Satz von Liouville (Physik): Unterschied zwischen den Versionen

Satz von Liouville (Physik): Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''Satz von Liouville''' (auch '''Liouville-[[Theorem]]''' genannt, nach [[Joseph Liouville]]) ist eine direkte Folge aus der [[Liouville-Gleichung]] und besagt, dass das von benachbarten [[Trajektorie (Physik)|Trajektorien]] im [[Phasenraum]] eingeschlossene (mehrdimensionale) Volumen konstant ist.
Der '''Satz von Liouville''' (auch '''Liouville-[[Theorem]]''' genannt, nach [[Joseph Liouville]]) ist ein Satz aus dem Bereich der theoretischen Mechanik, der besagt, dass das von benachbarten [[Trajektorie (Physik)|Trajektorien]] im [[Phasenraum]] eingeschlossene (mehrdimensionale) Volumen als Funktion der Zeit konstant ist. Der Satz gilt für alle durch den [[Hamiltonsche Mechanik|Hamilton-Formalismus]] beschriebenen Systeme. Die Hamilton-Funktion kann dabei auch explizit von der Zeit abhängen.
Eng verwandt mit dem Satz von Liouville und leicht daraus herleitbar ist die [[Liouville-Gleichung]].


Der Satz gilt für [[Konservatives System|konservative Systeme]], die im [[Hamiltonsche Mechanik|Hamilton-Formalismus]] beschrieben werden können und aus unabhängigen [[Teilchen]] mit gleicher [[Hamilton-Funktion]] bestehen. Er gilt deshalb beispielsweise ''nicht'' für [[Isotop]]en-Gemische, aber für jedes Isotop separat.
== Herleitung ==
Im Rahmen des [[Hamilton-Formalismus]] ist der momentane Zustand eines mechanischen Systems gegeben durch [[Generalisierte Koordinate|kanonische Koordinaten]] <math>q_i</math> und [[Kanonischer Impuls|kanonische Impulse]] <math>p_i</math> mit <math>1\leq i\leq N</math>, d.&nbsp;h. durch einen Punkt <math>X=(q_i,p_i)</math> im [[Phasenraum]]. Die [[Hamilton-Funktion]] <math>H\left(q,p,t\right)</math> des Systems definiert ein [[Vektorfeld]] <math>\dot{X} = \left( \frac{dq_{i}}{dt}, \frac{dp_{i}}{dt} \right) = \left( \frac{\partial H}{\partial p_{i}}, -\frac{\partial H}{\partial q_{i}} \right)</math> im Phasenraum, welches die Zeitentwicklung des Systems beschreibt. Die Lösung der Gleichung ist der [[Fluss (Mathematik)|Fluss]] <math>X(t)</math>.
Anwenden des [[Divergenz eines Vektorfeldes|Divergenz]]operators <math>\operatorname{div}=\left(\frac{\partial}{\partial q_{i}},\frac{\partial}{\partial p_{i}}\right)</math> auf das Vektorfeld liefert


== Folgerungen ==
:<math>\operatorname{div}\cdot\dot{X}=\sum_{i=1}^{N}\left(\frac{\partial^{2}H}{\partial p_{i}\partial q_{i}}-\frac{\partial^{2}H}{\partial q_{i}\partial p_{i}}\right)=0.</math>
Das bedeutet, dass für frei fliegende gleiche Teilchen (auch für Lichtteilchen, also [[Photon]]en gleicher [[Wellenlänge]]) die [[Dichte]] im [[Ortsraum]] nur erhöht werden kann, wenn gleichzeitig die Dichte im [[Impulsraum]] verringert wird, wenn also die [[Geschwindigkeit]]en (nach Richtung oder [[Betragsfunktion|Betrag]]) in einem größeren Bereich liegen.


Mit „Ortsraum“ ist dabei unser „gewöhnlicher“ [[3D|dreidimensionaler]] [[Raum (Physik)|Raum]] gemeint; Impulsraum ist ein [[Euklidischer_Raum|mathematischer Raum]], dessen [[Koordinatensystem|Koordinaten]] die [[Vektor]]komponenten des [[Impuls (Mechanik)|Impulses]] sind.
Das [[Geschwindigkeitsfeld]] <math>\dot{X}</math> und der Fluss  <math>X\left(t\right)</math> sind also quellenfrei. Man kann sich die Dynamik im Phasenraum daher als Strömung einer inkompressiblen Flüssigkeit veranschaulichen. Dass das Verschwinden der Divergenz eines Geschwindigkeitsfeldes Inkompressibilität impliziert, lässt sich formal mit Hilfe des [[Gaußscher Integralsatz|Gaußschen Satzes]] zeigen, ähnlich wie in der Hydrodynamik.


