Siedeverzug: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Siedeverzug''' ist die Bezeichnung einerseits für das Phänomen, dass [[Flüssigkeit]]en unter bestimmten Bedingungen über ihren [[Siedepunkt]] hinaus erhitzt werden können, ohne dass diese [[sieden]] und andererseits die Bezeichnung für das schlagartige Übersieden selbst.
'''Siedeverzug''' ist die Bezeichnung einerseits für das Phänomen, dass [[Flüssigkeit]]en unter bestimmten Bedingungen über ihren [[Siedepunkt]] hinaus erhitzt werden können, ohne dass diese [[sieden]], und andererseits die Bezeichnung für das schlagartige Übersieden selbst.


== Beschreibung ==
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== Ursache ==
== Ursache ==
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Das Fehlen eines [[Nukleation]]skeims, also bei einer glatten, homogenen Gefäßoberfläche und einer reinen, gas- und partikelfreien Flüssigkeit, wirkt als [[Kinetik (Chemie)|kinetisches]] Hemmnis. Die Bildung einer stabilen, gasförmigen [[Phase (Materie)|Phase]] wird verhindert, und es kann zu einer Überhitzung der Flüssigkeit über ihren Siedepunkt hinaus, eben dem ''Siedeverzug'', kommen.
ACHTUNG: Ich glaube hier stimmt was nicht!
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[[Datei:Siedeverzug.gif|mini|Ursache des Siedeverzugs<br>Erläuterung s. Text]]
Die Ursache für den Siedeverzug ist darin zu sehen, dass die Oberfläche einer sehr kleinen Gasblase stark gekrümmt ist und daher die Moleküle an der [[Grenzschicht]] auch seitlich in der Flüssigkeit gehalten werden (siehe [[Oberflächenspannung]]). Daraus resultiert ein geringerer [[Dampfdruck]] und somit ein höherer Siedepunkt.
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UNLOGISCH: Wenn dann müsste laut dieser Erklärung der Dampfdruck eher höher sein, oder kein Zusammenhang bestehen (was ich vermute). Falls dies korrigiert wird, bitte eine ordentliche Erklärung!


Bemerkungen sind nur teilweise richtig: Durch die Grenzflächenspannung (sigma) herrscht im Inneren einer Blase mit Radius r ein höherer Druck p als außerhalb ( Young-Laplace-Gleichung p = 2 sigma / r ). Damit sich eine spontane Blase ausdehnen kann, muss der Dampfdruck in der Blase um diesen Young-Laplace-Druck höher sein als der hydrostatische Druck an der Stelle der Blase. (s. z.B. http://www.physik.uni-oldenburg.de/Docs/holo/apr/pdf/Oberflaechenspannung.pdf) Dieser ist aber der Druck der über der Blase befindlichen Flüssigkeitssäule plus der Dampfdruck oberhalb der (deshalb gibt es hier keinen Young-Laplace-Druck) ebenen Flüssigkeitsoberfläche. Das geht nur, wenn die Temperatur am Gefäßboden und damit der lokale Dampfdruck der Flüssigkeit höher sind als deren Gleichgewichtswerte -> die Dampfblase kollabiert wieder, wenn die Flüssigkeit nicht überhitzt ist und die spontane Blase zu klein ist. Liegt Überhitzung (Siedeverzug) vor, dehnt sich eine spontane Blase, deren Durchmesser einen kritischen Wert übersteigt, rasch weiter aus. Die Flüssigkeit kann am Rand der Blase jetzt schneller verdampfen, weil deren Krümmung kleiner und damit der Druck in der Blase niedriger wird als der Dampfdruck der überhitzten Füssigkeit. Die Blase steigt auf und dehnt sich weiter aus und kann im Extremfall den gesamten Behälterinhalt wegschleudern. Bei weniger starker Überhitzung kühlt die Flüssigkeit in der Umgebung der Blase durch die Verdampfung soweit ab, dass die Verdampfung stoppt und die Flüssigkeit nur leicht sprudelt. Der Siedeverzug wird durch Fremdkörper (Siedesteine) in der Flüssigkeit und besonders an der Gefäßwand verhindert, deren äußere Form einen Mindestkrümmungsradius vorgibt. Dadurch wird an diesen Stellen der Young-Laplace-Druck reduziert, die Gasblasen bilden sich schon bei geringerer Überhitzung, sodass das weitere Anwachsen vorzeitig stoppt. Ähnliches geschieht bei kohlensäurehaltigen Getränken, die unter Druck in die Flaschen gefüllt werden. Beim Öffnen der Flasche will das unter Druck besser lösliche Kohlendioxid wieder entweichen. Der Moussierpunkt in Sekt und Champagnergläsern ermöglicht - analog zu den Siedesteinen - eine behutsame Freisetzung des Kohlendioxids.
Der [[Dampfdruck]] im Inneren der ersten kleinen Dampfblasen muss größer als die Summe aus dem Umgebungsdruck, dem durch die Oberflächenspannung hervorgerufenen zusätzlichen Druck sowie dem Druck der Flüssigkeitssäule über dem Bläschen sein. Die Oberflächenspannung führt zu einem besonders hohen Druck in kleinen Bläschen, daher ist der Siedebeginn verzögert.<ref>http://www.lassp.cornell.edu/sethna/Nucleation/ James P. Sethna: ''Critical Droplets and Nucleation'', [[Cornell University]] 2002, abgerufen am 29. April 2020</ref>


