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'''Antimaterie''' ist [[Materie (Physik)|Materie]], die aus [[Antiteilchen]] besteht. Anti-[[Atom]]e haben [[Atomhülle]]n aus [[ | '''Antimaterie''' ist [[Materie (Physik)|Materie]], die aus [[Antiteilchen]] besteht. Anti-[[Atom]]e haben [[Atomhülle]]n aus [[Positron]]en und [[Atomkern]]e aus [[Antiproton]]en und ggf. [[Antineutron]]en. | ||
Anti-Atome und -Moleküle sind in der Natur unbekannt und können nur in aufwendigen Experimenten hergestellt werden. Dagegen entstehen leichte Anti''teilchen'' in der Natur aus der [[Höhenstrahlung]] und beim [[Beta-Plus-Zerfall]]. Es gibt auch kurzlebige [[exotische Atome]] wie [[Positronium]] aus einem [[Elektron]] und einem Positron | Anti-Atome und -Moleküle sind in der Natur unbekannt und können nur in aufwendigen Experimenten hergestellt werden. Dagegen entstehen leichte Anti''teilchen'' in der Natur aus der [[Höhenstrahlung]] und beim [[Beta-Plus-Zerfall]]. Es gibt auch kurzlebige [[exotische Atome]], wie das [[Positronium]] aus einem [[Elektron]] und einem Positron, sowie [[Molekül]]e, wie [[Positronium#Di-Positronium|Di-Positronium]] aus zwei Positroniumatomen. | ||
Antiteilchen und auch Anti-Atome können in [[Paarbildung (Physik)|Paarbildungsreaktionen]] mittels [[Teilchenbeschleuniger]]n erzeugt werden. Mit kleinerem Aufwand können Positronen durch Herstellung [[Betazerfall|beta-plus-aktiver]] [[Radionuklid]]e gewonnen werden. Diese [[Positron]]enstrahlung ermöglicht in der modernen Medizintechnik das wichtige bildgebende Echtzeit-Verfahren der [[Positronen-Emissions-Tomographie]] (PET). | Antiteilchen und auch Anti-Atome können in [[Paarbildung (Physik)|Paarbildungsreaktionen]] mittels [[Teilchenbeschleuniger]]n erzeugt werden. Mit kleinerem Aufwand können Positronen durch Herstellung [[Betazerfall|beta-plus-aktiver]] [[Radionuklid]]e gewonnen werden. Diese [[Positron]]enstrahlung ermöglicht in der modernen Medizintechnik das wichtige bildgebende Echtzeit-Verfahren der [[Positronen-Emissions-Tomographie]] (PET). | ||
Wenn ein Materieteilchen und sein Antiteilchen aufeinander treffen, können sie in einer [[Annihilation]]s-Reaktion „zerstrahlen“. Dabei tritt | Wenn ein Materieteilchen und sein Antiteilchen aufeinander treffen, können sie in einer [[Annihilation]]s-Reaktion „zerstrahlen“. Dabei tritt die gesamte in den Teilchen steckende Energie in anderer Form wieder auf, und u. U. können andere Teilchen entstehen. | ||
== Geschichte == | == Geschichte == | ||
1898 verwendete der Physiker [[Arthur Schuster]] erstmals den Begriff Antimaterie in zwei Zuschriften an [[Nature]]. Er spekulierte über Sternensysteme aus Antimaterie, die von unserer Materie durch Beobachtung nicht unterscheidbar wären. Schon vorher hatten [[Karl Pearson]] 1892 und [[William Mitchinson Hicks]] in den 1880er Jahren von möglicher „negativer Materie“ gesprochen.<ref>S. Sahoo, R. K. Agrawalla, M. Goswami: {{Webarchiv | 1898 verwendete der Physiker [[Arthur Schuster]] erstmals den Begriff Antimaterie in zwei Zuschriften an [[Nature]]. Er spekulierte über Sternensysteme aus Antimaterie, die von unserer Materie durch Beobachtung nicht unterscheidbar wären. Schon vorher hatten [[Karl Pearson]] 1892 und [[William Mitchinson Hicks]] in den 1880er Jahren von möglicher „negativer Materie“ gesprochen.<ref>S. Sahoo, R. K. Agrawalla, M. Goswami: {{Webarchiv |url=http://physics.unipune.ernet.in/~phyed/23.4/23.4%20_Sahoo.pdf |wayback=20070630043148 |text=''Antimatter in the Universe.''}} (PDF; 72 kB)</ref> | ||
1928 stellte [[Paul Dirac]] auf Grundlage der Arbeit von [[Wolfgang Pauli]] die | 1928 stellte [[Paul Dirac]] auf Grundlage der Arbeit von [[Wolfgang Pauli]] die [[Dirac-Gleichung]] auf,<ref>P. A. M. Dirac: ''The quantum theory of the electron.'' In: ''Proceedings of the Royal Society.'' Bd. 117, 1928, S. 610, Bd. 118, S. 351.</ref> eine relativistische, also auf der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] beruhende [[Wellengleichung]] 1. Ordnung zur Beschreibung des [[Elektron]]s. Auf der Grundlage dieser Gleichung sagte Dirac die Existenz des [[Positron]]s als Antiteilchen zum Elektron voraus. Vereinfacht gesagt besteht im sogenannten [[Dirac-Bild]] der [[Quantenfeldtheorie]] das Vakuum aus einem randvoll gefüllten [[Dirac-See]] von Elektronen. Ein durch [[Paarerzeugung]] entstandenes Elektron-Positron-Paar besteht aus dem Elektron, das durch Anregung (d. h. Energiezufuhr) aus diesem Diracsee herausgeholt wurde, und dem hinterlassenen „Loch“, das das Positron darstellt. Heute werden nach der [[Feynman-Stückelberg-Interpretation]] die Zustände negativer Energie als [[Erzeugungsoperator]]en für Antiteilchen ''positiver'' Energie interpretiert, wodurch der Dirac-See unnötig geworden ist.<ref>Luis Alvarez-Gaume, Miguel A. Vazquez-Mozo: ''Introductory Lectures on Quantum Field Theory.'' {{arXiv|hep-th/0510040}}</ref> | ||
