Universalität (Physik): Unterschied zwischen den Versionen

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'''Universalität''' bezeichnet in der [[Statistische Mechanik|Statistischen Mechanik]] die Tatsache, dass gewisse Eigenschaften gewisser Klassen von Systemen nicht von allen Systemdetails abhängen: Vertreter einer [[Renormierungsgruppe #Relevante_und_irrelevante_Operatoren, Universalitätsklassen|Universalitätsklasse]] zeigen ''quantitativ'' dasselbe Verhalten (identische universelle Größen), obwohl sie im Detail einen unterschiedlichen Aufbau oder eine unterschiedliche Dynamik aufweisen.
Das Konzept der '''Universalität''' wird in der [[Statistische Mechanik|statistischen Mechanik]] verwendet im Kontext der kontinuierlichen [[Phasenübergang|Phasenübergänge]] und der [[Kritisches Phänomen|kritischen Phänomene]].


Solche Systeme sind häufig [[Chaostheorie|chaotisch]] und bestehen aus einer großen Anzahl wechselwirkender Teile. Der Begriff Universalität (engl. ''universality'') wurde durch [[Leo Kadanoff]] Ende der 1970er Jahre geprägt, das Konzept war jedoch mit Sicherheit bereits in den 1950er Jahren bekannt.
Universalität bezeichnet hier die Tatsache, dass gewisse Eigenschaften von Klassen von Systemen nur von wenigen Systemdetails abhängen: Vertreter einer Universalitätsklasse zeigen quantitativ dasselbe Verhalten (identische universelle Größen), obwohl sie ein anderes [[Kristallgitter]], andere Wechselwirkungen und andere Unterschiede aufweisen.


Die Idee der Universalität stammt aus der Untersuchung von [[Phasenübergang|Phasenübergängen]] in der statistischen Mechanik und wurde dort explizit als sog. ''Universalitätshypothese'' vom US-Physiker [[Robert Griffiths]] formuliert. Ein Phasenübergang ist durch eine dramatische Veränderung der [[Materialeigenschaft]]en gekennzeichnet: kochendes Wasser verdampft und wird zu Wasserdampf; ein erhitzter Magnet verliert seine magnetische Eigenschaft. Phasenübergänge lassen sich mittels eines [[Ordnungsparameter]]s beschreiben (z. B. der [[Dichte]] oder der [[Magnetisierung]]), der sich bei Änderung eines Systemparameters (z. B. der Temperatur) verändert. Derjenige Wert des Systemparameters, an dem das System einen Phasenübergang aufweist, wird als [[Kritischer Punkt (Thermodynamik)|kritischer Punkt]] des Systems bezeichnet.
== Beispiel ==
Ein Beispiel ist die [[spezifische Wärme]] von Flüssigkeiten bei konstantem Volumen (identisch mit dem kritischen Volumen) in der Nähe ihrer [[Kritischer Punkt (Thermodynamik)|kritischen Temperatur]] sowie die spezifische Wärme von [[Ising-Modell|Ising-Magneten]] in der Nähe ihrer [[Curie-Temperatur]]. Alle diese spezifischen Wärmen divergieren als Funktion der Abweichung der Temperatur <math>T</math> von der kritischen Temperatur <math>T_\mathrm c</math> wie <math>|T - T_\mathrm c|^{-\alpha}</math> mit demselben „universellen“ [[Kritischer Exponent|kritischen Exponenten]] <math>\alpha \approx 0{,}11008</math>.


Bei Systemen, die Universalität aufweisen, wird nun der Ordnungsparameter <math>A</math> bei Annäherung des Systemparameters <math>\beta</math> an seinen kritischen Wert <math>\beta_c</math> immer weniger abhängig von den genauen Einzelheiten des Systems:
Außer den kritischen Exponenten (von denen es mehrere gibt) sind auch gewisse Skalenfunktionen und [[Amplitude]]n<nowiki/>verhältnisse universell, z.&nbsp;B. das Amplitudenverhältnis der spezifischen Wärme bei <math>T > T_\mathrm c</math> und <math>T < T_\mathrm c</math>.