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Schließlich bildet sich ab einer bestimmten Temperatur doch eine Gasblase und steigt, bedingt durch den [[Statischer Auftrieb|statischen Auftrieb]], auf. Mit kleiner werdender Wassersäule darüber nimmt der auf ihr lastende [[Hydrostatischer Druck|hydrostatische Druck]] ab. Flüssigkeit kann in die Gasblase hinein weiter verdampfen und sie nimmt an Volumen zu. Dadurch sinkt auch der durch die Oberflächenspannung hervorgerufene Druck und der Dampfdruck bzw. die Siedetemperatur sinken weiter. Je überhitzter die Flüssigkeit ist, desto schneller läuft dieser Vorgang ab. Die Gasblase dehnt sich wegen der raschen Dampfzufuhr explosionsartig aus ([[physikalische Explosion]]; siehe dazu auch [[Fettbrand|Fettexplosion]]) und drückt darauf lastende Flüssigkeit nach oben. Dies führt zum heftigen Spritzen oder Überschwappen. Der Siedepunkt sinkt in dieser Region schlagartig auf den Normalwert ab.
Das Fehlen eines [[Nukleation]]skeims, also bei einer glatten, homogenen Gefäßoberfläche und einer reinen, gas- und partikelfreien Flüssigkeit, wirkt als [[Kinetik (Chemie)|kinetisches]] Hemmnis. Die Bildung einer stabilen, gasförmigen [[Phase (Materie)|Phase]] wird verhindert, und es kann zu einer Überhitzung der Flüssigkeit über ihren Siedepunkt hinaus, eben dem ''Siedeverzug'', kommen.


Bei der Überhitzung von Flüssigkeiten ist der [[Dampfdruck]] im Inneren der ersten kleinen Hohlräume ungewöhnlich niedrig, so dass sie sofort wieder kollabieren.
Zur Ursache eines Siedeverzugs (im Sinne der Übererwärmbarkeit oberhalb des Siedepunkts) gibt es auch die Theorie, dass [[Kohäsion (Chemie)|Kohäsion]]skräfte zu Luftbläschen (gelöster Luft), die Energie aufnähmen und dadurch die Überhitzung ermöglicht würde.<ref>Heinrich Greinacher: ''Ergänzungen zur Experimentalphysik.'' Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-709-13492-4, S.&nbsp;59 ({{Google Buch |BuchID=1jO0BgAAQBAJ |Seite=59}}).</ref>


Dieser Effekt tritt leicht ein, wenn man eine Flüssigkeit erhitzt, ohne sie zu rühren. Wenn dann durch spontane Keimbildung (siehe [[Unterkühlung (Thermodynamik)|Unterkühlung]]) plötzlich der Verdampfungsprozess einsetzt und sich eine größere Gasblase gebildet hat, kann die Flüssigkeit mit hoher Geschwindigkeit weiter verdampfen. Die Gasblase dehnt sich dann explosionsartig aus und drückt dabei auch umgebende Flüssigkeit nach oben. Die Folge ist ein oft heftiges Spritzen. Dabei sinkt der Siedepunkt in dieser Region schlagartig auf den Normalwert ab.
==Gefahren==
Siedeverzug führt nachfolgend zum plötzlichen Auswerfen der erhitzten Flüssigkeit und kann bei in der Nähe stehenden Personen [[Verbrühung]]en verursachen oder bei Überhitzung von Säuren zusätzlich schwere [[Verätzung]]en. Einzelne Tropfen können auf die Wärmequelle gelangen und ebenfalls schlagartig verdampfen und in der Folge können deren Inhaltsstoffe anbrennen.