1932 wurde das Positron als erstes Antiteilchen von [[Carl David Anderson]] in der [[Kosmische Strahlung#Teilchenschauer|kosmischen Strahlung]] nachgewiesen.<ref>Edward Robert Harrison: ''Cosmology: the science of the universe.'' 2. Auflage. Cambridge University Press, 2000, ISBN 0-521-66148-X, S. 266, 433. ({{Google Buch|BuchID=-8PJbcA2lLoC|Linktext=online}}, abgerufen 30. September 2009)</ref> Auch [[Antimyon]]en werden von der kosmischen Strahlung erzeugt, wenn sie in die Erdatmosphäre eindringt. | 1932 wurde das Positron als erstes Antiteilchen von [[Carl David Anderson]] in der [[Kosmische Strahlung#Teilchenschauer|kosmischen Strahlung]] nachgewiesen.<ref>Edward Robert Harrison: ''Cosmology: the science of the universe.'' 2. Auflage. Cambridge University Press, 2000, ISBN 0-521-66148-X, S. 266, 433. ({{Google Buch |BuchID=-8PJbcA2lLoC |Linktext=online}}, abgerufen 30. September 2009)</ref> Auch [[Antimyon]]en werden von der kosmischen Strahlung erzeugt, wenn sie in die Erdatmosphäre eindringt. | ||
Das [[Antiproton]] wurde 1955 bei Experimenten am [[Bevatron]]-Teilchenbeschleuniger nachgewiesen, und das [[Antineutron]] 1956. | |||
Eine Arbeitsgruppe unter [[Walter Oelert]] vom [[Forschungszentrum Jülich]] wies 1995 als erste am [[Low Energy Antiproton Ring]] (LEAR) des [[CERN]] einige [[Antiwasserstoff]]-Atome nach, also gebundene Systeme aus einem Antiproton und einem Positron.<ref>[http://ikpe1101.ikp.kfa-juelich.de/ps210/home_german.html Beschreibung des Experiments]</ref> In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am [[Fermi National Accelerator Laboratory|Fermilab]] in den USA das Experiment. | Eine Arbeitsgruppe unter [[Walter Oelert]] vom [[Forschungszentrum Jülich]] wies 1995 als erste am [[Low Energy Antiproton Ring]] (LEAR) des [[CERN]] einige [[Antiwasserstoff]]-Atome nach, also gebundene Systeme aus einem Antiproton und einem Positron.<ref>[http://ikpe1101.ikp.kfa-juelich.de/ps210/home_german.html Beschreibung des Experiments]</ref> In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am [[Fermi National Accelerator Laboratory|Fermilab]] in den USA das Experiment. | ||
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Ende 2009 wurden vom Weltraumteleskop [[Fermi Gamma-ray Space Telescope|Fermi]] überraschenderweise bei [[Gewitter]]n Positronen entdeckt; das [[Teleskop]] sollte eigentlich nur dazu dienen, nach Gammastrahlung zu suchen.<ref>[http://www.nasa.gov/mission_pages/GLAST/news/fermi-thunderstorms.html nasa.gov] [[National Aeronautics and Space Administration|NASA]]-Meldung (engl.), zuletzt abgerufen am 11. Januar 2011.</ref> | Ende 2009 wurden vom Weltraumteleskop [[Fermi Gamma-ray Space Telescope|Fermi]] überraschenderweise bei [[Gewitter]]n Positronen entdeckt; das [[Teleskop]] sollte eigentlich nur dazu dienen, nach Gammastrahlung zu suchen.<ref>[http://www.nasa.gov/mission_pages/GLAST/news/fermi-thunderstorms.html nasa.gov] [[National Aeronautics and Space Administration|NASA]]-Meldung (engl.), zuletzt abgerufen am 11. Januar 2011.</ref> | ||
2010 wurden am CERN im Projekt [[ALPHA (CERN)|ALPHA]] 38 Antiwasserstoff-Atome nachgewiesen, die für 172 Millisekunden in einer [[Magneto-optische Falle|magnetischen Falle]] eingefangen waren. Für eine spektroskopische Untersuchung werden jedoch deutlich größere Mengen benötigt.<ref>G. B. Andresen u. a.: [http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature09610.html ''Trapped antihydrogen.''] In: ''Nature.'' 17. November 2010. [[doi:10.1038/nature09610]] (engl.)</ref><ref>[https://www.heise.de/newsticker/meldung/Speicher-fuer-Antimaterie-1138658.html ''Speicher für Antimaterie.''] bei: ''[[heise online]].'' vom 18. November 2010.</ref> Am Nachfolgeexperiment ALPHA-2 gelang 2016 schließlich eine [[Laserspektroskopie|laserspektroskopische]] Untersuchung des | 2010 wurden am CERN im Projekt [[ALPHA (CERN)|ALPHA]] 38 Antiwasserstoff-Atome nachgewiesen, die für 172 Millisekunden in einer [[Magneto-optische Falle|magnetischen Falle]] eingefangen waren. Für eine spektroskopische Untersuchung werden jedoch deutlich größere Mengen benötigt.<ref>G. B. Andresen u. a.: [http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature09610.html ''Trapped antihydrogen.''] In: ''Nature.'' 17. November 2010. [[doi:10.1038/nature09610]] (engl.)</ref><ref>[https://www.heise.de/newsticker/meldung/Speicher-fuer-Antimaterie-1138658.html ''Speicher für Antimaterie.''] bei: ''[[heise online]].'' vom 18. November 2010.