Deutschland hat kein eigenes bemanntes Raumfahrtprogramm. Deutsche Raumfahrer flogen daher nur als Besatzungsmitglieder bei Missionen anderer Staaten ins All: mit den Sojus-Raumschiffen der Sowjetunion (später Russland) sowie mit dem Space Shuttle der Vereinigten Staaten.
Auswahl und Ausbildung der Raumfahrer erfolgten durch drei verschiedene Behörden und Gesellschaften, zeitweise auch parallel:
Seit 1999 existiert keine rein deutsche Astronautengruppe mehr, die deutschen Raumfahrtaktivitäten sind voll in der ESA und deren Astronautenkorps integriert.
Im Rahmen des Interkosmos-Programms ermöglichte die Sowjetunion befreundeten Nationen, an bemannten Raumfahrtmissionen teilzunehmen. Für den Flug mit DDR-Beteiligung wurden am 25. November 1976 zwei Piloten aus den Luftstreitkräften der DDR ausgewählt: Sigmund Jähn und Eberhard Köllner[1], wobei Jähn im August/September 1978 den Raumflug mit Sojus 31 unternahm und Köllner der Ersatzmann war. Weitere Flüge waren nicht vorgesehen, so dass es nach dem Flug keine DDR-Kosmonautengruppe mehr gab.
Eine erste bundesdeutsche Astronautengruppe wurde am 19. Dezember 1982 von der damaligen Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR, später Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) zusammengestellt.[2] Ausgewählt wurden Reinhard Furrer und Ernst Messerschmid, die für einen Raumflug mit dem Space Shuttle ausgebildet wurden, bei dem das europäische Spacelab-Labor an Bord sein würde. Dieser siebentägige Flug fand ab 30. Oktober 1985 unter der Bezeichnung STS-61-A statt und wurde in Deutschland auch unter der Bezeichnung D1-Mission bekannt. Nach dem Flug wurde die Astronautengruppe aufgelöst.
Die nächste deutsche Astronautengruppe des DFVLR wurde am 3. August 1987 zusammengestellt und bestand aus fünf Personen, darunter auch erstmals Frauen: Renate Brümmer, Hans Schlegel, Gerhard Thiele, Heike Walpot und Ulrich Walter.[2] Brümmer, Schlegel, Thiele und Walter wurden ab Oktober 1990 von der NASA zu Nutzlastspezialisten für die Mission STS-55 ausgebildet. Der Flug erfolgte im April 1993 unter Beteiligung von Schlegel und Walter. Nach diesem Flug traten Brümmer, Walpot und Walter aus, Schlegel und Thiele verblieben dagegen im deutschen Raumfahrerkorps und hielten sich für weitere Einsätze bereit.
Die politischen Änderungen Ende der 1980er (Perestroika und Glasnost) ermöglichten auch eine Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit der Sowjetunion. Parallel zur Vorbereitung auf den Shuttle-Flug wurde die deutsche Raumfahrergruppe am 8. Oktober 1990 durch Reinhold Ewald und Klaus-Dietrich Flade verstärkt.[2] Im Gegensatz zu ihren Kollegen wurden sie jedoch in der Sowjetunion ausgebildet und bereiteten sich auf einen Flug zur Raumstation Mir vor. Flade kam im März 1992 zum Einsatz, Ewald im Februar 1997.
Schon ab 1977, bevor in Frankreich, Deutschland und Italien nationale Astronautengruppen aufgestellt wurden, hatte die ESA eine eigene Astronautenauswahl getroffen, damit europäische Astronauten die europäischen Experimente an Bord des Space Shuttle durchführen konnten. Die deutsche Vorauswahl übernahm das DFVLR, das am 23. April 1977 per Zeitungsannonce nach einem "Wissenschaftler im Weltraumlabor" suchte, worauf mehr als 700 Bewerbungen eingingen.[3] Zu den vier am 22. Dezember 1977 ausgewählten ESA-Astronauten gehörte auch Ulf Merbold, [4] und Merbold war es auch, der im November 1983 bei STS-9 der erste Nicht-Amerikaner an Bord des Space-Shuttles war. Merbold kam später zu zwei weiteren Raumflügen für die ESA: 1992 mit der Shuttle-Mission STS-42 und 1994 an Bord des russischen Raumschiffs Sojus TM-20 zur Raumstation Mir.
Erst 15 Jahre später, am 15. Mai 1992, wurde eine zweite ESA-Gruppe gebildet. Unter den sechs Raumfahreranwärtern aus sechs Ländern war mit Thomas Reiter wieder ein Deutscher. Reiter war der erste deutsche Raumfahrer, der Langzeiteinsätze auf Raumstationen absolvierte: je sechs Monate auf der Mir und auf der ISS.
