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== Materialverhalten == | == Materialverhalten == | ||
[[Datei:Reologie model k.svg| | [[Datei:Reologie model k.svg|mini|hochkant=0.7|''Kelvin''-Körper]] | ||
[[Datei:Reologie model m.svg| | [[Datei:Reologie model m.svg|mini|hochkant=0.3|''Maxwell''-Körper]] | ||
{{Siehe auch|Rheologisches Modell#Viskoelastizität|titel1=Abschnitt Viskoelastizität im Artikel Rheologisches Modell}} | {{Siehe auch|Rheologisches Modell#Viskoelastizität|titel1=Abschnitt Viskoelastizität im Artikel Rheologisches Modell}} | ||
* Der elastische Anteil bewirkt grundsätzlich eine spontane, begrenzte, [[Reversibler Prozess|reversible]] [[Verformung]], | |||
* während der viskose Anteil grundsätzlich eine zeitabhängige, unbegrenzte, [[Irreversibler Prozess|irreversible]] Verformung bewirkt. | |||
Viskoser und elastischer Anteil sind bei verschiedenen viskoelastischen Materialien jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt, auch die Art des Zusammenwirkens differiert. | |||
In der [[Rheologie]] wird elastisches Verhalten durch eine [[Feder (Technik)|Feder]], das ''Hooke''-Element, und viskoses Verhalten durch einen [[Dämpfung]]szylinder, das ''Newton''-Element, dargestellt. Viskoelastisches Verhalten kann durch die Kombination zweier oder mehrerer dieser Elemente modelliert werden. | |||
Die einfachsten viskoelastischen Modelle sind: | |||
* der ''Kelvin''-Körper. Bei ihm sind Feder und Dämpfungszylinder ''parallel'' geschaltet. Bei [[Belastung (Physik)|Belastung]], z. B. durch [[Dehnung]], wird die Verformung durch den Dämpfungszylinder gebremst und durch die Feder in ihrem Ausmaß begrenzt. Nach einer Entlastung geht der Körper bedingt durch das ''Hooke''-Element wieder in seine Ausgangsposition zurück. Der ''Kelvin''-Körper verformt sich also zeitabhängig wie eine Flüssigkeit, aber begrenzt und reversibel wie ein Festkörper. | |||
* der ''Maxwell''-Körper. Er ergibt sich aus der ''Reihenschaltung'' von Hooke- und Newton-Element. Bei Belastung verformt sich die Feder sofort, danach beginnt die zeitabhängige und unbegrenzte viskose Verformung. Nach Entlastung bewegt sich nur die Feder zurück, der viskose Anteil bleibt bestehen. Es liegt also eine zeitabhängige, unbegrenzte, irreversible Verformung wie bei einer Flüssigkeit vor, allerdings gibt es auch einen zeitunabhängigen und reversiblen spontanelastischen Anteil wie bei einem Festkörper. | |||
Komplexere Modelle viskoelastischen Verhaltens sind das ''Zener''<sub>m</sub>-, ''Zener''<sub>k</sub>-, ''Lethersich''-, ''Jeffreys''- und ''Burgers''-Modell. | |||
Zur quantitativen Beschreibung dienen außerdem der [[Komplexer Schubmodul|komplexe Schubmodul]] und der [[Komplexer Elastizitätsmodul|komplexe Elastizitätsmodul]]. | |||
== Übergang zwischen viskosem und festem Stoffverhalten == | |||
Alle Flüssigkeiten und Feststoffe können wie viskoelastische Materialien betrachtet werden, indem ihr [[Komplexer Schubmodul|Speicher- und Verlustmodul]], <math>G'</math> und <math>G''</math>, bzw. ihr [[Verlustfaktor]] <math>\tan \delta = G''/G'</math> angegeben werden. | |||
Bei ideal-viskosen Flüssigkeiten ([[newtonsches Fluid]]) ist der Speichermodul sehr klein gegenüber dem Verlustmodul, bei ideal-elastischen Festkörpern dagegen, die dem [[Hookesches Gesetz|hookeschen Gesetz]] gehorchen, ist der Verlustmodul sehr klein gegenüber dem Speichermodul. | |||
Viskoelastische Materialien weisen sowohl einen messbaren Speichermodul als auch einen messbaren Verlustmodul auf. Falls der Speichermodul größer ist als der Verlustmodul, spricht man von Feststoffen, andernfalls von Flüssigkeiten. | Viskoelastische Materialien weisen sowohl einen messbaren Speichermodul als auch einen messbaren Verlustmodul auf. Falls der Speichermodul größer ist als der Verlustmodul, spricht man von Feststoffen, andernfalls von Flüssigkeiten. | ||
{| class="wikitable" | {| class="wikitable" style="text-align:center" | ||
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! colspan="2" | Flüssigkeiten | ! colspan="2"| Flüssigkeiten | ||
! Sol-Gel-Übergang | ! Sol-Gel-Übergang | ||
! colspan="2" | Feststoffe | ! colspan="2"| Feststoffe | ||
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| | | style="text-align:left"| Materialverhalten | ||
| ideal-viskos | |||
| colspan="3 | | colspan="3" | viskoelastisch | ||
| ideal-elastisch | |||
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| Speicher- und Verlustmodul | | style="text-align:left"| Speicher- und Verlustmodul | ||
