Fangstoß ist ein Begriff aus dem Sportklettern und Bergsteigen und bezeichnet die maximale Kraft auf das Seil am Anseilpunkt bei einem Sturz des Kletterers. Der Kletterer spürt diese Kraft als Ruck, wenn der Fall vom Seil gestoppt wird. Die deutsche Fassung der einschlägigen Norm EN 892[1] verwendet den etwas präziseren Terminus Fangstoßkraft, in der Kletterliteratur ist jedoch die kürzere Bezeichnung Fangstoß verbreitet, die im Folgenden beibehalten wird.
Um den Fangstoß gering zu halten, besitzen Kletterseile eine sogenannte Sturzdehnung von bis zu 40 Prozent der eigenen Länge. Je weiter sich ein Seil dehnen kann, desto langsamer und weniger ruckartig kann die beim Sturz freiwerdende potentielle Energie des Kletterers auf das Seil übertragen werden und desto besser können die auf den Kletterer und die gesamte Sicherungskette wirkenden Kräfte reduziert werden. Alle Kletterseile müssen nach Euro-Norm 892 mindestens 5 Normstürze aushalten (d.h. Sturzzahl ≥ 5). Dennoch sollte aus Sicherheitsgründen ein Seil bereits nach einem harten Sturz aussortiert werden. Allerdings werden bei normalen Sportkletterstürzen nur Sturzfaktoren < 1 erreicht, die das Seil deutlich weniger schädigen als ein harter Sturz (Sturzfaktor > 1) oder gar ein Normsturz (Sturzfaktor ungefähr 1,7). In einer Seilschaft zweier Kletterpartner ist auch der Gewichtsfaktor entscheidend für den Fangstoß. Ist der Sichernde bedeutend schwerer als der Kletternde, tritt ein höherer Fangstoß auf und wird als harter Sturz wahrgenommen. Ein Gewichtsfaktor bis 1,3 wird vom DAV empfohlen. Bei einem höheren Gewichtsfaktor müssen Maßnahmen getroffen werden.
Der Fangstoß wird bei einem Normsturz gemessen und darf die durch EN bzw. UIAA-Norm festgelegten Werte nicht überschreiten:
In der Praxis ist der Fangstoß kleiner als bei einem UIAA Normsturz, da der Sturzfaktor kleiner als der Norm-Sturzfaktor ist, sobald das Seil durch mehrere Sicherungspunkte läuft. Dadurch ist die verfügbare Seillänge größer, das Seil kann mehr Energie aufnehmen und der Sturz wird bei gleicher Fallhöhe „weicher“. Gleichzeitig bewirkt die Reibung zwischen Seil und Sicherungspunkten, dass das Seil effektiv steifer wird, wodurch auch der Fangstoß wieder stärker wird. Diese beiden gegenläufigen Effekte lassen sich mathematisch beschreiben [2].
Der Fangstoß für ein dynamisches Kletterseil kann für das gängige HO Seilmodell näherungsweise leicht berechnet werden. Darin wird die Kraft auf das Seil mit dem Hookeschen Gesetz angenähert. Dieses beschreibt das elastische Verhalten von Festkörpern, deren elastische Verformung $ \varepsilon $ linear proportional zur anliegenden Spannung $ \sigma $ ist. Die Proportionalitätskonstante ist der Elastizitätsmodul E, eine Materialkonstante, die unabhängig von der Seillänge und dem Seilquerschnitt ist.
F: Kraft, q: Querschnittsfläche, x: Ausdehnung (= Δl Längenänderung), l: Länge des Seils.
Daraus folgt der bekannte Zusammenhang zwischen Kraft und Dehnung.
Dabei ist E·q/l = D die übliche Federkonstante, die von der Länge l abhängt.
Um die Energie zu berechnen, die bei der Dehnung x im Seil steckt, muss man die Kraft nach dem Weg von 0 bis x integrieren.
Für die maximale Seildehnung xmax nach einer Sturzhöhe h setzt man die potentielle Energie mg (h+xmax) gleich der Dehnungsenergie. Beim unteren Umkehrpunkt ist die gesamte potentielle Energie in Dehnungsenergie übergegangen.
Auflösen nach der maximalen Seildehnung xmax ergibt:
Für den Fangstoß Fmax = (E·q/l) xmax ergibt sich dann nach Einsetzen von xmax:
Der Fangstoß hängt also vom Sturzfaktor f = h/l, sowie von der Materialkonstante E, dem Seilquerschnitt q und dem Gewicht des Kletterers ab. Typische experimentelle Werte für E·q von Einfachseilen liegen in einem Bereich von 30 bis 50 [kN]. Je mehr Seil ausgegeben ist, desto weicher wird das Seil, was die höhere Fallenergie gerade kompensiert. Die maximale Kraft auf den Kletterer ist Fmax reduziert um das Gewicht des Kletterers mg.
Bei einem Nachstiegssturz ohne Schlappseil, also Sturzfaktor h/l = 0, erhält man als Fangstoß Fmax = 2 mg; d.h. eine Belastung mit doppeltem Körpergewicht.
Dieses einfache ungedämpfte HO-Modell eines Kletterseils kann jedoch das Verhalten realer Seile für den gesamten Sturzprozess nur unzureichend beschreiben. Dieser kann erklärt werden, wenn der ungedämpfte HO bis zum Fangstoß durch einen nichtlinearen Term ergänzt wird, und dann, nahe der maximalen Kraft im Seil, eine innere Reibung im Seil hinzugefügt wird, die für die schnelle Relaxation des Seils in seine Ruheposition sorgt. [3][4]
Sobald das Seil durch mehrere Karabiner läuft, muss eine zusätzliche Reibungsart berücksichtigt werden, die so genannte trockene Reibung zwischen Seil und den Karabinern. Dem letzten geklippten Karabiner kommt bei einem Sturz ein besonderes Gewicht zu, da der Umlenkwinkel für das Seil maximal, d.h. 180° wird. Trockene Reibung führt zu einer effektiven Seillänge, die kleiner ist als die "ausgegebene Seillänge" (das ist die Seillänge zwischen dem Kletternden und Sichernden in ungedehntem Zustand), wodurch der Fangstoß vergrößert wird. Trockene Reibung ist auch für den Seilzug verantwortlich, der immer dann auftritt, wenn das Seil über Felsunebenheiten läuft oder durch mehrere Sicherungspunkte, die nicht auf einer Linie liegen. Dieser Seilzug kann durch ein effektives Gewicht des Seils beschrieben werden, das immer größer gleich dem eigentlichen Seilgewicht ist. Es hängt exponentiell von der Summe der Winkel ab, die beim Einhängen in die Sicherungspunkte entstehen[2].
en:Fall factor#Impact force