== Gegenmaßnahmen ==
== Gegenmaßnahmen ==
Im Haushalt sind beim Kochen am Herd normalerweise keine Gegenmaßnahmen erforderlich, da die Wärme abgebende Oberflächen normalen Kochgeschirrs genügend rau sind. Allerdings kann es beim Erhitzen von Flüssigkeiten im [[Mikrowellenherd]] zum Siedeverzug kommen.
Im Haushalt sind beim Kochen am Herd normalerweise keine Gegenmaßnahmen erforderlich, da die Wärme abgebenden Oberflächen normalen Kochgeschirrs aufgrund angebrannter Speisereste oder Kalkablagerungen genügend rau sind. [[Milchwächter]] können beim Milchkochen einen Siedeverzug verhindern (aber nicht das Überschäumen wegen zu viel Energiezufuhr). Vor allem beim Erhitzen von Flüssigkeiten im [[Mikrowellenherd]] kann es zum Siedeverzug kommen.


In der Laborpraxis verhindert man den Siedeverzug durch die Verwendung geeigneter größerer Gefäße, beispielsweise angerauhter [[Abdampfschale]]n und häufig gebrauchter (somit innen angekratzter) größerer Kolben anstatt dünner, neuer Reagenzgläser. Hinzu kommt ein sehr vorsichtiges Erwärmen der Flüssigkeit und die Vermeidung von unbewegten Ruhelagen während des Erwärmungsprozesses. Beides bedingt, dass man Gefäße über der Flamme eines [[Bunsenbrenner]]s schwenkt oder im Falle einer Heizplatte einen [[Magnetrührer]] verwendet. In beiden Fällen ist jedoch das langsame und gleichmäßige Erwärmen von größter Bedeutung, weshalb man insbesondere stark vorgewärmte Heizflächen vermeiden sollte.  
In der Laborpraxis verhindert man den Siedeverzug durch die Verwendung geeigneter größerer Gefäße, beispielsweise angerauhter [[Abdampfschale]]n und häufig gebrauchter (somit innen angekratzter) größerer Kolben anstatt dünner, neuer Reagenzgläser. Hinzu kommt ein sehr vorsichtiges Erwärmen der Flüssigkeit und die Vermeidung von unbewegten Ruhelagen während des Erwärmungsprozesses. Beides bedingt, dass Gefäße über der Flamme eines [[Bunsenbrenner]]s geschwenkt werden, im Falle einer Heizplatte ein [[Magnetrührer]] verwendet oder ein [[Rotationsverdampfer]] eingesetzt wird. In allen Fällen ist jedoch das langsame und gleichmäßige Erwärmen von größter Bedeutung, weshalb man insbesondere stark vorgewärmte Heizflächen vermeiden sollte.
[[Datei:Siedeperlen.jpg|mini|links|Siedeperlen aus Glas auf einem [[Uhrglasschale|Uhrglas]]]]
[[Datei:Siedeperlen.jpg|mini|links|Siedeperlen aus Glas auf einem [[Uhrglasschale|Uhrglas]]]]


