Der Joule-Thomson-Effekt (nicht zu verwechseln mit dem Thomson-Effekt) bezeichnet die Temperaturänderung eines Gases bei einer isenthalpen Druckminderung. Die Richtung und Stärke des Effekts wird durch die Stärke der anziehenden und abstoßenden Kräfte zwischen den Gasmolekülen bestimmt. Unter Normalbedingungen gilt für die meisten Gase und Gasgemische, z. B. für Luft, dass die Temperatur bei der Entspannung sinkt. Dagegen steigt sie z. B. bei Wasserstoff, Helium, Neon. In einem idealen Gas gibt es keine molekularen Kräfte, infolgedessen zeigt es keinen Joule-Thomson-Effekt. Der Joule-Thomson-Effekt spielt eine wichtige Rolle in der Thermodynamik von Gasen.
Beispiele von Auftreten und Anwendungen:
Im Zusammenhang mit der Entdeckung des Ersten und Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Bilanz von Arbeit und Wärme bei der Kompression und Entspannung von Luft mit steigender Messgenauigkeit untersucht. Zuvor war im Expansionsversuch von Gay-Lussac keine Temperaturänderung festgestellt worden, wenn Luft sich ohne Wärmefluss und Arbeitsleistung bei sinkendem Druck in ein größeres Volumen ausdehnt. Demnach hängt ihre Innere Energie nicht vom Volumen ab. Mit besserer Genauigkeit wurde dies im Jahre 1852 von James Prescott Joule und Sir William Thomson (der spätere Lord Kelvin) überprüft, indem strömende Luft einer kontrollierten Druckminderung unterworfen wurde. Dazu wurde die Luft kontinuierlich durch ein dickes, langes, thermisch isoliertes Rohr, mit einer kleinen Blende auf halber Strecke, gepumpt und zeigte am anderen Ende eine kleine Abkühlung. Nach ihrer Publikation[1] wird diese Temperaturänderung als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet. Da die Zustandsgleichung des idealen Gases Konstanz der Temperatur ergeben würde, war damit auch festgestellt, dass Luft nicht exakt ein ideales Gas ist. Die 1873 vorgestellte van der Waals’sche Zustandsgleichung passt besser und ergibt eine schwache Volumenabhängigkeit der inneren Energie. Der Joule-Thomson-Effekt wurde 1895 von Carl von Linde zur Grundlage der technischen Luftverflüssigung und Gewinnung von reinem Sauerstoff und Stickstoff gemacht.
Im idealen Modell der isenthalpen Entspannung strömt ein thermisch isoliertes Gas aufgrund einer Druckdifferenz durch ein Hindernis, an dem es keine Arbeit leistet. Es handelt sich um einen kontinuierlichen, irreversiblen Prozess, bei dem keine Wärme ausgetauscht wird und die Drücke
Folglich ist die Enthalpie
konstant.
Wenn wie beim idealen Gas die Enthalpie nur von der Temperatur und nicht vom Volumen abhängt (für 1 Mol:
Die Stärke und Richtung der Temperaturänderung wird durch den Joule-Thomson-Koeffizienten μ beschrieben:
Er stellt die partielle Ableitung der Temperatur T nach dem Druck p bei konstanter Enthalpie H dar. Der Index H besagt, dass bei der Druckänderung die Enthalpie konstant zu halten ist. Ein positiver Wert
Die Ursache des Joule-Thomson-Effekts liegt in der Wechselwirkung der Gasteilchen. Da sich die Teilchen bei größerem Abstand anziehen (siehe Van-der-Waals-Kräfte), muss bei der Vergrößerung des Teilchenabstandes Arbeit geleistet werden. Die Teilchen werden langsamer, das Gas kühlt ab. Bei geringem Abstand stoßen sich die Teilchen aber ab, wodurch sie beschleunigt werden, wenn sie sich voneinander weg bewegen können, und das Gas erwärmt sich. Das Verhältnis der beiden Effekte hängt von der Temperatur und vom Druck ab. Der überwiegend wirksame Effekt bestimmt das Vorzeichen des Joule-Thomson-Koeffizienten. Beispielsweise beträgt die Abkühlung bei Stickstoff von Normaltemperatur und nicht zu hohem Druck pro 1 bar Druckminderung 0,14 K.[2]
Um den Joule-Thomson-Effekt für die Abkühlung des Gases nutzen zu können, muss es in einem Zustand mit
Im Modell des idealen Gases werden außer harten, elastischen Stößen keine Wechselwirkungen zwischen den Teilchen berücksichtigt. Ideale Gase weisen daher keinen Joule-Thomson-Effekt auf.