</ref> Am Nachfolgeexperiment ALPHA-2 gelang 2016 schließlich eine [[Laserspektroskopie|laserspektroskopische]] Untersuchung des 1s–2s-Übergangs. Wie vom [[CPT-Theorem]] vorhergesagt stimmen die Spektrallinien von Wasserstoff und Antiwasserstoff bis zu einer Genauigkeit von 2 · 10<sup>−10</sup> überein.<ref>{{Literatur |Autor=M. Ahmadi, B. X. R. Alves, C. J. Baker, W. Bertsche, E. Butler, A. Capra, C. Carruth, C. L. Cesar, M. Charlton, S. Cohen, R. Collister, S. Eriksson, A. Evans, N. Evetts, J. Fajans, T. Friesen, M. C. Fujiwara, D. R. Gill, A. Gutierrez, J. S. Hangst, W. N. Hardy, M. E. Hayden, C. A. Isaac, A. Ishida, M. A. Johnson, S. A. Jones, S. Jonsell, L. Kurchaninov, N. Madsen, M. Mathers, D. Maxwell, J. T. K. McKenna, S. Menary, J. M. Michan, T. Momose, J. J. Munich, P. Nolan, K. Olchanski, A. Olin, P. Pusa, C. Ø. Rasmussen, F. Robicheaux, R. L. Sacramento, M. Sameed, E. Sarid, D. M. Silveira, S. Stracka, G. Stutter, C. So, T. D. Tharp, J. E. Thompson, R. I. Thompson, D. P. van der Werf, J. S. Wurtele |Hrsg= |Titel=Observation of the 1S–2S transition in trapped antihydrogen |Sammelwerk=[[Nature]] |Band=Accelerated Article Preview Published |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2016-12-19 |ISBN= |ISSN=1476-4687 |Seiten= |DOI=10.1038/nature21040}}</ref> | ||
Im April 2011 gelang es am CERN, 309 Antiwasserstoffatome bei einer Temperatur von etwa einem [[Kelvin]] fast 17 Minuten lang einzufangen, also 5800-mal so lang wie im November 2010.<ref name="arxivorg2011">{{Literatur| | Im April 2011 gelang es am CERN, 309 Antiwasserstoffatome bei einer Temperatur von etwa einem [[Kelvin]] fast 17 Minuten lang einzufangen, also 5800-mal so lang wie im November 2010.<ref name="arxivorg2011">{{Literatur |Autor=CERN, Makoto C. Fujiwara u. a. |Titel=Cornell University Library: Confinement of antihydrogen for 1000 seconds |Datum= |Sprache=en |arXiv=1104.4982}}</ref><ref name="SPON2011">{{Internetquelle |autor=Markus Becker |url=http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,760355,00.html |titel=Physik-Rekord – Forscher fangen Antimaterie minutenlang ein |abruf=2011-05-04}}</ref> Dies wird von den Forschern des CERN und Kommentatoren allgemein als bedeutender Durchbruch beurteilt, der neue Möglichkeiten eröffnet, die Eigenschaften von Antimaterie zu erforschen. Dabei geht es zum Beispiel um mögliche Verletzungen von Symmetrien in der [[Teilchenphysik]]. Dies betrifft die Frage, warum nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie entstand. | ||
Der bislang schwerste beobachtete Antimaterie-Atomkern war das ebenfalls im April 2011 am [[Relativistic Heavy Ion Collider]] erzeugte Anti-[[Helium|<sup>4</sup>He]].<ref>{{Internetquelle |url=http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,758838,00.html |titel=Forscher erzeugen Rekord-Antimaterie | | Der bislang schwerste beobachtete Antimaterie-Atomkern war das ebenfalls im April 2011 am [[Relativistic Heavy Ion Collider]] erzeugte Anti-[[Helium|<sup>4</sup>He]].<ref>{{Internetquelle |autor=Nina Weber |url=http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,758838,00.html |titel=Forscher erzeugen Rekord-Antimaterie |titelerg=Teilchenphysik-Durchbruch |werk=Spiegel Online |datum=2011-04-24 |abruf=2011-04-25}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature10079.html |titel=Observation of the antimatter helium-4 nucleus |werk=nature |datum=2011-04-24 |sprache=en |abruf=2011-04-25}}</ref> | ||
== Energiebilanz bei Reaktionen == | == Energiebilanz bei Reaktionen == | ||
Die Vernichtung (Annihilation) setzt die bei der Paarbildung als Masse gespeicherte [[Energie]] wieder frei. Bei der Elektron-Positron-Annihilation tritt diese als [[Elektromagnetische Welle|elektromagnetische Strahlung]] auf, im Fall schwerer Teilchen (Proton-Antiproton) teilweise auch in Form anderer Teilchen mit hoher Bewegungsenergie. Dabei wird die gesamte [[Masse (Physik)|Masse]] des Teilchen-Antiteilchen-Paares umgesetzt und nicht nur, wie bei [[Kernspaltung]] und [[Kernfusion]], ein kleiner Bruchteil (siehe [[Massendefekt]]). Die Annihilation einer gegebenen Masse von 50 % Materie + 50 % Antimaterie würde also viel mehr Energie freisetzen als die Reaktion einer gleich großen Masse von Fusionsreaktor-Brennstoff. Beispielsweise würde die Annihilation eines Wasserstoffatoms mit einem Anti-Wasserstoffatom die Energie 1,88 [[Elektronenvolt|GeV]] liefern; die Fusion eines [[Deuterium]]kerns mit einem [[Tritium]]kern liefert dagegen nur 17,6 MeV, also etwa ein Hundertstel. | Die Vernichtung (Annihilation) setzt die bei der Paarbildung als Masse gespeicherte [[Energie]] wieder frei. Bei der Elektron-Positron-Annihilation tritt diese als [[Elektromagnetische Welle|elektromagnetische Strahlung]] auf, im