Im Falle der erhöhten Gefahr eines Siedeverzugs kommen so genannte Siedeperlen oder Siedesteine (nicht zu verwechseln mit der mineralogischen Bezeichnung [[Siedestein]]) zum Einsatz. Sie bestehen aus porösem, weitgehend [[inert]]em Material wie Glaspulver, Glasperlen mit rauer Oberfläche, Glasbruch, Scherben von Tonen oder Silikatgesteinen.<ref name="Wittenberger">Walter Wittenberger: ''Chemische Laboratoriumstechnik'', Springer-Verlag, Wien, New York, 7. Auflage, 1973, S.  172−173, ISBN 3-211-81116-8. </ref>  Einerseits stört ihre raue Oberfläche die Bildung einer homogenen Molekülanordnung der Flüssigkeit, andererseits dehnt sich die in den Poren eingebundene Luft beim Erwärmen aus und wirkt beim Aufsteigen als Siedekeim. Aus letzterem Grund sollte man Siedesteinchen nach dem Ende des Siedens nicht noch einmal verwenden, sondern in einem [[Trockenschrank]] trocknen. Beim Aufsteigen von Dampfblasen werden Siedesteinchen in der Flüssigkeit mitgerissen; das Wiederauftreffen auf den Glasboden führt zu weiteren Nukleationskeimen. Siedesteinchen sind jedoch für [[Destillation#Vakuumdestillation|Vakuumdestillationen]] wenig nützlich, weil sie die enthaltene Luft bereits beim Evakuieren abgeben. Meist wird zusätzlich zur Verwendung von Siedesteinchen die Glasoberfläche mit einem Glasstab aufgeraut.
Im Falle der erhöhten Gefahr eines Siedeverzugs kommen so genannte '''Siedeperlen'''<!--Weiterleitung hierher fett, gemäß [[WP:WL]]--> oder '''Siedesteine'''<!--Weiterleitung hierher fett, gemäß [[WP:WL]]--> zum Einsatz (nicht zu verwechseln mit der mineralogischen Bezeichnung [[Siedestein]]). Sie bestehen aus porösem, weitgehend [[inert]]em Material wie Glaspulver, Glasperlen mit rauer Oberfläche, Glasbruch, Scherben von Tonen oder Silikatgesteinen.<ref name="Wittenberger">Walter Wittenberger: ''Chemische Laboratoriumstechnik'', Springer-Verlag, Wien, New York, 7. Auflage, 1973, S.  172–173, ISBN 3-211-81116-8. </ref>  Einerseits stört ihre raue Oberfläche die Bildung einer homogenen Molekülanordnung der Flüssigkeit, andererseits dehnt sich die in den Poren eingebundene Luft beim Erwärmen aus und wirkt beim Aufsteigen als Siedekeim. Um wieder erneut Luft einzuschließen sollte man Siedesteinchen nach dem Ende des Siedens nicht noch einmal verwenden, sondern in einem [[Trockenschrank]] trocknen. Beim Aufsteigen von Dampfblasen werden Siedesteinchen in der Flüssigkeit mitgerissen; das Wiederauftreffen auf den Glasboden führt zu weiteren Nukleationskeimen. Siedesteinchen sind jedoch für [[Destillation#Vakuumdestillation|Vakuumdestillationen]] wenig nützlich, weil sie die enthaltene Luft bereits beim Evakuieren abgeben. Meist wird zusätzlich zur Verwendung von Siedesteinchen die Glasoberfläche mit einem Glasstab aufgeraut.


Man kann auch einen Siedestab in die zu erhitzende Lösung stellen. Darunter versteht man einen Glasstab, an dessen Unterseite sich ein offener Hohlraum befindet.<!--, siehe nebenstehende Abbildung. -->
Man kann auch einen Siedestab in die zu erhitzende Lösung stellen. Darunter versteht man einen Glasstab, an dessen Unterseite sich ein offener Hohlraum befindet.<!--, siehe nebenstehende Abbildung. -->
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== Sicherheitshinweise für das Arbeiten im Laboratorium ==
== Sicherheitshinweise für das Arbeiten im Laboratorium ==
Eine Erwärmung mit der Gefahr eines Siedeverzuges sollte generell immer bei abgeschlossenem [[Digestorium|Abzug]] und auch nur unter Verwendung von Schutzkleidung (Schutzbrille, Gummihandschuhe, so wenig wie möglich freie Haut) erfolgen. Das Gefäß sollte so verwendet werden, dass auch trotz eines Siedeverzuges keinerlei weitere Schäden hervorgerufen werden (auch überhitztes Wasser ist gefährlich!). Gefäße sind mit ihrer Öffnung niemals auf das eigene Gesichtsfeld oder andere Personen zu richten.  
Eine Erwärmung mit der Gefahr eines Siedeverzuges sollte generell immer bei abgeschlossenem [[Digestorium|Abzug]] und auch nur unter Verwendung von Schutzkleidung (Schutzbrille, Gummihandschuhe, so wenig wie möglich freie Haut) erfolgen. Das Gefäß sollte so verwendet werden, dass auch trotz eines Siedeverzuges keinerlei weitere Schäden hervorgerufen werden (auch überhitztes Wasser ist gefährlich!). Gefäße sind mit ihrer Öffnung niemals auf das eigene Gesichtsfeld oder andere Personen zu richten.