Wenn ein Strahl annähernd [[Parallelität (Geometrie)|parallel]] fliegender Teilchen (kleine Impuls[[unschärfe]] quer zur Bewegungsrichtung) auf einen kleineren Durchmesser [[fokus]]siert wird, wird die Dichte im Ortsraum erhöht. Es muss daher die Dichte im Impulsraum verringert werden, die Teilchen müssen also stärker unterschiedliche [[Impuls]]e (Geschwindigkeiten quer zur Strahlrichtung) erhalten. Daher können die Teilchenbahnen nicht mehr so genau parallel bleiben.
Alternativ und mehr formal ist der Satz von Liouville eine Folge der Invarianz der [[Differentialform|<math>1</math>-Form]] <math>\omega^{\left(1\right)}=\sum p_{i}dq_{i}</math> unter [[Symplektische Gruppe|symplektischen Transformationen]], also auch unter kanonischen Transformationen sowie in der Zeitentwicklung. Damit sind auch die <math>2</math>-Form <math>\omega=d\omega^{\left(1\right)}=\sum dp_{i}\wedge dq_{i}</math> sowie ihre Potenzen invariant. <math>\omega^{N}</math> ist das Phasenraumvolumen.


Der Satz von Liouville begrenzt, wie stark ein Teilchen- oder [[Lichtstrahl]] fokussiert werden kann, ohne Teilchen (bzw. Licht) zu verlieren. Beispielsweise kann ein [[Laserstrahl]] mit 1&nbsp;mm<sup>2</sup> Strahlquerschnitt, in dem alle Photonen nahezu denselben Impuls quer zur Strahlrichtung haben (also „parallel fliegen“), auf einen viel kleineren Durchmesser fokussiert werden als das Licht einer kleinen [[Glühlampe]], deren [[Glühfaden]] eine Fläche von etwa 1&nbsp;mm<sup>2</sup> hat. Grund dafür ist, dass das Licht der Glühbirne in alle Richtungen abgestrahlt wird, also der Impuls der Photonen sehr unterschiedlich ist (großes Volumen im Impulsraum, das nicht mehr vergrößert werden kann).
== Anwendungen ==
Der Satz von Liouville spielt eine grundlegende Rolle in der statistischen Mechanik; es gibt aber auch einfachere Anwendungen.


Anmerkung: Ein so einfacher Zusammenhang zwischen Impuls und Geschwindigkeit, wie hier angenommen wurde, ist nur gültig, wenn keine [[Magnetismus|Magnetfelder]] zu berücksichtigen sind.
Eine Anwendung betrifft die transversale Ausdehnung von Teilchen- oder Lichtstrahlen, etwa in Teilchenbeschleunigern oder optischen Instrumenten.
Man kann mit Linsensystemen einen Strahl zwar fokussieren, d.&nbsp;h. seine transversale Ausdehnung verkleinern, das geht aber nur auf Kosten der transversalen Impulse.
Die Ausdehnung der transversalen Impulse muss sich so vergrößern, dass das Gesamtvolumen, d.&nbsp;h. das Produkt der Ausdehnung im Orts- und Impulsraum, konstant bleibt.
Die Bezeichnung für das entsprechende Phasenraumvolumen in der [[geometrische Optik|geometrischen Optik]] ist [[Etendue]].


Eine weitere Folgerung aus dem Satz von Liouville ist die [[Kontinuitätsgleichung]] der [[Hydrodynamik]].
Ein anderes Beispiel ist ein einatomiges ideales Gas mit Volumen <math>V</math> und Temperatur <math>T</math>. Bei adiabatischer Kompression bleibt das Produkt <math>VT^{3/2}</math> konstant. Da die Temperatur proportional zum Impulsquadrat der Teilchen ist, entspricht die Konstante dem Phasenraumvolumen eines Teilchens (im idealen Gas sind die Teilchen voneinander unabhängig).


