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Mit dem '''Gesetz von Hagen-Poiseuille''' [{{IPA|poaː'zœj}}]<ref name="aussprache">[ | Mit dem '''Gesetz von Hagen-Poiseuille''' [{{IPA|poaː'zœj}}]<ref name="aussprache">[https://de.forvo.com/word/poiseuille/ Aussprache von Poiseuille: Wie man Poiseuille auf Französisch ausspricht]</ref> (nach [[Gotthilf Heinrich Ludwig Hagen]], 1797–1884 und [[Jean Léonard Marie Poiseuille]], 1797–1869) wird der [[Volumenstrom]] <math>\dot V</math> – d. h. das geflossene [[Volumen]] ''V'' pro Zeiteinheit – bei einer [[Laminare Strömung|laminaren stationären Strömung]] eines [[Homogenität|homogenen]] [[Newtonsches Fluid|Newton’schen Fluids]] durch ein Rohr ([[Kapillare]]) mit dem [[Radius]] <math>r</math> und der [[Länge (Physik)|Länge]] <math>l</math> beschrieben. | ||
== Formulierung == | == Formulierung == | ||
Das Gesetz lautet | Das Gesetz lautet | ||
: <math>\dot V=\frac{dV}{dt} = \frac{\pi \cdot r^4}{8 \cdot \eta}\frac{\Delta p}{l} = -\frac{\pi \cdot r^4}{8 \cdot \eta}\frac{\partial p}{\partial | : <math>\dot V=\frac{dV}{dt} = \frac{\pi \cdot r^4}{8 \cdot \eta}\frac{\Delta p}{l} = -\frac{\pi \cdot r^4}{8 \cdot \eta}\frac{\partial p}{\partial x}</math> | ||
oder als Vektor: | |||
: <math>\dot \mathbf{V} = -\frac{\pi \cdot r^4}{8 \cdot \eta}\frac{\partial p}{\partial \mathbf{x}}</math> | |||
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! Variable | ! Variable || Bedeutung || SI-Einheit | ||
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| <math>\dot V</math> || Volumenstrom durch das Rohr || < | | <math>\dot V</math> || Volumenstrom durch das Rohr || m<sup>3</sup>·s<sup>−1</sup> | ||
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| <math> | | <math>\dot \mathbf{V}</math> || Volumenstromvektor || m<sup>3</sup>·s<sup>−1</sup> | ||
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| <math> | | <math>r</math> || Innenradius des Rohres || m | ||
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| <math>\ | | <math>\eta</math> || dynamische Viskosität der strömenden Flüssigkeit || Pa·s | ||
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| <math>\Delta</math> || Mathematischer Operator für die Differenz einer Größe über die Länge <math>l</math> || - | |||
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[[Datei:Hagen Poisseuille Flow.jpg|alternativtext=|mini|Laminares Strömungsprofil ]] | |||
Dieses Gesetz folgt direkt aus dem stationären, parabolischen [[Strömungsprofil]] durch ein Rohr, das aus den [[Navier-Stokes-Gleichungen]] hergeleitet werden kann – oder direkt aus der Definition der [[Viskosität]], siehe unten. Bemerkenswert ist die Abhängigkeit des Volumendurchflusses von der vierten Potenz des Radius des Rohres. Dadurch hängt der Strömungswiderstand sehr stark vom Radius des Rohres ab, so würde beispielsweise eine Verringerung des Rohrdurchmessers auf die Hälfte den Strömungswiderstand auf das 16fache erhöhen. | |||
[[ | Das Gesetz gilt nur für laminare Strömungen. Bei größerem Durchfluss einer Rohrleitung, verbunden mit höheren Strömungsgeschwindigkeiten bzw. größeren Abmessungen, kommt es zu turbulenten Strömungen mit wesentlich höherem Strömungswiderstand als nach Hagen-Poiseuille zu erwarten wäre. Die konkreten Verhältnisse turbulenter Strömungen werden u. a. mit den Formeln von [[Heinrich Blasius|Blasius]], [[Johann Nikuradse|Nikuradse]] bzw. [[Ludwig Prandtl|Prandtl]]-[[Cyril Frank Colebrook|Colebrook]] beschrieben. | ||