Fall schwerer Teilchen (Proton-Antiproton) teilweise auch in Form anderer Teilchen mit hoher Bewegungsenergie. Dabei wird die gesamte [[Masse (Physik)|Masse]] des Teilchen-Antiteilchen-Paares umgesetzt und nicht nur, wie bei [[Kernspaltung]] und [[Kernfusion]], ein kleiner Bruchteil (siehe [[Massendefekt]]). Die Annihilation einer gegebenen Masse von 50 % Materie + 50 % Antimaterie würde also viel mehr Energie freisetzen als die Reaktion einer gleich großen Masse von Fusionsreaktor-Brennstoff. Beispielsweise würde die Annihilation eines Wasserstoffatoms mit einem Anti-Wasserstoffatom die Energie 1,88 [[Elektronenvolt|GeV]] liefern; die Fusion eines [[Deuterium]]kerns mit einem [[Tritium]]kern liefert dagegen nur 17,6 MeV, also etwa ein Hundertstel. | ||
Wegen dieser hohen ''Speicher''wirkung für Energie ist über Nutzungen von Antimaterie (in Form von Positronen) für Waffenzwecke nachgedacht worden.<ref>Keay Davidson: | Wegen dieser hohen ''Speicher''wirkung für Energie ist über Nutzungen von Antimaterie (in Form von Positronen) für Waffenzwecke nachgedacht worden.<ref>Keay Davidson: {{Webarchiv |url=http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?file=%2Fc%2Fa%2F2004%2F10%2F04%2FMNGM393GPK1.DTL |wayback=20120609101650 |text=''Air Force pursuing antimatter weapons / Program was touted publicly, then came official gag order.''}} In: ''San Francisco Chronicle.'' 4. Oktober 2004. (engl.)</ref> In der Raumfahrt wurde mehrfach über den möglichen Nutzen für [[Antriebsmethoden für die Raumfahrt#Antimaterieantrieb|Antriebssysteme]] diskutiert.<ref>[http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/1999/prop12apr99_1/ Reaching for the Stars]; [http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/prop06apr99_1a/ Far Out Space Propulsion Conference Blasts Off] science.nasa.gov, abgerufen am 25. Mai 2012.</ref><ref>[http://www.daviddarling.info/encyclopedia/A/antimatterprop.html antimatter propulsion] daviddarling.info</ref> Wissenschaftler an der [[Pennsylvania State University]] untersuchten in den Projekten ''AIMStar'' und ''ICAN-II'' in den 1990er Jahren theoretische Konzepte.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.engr.psu.edu/antimatter/introduction2.html |archive-is=20120728202108 |text=Antimatter propulsion at Penn State University}}; [[:en:AIMStar|AIMStar]], [[:en:ICAN-II|ICAN-II]], en.wp</ref><ref>K. F. Long: ''Deep Space Propulsion: A Roadmap to Interstellar Flight.'' Springer, 2011, S. 229 ff. ({{Google Buch |BuchID=EAD2-GrarkEC |Seite=229 |Hervorhebung=deep space propulsion Long a roadmap Aimstar |Linktext=online}}, abgerufen am 25. Mai 2012)</ref> Bislang gibt es jedoch kein realistisches Konzept, wie für solche technischen Zwecke genügende Mengen von Antimaterie hergestellt, gelagert und transportiert werden könnten. Am CERN wird für das Jahr 2022 ein Antimaterie-Transport per LKW über eine Distanz von einigen hundert Metern geplant.<ref>{{Internetquelle |url=https://home.cern/news/news/physics/puma-project-antimatter-goes-nomad |titel=The PUMA project: Antimatter goes nomad |sprache=en |abruf=2021-06-08}}</ref> | ||
Eine Energie-''Ressource'' kann Antimaterie niemals sein, denn in ausbeutbarer Form kommt sie im Universum nicht vor, und ihre künstliche Herstellung erfordert mindestens die Energie, die aus ihr wieder gewonnen werden könnte. | |||
== Antimaterie im Universum == | == Antimaterie im Universum == | ||
Andererseits zeigen aber alle bisherigen Beobachtungen im Kosmos nur die „normale“ Materie. Sie muss das Überbleibsel eines geringen Ungleichgewichts zu Beginn des Universums sein. Frühere Vermutungen, dass das Universum in einigen Bereichen mit Materie, in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine Annihilationsstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen. | Die bisherigen Experimente und Theorien ergeben weitgehend identisches Verhalten von Materie und Antimaterie (siehe [[CP-Verletzung]]). Demnach sind nach dem heißen und dichten Anfangszustand des [[Universum]]s, dem [[Urknall]], Materie und Antimaterie in näherungsweise gleichen Mengen entstanden und kurz darauf wieder durch Annihilation „zerstrahlt“.<ref>{{Literatur | Titel=Antimaterie im Labor | Autor=Kellenbauer | Seiten=27 | Verlag=Physik Journal | Online=https://www.pro-physik.de/restricted-files/89541 }}</ref> | ||
