Der Freiheitsgrad
Bei kinematischen Ketten wird der Freiheitsgrad auch Laufgrad genannt.[2] Die einzelnen Bewegungsmöglichkeiten werden auch Freiheiten genannt. Ein starrer Körper im Raum hat demnach den Freiheitsgrad
In einem etwas anderen Sprachgebrauch wird jede der unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Systems, also jede der genannten Freiheiten, als ein Freiheitsgrad bezeichnet.[3] In diesem Sinne hat ein starrer Körper ohne Bindungen drei Translationsfreiheitsgrade und drei Rotationsfreiheitsgrade.
Jeder Freiheitsgrad eines physikalischen Systems entspricht einer unabhängigen verallgemeinerten Koordinate, mit der das System beschrieben werden kann.
Was mit dem Wort „unabhängig“ gemeint ist, sieht man an einem Beispiel: Angenommen, ein Teilchen befindet sich in einer Ebene (z. B. auf einem Tisch) mit einem Koordinatensystem und kann sich in dieser Ebene nur entlang einer „schrägen“ Geraden bewegen. Die Position des Teilchens kann dann durch eine einzige Zahl beschrieben werden. Es gibt dafür zwar verschiedene Möglichkeiten, z. B.
In jedem dieser Fälle reicht jedoch stets die Angabe eines einzelnen Werts zur Festlegung der Position. Das Teilchen besitzt daher also nur einen Freiheitsgrad.
Die Zahl der verallgemeinerten Koordinaten ist eine Systemeigenschaft. Beispielsweise hat ein freier Massenpunkt im Raum drei Translationsfreiheitsgrade, die seine Position festlegen. Da ein Punkt keine Ausdehnung hat er jedoch keine Orientierung. Ein starrer Körper besitzt demgegenüber zusätzlich noch drei Rotationsfreiheitsgrade, jeweils beschreibbar durch Drehwinkel.
Gemäß der Grüblerschen Gleichung ist die Zahl der Freiheiten eines Systems, das aus vielen Teilsystemen gebildet wird, gleich der Summe der Freiheiten der Teilsysteme, sofern diese nicht durch Zwangsbedingungen eingeschränkt wird (z. B. Anhängerkupplung: Der Anhänger kann sich nicht vollständig unabhängig vom Zugfahrzeug bewegen).
Grundsätzlich lassen sich folgende Fälle unterscheiden:
Zwei freie Punktmassen
Diese vier Zwangsbedingungen reduzieren die Zahl der Freiheitsgrade auf
Im Gelenk eines Mechanismus sind zwei Teile miteinander beweglich verbunden. Der Freiheitsgrad
Art des Gelenks | Freiheitsgrad | in der Abbildung |
---|---|---|
Drehgelenk | Figur 2 | |
Schraubgelenk | Figur 3 | |
Drehschubgelenk, Plattengelenk | Figur 5 | |
Drehschubgelenk | Figur 6 | |
Kugelgelenk | Figur 7 |
Jedes Molekül mit
Freiheitsgrade, weil man für jedes Atom drei Koordinaten braucht, um seine Position zu definieren. Diese kann man formal in Translations-, Rotations- und innere Schwingungsfreiheitsgrade einteilen:
Für
lineare Moleküle | nicht lineare Moleküle | |
---|---|---|
Summe |
Komplexe Moleküle mit vielen Atomen haben daher viele Schwingungsfreiheitsgrade (siehe Molekülschwingung) und liefern somit einen hohen Beitrag zur Entropie.
Bei Molekülen, die auf Festkörperoberflächen adsorbiert sind, kann die Anzahl an Freiheitsgrade reduziert sein. Beispielsweise kann statt drei Rotationsfreiheitsgraden eines Moleküls in der Gasphase für das adsorbierte Molekül nur einer möglich sein. Gleiches gilt für Translationsfreiheitsgrade, die z. B. von drei (Gasphase) zu nur zwei im Fall der Adsorption werden können.
Aufgrund der diskreten Energieniveaus der Quantenmechanik können bei niedrigen Energien meist nicht alle
Zum Beispiel hat ein Atom bei Raumtemperatur effektiv nur die drei Translationsfreiheitsgrade, da die mittlere Energie so niedrig ist, dass atomare Anregungen praktisch nicht vorkommen.
Das Konzept der Freiheitsgrade aus der Mechanik taucht auch in der statistischen Mechanik und Thermodynamik auf: die Energie eines thermodynamischen Systems verteilt sich gemäß dem Äquipartitionstheorem gleichmäßig auf die einzelnen Freiheitsgrade. Die Zahl der Freiheitsgrade geht in die Entropie ein, die ein Maß für die Zahl der erreichbaren Zustände ist. Thermodynamische Systeme haben generell sehr viele Freiheitsgrade, etwa in der Größenordnung von 1023, der Größenordnung der Avogadro-Konstanten, da sie üblicherweise Stoffmengen in der Größenordnung eines Mols enthalten. Es können allerdings viele gleichartige Systeme mit jeweils nur wenigen Freiheitsgraden zustande kommen, z. B. 1023 Atome mit effektiv (s. u.) je drei Freiheitsgraden.
Man kann die innere Energie
mit der Boltzmann-Konstante
Hierbei ist wichtig, dass Schwingungen bei der Bestimmung von
Stoff | Freiheitsgrade | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Gasmolekül, 1-atomig | 3 | 0 | 0 | 3 | 3 | 3 |
Gasmolekül, 2-atomig | 3 | 2 | 1 | 6 | 5 | 7 |
Gasmolekül, 3-atomig linear | 3 | 2 | 4 | 9 | 13 | |
Gasmolekül, 3-atomig gewinkelt | 3 | 3 | 3 | 9 | 12 | |
1 Atom im Festkörper | 0 | 0 | 3 | 3 | 6 |
Ein zweiatomiges Molekül wie molekularer Wasserstoff hat – neben den elektronischen Anregungen – sechs Freiheitsgrade: drei der Translation, zwei der Rotation, und einen Schwingungsfreiheitsgrad. Rotation und Schwingung sind quantisiert und bei geringer Gesamtenergie eines Moleküls können energetisch höher liegende Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade nicht angeregt werden; man sagt, sie seien „eingefroren“. Rotation wird bereits ab mittleren, Schwingung erst bei höheren Temperaturen angeregt. So verhalten sich die meisten zweiatomigen Gase wie z. B. Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff unter Normalbedingungen effektiv so, als hätten die Einzelmoleküle nur fünf Freiheitsgrade, was sich am Adiabatenexponenten ablesen lässt. Bei hohen Temperaturen sind dem System alle Freiheitsgrade zugänglich.
Die thermodynamischen Freiheitsgrade der Zustandsgrößen auf makroskopischer Ebene ergeben sich für beliebige Systeme im thermodynamischen Gleichgewicht über die Gibbssche Phasenregel.