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| <math>G'' < G'</math> | |||
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| | | style="text-align:left"| Verlustfaktor | ||
| <math>\tan \delta \gg 1</math> | |||
| <math>\tan \delta > 1</math> | |||
| <math>\tan \delta = 1</math> | |||
| <math>\tan \delta < 1</math> | |||
| <math>\tan \delta \ll 1</math> | |||
|- | |- | ||
| Stoffgesetz | | style="text-align:left"| Stoffgesetz | ||
| <math>\tau = \eta \cdot \dot\gamma</math> | | <math>\tau = \eta \cdot \dot\gamma</math> | ||
| colspan="3 | | colspan="3" | <math>\tau = f(G',G'',\gamma,\dot\gamma)</math> | ||
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In der letzten Zeile bedeuten <math>\tau</math> die Scherspannung, <math>\gamma</math> die Scherung und <math>\dot\gamma</math> ihre zeitliche Änderung (siehe Skizze unter [[komplexer Schubmodul]]). Die Viskosität <math>\eta</math> hängt mit dem Imaginärteil <math>G''</math> und der Elastizitätsmodul <math>E</math> mit dem Realteil <math>G'</math> des komplexen Schubmoduls zusammen. | |||
== Ursachen == | == Ursachen == | ||
=== Bei Polymeren === | |||
Die Viskoelastizität von Polymeren beruht auf einer verzögerten Gleichgewichtseinstellung der [[Makromolekül]]e zueinander bei oder nach mechanischer Belastung. Der Anteil der jeweiligen [[Dehnung]]skomponenten an der Gesamtdehnung wird bestimmt durch Sekundärbindungen ([[Dipol-Dipol-Kräfte|Dipol-]], [[Wasserstoffbrücken-Bindung|Wasserstoffbrücken-]] sowie [[Van-der-Waals-Kräfte|Van-der-Waals-Bindung]]) und Molekülverhakungen. Die zeitabhängige Dehnungskomponente wird bestimmt durch Streck-, Entknäuelungs- und Entschlaufungsvorgänge. | |||
Das reversible elastische Verhalten wird durch die [[Entropie-Elastizität]] bedingt. Je nach Temperatur, [[Beanspruchung]]s<nowiki />dauer und -geschwindigkeit kommt es zu [[Irreversibler Prozess|irreversiblen]] viskosen Molekülabgleitungen. | |||
Das reversible elastische Verhalten wird durch die [[Entropie-Elastizität]] bedingt. Je nach Temperatur, | |||
In | === Bei Metallen und Keramiken === | ||
In [[kristallin]]en Festkörpern wie [[Metalle]]n oder [[Keramik]]en sind überwiegend [[Gitterfehler|Defekte]] wie [[Zwischengitteratom]]e oder [[Versetzung (Materialwissenschaft)|Versetzungen]] für eine verzögerte Dehnung und damit für viskoelastisches Verhalten verantwortlich. Meist sind die Abweichungen von der idealen Elastizität hier deutlich kleiner als bei Kunststoffen. | |||
== Viskoelastische Experimente == | == Viskoelastische Experimente == | ||
* Der [[Schwingungsrheometrie|Oszillationsversuch]]: Messung von Spannung und Dehnung bei [[Sinus und Kosinus|sinus]]<nowiki />förmiger Belastung. | |||
* Der [[Schwingungsrheometrie|Oszillationsversuch]]: Messung von Spannung und Dehnung bei | |||
* Der [[Kriechversuch]] (Retardation): Messung der zeitlich veränderlichen Dehnung bei konstanter Spannung. | * Der [[Kriechversuch]] (Retardation): Messung der zeitlich veränderlichen Dehnung bei konstanter Spannung. | ||
* Die [[Spannungsrelaxation]]: Messung der zeitlich veränderlichen Spannung bei / nach sprunghafter Dehnung. | * Die [[Spannungsrelaxation]]: Messung der zeitlich veränderlichen Spannung bei / nach sprunghafter Dehnung. | ||
== Siehe auch == | == Siehe auch == | ||
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* [[Dynamisch-mechanische Analyse]] | * [[Dynamisch-mechanische Analyse]] | ||
* [[Anomale Diffusion]] | * [[Anomale Diffusion]] | ||
* [[Weissenberg-Zahl]] | |||
* [[Strukturviskosität]] | |||
== Literatur == | |||
*{{RömppOnline|Name=Viskoelastizität|Abruf=2011-12-07|ID=RD-22-00917}} | |||
*{{Literatur | |||
|Autor=M.S. Blanter, I.S. Golovin, H. Neuhäuser, H.-R. Sinning | |||
|Titel=Internal friction in metallic materials: a handbook | |||
|Auflage=1 | |||
|Verlag=Springer | |||
|Ort= | |||
|Datum=2007 | |||
|ISBN=978-3-540-68757-3}} | |||
{{SORTIERUNG:Viskoelastizitat}} | {{SORTIERUNG:Viskoelastizitat}} | ||
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[[Kategorie:Rheologie]] | [[Kategorie:Rheologie]] | ||
[[Kategorie:Werkstoffeigenschaft]] | [[Kategorie:Werkstoffeigenschaft]] | ||
[[Kategorie:Nichtnewtonsches Fluid]] |
Als Viskoelastizität bezeichnet man ein teilweise elastisches, teilweise viskoses Materialverhalten. Viskoelastische Stoffe vereinigen also Merkmale von Festkörpern und Flüssigkeiten in sich. Der Effekt ist zeit-, temperatur- und frequenzabhängig und tritt bei polymeren Schmelzen und Festkörpern wie z. B. Kunststoffen, aber auch bei anderen Materialien auf.