Das Gesetz gilt nur | Das Gesetz von Hagen-Poiseuille gilt grundsätzlich nur bei vollständig ausgebildetem hydrodynamischen Strömungsprofil (parabolisches Geschwindigkeitsprofil). Strömt bspw. Flüssigkeit aus einem Tank über ein Rohr aus, dann muss das Rohr hinreichend lang sein, damit das Gesetz von Hagen-Poiseuille gültig ist. Im ''Anlauf'' der Strömung muss das parabolische Strömungsprofil unter zusätzlichem Druckverlust ("Energieaufwand") nämlich erst ausgebildet werden. Die Druckdifferenz in der oberen Formel für den Volumenstrom bezieht sich deshalb auf die Druckdifferenz einer vollständig ausgebildeten Strömung.<ref>{{Internetquelle |autor=tec-science |url=https://www.tec-science.com/de/mechanik/gase-und-fluessigkeiten/energetische-betrachtung-des-hagen-poiseuille-gesetz/ |titel=Energetische Betrachtung des Hagen-Poiseuille-Gesetzes |werk=tec-science |datum=2020-04-02 |abruf=2020-05-07 |sprache=de-DE}}</ref> | ||
In sehr dünnen Röhren, in denen die [[Fluiddynamische Grenzschicht|Grenzschicht]] maßgeblich das Strömungsprofil beeinflusst und nicht sehr klein gegenüber dem Radius ist, lässt sich dieses stark vereinfachte mathematische Modell der Strömung ebenfalls nicht anwenden. | In sehr dünnen Röhren, in denen die [[Fluiddynamische Grenzschicht|Grenzschicht]] maßgeblich das Strömungsprofil beeinflusst und nicht sehr klein gegenüber dem Radius ist, lässt sich dieses stark vereinfachte mathematische Modell der Strömung ebenfalls nicht anwenden. | ||
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== Herleitung == | == Herleitung == | ||
Hier ist die Überlegung, aus der das Hagen-Poiseuille-Gesetz und das ihr zugrundeliegende Strömungsprofil folgt: | Hier ist die Überlegung, aus der das Hagen-Poiseuille-Gesetz und das ihr zugrundeliegende Strömungsprofil folgt: | ||
Bezeichne <math>v(s)</math> die Strömungsgeschwindigkeit an der Stelle <math>s</math> eines kreisförmigen Rohres mit Radius <math>R</math>. Betrachten wir einen Hohlzylinder der Länge <math>l</math> und der Wanddicke <math>ds</math> zwischen den Radien <math>s</math> und <math>s^+ = s+ds</math>. Der Zylinder solle sich im Gleichgewichtszustand befinden, also keine Beschleunigung erfahren, daher ist die Summe aller auf die Flächen wirkenden Kräfte gleich null. Aus der [[Newtonsches Reibungsgesetz|Reibung]] auf die Außen- bzw. Innenfläche <math>A^+</math> bzw. <math>A</math> mit dem [[ | Bezeichne <math>v(s)</math> die Strömungsgeschwindigkeit an der Stelle <math>s</math> eines kreisförmigen Rohres mit Radius <math>R</math>. Betrachten wir einen Hohlzylinder der Länge <math>l</math> und der Wanddicke <math>ds</math> zwischen den Radien <math>s</math> und <math>s^+ = s+ds</math>. Der Zylinder solle sich im Gleichgewichtszustand befinden, also keine Beschleunigung erfahren, daher ist die Summe aller auf die Flächen wirkenden Kräfte gleich null. Aus der [[Newtonsches Reibungsgesetz|Reibung]] auf die Außen- bzw. Innenfläche <math>A^+</math> bzw. <math>A</math> mit dem [[Viskosität|dynamische Viskosität]] <math>\eta</math> sowie der Druckdifferenz <math>\Delta p</math> auf die Hohlzylinder-Grundfläche <math>dA = 2\pi \,s\,ds</math> ergibt sich die Kraftgleichung: | ||
<math>\ | : <math>\eta (A^+ dv^+ -A\,dv)/ds + dA \Delta p = 0</math>. | ||
Dabei ist <math>\ | Dabei ist <math>\eta A^+ dv^+/ds</math> die Reibung mit dem nach außen benachbarten Strömungszylinder, der den Radius <math>s+ds</math> hat. | ||
Die Geschwindigkeitsdifferenz <math>\frac{dv^+}{ds} = \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds}</math> verteilt sich auf die Schichtdicke <math>ds</math> und wirkt entlang der Außenfläche <math>A^+ = 2\pi s^+ l</math>. | Die Geschwindigkeitsdifferenz <math>\frac{dv^+}{ds} = \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds}</math> verteilt sich auf die Schichtdicke <math>ds</math> und wirkt entlang der Außenfläche <math>A^+ = 2\pi s^+ l</math>. | ||
