Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) bezeichnet die Fähigkeit eines technischen Geräts, andere Geräte nicht durch ungewollte elektrische oder elektromagnetische Effekte zu stören oder durch andere Geräte gestört zu werden. Die ungewollte wechselseitige Beeinflussung ist in der Elektrotechnik nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine des Rechts.
Elektromagnetische Wellen, wie zum Beispiel Licht oder hochenergetische Mikrowellen, haben auch Einfluss auf Lebewesen und die Natur. Die EMV ist nicht mit der elektromagnetischen Umweltverträglichkeit (EMVU) zu verwechseln, welche sich mit den Wirkungen von nicht ionisierender elektromagnetischer Strahlung auf die Umwelt und den Menschen befasst.
Die elektromagnetische Verträglichkeit bedeutet das Fehlen von Einwirkungen auf andere Geräte und Einrichtungen, die bei diesen zu ungewollten oder gewollten Funktionsstörungen elektrischer oder elektronischer Betriebsmittel durch z. B. elektrische, magnetische oder elektromagnetische Felder und Vorgänge führen. Darin sind Beeinflussungen durch Ströme oder Spannungen bereits eingeschlossen.
Wesentlich zur Sicherstellung der elektromagnetisch verträglichen Funktion elektrischer Betriebsmittel sind deren sachgerechter Aufbau und Gestaltung. Nachweis und Bestätigung von Störunempfindlichkeit und hinreichend geringer Störaussendung sind durch EMV-Richtlinien und EMV-Normen geregelt.
Die Europäische EMV-Richtlinie definiert elektromagnetische Verträglichkeit wie folgt:
„die Fähigkeit eines Apparates, einer Anlage oder eines Systems, in der elektromagnetischen Umwelt zufriedenstellend zu arbeiten, ohne dabei selbst elektromagnetische Störungen zu verursachen, die für alle in dieser Umwelt vorhandenen Apparate, Anlagen oder Systeme unannehmbar wären.“
Daraus werden die grundlegenden Schutzanforderungen abgeleitet, die jedes elektrische Betriebsmittel, das in Verkehr gebracht wird, einhalten muss. Die Schutzanforderungen legen fest, dass einerseits die Störaussendungen des Betriebsmittels so gering sein müssen, dass z. B. Rundfunkempfänger oder andere Betriebsmittel in der Störumgebung nicht unzulässig beeinflusst werden. Dabei handelt es sich um eine Begrenzung der Störquellen (sog. Funkentstörung). Andererseits sollen die zu erwartenden auf das Betriebsmittel einwirkenden Störgrößen (Felder, Störströme oder Störspannungen) dessen Funktion nicht beeinträchtigen. Das Betriebsmittel muss also hinreichend störfest aufgebaut werden.
Für Betriebsmittel, die die einschlägigen EMV-Normen einhalten, darf vermutet werden, dass die Schutzanforderungen eingehalten sind. Der VDE bzw. die DKE ist in Deutschland zuständig für die Erstellung und Bearbeitung der Normen. In letzter Zeit werden die Normen zunehmend auf internationaler Ebene angeglichen. Daher spielen auch für Deutschland internationale Normungsorganisationen wie IEC, CENELEC und CISPR eine immer stärkere Rolle.
Das übliche Störkopplungsmodell geht von den Begriffen Störquelle, Kopplungspfad und Störsenke aus. Das Störungen erzeugende Betriebsmittel wird als Störquelle (engl. source oder culprit), das beeinflusste Betriebsmittel wird als Störsenke (engl. victim oder load) bezeichnet. Damit es zu einer Beeinflussung der Senke durch die Quelle kommen kann, muss die Störung zur Senke gelangen, um dort als Störgröße wirken zu können. Den Weg zwischen Quelle und Senke nennt man Kopplung oder Kopplungspfad. Kriterium der Güte einer Signalübertragung ist in der EMV der Störabstand.
Man unterscheidet zwischen natürlichen und technischen Störquellen und Störsenken. Als Beispiel für eine natürliche Störquelle gilt ein Blitz, natürliche Senken können Lebewesen sein. Typische technische Störquellen sind z. B. Frequenzumrichter, typische technische Störsenken sind z. B. Funkempfangsgeräte.