Wenn die Zugabe von Siedesteinchen vergessen wurde, darf man dies nur nachholen, wenn man ''absolut sicher ist'', dass der Siedepunkt noch nicht erreicht wurde. Eine Zugabe von Siedesteinen in eine bereits überhitzte Flüssigkeit führt zu explosionsartigem Sieden.  
Wenn die Zugabe von Siedesteinchen vergessen wurde, darf man dies nur nachholen, wenn man ''absolut sicher ist'', dass der Siedepunkt noch nicht erreicht wurde. Eine Zugabe von Siedesteinen in eine bereits überhitzte Flüssigkeit führt zu explosionsartigem Sieden.


Die Wirkung von Siedesteinchen nimmt mit der Zeit ab, weshalb man sich nicht auf sie verlassen sollte und bei jedem Erwärmungsvorgang neu gebrochene Siedesteinchen zugegeben werden müssen.
Die Wirkung von Siedesteinchen nimmt mit der Zeit ab, weshalb man sich nicht auf sie verlassen sollte und bei jedem Erwärmungsvorgang neu gebrochene Siedesteinchen zugegeben werden müssen.


== Abgrenzung ==
== Abgrenzung ==
Das Überkochen von Milch, Nudel-Kochwasser oder [[Marmelade]] beruht nicht  unbedingt auf dem Siedeverzug, sondern eher auf der starken Schaumbildung ausgeflockter [[Proteine|Eiweißverbindungen]]. Die gebildeten Gasbläschen werden durch spezielle Inhaltsstoffe stabilisiert und platzen daher nicht. Beim Kochen von Milch kann das durch Einsatz eines [[Milchwächter]]s verhindert werden.
Das Überkochen von Milch, Nudel-Kochwasser oder [[Marmelade]] kann auf dem Siedeverzug beruhen, in den meisten Fällen beruht sie aber auf der starken Schaumbildung ausgeflockter [[Proteine|Eiweißverbindungen]]. Die gebildeten Gasbläschen werden durch spezielle Inhaltsstoffe stabilisiert, platzen daher nicht und laufen über den Rand.<ref>[https://www.ds.mpg.de/211139/02 Warum kocht Milch schnell über? Toni Fröhlich, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation]</ref> Beim Kochen von Milch kann ein [[Milchwächter]] auf das bevorstehende Überkochen aufmerksam machen und einen Siedeverzug verhindern.
 
== Verwandte Themen ==
Flüssigkeiten können auch unter ihren [[Schmelzpunkt]] abgekühlt werden, ohne dass [[Erstarrung]] eintritt. Man spricht hier von [[Unterkühlung (Thermodynamik)|unterkühlten Flüssigkeiten]]. Bekannt ist dieser Effekt unter anderem als [[Unterkühlter Regen|Eisregen]].
 
Mit [[Wasserdampfsättigung|Wasserdampf übersättigte Luft]] kann (meist bei Auftreten von [[Kondensationskeim]]en) schlagartig kondensieren und [[Tau (Niederschlag)|Tau]] bilden. Technisch wird das in einer [[Nebelkammer]] genutzt.
 
Durch Abkühlung oder Verdunstung lassen sich [[Übersättigung|übersättigte Lösungen]] herstellen, die stärker [[Konzentration (Chemie)|konzentriert]] sind, als es der [[Löslichkeit]] des Stoffes entspricht. Bei Zugabe eines [[Kristallisationskeim]]s kristallisiert die überschüssige Menge des gelösten Stoffs schlagartig. Diesen Effekt macht man sich bei einfachen [[Wärmekissen|Handwärmern]] zunutze, die eine übersättigte [[Natriumacetat]]lösung enthalten.
 
