Victor Frederick Weisskopf (* 19. September 1908 in Wien; † 21. April 2002 in Newton, Massachusetts) war ein österreichisch-US-amerikanischer Physiker.
Leben
Weisskopf wuchs in Wien auf und studierte nach der Matura am Gymnasium Stubenbastei Physik, zuerst in Wien, dann von 1928 bis 1931 an der Universität Göttingen unter Max Born. Hier schrieb er mit Eugene Wigner einen Aufsatz über die Quantentheorie der Linienbreite von Atomspektren.[1] 1931–1932 war er nacheinander in Leipzig bei Werner Heisenberg, in Wien bei Erwin Schrödinger, in Kopenhagen bei Niels Bohr und in Cambridge bei Paul Dirac, bis er 1933 für zwei Jahre Assistent von Wolfgang Pauli in Zürich wurde. Hier und ab 1936 bei Niels Bohr stellte er wichtige frühe Untersuchungen zur Quantenelektrodynamik (QED) an.[2] Weisskopf musste 1937 wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA auswandern.
Während des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich auf Anfrage Robert Oppenheimers am US-Atombombenprogramm (Manhattan-Projekt). Er stand dabei im Zwiespalt zwischen der Entwicklung einer Massenvernichtungswaffe einerseits und der Angst vor einem Zuvorkommen in der Entwicklung der Atombombe durch Deutschland andererseits. Seine Skrupel machten ihn im Jahr 1944 zum Mitbegründer der Federation of Atomic Scientists und er sprach sich für eine zivile Nutzung der Kernenergie aus. Am 16. Juli 1945 war er Zeuge des ersten Atombombentests. Dieser prägte ihn nachhaltig und er beschloss, sich nicht mehr an der Entwicklung von Waffen zu beteiligen.
Victor Weisskopf, 1963 in Kopenhagen
Nach dem Krieg wurde er Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), für das er bis zu seinem Tod arbeitete.
Mit J. B. French stellte er Ende der 1940er Jahre eine korrekte Berechnung der Lamb-Verschiebung an,[3] damals der erste exakte Prüfstein der Quantenelektrodynamik. Er ist für seine vielen Beiträge zur theoretischen Kernphysik bekannt, insbesondere von Kernreaktionen, häufig in Zusammenarbeit mit Herman Feshbach[4]. Sein Lehrbuch mit John M. Blatt galt lange Zeit als Standardwerk der theoretischen Kernphysik. In den 70er Jahren war er an der Entwicklung des "MIT-Bag" Modells von in Hadronen gebundenen Quarks beteiligt[5].
Weisskopf war für seine große physikalische Intuition bekannt, die er auch in einigen pädagogischen Aufsätzen und Büchern demonstriert[6].
In den Jahren 1961–1965 war Weisskopf als Direktor des Europäischen Forschungszentrums CERN in Genf tätig.
1990: Ludwig-Wittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.
2000: Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich[7]
Mitgliedschaft
1948 wurde Weisskopf in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.[8] Seit 1952 war er Mitglied der National Academy of Sciences. 1962 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[9] 1974 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.[10]
Schriften
mit John M. Blatt: Theoretical nuclear physics. Wiley u. a., New York NY 1952.
Knowledge and Wonder. The Natural World as Man knows it. (= Science Study Series. S 31, ZDB-ID 919775-8). Anchor, Garden City NY 1962, (In deutscher Sprache: Das Wunder des Wissens. Von der Universalität der Naturwissenschaften (= Natur und Wissen. W 30/31, ZDB-ID 599889-x). Desch, München u. a. 1964), (populär).
Physics in the Twentieth Century. Selected Essays. MIT Press, Cambridge MA u. a. 1972, ISBN 0-262-23056-9.
mit Kurt Gottfried: Concepts in particle physics. 2 Bände. Clarendon Press u. a., Oxford 1984–1986, ISBN 0-19-503392-2 (Bd. 1), ISBN 0-19-503393-0 (Bd. 2).
The Joy of Insight. Passions of a Physicist. Basic Books, New York NY u. a. 1991, ISBN 0-465-03678-3 (In deutscher Sprache: Mein Leben. Ein Physiker, Zeitzeuge und Humanist erinnert sich an unser Jahrhundert. Scherz, Bern u. a. 1991, ISBN 3-502-18840-8).[11]
Einige Nachdrucke sind online verfügbar. Darunter sind u. a. Weisskopf, Bernstein "About liquids", seine "Bernard Gregory Lectures" am Cern 1979 und ein Nachdruck von 1975 zum MIT Bag model.