Andererseits zeigen aber alle bisherigen Beobachtungen im Kosmos nur die „normale“ Materie. Sie muss das Überbleibsel eines geringen Ungleichgewichts zu Beginn des Universums sein. Frühere Vermutungen, dass das Universum in einigen Bereichen mit Materie, in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine Annihilationsstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen. Die direkte Suche nach Anti-Helium-Atomkernen in der [[Kosmische Strahlung|kosmischen Strahlung]], die 1998 mit einem [[Alpha-Magnet-Spektrometer]] an Bord eines [[Space Shuttle]] erfolgte, blieb ergebnislos: es wurden etwa drei Millionen Heliumkerne nachgewiesen, darunter befand sich aber kein einziger Antikern.<ref>{{Literatur |Autor=J. Alcaraz, D. Alvisi, B. Alpat, G. Ambrosi, H. Anderhub |Titel=Search for antihelium in cosmic rays |Sammelwerk=Physics Letters B |Band=461 |Nummer=4 |Datum=1999-09 |DOI=10.1016/S0370-2693(99)00874-6 |Seiten=387–396 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0370269399008746 |Abruf=2020-05-11}}</ref> | |||
Der Vergleich von Modellrechnungen im Rahmen der Urknalltheorie und astronomischen Messdaten ([[primordiale Nukleosynthese]], [[Wilkinson Microwave Anisotropy Probe|WMAP]]) spricht dafür, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie anfangs fast 1 zu 1 war. Ein winziges Ungleichgewicht – etwa 1 Teilchen Überschuss auf 1 Milliarde Teilchen-Antiteilchen-Paare – bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist. Dieses Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität des Universums und somit auch für das Leben auf der Erde. Bei genauem Gleichgewicht wären Materie und Antimaterie im Verlauf der Abkühlung des Universums vollständig in Strahlung umgewandelt worden. | Der Vergleich von Modellrechnungen im Rahmen der Urknalltheorie und astronomischen Messdaten ([[primordiale Nukleosynthese]], [[Wilkinson Microwave Anisotropy Probe|WMAP]]) spricht dafür, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie anfangs fast 1 zu 1 war. Ein winziges Ungleichgewicht – etwa 1 Teilchen Überschuss auf 1 Milliarde Teilchen-Antiteilchen-Paare – bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist. Dieses Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität des Universums und somit auch für das Leben auf der Erde. Bei genauem Gleichgewicht wären Materie und Antimaterie im Verlauf der Abkühlung des Universums vollständig in Strahlung umgewandelt worden. | ||
Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der [[Elementarteilchenphysik]] und [[Kosmologie]]; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise [[Stringtheorie]], [[M-Theorie]], [[Supersymmetrie]]) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden. Eine der Voraussetzungen für ein Übergewicht von Materie ist die [[CP-Verletzung]] (siehe [[Baryogenese]]). Diese wurde zuerst bei [[Kaon]]en in den 1960er Jahren entdeckt. In den 1990er Jahren wurden am [[Stanford Linear Accelerator Center|SLAC]] in den USA 200 Millionen [[B-Meson]]-Anti-B-Meson-Paare erzeugt und untersucht, wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die B-Mesonen etwa zweimal seltener in ein [[Pion]] und ein | Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der [[Elementarteilchenphysik]] und [[Kosmologie]]; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise [[Stringtheorie]], [[M-Theorie]], [[Supersymmetrie]]) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden. Eine der Voraussetzungen für ein Übergewicht von Materie ist die [[CP-Verletzung]] (siehe [[Baryogenese]]). Diese wurde zuerst bei [[Kaon]]en in den 1960er Jahren entdeckt. In den 1990er Jahren wurden am [[Stanford Linear Accelerator Center|SLAC]] in den USA 200 Millionen [[B-Meson]]-Anti-B-Meson-Paare erzeugt und untersucht, wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die B-Mesonen etwa zweimal seltener in ein [[Pion]] und ein Kaon zerfallen als ihre Antiteilchen. Beim vorher untersuchten Kaonensystem lag der Unterschied bei vier zu einer Million. | ||
== Antimaterie in der Science-Fiction == | == Antimaterie in der Science-Fiction == | ||
Antimaterie kommt in vielen Romanen und Filmen vor, wo ihre physikalischen Eigenschaften von den wirklichen abweichen können. In der Welt von [[Star Trek]] dient eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den fiktiven [[Warp-Antrieb]] zur | Antimaterie kommt in vielen Romanen und Filmen vor, wo ihre physikalischen Eigenschaften von den wirklichen abweichen können. In der Welt von [[Star Trek]] dient eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den fiktiven [[Warp-Antrieb]] zur Erzeugung einer Warpblase und auch als Waffe. In der [[Heftroman]]serie [[Perry Rhodan]] wird Antimaterie vielfältig benutzt, etwa um [[Gravitationswelle|Gravitations]]-[[Stoßwelle|Schockwellen]] abzustrahlen und so eine Nachricht zu übermitteln, vor allem aber als Basis für fortgeschrittene Waffensysteme und zur Energieerzeugung. Im Roman ''[[Illuminati (Roman)|Illuminati]]'' von [[Dan Brown]] haben fiktive Wissenschaftler des CERN sichtbare Mengen der Substanz hergestellt und längerfristig in einer Magnetfalle gelagert. | ||
