Die Perkolationstheorie (engl. percolation - die Durchsickerung) beschreibt das Ausbilden von zusammenhängenden Gebieten (Clustern) bei zufallsbedingtem Besetzen von Strukturen (Gittern). Beispiele sind die Punktperkolation oder die Kantenperkolation.
Bei der Punktperkolation werden Gitterpunkte mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit besetzt, bei der Kantenperkolation werden besetzte Punkte untereinander verbunden. Man kann sich aber beliebige zufällig erzeugte Objekte (wie z. B. Tröpfchen) vorstellen, die dann untersucht werden.
Mit der Perkolationstheorie können Phänomene wie elektrische Leitfähigkeit von Legierungen, Ausbreitungen von Epidemien und Waldbränden oder Wachstumsmodelle beschrieben werden.
Historisch geht die Perkolationstheorie (engl.: percolation theory) auf Paul Flory und Walter H. Stockmayer zurück, die sie während des Zweiten Weltkriegs entwickelten, um Polymerisationsprozesse zu beschreiben. Der Polymerisationsprozess kommt durch das Aneinanderreihen von Molekülen zustande, die dadurch Makromoleküle bilden. Der Verbund solcher Makromoleküle führt zu einem Netzwerk von Verbindungen, die sich durch das ganze System ziehen können.
In der Geologie/Hydrologie beschreibt die Perkolation einfache Modelle zur Ausbreitung von Flüssigkeiten in porösem Gestein (siehe Perkolation (Technik)), die als anschauliche Beispiele der unten beschriebenen Clusterbildung dienen.
Perkolationen werden auf Gittern modelliert, wobei Kristallgitter (siehe auch Kristallstruktur) Interpretationen mathematischer Gitter sind.
Allgemein lässt sich ein einfaches Modell für die "Knoten-" oder "Platzperkolation" konstruieren:
Die Felder eines zweidimensionalen Quadratgitters werden mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit besetzt. Ob ein Feld besetzt wird oder leer bleibt, ist unabhängig von der Besetzung aller anderen Felder. Des Weiteren wird das Gitter als so groß angenommen, dass Randeffekte vernachlässigt werden können (im Idealfall unendlich groß). Abhängig von der gegebenen Verteilung werden sich Gruppen auf dem Gitter bilden, das heißt besetzte Felder in unmittelbarer Nachbarschaft. Diese Gruppen - als Cluster bezeichnet - werden umso größer sein, je größer die Wahrscheinlichkeit zur Besetzung eines Feldes ist. Die Perkolationstheorie beschäftigt sich nun mit Eigenschaften wie Größe oder Anzahl dieser Cluster.
Wenn $ p $ die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Feld besetzt ist, bilden sich mit dem Ansteigen von $ p $ größere Cluster aus. Die sogenannte Perkolationsschwelle $ p_{c} $ ist als der Wert von $ p $ definiert, bei dem mindestens ein Cluster eine Größe erreicht, dass er sich durch das gesamte System erstreckt, also eine Ausdehnung auf dem Gitter von der rechten zur linken und von der oberen zur unteren Seite hat. Man sagt: Der Cluster perkoliert durch das System.
Das Gegenstück dazu wird "Kantenperkolation" (engl.: bond percolation) genannt.
Ein Gitter, z. B. oben genanntes Quadratgitter, ist vollständig besetzt und es bestehen von jedem Feld des Gitters vier Verbindungen zu den jeweils vier Nachbarfeldern. Nun ist mit einer Wahrscheinlichkeit $ p $ eine Verbindung zu einem Nachbarfeld geöffnet und mit einer Wahrscheinlichkeit $ 1-p $ die Verbindung geschlossen. Diese Art der Perkolation lässt sich gut mit dem oben genannten Modell in der Geologie vergleichen. Die Hohlräume in einem porösen Gestein sind mit Wasser gefüllt und durch ein Netzwerk von Kanälen verbunden. Mit einer Wahrscheinlichkeit $ p $ besteht ein Kanal zwischen zwei nächsten Nachbarn, und mit einer Wahrscheinlichkeit von $ 1-p $ besteht keiner.
Ein Cluster ist dann als Gruppe von Gitterplätzen definiert, die durch offene Kanäle verbunden sind. Auch hier ist $ p_{c} $ wieder die Perkolationsschwelle und es gibt für $ p>p_{c} $ einen Cluster, der durch das gesamte System perkoliert, während ein solcher Cluster bei $ p<p_{c} $ nicht existiert. Die Perkolationsschwelle ist bei der Kantenperkolation niedriger als bei Systemen, welche sich entsprechend der Knotenperkolation verhalten. Das gilt für alle Gittertypen.
Gittertyp[1] | Knotenperkolationsschwelle | Kantenperkolationsschwelle |
Wabengitter | 0,6962 | 0,6527… = 1 − 2 sin (π/18)[2] |
Quadratgitter | 0,592746 | 0,5 |
Dreiecksgitter | 0,5 | 0,34729… = 2 sin (π/18)[2] |
Diamantgitter | 0,43 | 0,388 |
einfach kubisches Gitter | 0,3116 | 0,2488 |
BCC 1. | 0,246 | 0,1803 |
FCC | 0,198 | 0,119 |
Hyperkubisches Gitter (4d) | 0,197 | 0,1601 |
Hyperkubisches Gitter (5d) | 0,141 | 0,1182 |
Hyperkubisches Gitter (6d) | 0,107 | 0,0942 |
Hyperkubisches Gitter (7d) | 0,089 | 0,0787 |
Die gerichtete Perkolation (directed percolation $ \rightarrow $ DP) lässt sich sehr anschaulich mit einer Kaffeemaschine (engl. coffee percolator) oder mit dem bereits erwähnten porösen Gestein erklären.
Anhand der bond-Perkolation wird der Unterschied zwischen "normaler", oder isotroper Perkolation (IP) und der gerichteten Perkolation klar.
Wenn Wasser auf ein poröses Medium gegossen wird, stellt sich die Frage, ob das Medium durchdrungen werden kann, d. h. ob es einen Kanal von der Oberseite zur Unterseite des Mediums gibt, oder ob das Wasser vom Medium absorbiert wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wasser auf einen offenen Kanal trifft ist wie bei einer isotropen Perkolation durch $ p $ gegeben. Im Gegensatz zu der isotropen Perkolation existiert eine gegebene Vorzugsrichtung. Wasser in porösem Gestein wie auch in der Kaffeemaschine bewegt sich in die Richtung, die durch die Gravitation bestimmt wird. Die Perkolationsschwelle $ p_{c} $ ist bei der gerichteten Perkolation größer als bei der isotropen Perkolation.
Viele perkolationsartige Phasenübergänge kommen im täglichen Leben vor, z. B. das „Puddingproblem“ (Gel-Bildung[3]), das „Sahnesteif-Problem“ und das Problem der „Verklumpung“. In allen Fällen geht die Wirkung erst bei Überschreiten eines kritischen Wertes des ursächlichen Parameters gegen das erwünschte oder unerwünschte Maximum, und zwar meist nach einem Potenzgesetz mit einem „kritischen Exponenten“, wobei die maximale Wirkung bei Überschreiten des kritischen Wertes zunächst sehr rasch ansteigt. Durch chemische Zusätze, etwa Pudding- oder „Sahnesteif“-Pulver kann man den kritischen Wert herabsetzen, ohne allerdings das Prinzip zu ändern.