Die Universitätssternwarte Göttingen ist eine historische Forschungseinrichtung und nach den Gründungen von Wien und Graz die dritte Universitätssternwarte des deutschen Sprachraums. Sie befindet sich in der Göttinger Geismar Landstraße und ist heute dem Fachbereich Physik der Universität Göttingen angegliedert.
Die Universität betreibt eine zweite Sternwarte auf dem Hainberg, 3-4 km nordöstlich des Göttinger Observatoriums.
Anlässlich eines Besuchs König Georg II. 1748 in Göttingen wurde Johann Andreas von Segner mit der Errichtung einer Sternwarte beauftragt. Diese erste Göttinger Sternwarte wurde 1750 in einem heute nicht mehr erhaltenen Turm der südlichen Stadtmauer eingerichtet, von wo aus man einen freien Blick nach Süden hatte. Das ehemalige Spritzenhaus im Apotheker-Garten in der Straße „Klein Paris“ (heute Turmstraße) wurde dann 1897 abgerissen. Das Observatorium nahm 1751 seinen Betrieb auf. Nach Segners Berufung nach Halle 1754 übernahm Tobias Mayer die Leitung der Sternwarte.
Die Einrichtung der Sternwarte – insbesondere also die Finanzierung von Gebäude, Personal und Instrumenten – sollte nach Vorstellung des Hannoverschen Königshauses zu Fortschritten der Kartografie führen. Das Militär verlangte nach besserem Kartenmaterial, die Militäringenieure nach topografischen Karten. Das königliche Interesse richtete sich also weniger auf die Astronomie an sich, als vielmehr auf die notwendigen astronomischen Vorarbeiten zur Erstellung guter Land- und Seekarten.
Das Hauptmessinstrument des alten Observatoriums war ein großer Mauerquadrant. Der Mauerquadrant ist ein Viertelkreis mit einem beweglichen Fernrohr, der an einer Mauer in Nord-Süd-Richtung angebracht ist. Er diente zur Messung der Höhe eines Sterns über dem Horizont und seiner Durchgangszeit durch den Südmeridian. Das Gerät aus dem Jahr 1756 stammt aus der Londoner Werkstatt von John Bird (1709–1776) und gilt als eines der besten Messinstrumente seiner Zeit. Tobias Mayer führte Messungen für seinen Sternenkatalog mit diesem Instrument durch, bei denen eine Ablesegenauigkeit von etwa zwei Bogensekunden erreichen konnte. Er fertigte auch Karten des Mondes an, wobei er den Mond erstmals in Längen- und Breitengrade einteilte. Nach Mayers Tod wurde 1764 Abraham Gotthelf Kästner mit der Leitung der Sternwarte beauftragt. Doch unter Kästner wurde die Sternwarte nur wenig genutzt; in Lichtenbergs Worten war sie „das ungenüzte Observatorium zu Göttingen“. Immerhin haben in dieser Zeit mit Johann Hieronymus Schroeter und Wilhelm Olbers aber zwei später anderenorts sehr erfolgreich wirkende Astronomen in Göttingen ihre Grundausbildung erfahren.
Der Mauerquadrant ist erhalten und im Institut für Astrophysik der Universität Göttingen ausgestellt, ebenso wie andere Geräte aus der historischen Sammlung des Instituts für Astrophysik wie ein Spiegelteleskop von Herschel. Es handelt sich hierbei um ein Geschenk König Georg III., das von Friedrich Wilhelm Herschel hergestellt und 1786 von ihm persönlich aufgestellt wurde. Es verfügt über einen Spiegel aus Speculummetall mit einem Durchmesser von 21,7 Zentimetern und einer Brennweite von 3 Metern.
1803 wurde mit dem Bau einer neuen Sternwarte außerhalb der Stadtmauer begonnen. Finanziert wurde der Bau von dem englisch-Hannoverschen König Georg III., Baumeister war Georg-Heinrich Borheck. Infolge der napoleonischen Kriege konnte das Gebäude jedoch erst 1816 unter dem Baurat Justus-Heinrich Müller fertiggestellt werden. Der Bau war im klassizistischen Stil gehalten und verfügte über eine Kuppel, die jedoch nicht zu Beobachtungszwecken diente, sondern nur ein architektonisches Stilmittel war. Erster Direktor der Sternwarte wurde Carl Friedrich Gauß.
Im Jahr 1819 wurde in der Sternwarte ein Meridiankreis eingerichtet. Dafür wurden einige Kilometer nördlich und südlich der Sternwarte zwei sogenannte Meridianzeichen (Miren) aufgestellt[1]. Mit diesen von der Sternwarte aus sichtbaren Markierungen konnte der Meridiankreis ausgerichtet werden.
An der Sternwarte erarbeitete Karl Ludwig Harding, der bis zu seinem Tode im Ostflügel des Gebäudes wohnte, seinen 1822 erschienenen Sternatlas Atlas novus coelestis. Außerdem erstellte er zwei Blätter für die Berliner Akademischen Sternkarten, ein von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften durchgeführtes internationales Projekt. Weiterhin befasste sich Harding mit der Untersuchung von veränderlichen Sternen und Gasnebeln und Kometen, von denen er mehrere entdeckte.