Analog gilt dies für die Reibung an der Innenfläche mit dem nach innen benachbarten Strömungszylinder. | Analog gilt dies für die Reibung an der Innenfläche mit dem nach innen benachbarten Strömungszylinder. | ||
Im Grenzübergang <math>ds \to 0</math> ergibt sich eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für <math>v(s)</math>:<br /> | Im Grenzübergang <math>ds \to 0</math> ergibt sich eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für <math>v(s)</math>:<br /> | ||
<math>\begin{align} | : <math>\begin{align} | ||
2\pi\,l\,\left(s+ds\right) \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds} - 2\pi\,l\,s\,\frac{dv}{ds}\vert_{s} + \frac{2\pi\,s\,ds\,\Delta p}{\ | 2\pi\,l\,\left(s+ds\right) \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds} - 2\pi\,l\,s\,\frac{dv}{ds}\vert_{s} + \frac{2\pi\,s\,ds\,\Delta p}{\eta} &= 0 \\ | ||
\left(s+ds\right) \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds} - s\,\frac{dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\ | \left(s+ds\right) \frac{dv}{ds}\vert_{s+ds} - s\,\frac{dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\eta\, l} &= 0\\ | ||
s\,\frac{dv}{ds}+s\,\frac{d^2v}{ds^2}\,ds+\frac{ds\,dv}{ds} + \mathcal O \left(ds^2\right) - s\,\frac{dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\ | s\,\frac{dv}{ds}+s\,\frac{d^2v}{ds^2}\,ds+\frac{ds\,dv}{ds} + \mathcal O \left(ds^2\right) - s\,\frac{dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\eta\, l} &= 0\\ | ||
s\,\frac{d^2v}{ds^2}\,ds+\frac{ds\,dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\ | s\,\frac{d^2v}{ds^2}\,ds+\frac{ds\,dv}{ds} + \frac{s\,ds\,\Delta p}{\eta\, l} &= 0 \\ | ||
\frac{d^2v}{ds^2}+\frac{dv}{s\, ds} + \frac{\Delta p}{\ | \frac{d^2v}{ds^2}+\frac{dv}{s\, ds} + \frac{\Delta p}{\eta\, l} &= 0 \\ | ||
\end{align}</math><br /> | \end{align}</math><br /> | ||
Die Lösung muss die Randbedingung <math>v(R) = 0</math> erfüllen und ist dadurch eindeutig bestimmt: | Die Lösung muss die Randbedingung <math>v(R) = 0</math> ([[Haftbedingung]]) erfüllen und ist dadurch eindeutig bestimmt: | ||
<math>v(s) = \frac{\Delta p}{4 \ | : <math>v(s) = \frac{\Delta p}{4 \eta\, l} \,(R^2 - s^2)</math>. | ||
Dies ist genau das genannte quadratische Strömungsprofil. Durch Integration folgt dann das Gesetz von Hagen-Poiseuille: | Dies ist genau das genannte quadratische Strömungsprofil. Durch Integration folgt dann das Gesetz von Hagen-Poiseuille: | ||
<math>\dot{V} = \int_0^{2\pi} \int_0^R v(s) s\,ds\,d\varphi = \frac{\pi R^4}{8\ | : <math>\dot{V} = \int_0^{2\pi} \int_0^R v(s) s\,ds\,d\varphi = \frac{\pi R^4}{8\eta} \frac{\Delta p}{l}</math>. | ||
Alternative Herleitung über das [[Spatprodukt]]: | |||
: I) <math>\overrightarrow{s} = \begin{pmatrix} R\,x\cos(\varphi) \\ R\,x\sin(\varphi) \\ 0 \end{pmatrix} </math> | |||
:II) <math>\overrightarrow{v} = \frac{\Delta p}{4 \eta\, l} \,(R^2 - |\overrightarrow{s}|^2) \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}</math> | |||
:III) <math>\dot{V} = \int_0^{2\pi} \int_0^1 {\partial\over\partial{x}}\overrightarrow{s}\times{\partial\over\partial{\varphi}}\overrightarrow{s}\bigcirc\overrightarrow{v} \,dx\,d\varphi</math> | |||
Durch Einsetzen von I in II folgt: | |||
: IV) <math>\overrightarrow{v} = \frac{\Delta p}{4 \eta\, l} \,(R^2 - R^2x^2) \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}</math> | |||
Durch Einsetzen von I, II und IV in III folgt: | |||
:V) <math>\dot{V} = \int_0^{2\pi} \int_0^1 {\partial\over\partial{x}}\begin{pmatrix} R\,x\cos(\varphi) \\ R\,x\sin(\varphi) \\ 0 \end{pmatrix}\times{\partial\over\partial{\varphi}}\begin{pmatrix} R\,x\cos(\varphi) \\ R\,x\sin(\varphi) \\ 0 \end{pmatrix}\bigcirc\left[\frac{\Delta p}{4 \eta\, l} \,(R^2 - R^2x^2) \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}\right] \,dx\,d\varphi = </math> | |||