== Mathematische Betrachtung ==
In einem mehratomigen Gas sind für ein Gasmolekül insgesamt nicht <math>3</math>, sondern <math>f</math> Translations-, Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade relevant.
Betrachte einen Phasenraumvektor <math>\vec{x}=(\vec{q}, \vec{p})</math>, der sowohl [[Generalisierte Koordinate|kanonische Koordinaten]] <math>q</math> als auch [[Kanonischer Impuls|kanonische Impulse]] <math>p</math> beinhaltet. Unter Verwendung der [[Hamiltonsche Bewegungsgleichungen|Hamiltonschen Bewegungsgleichungen]] lautet die zeitliche Ableitung dieses Vektors:
Der Impulsanteil des Phasenraums eines Moleküls ist daher das Produkt von <math>f</math> Impulsen. Bei adiabatischer Kompression ist daher <math>VT^{f/2}</math> konstant. (Die Rotations- und Schwingungskoordinaten selber sind zyklisch und von der Kompression nicht betroffen.)


:<math> \dot{\vec{x}} = \left(\dot{\vec{q}},\dot{\vec{p}}\right)=\left(\frac{\partial H}{\partial\vec{p}} \, , -\frac{\partial H}{\partial\vec{q}}\right)</math>
== Literatur ==
 
* [[Franz Schwabl]]: ''Statistische Mechanik''. Springer 2006, ISBN 978-3-540-31095-2
mit der Hamilton-Funktion <math>H</math>.
* Theodore Frankel: ''The Geometry of Physics''. Cambridge University Press 2012, ISBN 978-1-107-60260-1
 
Wenden wir die [[Divergenz eines Vektorfeldes|Divergenz]] <math>\operatorname{div}:=\left(\frac{\partial}{\partial\vec{q}}\,,\frac{\partial}{\partial\vec{p}}\right)</math> auf <math>\dot{\vec{x}}</math> an, so erhält man
 
:<math>\operatorname{div}\dot{\vec{x}}=\frac{\partial^{2}H}{\partial\vec{q}\,\partial\vec{p}}-\frac{\partial^{2}H}{\partial\vec{p}\,\partial\vec{q}}=0</math>
 
Das [[Geschwindigkeitsfeld]] <math>\dot{\vec{x}}</math> ist also [[quellenfrei]].
 
Mit obigen Größen kann die Liouville-Gleichung als Kontinuitätsgleichung geschrieben werden:
 
:<math>\begin{align}
\frac{\partial}{\partial t}\rho & = -\{\rho,H\}\\
                                & = -\left(\frac{\partial\rho}{\partial\vec{q}} \, \dot{\vec{q}}+\frac{\partial\rho}{\partial\vec{p}} \,\, \dot{\vec{p}}\right)\\
                                & = -\operatorname{div}\!\left(\rho\dot{\vec{x}}\right)
\end{align}</math>
 
Man kann sich daher die Dynamik der [[Wahrscheinlichkeitsdichte]] <math>\rho</math> im Phasenraum als Strömung einer inkompressiblen Flüssigkeit veranschaulichen. Aus der Kontinuitätsgleichung folgt, dass das Phasenraumintegral über <math>\rho</math> eine [[Erhaltungsgröße]] ist, und aus der Divergenzfreiheit folgt die [[Inkompressibilität]]. Somit muss das eingenommene Phasenraumvolumen konstant sein.
 
==Literatur==
[[Franz Schwabl]]: ''Statistische Mechanik''. Springer 2006, ISBN 978-3-540-31095-2


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Aktuelle Version vom 26. April 2021, 16:19 Uhr

Der Satz von Liouville (auch Liouville-Theorem genannt, nach Joseph Liouville) ist ein Satz aus dem Bereich der theoretischen Mechanik, der besagt, dass das von benachbarten Trajektorien im Phasenraum eingeschlossene (mehrdimensionale) Volumen als Funktion der Zeit konstant ist. Der Satz gilt für alle durch den Hamilton-Formalismus beschriebenen Systeme. Die Hamilton-Funktion kann dabei auch explizit von der Zeit abhängen. Eng verwandt mit dem Satz von Liouville und leicht daraus herleitbar ist die Liouville-Gleichung.