:<math>A = A_0 \cdot \| \beta - \beta_c \| ^\alpha</math>
Die Universalitätsklasse in diesem Beispiel ist die des ''dreidimensionalen'' Ising-Magneten. Charakteristisch an dieser Beispiel-Universalitätsklasse ist, dass die Raumdimension und die Dimension des [[Ordnungsparameter]]s (die Symmetrie, hier nur ein [[Skalar]]) die Universalitätsklasse zu einem wesentlichen Teil determinieren. ''Zweidimensionale'' Ising-Magnete oder dreidimensionale [[Heisenberg-Modell|Heisenberg-Magnete]] (mit einem [[Magnetisierung]]s-[[Vektor]]) gehören zu anderen Universalitätsklassen und haben z.&nbsp;B. auch andere kritische Exponenten.


mit dem [[kritischer Exponent|kritischen Exponenten]] <math>\alpha</math> des Ordnungsparameters für das betrachtete System.
== Geschichte ==
Dies alles ist Gegenstand der in 1970er&nbsp;Jahren entstandenen Theorie der kritischen Phänomene. Der Begriff Universalität (engl. ''universality'') wurde durch [[Leo Kadanoff]] Ende der 1970er&nbsp;Jahre geprägt, das Konzept ist implizit aber auch schon in der [[Van-der-Waals-Gleichung|van der Waals Gasgleichung]] und [[Lew Dawidowitsch Landau|Landaus]] Theorie der Phasenübergänge enthalten.


Die erstaunliche Entdeckung aus der zweiten Hälfte des 20.&nbsp;Jahrhunderts war, dass sehr unterschiedliche Systeme den gleichen kritischen Exponenten besitzen, daher der Begriff Universalität.  
== Anschauliche Erklärung ==
Eine anschauliche Erklärung der Universalität ist die an kritischen Punkten kontinuierlicher Phasenübergänge bestehende [[Skaleninvarianz]]. Zur Skaleninvarianz tragen alle Längenskalen größer als die [[Gitterkonstante]] bei, viele Details auf atomarer Längenskala werden irrelevant. Technisch und quantitativ wird dieser Umstand mit Hilfe von [[Feldtheorie (Physik)|Feldtheorien]] und der [[Renormierungsgruppe]] beschrieben.


Außer solchen kritischen Exponenten und bestimmten Verhältnissen, z.&nbsp;B. dem Größenverhältnis <math>\frac{(A_0)_+}{(A_0)_-}</math> oberhalb bzw. unterhalb von &beta;<sub>c</sub>, können auch gewisse Funktionen&nbsp;f&nbsp;(|&beta;-&beta;<sub>c</sub>|) universell sein.
Dies betrifft im Übrigen auch die [[Dynamik]] in der Nähe kontinuierlicher Phasenübergänge. Zwei Systeme können dabei derselben Universalitätsklasse der [[Statik]] und einer anderen Universalitätsklasse der Dynamik angehören.


[[Mitchell Feigenbaum]] entdeckte 1976 die Universalität in [[Iterated Map]]s (Änderungsregeln, um von einer Zahl zu einer anderen zu kommen).
== Vorkommen ==
 
Entsprechend dem allgemeinen Schema der Renormierungsgruppe findet man Universalität auch in [[Nichtgleichgewichtssystem]]en, z.&nbsp;B. in [[Reaktions-Diffusionsgleichungen|Reaktions-Diffusions-Modellen]], bei [[Selbstorganisierte Kritikalität|selbstorganisierter Kritikalität]] oder in der [[Logistische Gleichung|logistischen Gleichung]], einer sehr schematischen [[Iteration|iterierten]] mathematischen Abbildung (siehe auch [[Feigenbaum-Konstante]]).
Universalität tritt auch in Ungleichgewichtssystemen auf, z.&nbsp;B. in wechselwirkenden Teilchensystemen, [[Reaktions-Diffusionsgleichungen|Reaktion-Diffusion-Modellen]] oder [[Selbstorganisation|selbstorganisierten Systemen]].