== Literatur == | == Literatur == | ||
* Alban Kellerbauer: ''Antimaterie im Labor.'' In: ''Physik Journal.'' 13 (Juli 2014) 27, [ | * Alban Kellerbauer: ''Antimaterie im Labor.'' In: ''Physik Journal.'' 13 (Juli 2014) 27, [https://www.pro-physik.de/restricted-files/89541 Physik Journal – Antimaterie im Labor – pro-physik.de]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2014/Kellerbauer_PhysikJournal_13-7_(2014)_27 Artikel (PDF; 1,2 MB)]. | ||
* Alban Kellerbauer: ''Das Antimaterie-Rätsel.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 43 (Juli 2012) 174. [[doi:10.1002/piuz.201201305]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2012/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_43_(2012)_174.pdf Artikel (PDF; 803 kB)]. | * Alban Kellerbauer: ''Das Antimaterie-Rätsel.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 43 (Juli 2012) 174. [[doi:10.1002/piuz.201201305]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2012/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_43_(2012)_174.pdf Artikel (PDF; 803 kB)]. | ||
* Helen R. Quinn, Yossi Nir: ''The mystery of the missing antimatter.'' Princeton Univ. Press, Princeton 2008, ISBN 978-0-691-13309-6. | * Helen R. Quinn, Yossi Nir: ''The mystery of the missing antimatter.'' Princeton Univ. Press, Princeton 2008, ISBN 978-0-691-13309-6. | ||
* Alban Kellerbauer: ''Antimaterie – Spiegelbild oder Zerrbild.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 38 (Juli 2007) 168, [[doi:10.1002/piuz.200601134]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168.pdf Artikel] (PDF; 536 kB), [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168_Webtext.pdf zus. Kapitel] (PDF; 45 kB). | * Alban Kellerbauer: ''Antimaterie – Spiegelbild oder Zerrbild.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 38 (Juli 2007) 168, [[doi:10.1002/piuz.200601134]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168.pdf Artikel] (PDF; 536 kB), [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168_Webtext.pdf zus. Kapitel] (PDF; 45 kB). | ||
* Dieter Grzonka, [[Walter Oelert]], Jochen Walz: ''Experimente mit der „Antiwelt“.'' In: ''Physik Journal.'' 5 Nr. 3 (März 2006) 37, [http://www.pro-physik.de/details/articlePdf/1106075/issue.html (PDF | * Dieter Grzonka, [[Walter Oelert]], Jochen Walz: ''Experimente mit der „Antiwelt“.'' In: ''Physik Journal.'' 5 Nr. 3 (März 2006) 37, [http://www.pro-physik.de/details/articlePdf/1106075/issue.html (PDF; 0,9 MB)] | ||
* [[Dieter B. Herrmann]]: ''Antimaterie. Auf der Suche nach der Gegenwelt.'' 4. Auflage. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-44504-0. | * [[Dieter B. Herrmann]]: ''Antimaterie. Auf der Suche nach der Gegenwelt.'' 4. Auflage. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-44504-0. | ||
* Gordon Fraser: ''Antimatter – the ultimate mirror.'' Cambridge Univ. Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-89309-7. | * Gordon Fraser: ''Antimatter – the ultimate mirror.'' Cambridge Univ. Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-89309-7. | ||
* [[Hannes Alfvén]]: ''Kosmologie und Antimaterie.'' Umschau-Verlag, Frankfurt am Main 1969 | * [[Hannes Alfvén]]: ''Kosmologie und Antimaterie.'' Umschau-Verlag, Frankfurt am Main 1969 | ||
* [[Frank Close]]: ''Antimaterie.'' Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8274-2531-7. | * [[Frank Close]]: ''Antimaterie.'' Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8274-2531-7. | ||
* Kapitel: ''Materie/Antimaterie-Antrieb.'' In: Eugen Reichl: ''Typenkompass: Zukunftsprojekte der Raumfahrt'', Motorbuch Verlag, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-613-03462-4, S. 37–41 | |||
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* [http://www.drillingsraum.de/room-antimaterie/antimaterie.html Was ist Antimaterie? Populäre Erklärung mit Bildern] | * [http://www.drillingsraum.de/room-antimaterie/antimaterie.html Was ist Antimaterie? Populäre Erklärung mit Bildern] | ||
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* [http://www.mpe.mpg.de/18261/News_20110110 Satellit entdeckt Antimaterie über Gewitterwolken] (Pressemitteilung des [[Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik|Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik]]) | * [http://www.mpe.mpg.de/18261/News_20110110 Satellit entdeckt Antimaterie über Gewitterwolken] (Pressemitteilung des [[Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik|Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik]]) | ||
Antimaterie ist Materie, die aus Antiteilchen besteht. Anti-Atome haben Atomhüllen aus Positronen und Atomkerne aus Antiprotonen und ggf. Antineutronen.