Viskoser und elastischer Anteil sind bei verschiedenen viskoelastischen Materialien jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt, auch die Art des Zusammenwirkens differiert.
In der Rheologie wird elastisches Verhalten durch eine Feder, das Hooke-Element, und viskoses Verhalten durch einen Dämpfungszylinder, das Newton-Element, dargestellt. Viskoelastisches Verhalten kann durch die Kombination zweier oder mehrerer dieser Elemente modelliert werden.
Die einfachsten viskoelastischen Modelle sind:
Komplexere Modelle viskoelastischen Verhaltens sind das Zenerm-, Zenerk-, Lethersich-, Jeffreys- und Burgers-Modell.
Zur quantitativen Beschreibung dienen außerdem der komplexe Schubmodul und der komplexe Elastizitätsmodul.
Alle Flüssigkeiten und Feststoffe können wie viskoelastische Materialien betrachtet werden, indem ihr Speicher- und Verlustmodul, $ G' $ und $ G'' $, bzw. ihr Verlustfaktor $ \tan \delta =G''/G' $ angegeben werden.
Bei ideal-viskosen Flüssigkeiten (newtonsches Fluid) ist der Speichermodul sehr klein gegenüber dem Verlustmodul, bei ideal-elastischen Festkörpern dagegen, die dem hookeschen Gesetz gehorchen, ist der Verlustmodul sehr klein gegenüber dem Speichermodul.
Viskoelastische Materialien weisen sowohl einen messbaren Speichermodul als auch einen messbaren Verlustmodul auf. Falls der Speichermodul größer ist als der Verlustmodul, spricht man von Feststoffen, andernfalls von Flüssigkeiten.
Flüssigkeiten | Sol-Gel-Übergang | Feststoffe | |||
---|---|---|---|---|---|
Materialverhalten | ideal-viskos | viskoelastisch | ideal-elastisch | ||
Speicher- und Verlustmodul | $ G''\gg G' $ | $ G''>G' $ | $ G''=G' $ | $ G''<G' $ | $ G''\ll G' $ |
Verlustfaktor | $ \tan \delta \gg 1 $ | $ \tan \delta >1 $ | $ \tan \delta =1 $ | $ \tan \delta <1 $ | $ \tan \delta \ll 1 $ |
Stoffgesetz | $ \tau =\eta \cdot {\dot {\gamma }} $ | $ \tau =f(G',G'',\gamma ,{\dot {\gamma }}) $ | $ \tau =G\cdot \gamma $ |
In der letzten Zeile bedeuten $ \tau $ die Scherspannung, $ \gamma $ die Scherung und $ {\dot {\gamma }} $ ihre zeitliche Änderung (siehe Skizze unter komplexer Schubmodul). Die Viskosität $ \eta $ hängt mit dem Imaginärteil $ G'' $ und der Elastizitätsmodul $ E $ mit dem Realteil $ G' $ des komplexen Schubmoduls zusammen.
Die Viskoelastizität von Polymeren beruht auf einer verzögerten Gleichgewichtseinstellung der Makromoleküle zueinander bei oder nach mechanischer Belastung. Der Anteil der jeweiligen Dehnungskomponenten an der Gesamtdehnung wird bestimmt durch Sekundärbindungen (Dipol-, Wasserstoffbrücken- sowie Van-der-Waals-Bindung) und Molekülverhakungen. Die zeitabhängige Dehnungskomponente wird bestimmt durch Streck-, Entknäuelungs- und Entschlaufungsvorgänge.
Das reversible elastische Verhalten wird durch die Entropie-Elastizität bedingt. Je nach Temperatur, Beanspruchungsdauer und -geschwindigkeit kommt es zu irreversiblen viskosen Molekülabgleitungen.
In kristallinen Festkörpern wie Metallen oder Keramiken sind überwiegend Defekte wie Zwischengitteratome oder Versetzungen für eine verzögerte Dehnung und damit für viskoelastisches Verhalten verantwortlich. Meist sind die Abweichungen von der idealen Elastizität hier deutlich kleiner als bei Kunststoffen.