1833 richteten Gauß und Wilhelm Weber die erste Telegrafenverbindung der Welt ein, indem sie die Sternwarte mit dem Physikalischen Kabinett im Papendiek im Zentrum der Göttinger Innenstadt verbanden.
Nach Gauß' Tod im Jahre 1855 übernahm Ernst Wilhelm Klinkerfues die Leitung der Sternwarte. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit der Bestimmung von Sternpositionen und der Meteorologie. Klinkerfues' Nachfolger wurde Wilhelm Schur.
1885 wurde die „Zierkuppel“ durch eine Beobachtungskuppel ersetzt, in der ein Refraktor mit 15 cm Öffnung aufgestellt wurde. Für ein größeres Instrument wäre ein tief fundierter Teleskop-Pfeiler notwendig gewesen. Die Kuppel wurde 2008 renoviert.
Ab 1901 arbeitete Karl Schwarzschild, einer der Begründer der modernen Astrophysik, an der Sternwarte. 1909 wechselte er zum Astrophysikalische Institut Potsdam.
In den 1920er und 1930er Jahren bauten Johannes Franz Hartmann, Hans Kienle, und Paul ten Bruggencate den Bereich Astrophysik in Göttingen weiter aus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Hans-Heinrich Voigt, Rudolf Kippenhahn und Egon-Horst Schröter in Göttingen tätig. 1960 wurde ein Sonnenteleskop in Locarno-Orselina im Tessin in Betrieb genommen. 1985 wurde es in das Observatorio del Teide nach Teneriffa verlegt.
1929 wurde unter der Leitung von Hans Kienle aufgrund der besseren Beobachtungsbedingungen auf dem Hainberg eine zweite Sternwarte in Betrieb genommen. Sie liegt auf 9° 58′ 30″ Grad östlicher Länge und 51° 31′ 32″ nördlicher Breite, 347 m über Normalnull.
Kernstück der Anlage ist ein Astrograf mit einem Cooke-Triplet-Objektiv von 34 cm Öffnung und 412 cm Brennweite, der für die Beobachtung einer totalen Sonnenfinsternis vom 29. Juni 1927 beschafft wurde. Das Objektiv wurde aus speziellen, noch im nahen Ultraviolett durchlässigen, hochreinen Gläsern hergestellt. Zur Beobachtung der Finsternis wurde das etwa 4 Tonnen schwere Gerät nach Nordschweden gebracht und anschließend auf dem Hainberg aufgebaut.
Mit Hilfe eines Objektivprismas, das nicht mehr erhalten ist, wurde das Flashspektrum der Sonne aufgenommen, also die Emissionslinien der Chromosphäre, die im Moment der vollständigen Bedeckung der Sonnenscheibe durch den Mond beobachtet werden können. Ein Leitrohr mit einem Fraunhofer-Objektiv von 25 cm Öffnung und gleicher Brennweite sowie eine größere Montierung komplettierten später das Gerät.
In den Jahren 1935 bis 1937 wurde bei Zeiss in Jena eine Schmidtkamera von 36 cm Öffnung und 2 m Brennweite nach einem Entwurf des 1935 plötzlich verstorbenen Astrooptikers Bernhard Schmidt fertiggestellt und in Göttingen montiert.
Das Gebäude besitzt eine Beobachtungskuppel von 8 m Durchmesser und eine Hebebühne mit 2 t Traglast, die momentan defekt ist.
Seit Anfang 2009 ist die Amateurastronomische Vereinigung Göttingen Eigentümerin des Hainberg-Observatoriums. In regelmäßigen Abständen finden dort Führungen für die interessierte Öffentlichkeit statt.
Aktuell haben zwei Graduiertenschulen und das LichtenbergKolleg der Georgia Augusta hier ihren Standort. In
wird die Doktorandenausbildung der Universität in strukturierten Programmen zusammengeführt. In diesem Rahmen wird in der historischen Sternwarte durch das LichtenbergKolleg zudem ein internationales Forum für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften entstehen, das konzentriertes Forschen und fächerübergreifende Kooperationen ermöglicht.
Die Göttinger Gauß Kuppel Gemeinschaft e.V.[2] hat es sich seit 2005 zur Aufgabe gemacht, dass die Sternwarten-Kuppel in der Zukunft wieder gedreht und geöffnet werden kann. Für die Wiederherstellung der aus dem Jahr 1886 stammenden Kuppel, die sich bei der nahen Detonation einer Luftmine im Zweiten Weltkrieg verzog und seither nicht mehr gedreht und geöffnet werden kann, werden voraussichtlich 200.000 Euro an Spendengeldern benötigt. Spender, die mehr als 2500 Euro spenden, bekamen eine auf 99 Exemplare limitierte Gauß-Bronze-Statue, gefertigt vom Göttinger Natursteinbetrieb Bachmann & Wille GmbH, überreicht.[3] Seit dem 25. Juli 2008 lässt sich die Kuppel wieder drehen und öffnen.[4]
Koordinaten: 51° 31′ 42,5″ N, 9° 56′ 35,1″ O