Anti-Atome und -Moleküle sind in der Natur unbekannt und können nur in aufwendigen Experimenten hergestellt werden. Dagegen entstehen leichte Antiteilchen in der Natur aus der Höhenstrahlung und beim Beta-Plus-Zerfall. Es gibt auch kurzlebige exotische Atome, wie das Positronium aus einem Elektron und einem Positron, sowie Moleküle, wie Di-Positronium aus zwei Positroniumatomen.
Antiteilchen und auch Anti-Atome können in Paarbildungsreaktionen mittels Teilchenbeschleunigern erzeugt werden. Mit kleinerem Aufwand können Positronen durch Herstellung beta-plus-aktiver Radionuklide gewonnen werden. Diese Positronenstrahlung ermöglicht in der modernen Medizintechnik das wichtige bildgebende Echtzeit-Verfahren der Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
Wenn ein Materieteilchen und sein Antiteilchen aufeinander treffen, können sie in einer Annihilations-Reaktion „zerstrahlen“. Dabei tritt die gesamte in den Teilchen steckende Energie in anderer Form wieder auf, und u. U. können andere Teilchen entstehen.
1898 verwendete der Physiker Arthur Schuster erstmals den Begriff Antimaterie in zwei Zuschriften an Nature. Er spekulierte über Sternensysteme aus Antimaterie, die von unserer Materie durch Beobachtung nicht unterscheidbar wären. Schon vorher hatten Karl Pearson 1892 und William Mitchinson Hicks in den 1880er Jahren von möglicher „negativer Materie“ gesprochen.[1]
1928 stellte Paul Dirac auf Grundlage der Arbeit von Wolfgang Pauli die Dirac-Gleichung auf,[2] eine relativistische, also auf der speziellen Relativitätstheorie beruhende Wellengleichung 1. Ordnung zur Beschreibung des Elektrons. Auf der Grundlage dieser Gleichung sagte Dirac die Existenz des Positrons als Antiteilchen zum Elektron voraus. Vereinfacht gesagt besteht im sogenannten Dirac-Bild der Quantenfeldtheorie das Vakuum aus einem randvoll gefüllten Dirac-See von Elektronen. Ein durch Paarerzeugung entstandenes Elektron-Positron-Paar besteht aus dem Elektron, das durch Anregung (d. h. Energiezufuhr) aus diesem Diracsee herausgeholt wurde, und dem hinterlassenen „Loch“, das das Positron darstellt. Heute werden nach der Feynman-Stückelberg-Interpretation die Zustände negativer Energie als Erzeugungsoperatoren für Antiteilchen positiver Energie interpretiert, wodurch der Dirac-See unnötig geworden ist.[3]
1932 wurde das Positron als erstes Antiteilchen von Carl David Anderson in der kosmischen Strahlung nachgewiesen.[4] Auch Antimyonen werden von der kosmischen Strahlung erzeugt, wenn sie in die Erdatmosphäre eindringt.
Das Antiproton wurde 1955 bei Experimenten am Bevatron-Teilchenbeschleuniger nachgewiesen, und das Antineutron 1956.
Eine Arbeitsgruppe unter Walter Oelert vom Forschungszentrum Jülich wies 1995 als erste am Low Energy Antiproton Ring (LEAR) des CERN einige Antiwasserstoff-Atome nach, also gebundene Systeme aus einem Antiproton und einem Positron.[5] In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am Fermilab in den USA das Experiment.
Ende 2009 wurden vom Weltraumteleskop Fermi überraschenderweise bei Gewittern Positronen entdeckt; das Teleskop sollte eigentlich nur dazu dienen, nach Gammastrahlung zu suchen.[6]
2010 wurden am CERN im Projekt ALPHA 38 Antiwasserstoff-Atome nachgewiesen, die für 172 Millisekunden in einer magnetischen Falle eingefangen waren. Für eine spektroskopische Untersuchung werden jedoch deutlich größere Mengen benötigt.[7][8] Am Nachfolgeexperiment ALPHA-2 gelang 2016 schließlich eine laserspektroskopische Untersuchung des 1s–2s-Übergangs. Wie vom CPT-Theorem vorhergesagt stimmen die Spektrallinien von Wasserstoff und Antiwasserstoff bis zu einer Genauigkeit von 2 · 10−10 überein.[9]
Im April 2011 gelang es am CERN, 309 Antiwasserstoffatome bei einer Temperatur von etwa einem Kelvin fast 17 Minuten lang einzufangen, also 5800-mal so lang wie im November 2010.[10][11] Dies wird von den Forschern des CERN und Kommentatoren allgemein als bedeutender Durchbruch beurteilt, der neue Möglichkeiten eröffnet, die Eigenschaften von Antimaterie zu erforschen. Dabei geht es zum Beispiel um mögliche Verletzungen von Symmetrien in der Teilchenphysik. Dies betrifft die Frage, warum nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie entstand.