:<math>= \int_0^{2\pi} \int_0^1 \frac{\Delta p}{4 \eta\, l}(R^2 - R^2x^2)\left[\begin{pmatrix} R\cos(\varphi) \\ R\sin(\varphi) \\ 0 \end{pmatrix}\times\begin{pmatrix} -R\,x\sin(\varphi) \\ R\,x\cos(\varphi) \\ 0 \end{pmatrix}\bigcirc \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}\right] \,dx\,d\varphi = </math> | |||
:<math>= \int_0^{2\pi} \int_0^1 \frac{\Delta p}{4 \eta\, l} R^2x(R^2 - R^2x^2) \,dx\,d\varphi = \int_0^{2\pi} \frac{\Delta p R^4}{16 \eta\, l}\,d\varphi = \frac{\pi \Delta p R^4}{8 \eta\, l} </math> | |||
== Nicht kreisförmige Kanalquerschnitte == | == Nicht kreisförmige Kanalquerschnitte == | ||
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Für elliptische Querschnitte ergibt sich | Für elliptische Querschnitte ergibt sich | ||
: <math> \dot V = \frac{\pi}{ | : <math> \dot V = \frac{\pi}{4\eta} \cdot \frac{a^3 \cdot b^3}{a^2 + b^2} \cdot \frac{\Delta p}{l}\,,</math> | ||
wobei <math>a</math> und <math>b</math> | wobei <math>a</math> und <math>b</math> die beiden [[Halbachsen der Ellipse]] repräsentieren. | ||
Man beachte den Spezialfall <math>a=b=r</math>, | Man beachte den Spezialfall <math>a=b=r</math>, | ||
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== Anwendungen == | == Anwendungen == | ||
Im Gültigkeitsbereich des Gesetzes bewirkt etwa die Verengung eines runden Leitungsradius um 10 % einen Durchsatzrückgang um | Im Gültigkeitsbereich des Gesetzes bewirkt etwa die Verengung eines runden Leitungsradius um 10 % einen Durchsatzrückgang um 1 − 0,9<sup>4</sup> = 34 %. Um den ursprünglichen Durchfluss bei verkleinertem Radius wieder zu erreichen, muss somit die Druckdifferenz um über 52 % steigen. | ||
Außerdem bildet das Gesetz von Hagen-Poiseuille die Grundlage einer Vielzahl von Modellgleichungen bei der Durchströmung von [[Schüttgut|Schüttgütern]]. | Außerdem bildet das Gesetz von Hagen-Poiseuille die Grundlage einer Vielzahl von Modellgleichungen bei der Durchströmung von [[Schüttgut|Schüttgütern]]. | ||
== Eingeschränkte Gültigkeit im Blut == | == Eingeschränkte Gültigkeit im Blut == | ||
Das Gesetz von Hagen-Poiseuille bezieht sich auf [[Newtonsche Flüssigkeit]]en. Bei Newtonschen Flüssigkeiten ist die Viskosität | Das Gesetz von Hagen-Poiseuille bezieht sich auf [[Newtonsche Flüssigkeit]]en. Bei Newtonschen Flüssigkeiten ist die Viskosität keine Funktion der Scherrate. Ein Beispiel für eine solche Flüssigkeit ist Wasser. Das Blutplasma ist auch eine Newtonsche Flüssigkeit, nicht aber das [[Blut]]: Es ist eine inhomogene [[Suspension (Chemie)|Suspension]] aus verschiedenen [[Zelle (Biologie)|Zellen]] in [[Blutplasma|Plasma]]. Hier ist die Viskosität von der Höhe der Scherrate (also der Strömungsgeschwindigkeit) abhängig. Weiterhin spielt auch die Deformierbarkeit der [[Erythrozyten]] eine Rolle. Diese können sich beispielsweise „geldrollenartig“ in dünnen Gefäßen aggregieren. Im Übrigen handelt es sich hier eher nicht um laminare, sondern [[Turbulente Strömung|turbulente]] Strömungszustände. | ||
Dieses spezielle Fachgebiet der [[Rheologie]] des Blutes wird als [[Hämorheologie]] ({{enS|hemorheology}}) bezeichnet. | Dieses spezielle Fachgebiet der [[Rheologie]] des Blutes wird als [[Hämorheologie]] ({{enS|hemorheology}}) bezeichnet. |
Mit dem Gesetz von Hagen-Poiseuille [poaː'zœj][1] (nach Gotthilf Heinrich Ludwig Hagen, 1797–1884 und Jean Léonard Marie Poiseuille, 1797–1869) wird der Volumenstrom $ {\dot {V}} $ – d. h. das geflossene Volumen V pro Zeiteinheit – bei einer laminaren stationären Strömung eines homogenen Newton’schen Fluids durch ein Rohr (Kapillare) mit dem Radius $ r $ und der Länge $ l $ beschrieben.