Wird die durch
Um den Joule-Thomson-Koeffizienten berechnen zu können, muss noch die Entropie durch die Variablen
Damit kann man die Enthalpieänderung durch die Variablen Druck und Temperatur ausdrücken:
Nun ist im ersten Summanden
die Wärmekapazität bei konstantem Druck (denn
Im zweiten Summanden gilt (nach der Maxwellrelation für die freie Enthalpie mit dem totalen Differential
Dies ist durch den thermischen Ausdehnungskoeffizienten (bei konstantem Druck)
Einsetzen in die Gleichung für das Differential der Enthalpie liefert:
Durch Nullsetzen der linken Seite und Auflösen nach
Für ein ideales Gas ist
In einer genäherten Betrachtung wird die Van-der-Waals-Gleichung (für 1 Mol)
für
vereinfacht und nach V aufgelöst:
Daraus ergibt sich der Wärmeausdehnungskoeffizient (a und b als konstant angenommen)
Für den Joule-Thomson-Koeefizienten folgt:
Man erkennt, dass der Effekt von den anziehenden Kräften (van der Waals-Parameter a) und den abstoßenden (van der Waals-Parameter b) in entgegengesetzter Weise beeinflusst wird. Der Koeffizient ist positiv, wenn die Temperatur unter einem kritischen Wert
liegt, und variiert mit der Temperaturabhängigkeit gemäß 1/T. Beides gibt die Beobachtungen gut wieder und stützt die gegebene physikalische Interpretation in qualitativer Weise. Verglichen mit der kritischen Temperatur Tcrit= 8a/(27Rb) ist die Inversionstemperatur 6,75fach höher, nämlich
Doch die Übereinstimmung dieser einfachen Formel mit den bei verschiedenen Gasen beobachteten Inversionstemperaturen ist nicht gut, und es fehlt auch die beobachtete Abhängigkeit der Inversionstemperatur vom Druck. Für genauere Werte und eine Wiedergabe der ganzen Inversionskurve p(Tinv) muss die Näherung der van-der-Waals-Gleichung um ein Glied ergänzt werden[2]:
Dann wird der Wärmeausdehnungskoeffizient
und der Joule-Thomson-Koeffizient
Diese Gleichung ergibt für Stickstoff bei Zimmertemperatur und p=107 Pa (100 bar) einen Wert von
Die Inversionskurve im p-T-Diagramm erhält man, indem in der letzten Gleichung
Umgestellt nach p, ergibt sich für p(Tinv) eine nach unten offene Parabel. Physikalisch sinnvolle Werte p>0 gehören zum Temperaturbereich Tinv<2a/Rb. Diese Grenze ist der oben gefundene Wert der Inversionstemperatur, der also nur im Bereich niedriger Anfangsdrücke gilt. Will man zwecks stärkerer Abkühlung bei höheren Anfangsdrücken arbeiten, muss die Temperatur tiefer liegen, wobei der maximal mögliche Druck p=a/(3b2) die Temperatur Tinv=a/Rb erfordert.
Das Linde-Verfahren zur Gasverflüssigung setzt einen positiven Joule-Thomson-Koeffizienten voraus. Nur so kann die Energie des komprimierten Gases abgeführt werden, obwohl die Umgebungstemperatur höher ist als die des Gases. In der Linde-Maschine wird Luft durch ein Drosselventil von etwa 200 bar auf etwa 20 bar entspannt. Dabei kühlt sie sich um etwa 45 Kelvin ab. Die abgekühlte Luft wird nun genutzt, um weitere komprimierte Luft vor der Entspannung abzukühlen (Gegenstrom-Wärmeübertrager). Über mehrere Kompressions- und Entspannungsstufen kann somit das Gas so weit abgekühlt werden, dass es kondensiert und somit flüssig wird.[4]
Ein Gas, das bei Raumtemperatur einen negativen Joule-Thomson-Koeffizient aufweist, muss, damit das Linde-Verfahren wirken kann, mit anderen Verfahren vorgekühlt werden, bis seine Inversionstemperatur unterschritten ist. Erst dann kühlt es bei isenthalper Drosselung wegen des nun positiven Joule-Thomson-Koeffizienten weiter ab. So muss Helium auf ungefähr −243 °C (30 K) abgekühlt werden.