Bei der Beeinflussung von Lebewesen durch elektrische, magnetische oder elektromagnetische Größen spricht man auch von elektromagnetischer Umweltverträglichkeit oder EMVU. Der Schutz vor Blitzen wird unter dem Begriff Blitzschutz behandelt. Der Schutz vor elektrostatischen Entladungen wird häufig ebenfalls gesondert betrachtet.
Folgende Kopplungsmechanismen werden unterschieden:
In der EMV wird zwischen leitungsgebundenen und feldgebundenen Störungen unterschieden.
Zur Vermeidung von Störungen dient eine EMV-gerechte Auslegung von Anlagen oder Geräten. Man unterscheidet
Die Maßnahmen haben in ihrer Reihenfolge Priorität, wobei die ersten beiden (aktiven) Maßnahmen die Störemission betreffen und die dritte die (passive) Immunität oder Störsicherheit.
Störungen können vermieden werden, indem die Strom- und Spannungsänderungsgeschwindigkeiten genügend klein gehalten werden, sodass im Spektrum keine höheren Frequenzen erscheinen, die sich ungewollt ausbreiten. Oft ist das jedoch nicht möglich:
Man muss daher schon bei der Konstruktion der Innenschaltung (Layout der Leiterplatte) Störentstehung und -ausbreitung verhindern, indem sich schnell ändernde Ströme kurze Wege nehmen und als Antennen wirkende Strukturen vermieden werden. Dennoch auftretende Störungen werden durch Schirmung und Filterung in ihrer Ausbreitung vermindert.
Das Verdrillen bei symmetrischen Signalen ist sowohl ein aktiver als auch ein passiver Schutz, denn kapazitive und induktive Abstrahlung und auch Beeinflussung heben sich jeweils auf.
Je nach Störsituation ist entweder das Unterbrechen oder das Zusammenschließen elektrischer Massebezüge zielführend:
Die elektromagnetischen Wellen können zum Beispiel in Schaltungen Spannungen bzw. Ströme erzeugen. Diese können im einfachsten Fall zu einem Rauschen im Fernseher, im schlimmsten Fall zum Ausfall der Elektronik führen.
Die elektromagnetische Verträglichkeit stellt sicher, dass zum Beispiel Herzschrittmacher oder die Steuerelektronik von Kraftfahrzeugen und Flugzeugen mindestens bis zu einer festgelegten Störgröße nicht ausfallen. In Flugzeugen ist der Betrieb von Mobiltelefonen unter bestimmten Auflagen möglich, aber im Allgemeinen noch nicht flächendeckend gestattet (vgl. LuftEBV). Zu den Auflagen in der Luftfahrt gehört ein Nachweis der elektromagnetischen Verträglichkeit des Flugzeugs mit dem Mobilfunkstandard.
Besondere Aufmerksamkeit beansprucht die elektromagnetische Verträglichkeit auch im industriellen Maschinen- und Anlagenbau sowie im Marineschiffbau. Hier müssen häufig leistungsstarke elektromechanische Aktoren und empfindliche Sensoren auf engem Raum störungsfrei zusammenarbeiten.
Die Gesetzgeber schreiben in der EU den Inverkehrbringern von Elektrogeräten vor, in Deutschland durch das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln, entsprechende Schutzanforderungen einzuhalten, die durch Grenzwerte zur Störfestigkeit oder zur Störaussendung in einschlägigen Normen niedergelegt sind.
Mehr zu diesem Thema findet sich unter dem Stichwort CE-Kennzeichnung mit Informationen zur EMV-Richtlinie, die oft zusammen mit der Niederspannungsrichtlinie angewendet werden muss.
Im Regelfall wird die Einhaltung der Schutzanforderungen vermutet, wenn die auf das Gerät anwendbaren harmonisierten europäischen Normen[1] eingehalten werden, um allen Kunden und Bürgern einen störungsfreien Betrieb von Elektrogeräten zu gewährleisten. Dies führt oft dazu, dass derjenige, der ein Gerät auf dem europäischen Markt anbietet, EMV-Prüfungen oder gleichwertige Nachweisverfahren anwendet, um die EMV nachzuweisen. Als gleichwertige Nachweisverfahren eignen sich, je nach Komplexität des Geräts, bereits einfache Plausibilitätsbetrachtungen. So wird zum Beispiel eine Glühlampe, die außer dem Glühfaden keine elektrischen oder elektronischen Bauteile enthält, für sich genommen im Betrieb keine Grenzwerte für Hochfrequenzemissionen überschreiten.