Das Gesetz lautet
oder als Vektor:
mit
Variable | Bedeutung | SI-Einheit |
---|---|---|
$ {\dot {V}} $ | Volumenstrom durch das Rohr | m3·s−1 |
$ {\dot {\mathbf {V} }} $ | Volumenstromvektor | m3·s−1 |
$ r $ | Innenradius des Rohres | m |
$ l $ | Länge des Rohres | m |
$ \eta $ | dynamische Viskosität der strömenden Flüssigkeit | Pa·s |
$ p $ | Druck | Pa |
$ \Delta $ | Mathematischer Operator für die Differenz einer Größe über die Länge $ l $ | - |
$ x $ | Lagekoordinate | m |
$ \mathbf {x} $ | Lagevektor | m |
Dieses Gesetz folgt direkt aus dem stationären, parabolischen Strömungsprofil durch ein Rohr, das aus den Navier-Stokes-Gleichungen hergeleitet werden kann – oder direkt aus der Definition der Viskosität, siehe unten. Bemerkenswert ist die Abhängigkeit des Volumendurchflusses von der vierten Potenz des Radius des Rohres. Dadurch hängt der Strömungswiderstand sehr stark vom Radius des Rohres ab, so würde beispielsweise eine Verringerung des Rohrdurchmessers auf die Hälfte den Strömungswiderstand auf das 16fache erhöhen.
Das Gesetz gilt nur für laminare Strömungen. Bei größerem Durchfluss einer Rohrleitung, verbunden mit höheren Strömungsgeschwindigkeiten bzw. größeren Abmessungen, kommt es zu turbulenten Strömungen mit wesentlich höherem Strömungswiderstand als nach Hagen-Poiseuille zu erwarten wäre. Die konkreten Verhältnisse turbulenter Strömungen werden u. a. mit den Formeln von Blasius, Nikuradse bzw. Prandtl-Colebrook beschrieben.
Das Gesetz von Hagen-Poiseuille gilt grundsätzlich nur bei vollständig ausgebildetem hydrodynamischen Strömungsprofil (parabolisches Geschwindigkeitsprofil). Strömt bspw. Flüssigkeit aus einem Tank über ein Rohr aus, dann muss das Rohr hinreichend lang sein, damit das Gesetz von Hagen-Poiseuille gültig ist. Im Anlauf der Strömung muss das parabolische Strömungsprofil unter zusätzlichem Druckverlust ("Energieaufwand") nämlich erst ausgebildet werden. Die Druckdifferenz in der oberen Formel für den Volumenstrom bezieht sich deshalb auf die Druckdifferenz einer vollständig ausgebildeten Strömung.[2]
In sehr dünnen Röhren, in denen die Grenzschicht maßgeblich das Strömungsprofil beeinflusst und nicht sehr klein gegenüber dem Radius ist, lässt sich dieses stark vereinfachte mathematische Modell der Strömung ebenfalls nicht anwenden.
Für kompressible Fluide (wie z. B. Gase) gilt ein modifiziertes Gesetz.