Herleitung

Im Rahmen des Hamilton-Formalismus ist der momentane Zustand eines mechanischen Systems gegeben durch kanonische Koordinaten $ q_{i} $ und kanonische Impulse $ p_{i} $ mit $ 1\leq i\leq N $, d. h. durch einen Punkt $ X=(q_{i},p_{i}) $ im Phasenraum. Die Hamilton-Funktion $ H\left(q,p,t\right) $ des Systems definiert ein Vektorfeld $ {\dot {X}}=\left({\frac {dq_{i}}{dt}},{\frac {dp_{i}}{dt}}\right)=\left({\frac {\partial H}{\partial p_{i}}},-{\frac {\partial H}{\partial q_{i}}}\right) $ im Phasenraum, welches die Zeitentwicklung des Systems beschreibt. Die Lösung der Gleichung ist der Fluss $ X(t) $. Anwenden des Divergenzoperators $ \operatorname {div} =\left({\frac {\partial }{\partial q_{i}}},{\frac {\partial }{\partial p_{i}}}\right) $ auf das Vektorfeld liefert

$ \operatorname {div} \cdot {\dot {X}}=\sum _{i=1}^{N}\left({\frac {\partial ^{2}H}{\partial p_{i}\partial q_{i}}}-{\frac {\partial ^{2}H}{\partial q_{i}\partial p_{i}}}\right)=0. $

Das Geschwindigkeitsfeld $ {\dot {X}} $ und der Fluss $ X\left(t\right) $ sind also quellenfrei. Man kann sich die Dynamik im Phasenraum daher als Strömung einer inkompressiblen Flüssigkeit veranschaulichen. Dass das Verschwinden der Divergenz eines Geschwindigkeitsfeldes Inkompressibilität impliziert, lässt sich formal mit Hilfe des Gaußschen Satzes zeigen, ähnlich wie in der Hydrodynamik.

Alternativ und mehr formal ist der Satz von Liouville eine Folge der Invarianz der $ 1 $-Form $ \omega ^{\left(1\right)}=\sum p_{i}dq_{i} $ unter symplektischen Transformationen, also auch unter kanonischen Transformationen sowie in der Zeitentwicklung. Damit sind auch die $ 2 $-Form $ \omega =d\omega ^{\left(1\right)}=\sum dp_{i}\wedge dq_{i} $ sowie ihre Potenzen invariant. $ \omega ^{N} $ ist das Phasenraumvolumen.

Anwendungen

Der Satz von Liouville spielt eine grundlegende Rolle in der statistischen Mechanik; es gibt aber auch einfachere Anwendungen.

Eine Anwendung betrifft die transversale Ausdehnung von Teilchen- oder Lichtstrahlen, etwa in Teilchenbeschleunigern oder optischen Instrumenten. Man kann mit Linsensystemen einen Strahl zwar fokussieren, d. h. seine transversale Ausdehnung verkleinern, das geht aber nur auf Kosten der transversalen Impulse. Die Ausdehnung der transversalen Impulse muss sich so vergrößern, dass das Gesamtvolumen, d. h. das Produkt der Ausdehnung im Orts- und Impulsraum, konstant bleibt. Die Bezeichnung für das entsprechende Phasenraumvolumen in der geometrischen Optik ist Etendue.

Ein anderes Beispiel ist ein einatomiges ideales Gas mit Volumen $ V $ und Temperatur $ T $. Bei adiabatischer Kompression bleibt das Produkt $ VT^{3/2} $ konstant. Da die Temperatur proportional zum Impulsquadrat der Teilchen ist, entspricht die Konstante dem Phasenraumvolumen eines Teilchens (im idealen Gas sind die Teilchen voneinander unabhängig).

In einem mehratomigen Gas sind für ein Gasmolekül insgesamt nicht $ 3 $, sondern $ f $ Translations-, Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade relevant. Der Impulsanteil des Phasenraums eines Moleküls ist daher das Produkt von $ f $ Impulsen. Bei adiabatischer Kompression ist daher $ VT^{f/2} $ konstant. (Die Rotations- und Schwingungskoordinaten selber sind zyklisch und von der Kompression nicht betroffen.)

Literatur

  • Franz Schwabl: Statistische Mechanik. Springer 2006, ISBN 978-3-540-31095-2
  • Theodore Frankel: The Geometry of Physics. Cambridge University Press 2012, ISBN 978-1-107-60260-1

Siehe auch

  • Satz von Liouville (Funktionentheorie)
  • Satz von Liouville (Differentialgeometrie)