Der Schmetterlingseffekt (englisch butterfly effect) ist ein Phänomen der Nichtlinearen Dynamik.
Er tritt in nichtlinearen dynamischen, deterministischen Systemen auf und äußert sich dadurch, dass nicht vorhersehbar ist, in welchem Maß sich beliebig kleine Änderungen der Anfangsbedingungen des Systems langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken. Es gibt hierzu eine bildhafte Veranschaulichung dieses Effekts am Beispiel des Wetters, welche namensgebend für den Schmetterlingseffekt ist: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?[1]“
Vom Schneeballeffekt, bei dem kleine Effekte sich über eine Kettenreaktion bis zur Katastrophe selbst verstärken, unterscheidet er sich durch die Unvorhersehbarkeit, in welchem Maß sich eine Änderung auswirkt.
Der einprägsame Begriff Schmetterlingseffekt stammt von dem US-amerikanischen Meteorologen Edward N. Lorenz, der 1972 vor der American Association for the Advancement of Science einen Vortrag mit dem Titel Predictability: Does the Flap of a Butterfly’s Wings in Brazil set off a Tornado in Texas? hielt.[2] In seiner ursprünglichen Form verwendete er allerdings den Flügelschlag einer Möwe statt des Schmetterlings.
Vorarbeiten zu der Theorie leistete Lorenz mit einer Arbeit aus dem Jahre 1963,[3] in der er eine Berechnung zur Wettervorhersage mit dem Computer unternahm. Er untersuchte im Zusammenhang mit langfristigen Wetterprognosen an einem vereinfachten Konvektionsmodell das Verhalten von Flüssigkeiten bzw. Gasen bei deren Erhitzung; hier bilden sich zunächst Rollen (heißes Gas steigt auf einer Seite auf, verliert Wärme und sinkt auf der anderen Seite wieder ab), die bei weiterer Wärmezufuhr instabil werden.
Dieses Verhalten charakterisierte er anhand der drei verbundenen Differentialgleichungen. Das numerische Ergebnis projizierte er in den Phasenraum und erhielt jenen seltsamen Attraktor, der später als Lorenz-Attraktor bekannt wurde: eine unendlich lange Trajektorie im dreidimensionalen Raum, die sich nicht selbst schneidet und die Form zweier Schmetterlingsflügel hat.
Lorenz stieß auf das chaotische Verhalten seines Modells eher zufällig. Um Rechenzeit zu sparen, hatte er bei der numerischen Lösung der o. a. Gleichungen auf Zwischenergebnisse bereits durchgeführter Berechnungen zurückgegriffen, hierbei jedoch nur drei Dezimalstellen berücksichtigt, obwohl der Computer mit einer Genauigkeit von sechs Dezimalstellen rechnete. Das Resultat waren zunehmende Abweichungen im Zeitverlauf zwischen den alten und neuen Berechnungen, was Lorenz zu seinen Aussagen über die Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen bewog. Von nahezu demselben Ausgangspunkt divergierten die Wetterkurven, bis sie schließlich keine Gemeinsamkeit zeigten.
Bei seiner ersten Berechnung gab er einen Startwert für eine Iteration auf sechs Dezimalstellen genau an (0,506127), bei der zweiten Berechnung auf drei (0,506), und obwohl diese Werte nur um etwa 1/10000 voneinander abwichen, wich im weiteren Verlauf diese Berechnung mit der Zeit von der ersten stark ab.
Der Schmetterlingseffekt tritt bei Systemen auf, die deterministisches chaotisches Verhalten zeigen. Diese Systeme besitzen die Eigenschaft, dass sich beliebig kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen (Clinamen) im Laufe der Zeit zu starken Unterschieden im System führen; sie sind also sensitiv abhängig von den Anfangswerten.
Da die Anfangsbedingungen experimentell immer nur mit endlicher Genauigkeit bestimmt werden können, ist eine Konsequenz dieses Effekts für solche Systeme, dass es unmöglich ist, ihr Verhalten für längere Zeit vorherzusagen. Zum Beispiel kann das Wetter für einen Tag relativ genau prognostiziert werden, während eine Vorhersage für einen Monat kaum möglich ist. Selbst wenn die ganze Erdoberfläche mit Sensoren bedeckt wäre, diese nur geringfügig voneinander entfernt lägen, bis in die höchsten Lagen der Erdatmosphäre reichten und exakte Daten lieferten, wäre auch ein unbegrenzt leistungsfähiger Computer nicht in der Lage, langfristig exakte Prognosen der Wetterentwicklung zu machen. Da das Computermodell die Räume zwischen den Sensoren nicht erfasst, kommt es zu geringfügigen Divergenzen zwischen Modell und Realität, die sich dann positiv verstärken und zu großen Unterschieden führen.
Beispielsweise lassen sich aus den Daten von 1000 Wetterstationen einigermaßen zuverlässige Prognosen über einen Zeitraum von vier Tagen machen. Für entsprechende Vorhersagen über elf Tage bräuchte man bereits 100 Millionen gleichmäßig über die Erde verteilte Messstationen. Absurd wird das Vorhaben, wenn sich die Vorhersage über einen Monat erstrecken soll; denn dann wären 1020 Wetterstationen erforderlich, das heißt je eine auf je fünf Quadratmillimeter Erdoberfläche (Lit.: Heiden).
Allerdings ist das Lorenz-Modell eigentlich viel chaotischer als der tatsächliche Wetterverlauf. Die Gleichungen sind viel instabiler als die grundlegenden physikalischen Gleichungen. Der Mathematiker Wladimir Igorewitsch Arnold gibt als eine prinzipielle obere Schranke für die Wettervorhersage zwei Wochen an.
Ein minimales Beispiel für den Schmetterlingseffekt ist die Zeltabbildung.
Im Diagramm wird die Differenz zwischen den Werten zweier solcher Abbildungen mit leicht unterschiedlichem Startparameter (hier: 0,506 und 0,506127) über der Anzahl der Iterationen (im Diagramm dargestellt als „Zeit“) aufgetragen. Beide Abbildungen haben den gleichen Kontrollparameter, der so gewählt wurde, dass die Zeltabbildung chaotisches Verhalten zeigt (erkennbar im entsprechenden Bifurkationsdiagramm). Die maximal mögliche Abweichung ist ± 1. Die beiden Abbildungen sind demnach schon nach wenigen Iterationen völlig verschieden.
Wenn mehr als zwei Himmelskörper gravitativ aneinander gebunden sind, können minimale Änderungen der Ausgangssituation im Laufe der Zeit zu großen nichtvorhersagbaren Änderungen der Bahnen und Positionen führen. Dieses Verhalten ist Thema des Dreikörperproblems.