Hier ist die Überlegung, aus der das Hagen-Poiseuille-Gesetz und das ihr zugrundeliegende Strömungsprofil folgt: Bezeichne $ v(s) $ die Strömungsgeschwindigkeit an der Stelle $ s $ eines kreisförmigen Rohres mit Radius $ R $. Betrachten wir einen Hohlzylinder der Länge $ l $ und der Wanddicke $ ds $ zwischen den Radien $ s $ und $ s^{+}=s+ds $. Der Zylinder solle sich im Gleichgewichtszustand befinden, also keine Beschleunigung erfahren, daher ist die Summe aller auf die Flächen wirkenden Kräfte gleich null. Aus der Reibung auf die Außen- bzw. Innenfläche $ A^{+} $ bzw. $ A $ mit dem dynamische Viskosität $ \eta $ sowie der Druckdifferenz $ \Delta p $ auf die Hohlzylinder-Grundfläche $ dA=2\pi \,s\,ds $ ergibt sich die Kraftgleichung:
Dabei ist $ \eta A^{+}dv^{+}/ds $ die Reibung mit dem nach außen benachbarten Strömungszylinder, der den Radius $ s+ds $ hat. Die Geschwindigkeitsdifferenz $ {\frac {dv^{+}}{ds}}={\frac {dv}{ds}}\vert _{s+ds} $ verteilt sich auf die Schichtdicke $ ds $ und wirkt entlang der Außenfläche $ A^{+}=2\pi s^{+}l $. Analog gilt dies für die Reibung an der Innenfläche mit dem nach innen benachbarten Strömungszylinder.
Im Grenzübergang $ ds\to 0 $ ergibt sich eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für $ v(s) $:
Die Lösung muss die Randbedingung $ v(R)=0 $ (Haftbedingung) erfüllen und ist dadurch eindeutig bestimmt:
Dies ist genau das genannte quadratische Strömungsprofil. Durch Integration folgt dann das Gesetz von Hagen-Poiseuille:
Alternative Herleitung über das Spatprodukt:
Durch Einsetzen von I in II folgt:
Durch Einsetzen von I, II und IV in III folgt:
Für einen Rechteck-Kanal mit den Abmessungen $ b $ und $ h $ lässt sich dieses Gesetz in der folgenden Form angeben:
Hierbei ist
Die Abweichung vom exakten Wert bei Berechnung von K in erster Näherung (n=1) beträgt maximal 0,67 %, in zweiter Näherung 0,06 %, in dritter Näherung 0,01 %.
Einige Beispielwerte, berechnet in dritter Näherung:
$ {\frac {\min(b,h)}{\max(b,h)}} $ | 0 | 1/10 | 1/5 | 1/4 | 1/3 | 1/2 | 2/3 | 3/4 | 1 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
$ K $ | 1 | 0,9370 | 0,8740 | 0,8425 | 0,7900 | 0,6861 | 0,5873 | 0,5414 | 0,4218 |
Formeln für weitere Querschnittsformen werden in vielen Lehrbüchern[3] hergeleitet.
Für elliptische Querschnitte ergibt sich
wobei $ a $ und $ b $ die beiden Halbachsen der Ellipse repräsentieren.
Man beachte den Spezialfall $ a=b=r $,
bei dem sich die Gleichung auf die Gleichung für zylindrische Röhren reduziert.
Im Gültigkeitsbereich des Gesetzes bewirkt etwa die Verengung eines runden Leitungsradius um 10 % einen Durchsatzrückgang um 1 − 0,94 = 34 %. Um den ursprünglichen Durchfluss bei verkleinertem Radius wieder zu erreichen, muss somit die Druckdifferenz um über 52 % steigen.
Außerdem bildet das Gesetz von Hagen-Poiseuille die Grundlage einer Vielzahl von Modellgleichungen bei der Durchströmung von Schüttgütern.
Das Gesetz von Hagen-Poiseuille bezieht sich auf Newtonsche Flüssigkeiten. Bei Newtonschen Flüssigkeiten ist die Viskosität keine Funktion der Scherrate. Ein Beispiel für eine solche Flüssigkeit ist Wasser. Das Blutplasma ist auch eine Newtonsche Flüssigkeit, nicht aber das Blut: Es ist eine inhomogene Suspension aus verschiedenen Zellen in Plasma. Hier ist die Viskosität von der Höhe der Scherrate (also der Strömungsgeschwindigkeit) abhängig. Weiterhin spielt auch die Deformierbarkeit der Erythrozyten eine Rolle. Diese können sich beispielsweise „geldrollenartig“ in dünnen Gefäßen aggregieren. Im Übrigen handelt es sich hier eher nicht um laminare, sondern turbulente Strömungszustände.
Dieses spezielle Fachgebiet der Rheologie des Blutes wird als Hämorheologie (englisch hemorheology) bezeichnet.