== Siehe auch ==
* [[Oberflächenspannung]]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{Webarchiv|url=http://www.muenster.org/uiw/fach/chemie/lexikon/inhalt/sieden.htm|wayback=2004-12-27|text=UiW-Lexikon: Sieden}}
* {{Webarchiv | url=http://www.muenster.org/uiw/fach/chemie/lexikon/inhalt/sieden.htm | wayback=20041227224208 | text=UiW-Lexikon: Sieden}}
* [http://www.phys.unsw.edu.au/~jw/superheating.html ''Superheating and microwave ovens''] u. a. Video von überhitztem Wasser in einem Mikrowellenherd mit anschließendem Siedeverzug (englisch)
* [http://www.phys.unsw.edu.au/~jw/superheating.html ''Superheating and microwave ovens''] u. a. Video von überhitztem Wasser in einem Mikrowellenherd mit anschließendem Siedeverzug (englisch)
* {{Webarchiv|url=http://howthingswork.virginia.edu/movies/shw128k.rm|wayback=2006-06-02|text=Superheated Water in a Microwave Oven}} Serie von Videoaufnahmen zur Reaktion eines Gefäßes mit überhitztem Wasser auf Erschütterungen durch Louis A. Bloomfield, Physikprofessor an der University of Virginia. Ab Experiment 13 zeigt sich die Energie, die bei einem Siedeverzug freiwerden kann, mit beeindruckender Gewalt. ([[RealVideo]], ca. 5,34 MB, englisch)
* {{Webarchiv | url=http://howthingswork.virginia.edu/movies/shw128k.rm | wayback=20061015185147 | text=Superheated Water in a Microwave Oven}} Serie von Videoaufnahmen zur Reaktion eines Gefäßes mit überhitztem Wasser auf Erschütterungen durch Louis A. Bloomfield, Physikprofessor an der University of Virginia. Ab Experiment 13 zeigt sich die Energie, die bei einem Siedeverzug freiwerden kann, mit beeindruckender Gewalt. ([[RealVideo]], ca. 5,34 MB, englisch)


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Aktuelle Version vom 28. September 2021, 19:50 Uhr

Siedeverzug ist die Bezeichnung einerseits für das Phänomen, dass Flüssigkeiten unter bestimmten Bedingungen über ihren Siedepunkt hinaus erhitzt werden können, ohne dass diese sieden, und andererseits die Bezeichnung für das schlagartige Übersieden selbst.

Beschreibung

Am häufigsten tritt der Effekt des Siedeverzugs bei Wasser oder wässrigen Lösungen auf. Wasser kann auf 110 °C erhitzt werden, ohne dass es zum Sieden und damit der Bildung von Wasserdampfblasen kommt.

Dieser Zustand ist metastabil und damit gefährlich, da sich schon bei einer geringen Erschütterung innerhalb kürzester Zeit eine große Gasblase ausbilden kann, die dann explosionsartig aus dem Gefäß entweicht und oft siedende Flüssigkeit mitreißt. Dies tritt vor allem in engen, hohen Gefäßen auf, die wenig Raum für eine aufschäumende Flüssigkeit bieten. Ein Beispiel sind Reagenzgläser. Glatte, ebene Gefäßwände, eine geringe Durchmischung und ein hoher Reinheitsgrad der Flüssigkeit begünstigen den Siedeverzug.

Ursache

Das Fehlen eines Nukleationskeims, also bei einer glatten, homogenen Gefäßoberfläche und einer reinen, gas- und partikelfreien Flüssigkeit, wirkt als kinetisches Hemmnis. Die Bildung einer stabilen, gasförmigen Phase wird verhindert, und es kann zu einer Überhitzung der Flüssigkeit über ihren Siedepunkt hinaus, eben dem Siedeverzug, kommen.

Der Dampfdruck im Inneren der ersten kleinen Dampfblasen muss größer als die Summe aus dem Umgebungsdruck, dem durch die Oberflächenspannung hervorgerufenen zusätzlichen Druck sowie dem Druck der Flüssigkeitssäule über dem Bläschen sein. Die Oberflächenspannung führt zu einem besonders hohen Druck in kleinen Bläschen, daher ist der Siedebeginn verzögert.[1]

