Die Bethe-Weizsäcker-Formel ist eine Formel zur Beschreibung der Bindungsenergie von Atomkernen nach dem Tröpfchenmodell. Bindungsenergie kann als negative potentielle Energie betrachtet werden. Im Tröpfchenmodell werden die Nukleonen wie Moleküle eines inkompressiblen geladenen Flüssigkeitströpfchens betrachtet.
Die halbempirische Formel wurde erstmals 1935 von Carl Friedrich von Weizsäcker aufgestellt. Bekannt wurde sie auch durch die Veröffentlichung und Weiterentwicklung von Hans Bethe (1936).[1] Sie ist auch als Weizsäcker-Formel oder halbempirische Massenformel bekannt.[2]
Für einen Kern mit $ N $ Neutronen und $ Z $ Protonen und damit einer Nukleonenzahl $ A=N+Z $ ergibt sich die Bindungsenergie $ E_{\mathrm {B} }=E_{\mathrm {B} }(A,Z) $ aus fünf Summanden. Bis zu einer Nukleonenzahl $ A\approx 30 $ gibt die Formel nur den Trend richtig wieder, darüber beträgt die Abweichung von den realen Bindungsenergien nur noch weniger als 1 %.[3] Kleinere Kerne weisen Unregelmäßigkeiten auf, die nicht in der Formel berücksichtigt sind.
Streng genommen müsste man auch die Bindungsenergie der Elektronen an den Atomkern beachten. Die Atommasse ist wegen der Bindungsenergie der Elektronen an den Kern stets etwas kleiner als die Summe aus der Kernmasse und den Massen der $ Z $ Elektronen. Typische Elektronenbindungsenergien liegen im Bereich von einigen eV. Im Vergleich zu den Kernbindungsenergien, die im Bereich mehrerer MeV liegen, kann die Elektronenbindungsenergie daher im Rahmen der möglichen Genauigkeit der hier behandelten Formel vernachlässigt werden.
Die gesamte Bindungsenergie eines Atomkerns setzt sich aus fünf Beiträgen zusammen:
Hierbei müssen die Werte für die Parameter $ a_{\mathrm {V} },a_{\mathrm {O} },a_{\mathrm {C} },a_{\mathrm {S} },a_{\mathrm {P} } $ experimentell bestimmt werden, indem die Massenformel an die Bindungsenergien von mindestens fünf Kernen angepasst wird. Je nach Wahl dieser Kerne variieren die genauen Werte in der Literatur. Dies liegt dann daran, dass die Formeln für jeweils andere Massenbereiche optimiert wurden.
Die Formel ist unbrauchbar für sehr leichte Atomkerne mit geringer Nukleonenzahl, für größere Kerne ist sie eine gute Näherung. Aber auch hier kann sie beispielsweise die Magischen Zahlen nicht erklären, erst das Schalenmodell liefert dafür eine Erklärung.
Über die Bindungsenergie lässt sich die gesamte Kernmasse m berechnen. Es gilt nämlich $ \,m=Nm_{n}+Zm_{p}-E_{B}/c^{2} $ mit der Ruhemasse des Neutrons $ m_{n} $ = 939,553 MeV/c² und der Ruhemasse des Protons $ \,m_{p} $ = 938,259 MeV/c². Damit erhält man aus der Bethe-Weizsäcker-Formel eine Massenformel. Die für den Kern erhaltene Masse lässt sich über die Beziehung $ \,E=mc^{2} $ auch durch eine Energie ausdrücken.
Wegen der konstant angenommenen Dichte ist das Volumen proportional zur Massenzahl. Die Volumenenergie resultiert aus der gegenseitigen Anziehung der Nukleonen aufgrund der starken Kernkraft. Da diese aber äußerst kurzreichweitig ist, trägt immer nur die Wechselwirkung mit den nächsten Nachbarn eines Nukleons zur Bindung bei. Für ein von allen Seiten mit anderen Nukleonen umgebenes Nukleon, wie es in großen Kernen der Fall ist, ist somit die Bindungsenergie unabhängig von der Gesamtzahl der Nukleonen:
Die Nukleonen an der Oberfläche sind von weniger Nachbarn umgeben als die Nukleonen im Inneren des Kerns. Dadurch sind sie schwächer gebunden und reduzieren die Bindungsenergie. Es wird daher ein destabilisierender Term angenommen, der proportional zur Oberfläche des Kerns ist (negatives Vorzeichen). Der Oberflächenterm beschreibt das Verhältnis von Oberfläche und Volumen. Die Oberfläche einer Kugel ist proportional zu $ R^{2} $ und daher auch zu $ V^{\frac {2}{3}} $. Wegen $ V\sim A $ (siehe Volumenanteil) gilt $ R^{2}\sim A^{\frac {2}{3}} $. Vor allem bei kleinen Kernen mit wenigen Nukleonen macht sich der Oberflächenanteil bemerkbar, verliert dann allerdings mit wachsender Nukleonenzahl an Bedeutung.