Während der letzten Jahre wurden innerhalb Europas bei vielen Produktbereichen die Anforderungen harmonisiert, die Grenzwerte und Rahmenbedingungen verschiedener Länder sind also gleich, z. B. in der EMV-Richtlinie festgeschrieben.
In Deutschland sind die Bundesnetzagentur (ehemals Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post), das Bundesamt für Strahlenschutz und die Bundeswehr im Rahmen der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder die zuständigen Behörden zur Überwachung der Einhaltung von Schutzanforderungen oder Grenzwerten.
Fachgrundnormen | Thema |
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EN 61000-6-1:2007 | Störfestigkeit für Wohnbereich, Geschäfts- und Gewerbebereiche sowie Kleinbetriebe |
EN 61000-6-2:2005/AC:2005 | Störfestigkeit für Industriebereiche |
EN 61000-6-3:2007 +A1:2011 | Störaussendung für Wohnbereich, Geschäfts- und Gewerbebereiche sowie Kleinbetriebe |
EN 61000-6-4:2007 +A1:2011 | Störaussendung für Industriebereiche |
Produktnormen (nicht abschließend) | Thema |
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EN 50121-3-2:2015 | Bahnfahrzeuge – Geräte |
EN 50130-4:2011 | Alarmanlagen, Teil 4: EMV Produktfamiliennorm, Störfestigkeit für Brand-, Einbruch- und Überfallmeldeanlagen sowie Videoüberwachungs-, Zutrittskontroll- und Personenhilferufanlagen |
EN 50370-1:2005 | Werkzeugmaschinen, Teil 1, Störaussendung |
EN 50370-2:2003 | Werkzeugmaschinen, Teil 2, Störfestigkeit |
EN 60601-1-2:2015 | Medizinische elektrische Geräte |
EN 61800-3:2004 | Drehzahlveränderbare elektrische Antriebe – Teil 3: EMV-Produktnorm einschließlich spezieller Prüfverfahren |
EN 61326-1:2013 | Elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte |
EN 61326-2-3:2013 | Elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte – Messgrößenumformer |
EN 301 489-1 V1.9.2 | Funkeinrichtungen – Gemeinsame Technische Anforderungen |
GL 2012 VI Part 7 | Prüfanforderungen an elektrische/elektronische Geräte und Systeme auf Schiffen |
Prüfnormen: (nicht abschließend) | Thema |
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EN 55011:2016 | Störaussendung: ISM-Geräte – Grenzwerte und Messverfahren |
EN 55014-1:2006 +A1:2009 +A2:2011 | Störaussendung: Haushaltsgeräte – u. Messung diskontinuierliche Störungen (Knacke) |
EN 55014-2:2015 | Störfestigkeit: Haushaltsgeräte |
EN 55015:2013 + A1:2015 | Störaussendung: elektrische Beleuchtungseinrichtungen |
EN 55016-2-1:2004 +A1:2005 | Störaussendung: Störspannung – Messung der leitungsgeführten Störaussendung |
EN 55016-2-3:2006 | Störaussendung: Störfeldstärke – Messung der gestrahlten Störaussendung |
EN 55022:2010 | Störaussendung: Einrichtungen der Informationstechnik – Grenzwerte und Messverfahren |
EN 55024:2010 | Störfestigkeit: Einrichtungen der Informationstechnik – Grenzwerte und Messverfahren |
EN 61000-4-2:2009 | Störfestigkeit gegen die Entladung statischer Elektrizität (ESD) |
EN 61000-4-3:2006 +A1:2008 | Störfestigkeit gegen hochfrequente elektromagnetische Felder |
EN 61000-4-4:2013 | Störfestigkeit gegen schnelle transiente elektrische Störgrößen (Burst) |
EN 61000-4-5 Ed.3.0:2014 | Störfestigkeit gegen Stoßspannungen (Surge) |
EN 61000-4-6:2009 | Störfestigkeit gegen leitungsgeführte Störgrößen, induziert durch hochfrequente Felder |
EN 61000-4-8:1993 + A1:2001 | Störfestigkeit gegen Magnetfelder mit energietechn. Frequenz |
EN 61000-4-11:2004 | Störfestigkeit gegen Spannungseinbrüche, Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen |
EN 61000-4-20:2003 | Störfestigkeit gegen hochfrequente elektrom. Felder (TEM) |
Militärische Normen | Thema |
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MIL-STD-461 | Anforderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit von Produkten für den Einsatz im militärischen Bereich (US-Norm) |