[[Kategorie:Statistische Physik]]
[[Kategorie:Statistische Physik]]

Aktuelle Version vom 16. Dezember 2019, 18:10 Uhr

Das Konzept der Universalität wird in der statistischen Mechanik verwendet im Kontext der kontinuierlichen Phasenübergänge und der kritischen Phänomene.

Universalität bezeichnet hier die Tatsache, dass gewisse Eigenschaften von Klassen von Systemen nur von wenigen Systemdetails abhängen: Vertreter einer Universalitätsklasse zeigen quantitativ dasselbe Verhalten (identische universelle Größen), obwohl sie ein anderes Kristallgitter, andere Wechselwirkungen und andere Unterschiede aufweisen.

Beispiel

Ein Beispiel ist die spezifische Wärme von Flüssigkeiten bei konstantem Volumen (identisch mit dem kritischen Volumen) in der Nähe ihrer kritischen Temperatur sowie die spezifische Wärme von Ising-Magneten in der Nähe ihrer Curie-Temperatur. Alle diese spezifischen Wärmen divergieren als Funktion der Abweichung der Temperatur $ T $ von der kritischen Temperatur $ T_{\mathrm {c} } $ wie $ |T-T_{\mathrm {c} }|^{-\alpha } $ mit demselben „universellen“ kritischen Exponenten $ \alpha \approx 0{,}11008 $.

Außer den kritischen Exponenten (von denen es mehrere gibt) sind auch gewisse Skalenfunktionen und Amplitudenverhältnisse universell, z. B. das Amplitudenverhältnis der spezifischen Wärme bei $ T>T_{\mathrm {c} } $ und $ T<T_{\mathrm {c} } $.

Die Universalitätsklasse in diesem Beispiel ist die des dreidimensionalen Ising-Magneten. Charakteristisch an dieser Beispiel-Universalitätsklasse ist, dass die Raumdimension und die Dimension des Ordnungsparameters (die Symmetrie, hier nur ein Skalar) die Universalitätsklasse zu einem wesentlichen Teil determinieren. Zweidimensionale Ising-Magnete oder dreidimensionale Heisenberg-Magnete (mit einem Magnetisierungs-Vektor) gehören zu anderen Universalitätsklassen und haben z. B. auch andere kritische Exponenten.

Geschichte

Dies alles ist Gegenstand der in 1970er Jahren entstandenen Theorie der kritischen Phänomene. Der Begriff Universalität (engl. universality) wurde durch Leo Kadanoff Ende der 1970er Jahre geprägt, das Konzept ist implizit aber auch schon in der van der Waals Gasgleichung und Landaus Theorie der Phasenübergänge enthalten.

Anschauliche Erklärung

Eine anschauliche Erklärung der Universalität ist die an kritischen Punkten kontinuierlicher Phasenübergänge bestehende Skaleninvarianz. Zur Skaleninvarianz tragen alle Längenskalen größer als die Gitterkonstante bei, viele Details auf atomarer Längenskala werden irrelevant. Technisch und quantitativ wird dieser Umstand mit Hilfe von Feldtheorien und der Renormierungsgruppe beschrieben.

Dies betrifft im Übrigen auch die Dynamik in der Nähe kontinuierlicher Phasenübergänge. Zwei Systeme können dabei derselben Universalitätsklasse der Statik und einer anderen Universalitätsklasse der Dynamik angehören.

Vorkommen

Entsprechend dem allgemeinen Schema der Renormierungsgruppe findet man Universalität auch in Nichtgleichgewichtssystemen, z. B. in Reaktions-Diffusions-Modellen, bei selbstorganisierter Kritikalität oder in der logistischen Gleichung, einer sehr schematischen iterierten mathematischen Abbildung (siehe auch Feigenbaum-Konstante).