Dynamischer Segelflug ist eine Flugtechnik, bei der ein Vogel oder ein Flugzeug aus der Windscherung, also einem nicht konstanten Windfeld, Energie gewinnen kann. Hierbei versucht der Vogel oder der Pilot des Flugzeugs, die Flugbahn so zu wählen, dass der Energiegewinn (infolge der Windscherung) den Energieverlust (infolge des Strömungswiderstands) im zeitlichen Mittel übertrifft.
Unter Ausnutzung des Dynamischen Segelflugs können Albatrosse wenige Meter über dem Meer fliegend sehr weite Strecken zurücklegen.[1][2][3][4] Der Dynamische Segelflug wird auch von Segelflugmodell-Piloten praktiziert. Während der Albatros den Energiegewinn zur Fortbewegung ausnutzt, wird im Dynamischen Segelflug mit Segelflugmodellen der Energiegewinn ausgenutzt, um auf einer örtlich näherungsweise konstanten Bahn immer schneller zu fliegen.
Ein einfaches Modell, an dem sich das Funktionsprinzip des Dynamischen Segelflugs erklären lässt, besteht aus zwei Luftschichten mit unterschiedlicher Windgeschwindigkeit: Das Flugzeug fliegt darin zyklisch von einer Schicht in die andere und durchstößt wiederholt die Trennschicht zwischen den Luftschichten. Weiter unten wird dieses Zwei-Schichten-Modell genauer beschrieben, in Kürze: Beim Durchstoßen der Trennschicht bleibt die Geschwindigkeit über dem Boden wegen der Impulserhaltung konstant, es ändert sich aber jeweils die Geschwindigkeit gegenüber der Luft. Bei den Wenden bleibt die Geschwindigkeit in der Luft konstant, während die Grundgeschwingdigkeit ihr Vorzeichen wechselt. Im reibungsfreien Idealfall würde das Flugzeug mit jedem Zyklus das Doppelte der Geschwindigkeitsdifferenz der beiden Luftschichten an Geschwindigkeit gewinnen. Im Allgemeinen wird der Gewinn an kinetischer Energie (oder Höhe) jedoch durch Reibungsverluste deutlich geringer ausfallen.[5][6][7]
Der Energiegewinn des Flugzeugs lässt sich an einem Zwei-Schichten-Modell verdeutlichen.
Das Flugzeug erlebt zwei verschiedene Zustandsänderungen:
Dieser Prozess lässt sich nun wiederholen. Die kinetische Energie des Flugzeugs steigt dabei immer weiter an. Je nachdem, ob man die kinetische Energie in einem Inertialsystem (etwa „über Grund“) betrachtet oder jeweils gegenüber der lokalen Luft (siehe nächster Abschnitt), findet der Energiezuwachs in der (oberen) Kehre statt (elastischer Stoß) bzw. jeweils bei der plötzlichen Zunahme des Fahrtwindes beim Übergang in die andere Luftschicht.
Der Energiegewinn des Flugzeugs lässt sich auch durch Auswertung des Impulssatzes verdeutlichen.
Das Bezugssystem sei bis auf die Erdbeschleunigung frei von Scheinkräften. Es kann ein mit dem Erdboden verbundenes Koordinatensystem sein („über Grund“) oder eines, das sich mit der mittleren Geschwindigkeit des Windes konstant bewegt.
In einem solchen Bezugssystem seien $ \mathbf {v} $ der Geschwindigkeitsvektor des Flugzeugs und $ \mathbf {w} $ der Geschwindigkeitsvektor der Luft an dem Ort, an dem sich das Flugzeug jeweils gerade befindet, sodass $ \mathbf {u} =\mathbf {v} -\mathbf {w} $ die Airspeed ist. Die für den Effekt wesentliche zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit $ \mathbf {w} $, $ {\dot {\mathbf {w} }} $, enthält sowohl die tatsächliche zeitliche Änderung des Windfeldes als auch den meist dominierenden Beitrag der Richtungsableitung.
Auftrieb $ \mathbf {A} $ und Widerstand $ \mathbf {W} $ werden als spezifische Größen (Einheit N/kg) verwendet, also als Beschleunigungen wie die Erdbeschleunigung $ \mathbf {g} $, sodass sich die Masse des Flugzeugs herauskürzen lässt.
