Der kosmische Neutrinohintergrund ist der Teil der Hintergrundstrahlung des Weltalls, der aus Neutrinos besteht.
Wie der kosmische Mikrowellenhintergrund ist der kosmische Neutrinohintergrund ein Überrest des Urknalls: er geht auf die Entkopplung der Neutrinos von der Materie rund zwei Sekunden nach dem Urknall zurück; der kosmische Mikrowellenhintergrund hingegen entstand, als das Weltall rund 380.000 Jahre alt war. Der kosmische Neutrinohintergrund besitzt heute schätzungsweise eine Temperatur von ungefähr 1,95 K.
Da Neutrinos mit einer geringen Energie nur sehr schwach mit Materie in Wechselwirkung treten, sind sie äußerst schwierig nachzuweisen. Es gibt jedoch überzeugende indirekte Hinweise auf sein Bestehen. Das geplante Experiment PTOLEMY hat als Ziel, den Neutrinohintergrund direkt zu messen.[1]
Die Temperatur $ T_{\nu } $ des Neutrinohintergrunds für masselose Neutrinos, die stets relativistisch sind, kann wie folgt abgeschätzt werden, wenn man die Temperatur $ T_{\gamma } $ des kosmischen Mikrowellenhintergrundes als gegeben voraussetzt:
Bevor die Neutrinos von der übrigen Materie entkoppelten, bestand das Weltall vornehmlich aus Neutrinos, Elektronen, Positronen und Photonen, welche sich alle im thermischen Gleichgewicht miteinander befanden. Als die Temperatur auf etwa 2,5 MeV fiel (siehe Natürliche Einheiten), entkoppelten die Neutrinos von der übrigen Materie. Trotz dieser Entkopplung besaßen die Neutrinos nach wie vor dieselbe Temperatur wie die Photonen, als sich das Weltall weiter ausdehnte. Als die Temperatur jedoch unter die Elektronenmasse fiel, wurden die meisten Elektronen und Positronen durch Paarvernichtung ausgelöscht. Dadurch wurden ihre Energie und ihre Entropie auf die Photonen übertragen, was einer Erhöhung der Temperatur des Photonengases entspricht. Das Verhältnis der Temperaturen $ T $ von Neutrinos $ \nu $ und Photonen $ \gamma $ in der heutigen Hintergrundstrahlung ist also dasselbe wie das Verhältnis der Temperatur der Photonen vor und nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung:
wobei der Index $ _{0} $ eine Größe vor und der Index $ _{1} $ die gleiche Größe nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung kennzeichnen soll.
Um dieses Verhältnis zu bestimmen, nehmen wir an, dass die Entropie $ S $ des Weltalls während der Elektron-Positron-Paarvernichtung näherungsweise erhalten sei:
Mit
wobei
erhalten wir
Also gilt :
Mit dem heutigen Wert $ T_{\gamma }=2{,}725\,\mathrm {K} $ für die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds[3] folgt
Für Neutrinos mit einer von null verschiedenen Ruhemasse ist die Herangehensweise über eine Temperatur nicht mehr geeignet, sobald sie nicht-relativistisch werden. Dies geschieht, wenn ihre thermische Energie $ 3/2\cdot k\cdot T_{\nu } $ unter die Energie $ m_{\nu }\cdot c^{2} $ ihrer Ruhemasse fällt. In diesem Fall sollte besser die Energiedichte betrachtet werden, die nach wie vor wohldefiniert ist.
Relativistische Neutrinos tragen zur Strahlungsdichte $ \rho _{\rm {R}} $ des Weltalls bei:
mit
Der erste Term in eckigen Klammern beschreibt den kosmischen Mikrowellenhintergrund, der zweite den kosmischen Neutrinohintergrund. Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik sagt mit seinen drei Neutrinogattungen den effektiven Wert $ N_{\nu }\approx 3{,}046 $ voraus.[4]
Da sich die effektive Anzahl der Neutrinogattungen auf die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls während der primordialen Nukleosynthese auswirkt, hängen die theoretisch erwarteten Werte für die primordialen Häufigkeiten leichter Elemente von ihr ab. Astrophysikalische Messungen der primordialen Häufigkeiten von Helium-4 und Deuterium führen auf einen Wert von $ N_{\nu }=3{,}14_{-0{,}65}^{+0{,}70} $ bei einem Konfidenzniveau von 68 %,[5] was mit der Erwartung aus dem Standardmodell im Einklang steht.
Die Gegenwart des kosmischen Neutrinohintergrundes beeinflusst sowohl die Entwicklung von Anisotropien in der kosmischen Hintergrundstrahlung als auch das Wachstum von Dichteschwankungen auf zwei Arten:
Überdies unterdrücken massereiche Neutrinos, die sich frei ausbreiten, die Strukturbildung auf kleinen Längenskalen. Aus der fünfjährigen Datennahme des Satelliten WMAP in Kombination mit Daten zu Typ-I-Supernovae und Informationen über die Stärke der baryonischen akustischen Oszillationen liefern einen Wert von $ N_{\nu }=4{,}34_{-0{,}86}^{+0{,}88} $ bei einem Konfidenzniveau von 68 %,[6] was eine unabhängige Bestätigung der Schranken für $ N_{\nu } $ aus der primordialen Nukleosynthese darstellt. In naher Zukunft werden voraussichtlich Untersuchungen wie die des Planck-Weltraumteleskops die gegenwärtigen Unsicherheiten von $ N_{\nu } $ um eine Größenordnung reduzieren.[7]