Schließlich bildet sich ab einer bestimmten Temperatur doch eine Gasblase und steigt, bedingt durch den statischen Auftrieb, auf. Mit kleiner werdender Wassersäule darüber nimmt der auf ihr lastende hydrostatische Druck ab. Flüssigkeit kann in die Gasblase hinein weiter verdampfen und sie nimmt an Volumen zu. Dadurch sinkt auch der durch die Oberflächenspannung hervorgerufene Druck und der Dampfdruck bzw. die Siedetemperatur sinken weiter. Je überhitzter die Flüssigkeit ist, desto schneller läuft dieser Vorgang ab. Die Gasblase dehnt sich wegen der raschen Dampfzufuhr explosionsartig aus (physikalische Explosion; siehe dazu auch Fettexplosion) und drückt darauf lastende Flüssigkeit nach oben. Dies führt zum heftigen Spritzen oder Überschwappen. Der Siedepunkt sinkt in dieser Region schlagartig auf den Normalwert ab.

Zur Ursache eines Siedeverzugs (im Sinne der Übererwärmbarkeit oberhalb des Siedepunkts) gibt es auch die Theorie, dass Kohäsionskräfte zu Luftbläschen (gelöster Luft), die Energie aufnähmen und dadurch die Überhitzung ermöglicht würde.[2]

Gefahren

Siedeverzug führt nachfolgend zum plötzlichen Auswerfen der erhitzten Flüssigkeit und kann bei in der Nähe stehenden Personen Verbrühungen verursachen oder bei Überhitzung von Säuren zusätzlich schwere Verätzungen. Einzelne Tropfen können auf die Wärmequelle gelangen und ebenfalls schlagartig verdampfen und in der Folge können deren Inhaltsstoffe anbrennen.

Gegenmaßnahmen

Im Haushalt sind beim Kochen am Herd normalerweise keine Gegenmaßnahmen erforderlich, da die Wärme abgebenden Oberflächen normalen Kochgeschirrs aufgrund angebrannter Speisereste oder Kalkablagerungen genügend rau sind. Milchwächter können beim Milchkochen einen Siedeverzug verhindern (aber nicht das Überschäumen wegen zu viel Energiezufuhr). Vor allem beim Erhitzen von Flüssigkeiten im Mikrowellenherd kann es zum Siedeverzug kommen.

In der Laborpraxis verhindert man den Siedeverzug durch die Verwendung geeigneter größerer Gefäße, beispielsweise angerauhter Abdampfschalen und häufig gebrauchter (somit innen angekratzter) größerer Kolben anstatt dünner, neuer Reagenzgläser. Hinzu kommt ein sehr vorsichtiges Erwärmen der Flüssigkeit und die Vermeidung von unbewegten Ruhelagen während des Erwärmungsprozesses. Beides bedingt, dass Gefäße über der Flamme eines Bunsenbrenners geschwenkt werden, im Falle einer Heizplatte ein Magnetrührer verwendet oder ein Rotationsverdampfer eingesetzt wird. In allen Fällen ist jedoch das langsame und gleichmäßige Erwärmen von größter Bedeutung, weshalb man insbesondere stark vorgewärmte Heizflächen vermeiden sollte.

Siedeperlen aus Glas auf einem Uhrglas

Im Falle der erhöhten Gefahr eines Siedeverzugs kommen so genannte Siedeperlen oder Siedesteine zum Einsatz (nicht zu verwechseln mit der mineralogischen Bezeichnung Siedestein). Sie bestehen aus porösem, weitgehend inertem Material wie Glaspulver, Glasperlen mit rauer Oberfläche, Glasbruch, Scherben von Tonen oder Silikatgesteinen.[3] Einerseits stört ihre raue Oberfläche die Bildung einer homogenen Molekülanordnung der Flüssigkeit, andererseits dehnt sich die in den Poren eingebundene Luft beim Erwärmen aus und wirkt beim Aufsteigen als Siedekeim. Um wieder erneut Luft einzuschließen sollte man Siedesteinchen nach dem Ende des Siedens nicht noch einmal verwenden, sondern in einem Trockenschrank trocknen. Beim Aufsteigen von Dampfblasen werden Siedesteinchen in der Flüssigkeit mitgerissen; das Wiederauftreffen auf den Glasboden führt zu weiteren Nukleationskeimen. Siedesteinchen sind jedoch für Vakuumdestillationen wenig nützlich, weil sie die enthaltene Luft bereits beim Evakuieren abgeben. Meist wird zusätzlich zur Verwendung von Siedesteinchen die Glasoberfläche mit einem Glasstab aufgeraut.