↑Über die Selbstenergie des Elektrons. In: Zeitschrift für Physik. Bd. 89, Nr. 1/2, 1934, S. 27–39, doi:10.1007/BF01333228, (Korrektur: Berichtigung zu der Arbeit: Über die Selbstenergie des Elektrons. In: Zeitschrift für Physik. Bd. 90, Nr. 11/12, S. 817–818, doi:10.1007/BF01340744); On the self energy and the electromagnetic field of the electron. In: Physical Review. Bd. 56, Nr. 1, 1939, S. 72–85, doi:10.1103/PhysRev.56.72.
↑The electromagnetic shift of energy levels. In: Physical Review. Bd. 75, Nr. 8, 1949, 1240–1248, doi:10.1103/PhysRev.75.1240. Die Rechnung wurde bereits 1948 ausgeführt in der QED Formulierung der 30er Jahre. Wie Weisskopf später bedauernd feststellte, verzögerte er aber die Publikation, weil er die Arbeiten von Feynman und Schwinger, die den Effekt mit ihren neuen QED-Methoden berechneten, abgleichen wollte. Norman Kroll und Willis Lamb kamen ihm dann mit demselben Ergebnis noch zuvor.
↑z.B. optisches Modell in Feshbach, C. E. Porter, Weisskopf Model for nuclear reactions with neutrons. In: Physical Review. Bd. 96, Nr. 2, 1954, S. 448–464, doi:10.1103/PhysRev.96.448.
↑mit Alan Chodos, Robert L. Jaffe, Kenneth Johnson, Charles B. Thorn: New extended model of hadrons. In: Physical Review. D. Bd. 9, Nr. 12, 1974, S. 3471–3495, doi:10.1103/PhysRevD.9.3471.
↑Zum Beispiel sein Buch mit Gottfried, das aus Cern lectures entstand oder die Aufsatzreihe "In search for simplicity" im American Journal of Physics 1985/1986. In einem dieser Aufsätze berechnet er z. B. die maximale Höhe von Bergen aus elementaren physikalischen Konstanten.
↑Members of the American Academy. Listed by election year, 1900–1949 (PDF). Abgerufen am 11. Oktober 2015
↑Herbert Walther: Victor Frederick Weisskopf (Nachruf). In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2002, S.336–338 (online [PDF; abgerufen am 16. Mai 2017]).
↑Mitgliedseintrag von Victor F. Weisskopf bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 11. Juni 2016.
Präsidenten der American Academy of Arts and Sciences
James Bowdoin (1780–1790) |
John Adams (1791–1814) |
Edward Augustus Holyoke (1814–1820) |
John Quincy Adams (1820–1829) |
Nathaniel Bowditch (1829–1838) |
James Jackson (1838–1839) |
Jacob Bigelow (1846–1863) |
Asa Gray (1863–1873) |
Charles Francis Adams (1873–1880) |
Joseph Lovering (1880–1892) |
Josiah Parsons Cooke (1892–1894) |
Alexander Agassiz (1894–1903) |
William Watson Goodwin (1903–1908) |
John Trowbridge (1908–1915) |
Henry Pickering Walcott (1915–1917) |
Charles Pickering Bowditch (1917–1919) |
Theodore William Richards (1919–1921) |
George Foot Moore (1921–1924) |
Theodore Lyman (1924–1927) |
Edwin Bidwell Wilson (1927–1931) |
Jeremiah D. M. Ford (1931–1933) |
George Howard Parker (1933–1935) |
Roscoe Pound (1935–1937) |
Dugald C. Jackson (1937–1939) |
Harlow Shapley (1939–1944) |
Howard Mumford Jones (1944–1951) |
Edwin Herbert Land (1951–1954) |
John Ely Burchard (1954–1957) |
Kirtley F. Mather (1957–1961) |
Hudson Hoagland (1961–1964) |
Paul A. Freund (1964–1967) |
Talcott Parsons (1967–1971) |
Harvey Brooks (1971–1976) |
Victor Weisskopf (1976–1979) |
Milton Katz (1979–1982) |
Herman Feshbach (1982–1986) |
Edmund H. Levi (1986–1989) |
Leo Beranek (1989–1994) |
Jaroslav Pelikan (1994–1997) |
Daniel C. Tosteson (1997–2000) |
James O. Freedman (2000–2001) |
Patricia Meyer Spacks (2001–2006) |
Emilio Bizzi (2006–2009) |
Leslie Cohen Berlowitz (2010–2013) |
Jonathan Fanton (seit 2014)