Mit der Gründung des Europäischen Astronautenkorps der ESA ging die Auflösung der nationalen Astronautenkorps in Deutschland, Frankreich und Italien einher. Bis 1999 wechselten die noch aktiven deutschen Astronauten Schlegel, Thiele und Ewald vom DLR zur ESA.
Auch bei der nächsten ESA-Auswahl, die am 20. Mai 2009 aufgestellt wurde, war mit Alexander Gerst wieder ein Deutscher dabei.[4] Gerst führte 2014 einen Langzeitaufenthalt auf der ISS durch.[5]
Datum | DDR | ESA | DFVLR/DLR |
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25. November 1976 | DDR-Auswahl: Jähn und Köllner | ||
22. Dezember 1977 | Erste ESA-Auswahl: 4 Astronauten aus 4 Ländern, darunter Merbold | ||
1. Mai 1978 | NASA-Ausbildung von Merbold zum Nutzlastspezialist | ||
26. August bis 3. September 1978 | Flug von Jähn mit Sojus 31 zu Saljut 6, Rückflug mit Sojus 29, Köllner als Ersatz | ||
September 1978 | Ausscheiden Jähn und Köllner | ||
19. Dezember 1982 | Erste DFVLR-Auswahl: Furrer und Messerschmidt, NASA-Ausbildung zu Nutzlastspezialisten | ||
28. November bis 8. Dezember 1983 | Flug von Merbold bei STS-9 | ||
30. Oktober bis 6. November 1985 | Merbold Ersatz bei STS-61-A | Flug von Furrer und Messerschmidt bei STS-61-A | |
November 1985 | Ausscheiden von Furrer und Messerschmidt | ||
3. August 1987 | Zweite DFVLR-Auswahl: Brümmer, Schlegel, Thiele, Walpot und Walter | ||
Ende 1988 | Auswahl Merbold für Shuttle-Flug | ||
8. Oktober 1990 | Auswahl Ewald und Flade für DLR | ||
22.-30. Januar 1992 | Flug von Merbold bei STS-42 | ||
17.-25. März 1992 | Flug von Flade mit Sojus TM-14 für Mir ’92, Rückflug mit Sojus TM-13, Ewald als Ersatz | ||
15. Mai 1992 | Zweite ESA-Auswahl: 6 Astronauten aus 6 Ländern, darunter Reiter | ||
26. April bis 6. Mai 1993 | Flug von Schlegel und Walter bei STS-55, Brümmer und Thiele als Ersatz | ||
Mai 1993 | Ausscheiden Brümmer, Walpot und Walter | ||
August 1993 | Auswahl von Merbold für Euromir ’94 | ||
3. Oktober bis 4. November 1994 | Flug von Merbold mit Sojus TM-20 für Euromir '94 | ||
3. September 1995 bis 29. Februar 1996 | Flug von Reiter mit Sojus TM-22 für Euromir ’95 | ||
1996/97 | Thiele bei NASA-Gruppe 16, Ausbildung zum Missionsspezialisten | ||
10. Februar bis 2. März 1997 | Flug von Ewald mit Sojus TM-25, Schlegel als Ersatz | ||
25. März 1998 | ESA-Entscheidung für Europäisches Astronautenkorps EAC | ||
1. Juni 1998 | Bildung EAC mit Reiter | ||
1. August 1998 | Schlegel und Thiele wechseln von DLR zu ESA | ||
1998/1999 | Schlegel bei NASA-Gruppe 17, Ausbildung zum Missionsspezialisten | ||
30. August 1998 | Merbold scheidet aus | ||
Februar 1999 | Ewald wechselt von DLR zu ESA, damit vier Deutsche im EAC, DLR-Gruppe aufgelöst | ||
11.-22. Februar 2000 | Flug von Thiele mit STS-99 | ||
2003 bis April 2004 | Thiele Ersatz für den Niederländer Kuipers bei Sojus TMA-4 | ||
Oktober 2005 | Thiele tritt aus EAC aus | ||
4. Juli bis 22. Dezember 2006 | Flug von Reiter mit STS-121 zur ISS (Expeditionen 13 und 14, Rückflug mit STS-116) | ||
2007 | Ewald tritt aus EAC aus | ||
Oktober 2007 | Reiter tritt aus EAC aus | ||
7.-20. Februar 2008 | Flug von Schlegel bei STS-122 | ||
20. Mai 2009 | Dritte ESA-Auswahl: 6 Astronauten aus 5 Ländern, darunter Gerst | ||
18. September 2011 | Auswahl Gerst für ISS-Expeditionen 40 und 41 | ||
28. Mai-10. November 2014 | Flug von Gerst bei ISS-Expedition 40 und ISS-Expedition 41 |