Der Widerstand ist definitionsgemäß parallel zur Anströmung $ \mathbf {-} u $ und der Auftrieb senkrecht dazu. Letzteres lässt sich mittels Skalarprodukt so ausdrücken:
Nach dem Impulssatz gilt
also
Um eine Energiebilanz zu gewinnen, wird die letzte Gleichung skalar mit $ \mathbf {u} $ multipliziert und $ \mathbf {A} \cdot \mathbf {u} =0\, $ eingesetzt. Es folgt
Einsetzen von v=w+u liefert
Wird der Betrag von $ \mathbf {g} $ mit g bezeichnet und die zu $ \mathbf {g} $ parallele Komponente der Geschwindigkeit als Änderungsrate der Höhe geschrieben, so ist $ \mathbf {g} \cdot \mathbf {v} =-g{\dot {h}}\,. $ Damit erhält man
Anwendung der Produktregel ergibt eine Bilanz der ‚spezifischen Energie gegenüber Luft‘
Ebenfalls nützlich ist die Darstellung
Die ‚spezifische Energie gegenüber Luft‘ ist die Summe aus ‚kinetischer Energie gegenüber Luft‘ und potentieller Energie. Diese Energie ist die für Segelflugzeuge (oder Vögel) bedeutende. Ein Überschuss an ‚kinetischer Energie gegenüber Luft‘ (zu hohe Geschwindigkeit gegenüber Luft) kann in Höhe umgewandelt werden und umgekehrt. Aus diesem Grund zeigen auch Variometer die Änderung genau dieser Energie an (bis auf den Faktor mg).
Die zeitliche Veränderung der ‚spezifischen Energie gegenüber Luft‘ wird durch die drei Terme auf der rechten Seite beeinflusst: Der erste Summand ist die spezifische Leistung aufgrund des Widerstands. Dieser Term ist immer negativ. Der mittlere Summand ist die spezifische Leistung aus Aufwind oder Abwind. Bei Aufwind ist $ -\mathbf {g} \cdot \mathbf {w} >0 $. Das heißt, Aufwinde erhöhen die Energie des Flugzeugs. Der rechte Summand ist die spezifische Leistung infolge der Windscherung. Er zeigt, dass Energiegewinn aus der Windscherung auf denjenigen Abschnitten der Flugbahn entsteht, wo die Windkomponente in Anströmrichtung −u zunimmt, d. h. dort wo $ -{\dot {\mathbf {w} }}\cdot \mathbf {u} >0 $.
An der letzten Gleichung erkennt man: Zeigt der Vektor der Gesamt-Luftkraft (Beschleunigung) in Richtung von w (der Windgeschwindigkeit gegenüber dem mittleren Wind), so erhöht dies die Energie 1/2 v·v + gh. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollten v und w als Geschwindigkeiten relativ zur mittleren Windgeschwindigkeit definiert sein.
Nicht bei jeder Flugbahn lässt sich Energie aus einem Windfeld gewinnen. Sondern bei gegebenem Windfeld und Flugzeug lassen sich Flugbahnen dahingehend vergleichen, wie groß der Energiegewinn (pro Zeit) ist.
Wenn ein horizontaler, richtungskonstanter, aber mit der Höhe zunehmender Wind weht, wie im obigen Bild dargestellt, eignet sich als Flugbahn z. B. ein geneigter Kreis, dessen tiefster Punkt gleichzeitig der am weitesten windabwärts liegende ist. Der obere Halbkreis kann ‚umgeklappt‘ werden, so dass sich ein Albatros oder Flugzeug auch quer zur Windrichtung fortbewegen kann.
Auch wenn der Wind vertikal weht und nicht konstant ist (wie z. B. in einem Aufwindfeld), kann das Flugzeug aus dieser Scherung Energie gewinnen: Wenn z. B. das Aufwindfeld in seinem Innern stark ist und zum Rand hin schwächer wird, ist es günstiger, ‚nach unten‘ in das Aufwindfeld einzufliegen und ‚nach oben‘ aus ihm herauszufliegen als umgekehrt.