Man kann auch einen Siedestab in die zu erhitzende Lösung stellen. Darunter versteht man einen Glasstab, an dessen Unterseite sich ein offener Hohlraum befindet.

Besonders für Destillationen im Vakuum verwendet man Siedekapillaren. Das sind am unteren Ende sehr dünn ausgezogene Glasrohre, die mit ihrem unteren Ende den Boden des Kolbens berühren sollten und durch die man Luft oder ggf. ein zumeist inertes Gas (Edelgase) einsaugt.

Eine weitere Methode, den Siedeverzug bei Destillationen stark einzuschränken, ist die Verwendung eines Rotationsverdampfers. Bei kleinen Mengen hilft auch kräftiges Umrühren.

Beim Erhitzen von Reagenzgläsern wird das Erhitzen regelmäßig unterbrochen und durch kurzes Antippen des Reagenzglases im mittleren Abschnitt nacheinander mit Ringfinger, Mittelfinger und Zeigefinger der Inhalt durchgeschüttelt, ohne dass es zum Überschwappen der Flüssigkeit oder Verbrennen am heißen Glas kommt.

Sicherheitshinweise für das Arbeiten im Laboratorium

Eine Erwärmung mit der Gefahr eines Siedeverzuges sollte generell immer bei abgeschlossenem Abzug und auch nur unter Verwendung von Schutzkleidung (Schutzbrille, Gummihandschuhe, so wenig wie möglich freie Haut) erfolgen. Das Gefäß sollte so verwendet werden, dass auch trotz eines Siedeverzuges keinerlei weitere Schäden hervorgerufen werden (auch überhitztes Wasser ist gefährlich!). Gefäße sind mit ihrer Öffnung niemals auf das eigene Gesichtsfeld oder andere Personen zu richten.

Wenn die Zugabe von Siedesteinchen vergessen wurde, darf man dies nur nachholen, wenn man absolut sicher ist, dass der Siedepunkt noch nicht erreicht wurde. Eine Zugabe von Siedesteinen in eine bereits überhitzte Flüssigkeit führt zu explosionsartigem Sieden.

Die Wirkung von Siedesteinchen nimmt mit der Zeit ab, weshalb man sich nicht auf sie verlassen sollte und bei jedem Erwärmungsvorgang neu gebrochene Siedesteinchen zugegeben werden müssen.

Abgrenzung

Das Überkochen von Milch, Nudel-Kochwasser oder Marmelade kann auf dem Siedeverzug beruhen, in den meisten Fällen beruht sie aber auf der starken Schaumbildung ausgeflockter Eiweißverbindungen. Die gebildeten Gasbläschen werden durch spezielle Inhaltsstoffe stabilisiert, platzen daher nicht und laufen über den Rand.[4] Beim Kochen von Milch kann ein Milchwächter auf das bevorstehende Überkochen aufmerksam machen und einen Siedeverzug verhindern.

Weblinks

  • UiW-Lexikon: Sieden (Memento vom 27. Dezember 2004 im Internet Archive)
  • Superheating and microwave ovens u. a. Video von überhitztem Wasser in einem Mikrowellenherd mit anschließendem Siedeverzug (englisch)
  • Superheated Water in a Microwave Oven (Memento vom 15. Oktober 2006 im Internet Archive) Serie von Videoaufnahmen zur Reaktion eines Gefäßes mit überhitztem Wasser auf Erschütterungen durch Louis A. Bloomfield, Physikprofessor an der University of Virginia. Ab Experiment 13 zeigt sich die Energie, die bei einem Siedeverzug freiwerden kann, mit beeindruckender Gewalt. (RealVideo, ca. 5,34 MB, englisch)

Einzelnachweise

  1. http://www.lassp.cornell.edu/sethna/Nucleation/ James P. Sethna: Critical Droplets and Nucleation, Cornell University 2002, abgerufen am 29. April 2020
  2. Heinrich Greinacher: Ergänzungen zur Experimentalphysik. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-709-13492-4, S. 59 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Walter Wittenberger: Chemische Laboratoriumstechnik, Springer-Verlag, Wien, New York, 7. Auflage, 1973, S. 172–173, ISBN 3-211-81116-8.
  4. Warum kocht Milch schnell über? Toni Fröhlich, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation