die sensibelsten Instrumente zur Messung von Rotationen. Seit dem frühen 20. Jahrhundert spielen sie eine zentrale Rolle für das Verständnis fundamentaler physikalischer Prinzipien. Ihre ausgeprägte Empfindlichkeit ermöglichte bereits vor mehr als einem Jahrhundert wichtige Beiträge zur Untermauerung von Einsteins Theorie der speziellen Relativität. Heute repräsentieren sie aufgrund ihrer unübertroffenen Genauigkeit das Nonplusultra in der Rotationsgeschwindigkeitsmessung, begrenzt lediglich durch die Prinzipien der klassischen Physik.

Interferometer, die Quantenverschränkung nutzen, könnten die bestehenden Grenzen überwinden. Wenn eine Verschränkung zwischen zwei oder mehr Quantenteilchen besteht, ist nur ihr kollektiver Zustand bekannt, während der Zustand der einzelnen Teilchen bis zur Messung unbestimmt bleibt. Diese Eigenschaft lässt sich nutzen, um pro Messung mehr Informationen zu gewinnen, als es ohne Verschränkung möglich wäre.


Fotografische Darstellung der Erdrotation.

Publikation:


R. Silvestri, H. Yu, T. Strömberg, C. Hilweg, R. W. Peterson, P. Walther
Experimental Observation of Earth's Rotation with Quantum Entanglement
Science Advances (2024)

DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.ado0215



Allerdings wurde der erhoffte Quantensprung in der Messgenauigkeit bisher durch die fragile Natur der Verschränkung eingeschränkt. Um dieses Problem zu lösen, verwendete die Forschungsgruppe in ihrem Experiment einen sehr stabilen, auf optischen Glasfasern basierenden Interferometer'>Sagnac-Interferometer mit einer effektiven Fläche von über 700 Quadratmetern. Dadurch konnten genügend hochwertige verschränkte Photonenpaare beobachtet werden, um die Genauigkeit der Rotationsmessungen im Vergleich zu früheren quantenoptischen Sagnac-Interferometern um das Tausendfache zu steigern.


Sagnac Interferometer, gebaut mit 2 Kilometern Glasfasern, die um einen 1,4 Meter großen quadratischen Aluminiumrahmen gewickelt sind.

Der Sagnac-Effekt beschreibt, wie zwei Teilchen, die sich von einem gemeinsamen Startpunkt aus in entgegengesetzte Richtungen auf einer rotierenden, geschlossenen Bahn bewegen, zu unterschiedlichen Zeiten am Ausgangspunkt zurückkehren. Bei zwei verschränkten Teilchen, wie in diesem Experiment eingesetzt, wird das Phänomen noch faszinierender: Sie verhalten sich, als ob sie ein einzelnes Teilchen wären, das beide Richtungen gleichzeitig erkundet. Aufgrund der geringen Größe des Effekts mussten die Forschenden die Länge ihrer zwei Kilometer langen Glasfasern, die auf einer großen Spule gewickelt waren, auf etwa ein Zehntel eines Nanometers genau einhalten. Das ist vergleichbar mit einer Längenänderung von etwa einem Millimeter im Verhältnis zur durchschnittlichen Entfernung der Erde zur Sonne.

Um die Einflüsse der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen eindeutig zu messen, benötigten die Forschenden einen Vergleichswert – das heißt, das Verhalten der Photonen ohne die Erdrotation. "Wir können die Erdrotation aber natürlich nicht stoppen, einen guten Vergleichswert zu bekommen, war also eine echte Herausforderung. Wir haben die Glasfaser in zwei gleich lange Spulen aufgeteilt und diese über einen optischen Schalter miteinander verbunden", erläutert Hauptautor Raffaele Silvestri von der Universität Wien. Mit dem Schalter konnten sie die Rotationsrichtung auf halbem Weg umkehren, so dass die Teilchen unabhängig von der tatsächlichen Rotation stets gleichzeitig am Ausgangsort ankamen. "Im Grunde haben wir das Licht dazu gebracht zu glauben, es befände sich in einem nicht rotierenden Universum", fügt Silvestri hinzu.

In dem von der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstützten Forschungsnetzwerk TURIS durchgeführten Experiment gelang es den Forschenden, den Effekt der Erdrotation auf einen maximal verschränkten Zustand von zwei Photonen zu beobachten. Dies bestätigt die Interaktion zwischen rotierenden Referenzsystemen und Quantenverschränkung mit einer tausendfach höheren Präzision als frühere Experimente, wie sie in Einsteins spezieller Relativitätstheorie und der Quantenmechanik beschrieben ist.

"Das ist ein bedeutender Meilenstein – ein Jahrhundert nach der ersten Beobachtung der Erdrotation mit Licht hat die Verschränkung einzelner Lichtquanten endlich die gleichen Empfindlichkeitsbereiche erreicht", sagt Haocun Yu, die als Marie-Curie-Postdoktorandin an diesem Experiment gearbeitet hat. "Ich glaube, dass unser Ergebnis und unsere Methodik den Grundstein für weitere Verbesserungen der Rotationsempfindlichkeit von verschränkungsbasierten Sensoren legen werden. Dies könnte den Weg für zukünftige Experimente ebnen, die das Verhalten der Quantenverschränkung durch die Kurven der Raumzeit testen", fügt Gruppenleiter Philip Walther von der Universität Wien hinzu.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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