Ein weiterer destabilisierender Einfluss ist die coulombsche Abstoßung der gleichnamig positiv geladenen Protonen. Diese Energie ist nach dem coulombschen Gesetz proportional zum Quadrat der elektrischen Ladung, also der Ladungszahl $ Z $, und umgekehrt proportional zum Radius. Da jedes der $ Z $ Protonen nur von den anderen $ Z-1 $ Protonen abgestoßen wird, ist der Effekt eigentlich proportional zu $ Z(Z-1) $ und nicht zu $ Z^{2} $, was aber für große $ Z $ vernachlässigt werden kann. Der Radius wiederum ist proportional zur Potenz $ V^{\frac {1}{3}} $ und damit zu $ A^{\frac {1}{3}} $. Je größer ein Kern wird, desto größer wird die gegenseitige Coulomb-Abstoßung der Protonen im Kern, sodass der Coulomb-Anteil für große Kernladungszahlen immer wichtiger wird. Dies ist auch der Grund dafür, dass Atome nur bis zu einer Ordnungszahl von 82 (Blei) dauerhaft bestehen können. Aufgrund der eben genannten Argumente kann der Coulomb-Anteil folgendermaßen genähert werden:
Dieser Term ist quantenmechanischer Natur und sorgt für ein Gleichgewicht zwischen Neutronenzahl und Protonenzahl. Er verschwindet für $ N=Z $ und schwächt die Bindung mit zunehmender Differenz zwischen Neutronen- und Protonenzahl. Ein Ungleichgewicht zwischen der Protonenzahl $ Z $ und der Neutronenzahl $ N=A-Z $ wirkt also destabilisierend auf einen Kern. Es wird daher ein Term proportional zu $ N-Z=A-2Z $ angesetzt. Da das Vorzeichen dieser Differenz keinen Einfluss haben soll, wird sie quadriert und dann, zur Kompensation des Quadrats, wieder durch $ A $ dividiert. Dies ergibt einen Term
Teilweise findet man in der Literatur einen Wert $ a_{\mathrm {S} }\approx 23~\mathrm {MeV} $. Dort wurde die 4 aus dem Nenner mit in die Konstante eingerechnet und taucht in der Formel nicht mehr auf.
Da sowohl Neutronen als auch Protonen der Fermistatistik folgen, gilt das Pauliprinzip, wonach jeder Quantenzustand nur einfach besetzt werden kann. Der energetisch höchst besetzte Zustand definiert die Fermienergie. Die Symmetrieenergie sorgt dafür, dass Neutronen und Protonen dieselbe Fermienergie haben.
Die bisherigen Terme werden durch einen weiteren Term ergänzt, der auf der Beobachtung beruht, dass Kerne mit geraden Protonen- und Neutronenzahlen stabiler sind als solche mit ungeraden. Dies findet erst im Schalenmodell des Atomkerns eine Erklärung durch Bildung von Neutron-Neutron- und Proton-Proton-Paaren, jeweils mit Spin Null. Bei ungerader Protonen- und/oder Neutronenzahl bleibt jeweils ein ungepaartes Teilchen übrig, das deshalb lockerer gebunden ist.
Kerne mit gerader Protonenzahl $ Z $ und gerader Neutronenzahl $ N $ (gg-Kerne) sind daher besonders fest gebunden, solche mit ungeradem $ Z $ und $ N $ (uu-Kerne) besonders schwach gebunden, die restlichen (ug- und gu-Kerne) liegen dazwischen; gg-Kerne stellen die meisten stabilen Nuklide, während von den uu-Kernen nur die vier leichtesten, 2H, 6Li, 10B und 14N, stabil sind. Der Paareffekt nimmt mit steigender Nukleonenzahl ab. Als geeigneten Term in der Formel verwendet man daher
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