Der Quantendarwinismus ist eine Hypothese, die eine auf darwinscher Selektion basierende Entstehung der klassischen Welt aus der Quantenwelt beschreibt. Sie wurde von Wojciech Zurek und einer Forschergruppe, zu deren Mitgliedern Ollivier, Poulin, Paz und Blume-Kohout gehören, gemeinsam vorgeschlagen, geht in ihrer Entwicklung aber auf die Vernetzung einiger Forschungsgebiete zurück, die von Zurek vorgenommen wurde. Folgende Aspekte sind die tragenden:
Zurek betreibt seine diesbezüglichen Forschungen seit ca. 25 Jahren.
Ähnlich wie Zureks Theorie der envariance (von „entanglement-assisted invariance“, also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz), erklärt der Quantendarwinismus, wie die klassische Welt aus der Quantenwelt entsteht und bietet mögliche Lösungen für das sog. Messproblem, dessen Interpretation philosophisch die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Quantentheorie darstellt. Dieses Problem kommt dadurch zustande, dass der Vektor des Quantenzustands (die Quelle aller Informationen über ein Quantensystem) sich gemäß der Schrödingergleichung zu einer linearen Superposition entwickelt. Damit sind einander überlagernde Zustände wie z. B. „Schrödingers zugleich lebend-tote Katze“ gemeint – Situationen, die es in unserer klassischen Welt nicht gibt. Verschiedene hochrangige Quantenphysiker erklären dieses Problem häufig dadurch für gelöst (oder nicht existent), dass sie annehmen, der Zustandsvektor werde auf nicht-unitäre Weise, infolge des Messaktes, in den definitiv gemessenen Zustand transformiert.
Der physikalische Charakter des Übergangs von der Superposition der Zustände zum eindeutigen klassischen Zustand wird in der heutigen Quantentheorie normalerweise also nicht erklärt, sondern wie ein Axiom behandelt; zuvor war er Grundlage für die um Vollständigkeit der Quantentheorie ringende Auseinandersetzung zwischen Niels Bohr und Albert Einstein – wahrscheinlich die berühmteste in der Physikgeschichte.
Der Quantendarwinismus beschreibt den Übergang jedes denkbaren Quantensystems mit seinem riesigen Potenzial an Variationen zu der sehr eingeschränkten Menge an Pointerzuständen als einen sogenannt einselectiven Prozess. Dabei reagiert das betreffende Quantensystem auf eine sich an seine Umwelt anpassende Weise. Alle Quantenwechselwirkungen, typischerweise mit dem im Kosmos allgegenwärtigen Photonenmeer, jedoch auch z. B. einer Messapparatur, münden in eine Quantendekohärenz oder Manifestierung des Quantensystems in einer bestimmten Basis von Eigenzuständen, die vom Charakter der Wechselwirkung, an der das Quantensystem beteiligt ist, bedingt sind. Zurek und seine Mitarbeiter haben nun gezeigt, dass diese Pointerzustände das bevorzugte Ergebnis der Dekohärenzvorgänge sind und den klassischen Zuständen zugrunde liegen. Auf diese Weise werden die Pointerzustände zu Bereichen der klassischen Realität, welche eine weitere Evolution erfährt.
Insofern jedes Quantensystem aus mehr oder minder redundanten Variationen der letztlich herausselektierten Pointerzustände besteht und diese wiederum Informationen darstellen, kann die Umwelt als eine Ansammlung von Beobachtern aufgefasst werden, die sich im Augenblick der Dekohärierung auf einen Pointerzustand einigen (ihn gegenüber den restlichen Varianten bevorzugen). Dieser Aspekt der einselection, den Zurek das „Environment as Witness - Die Umgebung als Zeuge“ nennt, führt potenziell zu objektivem Wissen. Dies ist z. B. der Fall, sobald die kosmische Urumwelt (über eine Reihe kausal zusammenhängender Schritte) zu einem Wissenschaftler evolutionierte, der seine Hypothese zu verifizieren und dadurch in eine Theorie umzuwandeln versteht.
Die Hypothese des Quantendarwinismus impliziert die Annahme eines selektiv wirkenden Mechanismus, der unsere klassische Realität erzeugt. Wie zahlreiche Wissenschaftler verdeutlicht haben, führt jede Art von natürlicher Selektion zu Entwicklung (Evolution), in dem Sinne, dass sich aus einer Menge früherer Zustände ein bestimmter neuer zu konsolidieren beginnt, der sich neben seinen 'Vorfahren' behaupten oder sie auch ablösen (verdrängen) kann. Das Besondere an Darwins Theorie ist nun, dass er sie – wegen der logischen Herkunft ihres hypothetischen Ur-Einzellers aus dem Reich der unbelebten Materie – nicht auf die Biologie beschränkte. Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Entstehung der 'lebendigen' Materie aus der 'toten' erklären zu können, formulierte Darwin die Grundregeln seiner Evolutionstheorie in Gestalt eines allgemeingültigen, dreistufigen Algorithmus:
Der Quantendarwinismus scheint diese 'Anweisungen' korrekt zu integrieren, seine Bezeichnung insofern treffend gewählt:
Aus dieser Perspektive bieten Zurek und Mitarbeiter eine darwinistische Erklärung zur Herkunft unserer makroskopischen Realität aus der Quantenwelt. Es ist vielleicht überraschend, dass gemäß einer wissenschaftlichen Hypothese ein und derselbe Mechanismus die Entstehung des menschlichen Geistes und seiner Kulturleistungen aus der Biologie und dieser aus der rätselhaften Quantenrealität ermöglichen soll.