Der bislang schwerste beobachtete Antimaterie-Atomkern war das ebenfalls im April 2011 am Relativistic Heavy Ion Collider erzeugte Anti-4He.[12][13]
Die Vernichtung (Annihilation) setzt die bei der Paarbildung als Masse gespeicherte Energie wieder frei. Bei der Elektron-Positron-Annihilation tritt diese als elektromagnetische Strahlung auf, im Fall schwerer Teilchen (Proton-Antiproton) teilweise auch in Form anderer Teilchen mit hoher Bewegungsenergie. Dabei wird die gesamte Masse des Teilchen-Antiteilchen-Paares umgesetzt und nicht nur, wie bei Kernspaltung und Kernfusion, ein kleiner Bruchteil (siehe Massendefekt). Die Annihilation einer gegebenen Masse von 50 % Materie + 50 % Antimaterie würde also viel mehr Energie freisetzen als die Reaktion einer gleich großen Masse von Fusionsreaktor-Brennstoff. Beispielsweise würde die Annihilation eines Wasserstoffatoms mit einem Anti-Wasserstoffatom die Energie 1,88 GeV liefern; die Fusion eines Deuteriumkerns mit einem Tritiumkern liefert dagegen nur 17,6 MeV, also etwa ein Hundertstel.
Wegen dieser hohen Speicherwirkung für Energie ist über Nutzungen von Antimaterie (in Form von Positronen) für Waffenzwecke nachgedacht worden.[14] In der Raumfahrt wurde mehrfach über den möglichen Nutzen für Antriebssysteme diskutiert.[15][16] Wissenschaftler an der Pennsylvania State University untersuchten in den Projekten AIMStar und ICAN-II in den 1990er Jahren theoretische Konzepte.[17][18] Bislang gibt es jedoch kein realistisches Konzept, wie für solche technischen Zwecke genügende Mengen von Antimaterie hergestellt, gelagert und transportiert werden könnten. Am CERN wird für das Jahr 2022 ein Antimaterie-Transport per LKW über eine Distanz von einigen hundert Metern geplant.[19]
Eine Energie-Ressource kann Antimaterie niemals sein, denn in ausbeutbarer Form kommt sie im Universum nicht vor, und ihre künstliche Herstellung erfordert mindestens die Energie, die aus ihr wieder gewonnen werden könnte.
Die bisherigen Experimente und Theorien ergeben weitgehend identisches Verhalten von Materie und Antimaterie (siehe CP-Verletzung). Demnach sind nach dem heißen und dichten Anfangszustand des Universums, dem Urknall, Materie und Antimaterie in näherungsweise gleichen Mengen entstanden und kurz darauf wieder durch Annihilation „zerstrahlt“.[20]
Andererseits zeigen aber alle bisherigen Beobachtungen im Kosmos nur die „normale“ Materie. Sie muss das Überbleibsel eines geringen Ungleichgewichts zu Beginn des Universums sein. Frühere Vermutungen, dass das Universum in einigen Bereichen mit Materie, in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine Annihilationsstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen. Die direkte Suche nach Anti-Helium-Atomkernen in der kosmischen Strahlung, die 1998 mit einem Alpha-Magnet-Spektrometer an Bord eines Space Shuttle erfolgte, blieb ergebnislos: es wurden etwa drei Millionen Heliumkerne nachgewiesen, darunter befand sich aber kein einziger Antikern.[21]
Der Vergleich von Modellrechnungen im Rahmen der Urknalltheorie und astronomischen Messdaten (primordiale Nukleosynthese, WMAP) spricht dafür, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie anfangs fast 1 zu 1 war. Ein winziges Ungleichgewicht – etwa 1 Teilchen Überschuss auf 1 Milliarde Teilchen-Antiteilchen-Paare – bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist. Dieses Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität des Universums und somit auch für das Leben auf der Erde. Bei genauem Gleichgewicht wären Materie und Antimaterie im Verlauf der Abkühlung des Universums vollständig in Strahlung umgewandelt worden.
Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der Elementarteilchenphysik und Kosmologie; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise Stringtheorie, M-Theorie, Supersymmetrie) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden. Eine der Voraussetzungen für ein Übergewicht von Materie ist die CP-Verletzung (siehe Baryogenese). Diese wurde zuerst bei Kaonen in den 1960er Jahren entdeckt. In den 1990er Jahren wurden am SLAC in den USA 200 Millionen B-Meson-Anti-B-Meson-Paare erzeugt und untersucht, wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die B-Mesonen etwa zweimal seltener in ein Pion und ein Kaon zerfallen als ihre Antiteilchen. Beim vorher untersuchten Kaonensystem lag der Unterschied bei vier zu einer Million.
Antimaterie kommt in vielen Romanen und Filmen vor, wo ihre physikalischen Eigenschaften von den wirklichen abweichen können. In der Welt von Star Trek dient eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den fiktiven Warp-Antrieb zur Erzeugung einer Warpblase und auch als Waffe. In der Heftromanserie Perry Rhodan wird Antimaterie vielfältig benutzt, etwa um Gravitations-Schockwellen abzustrahlen und so eine Nachricht zu übermitteln, vor allem aber als Basis für fortgeschrittene Waffensysteme und zur Energieerzeugung. Im Roman Illuminati von Dan Brown haben fiktive Wissenschaftler des CERN sichtbare Mengen der Substanz hergestellt und längerfristig in einer Magnetfalle gelagert.