Die Supersymmetrie (SUSY) ist eine hypothetische Symmetrie der Teilchenphysik, die Bosonen (Teilchen mit ganzzahligem Spin) und Fermionen (Teilchen mit halbzahligem Spin) ineinander umwandelt. Dabei werden Teilchen, die sich unter einer SUSY-Transformation ineinander umwandeln, Superpartner genannt.
Aufgrund ihres Potenzials, offene Fragen der Teilchen- und Astrophysik zu beantworten, sind supersymmetrische Theorien insbesondere in der theoretischen Physik sehr populär. Die meisten Großen vereinheitlichten Theorien und Superstringtheorien sind supersymmetrisch. Die minimal mögliche, mit bisherigen Erkenntnissen kompatible Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik (SM), das Minimale supersymmetrische Standardmodell (MSSM), ist der experimentell meistuntersuchte Kandidat für Physik jenseits des Standardmodells (BSM-Physik).
Allerdings konnte trotz vielversprechender theoretischer Argumente bis heute kein experimenteller Nachweis erbracht werden, dass Supersymmetrie tatsächlich in der Natur existiert – insbesondere wurden noch keine Superpartner bekannter Teilchen beobachtet. Das bedeutet, dass diese Symmetrie, wenn sie existiert, gebrochen ist. Der Brechungsmechanismus und die Energie, ab der die Symmetrie gelten würde, sind unbekannt.
Die Supersymmetrie (in der vierdimensionalen Raum-Zeit) wurde 1971 von Juri A. Golfand und seinem Studenten Jewgeni Lichtman (Evgeni Likhtman) (in Moskau) sowie unabhängig davon 1972 von D. V. Volkov und Wladimir Akulow (in Charkiw/Charkow, Ukraine) eingeführt, sowie im Rahmen von Stringtheorien (zunächst nur auf der zweidimensionalen String-Weltfläche) von Jean-Loup Gervais, Bunji Sakita, André Neveu, John Schwarz und Pierre Ramond. Frühere Arbeiten von Hironari Miyazawa aus den 1960er Jahren über eine Baryon-Meson-Symmetrie wurden damals ignoriert.
Als Modell der Elementarteilchenphysik erhielt die Theorie erst 1974 größere Aufmerksamkeit durch die unabhängige Arbeit von Julius Wess und Bruno Zumino[1]. Dieses heute unter dem Namen Wess-Zumino-Modell bekannte Modell beschreibt zwei skalare Bosonen, die mit sich selbst und mit einem chiralen Fermion wechselwirken. Obwohl unrealistisch, ist das Wess-Zumino-Modell ein wegen seiner Einfachheit beliebtes Beispiel, an dem sich wichtige Eigenschaften supersymmetrischer Feldtheorien zeigen.
Das erste mit den experimentellen Beobachtungen zeitweise verträgliche supersymmetrische Modell, das Minimale Supersymmetrische Standardmodell (MSSM), wurde 1981 von Howard Georgi und Savas Dimopoulos vorgeschlagen. Nach ihren Vorhersagen liegen die Massen der bisher unbeobachteten Superpartner im Bereich von 100 GeV/c² bis 1 TeV/c², der für den 2009 in Betrieb gegangenen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) zugänglich ist. Diese Massen stehen im Einklang mit dem Befund, dass früher keine Superpartner beobachtet wurden, und lassen vermuten, dass am LHC Superpartner bereits bekannter Elementarteilchen nachgewiesen werden könnten. Das ist allerdings bis heute nicht gelungen (Stand: März 2019[2]).
Die Supersymmetrietransformationen, die Fermionen und Bosonen ineinander umwandeln, erweitern die Raumzeitsymmetrie, die Poincaré-Gruppe.
Sidney Coleman und Jeffrey Mandula zeigten 1967 unter, wie es schien, allgemein gültigen Bedingungen, dass – außer den Erzeugenden der Poincaré-Gruppe – alle Erzeugenden von physikalisch relevanten Symmetrien unter Poincaré-Transformationen invariant sein müssen, dass also jede größere Symmetrie eines physikalischen Modells eine Produktgruppe der Poincaré-Gruppe mit einer Gruppe sein müsse, die nichts mit der Raumzeit zu tun hat (Coleman-Mandula-Theorem).[3]
Nachdem aber Wess und Zumino 1974 gezeigt hatten, dass es auch fermionische Erzeugende von Symmetrien geben kann, die sich wie Teilchen mit Spin 1/2 bei Drehungen ändern und die von Coleman und Mandula nicht bedacht worden waren, klassifizierten 1975 Rudolf Haag, Jan Łopuszański und Martin Sohnius die möglichen Symmetriealgebren mit bosonischen und fermionischen Erzeugenden (Haag-Łopuszański-Sohnius-Theorem).[4]
Die einfachste supersymmetrische Erweiterung der Poincarégruppe ist im Wess-Zumino-Modell realisiert und erweitert sie um zwei Weyl-Spinoren $ Q,{\bar {Q}} $. Die relevanten Kommutator- und Antikommutatorrelationen sind
Dabei bezeichnen $ \sigma ^{m} $ die Pauli-Matrizen und $ P_{m} $ den Viererimpuls.
Die Existenz zusätzlicher Elementarteilchen liefert zusätzliche Beiträge zu den Schleifenkorrekturen für beobachtbare physikalische Parameter. Besitzen Superpartner außer dem Spin exakt gleiche Quantenzahlen, so sind die Schleifenkorrekturen identisch im Betrag, unterscheiden sich jedoch (aufgrund des unterschiedlichen Spins) im Vorzeichen: die Korrekturen addieren sich zu Null.
In gebrochenen, insbesondere spontan gebrochenen SUSY-Modellen addieren sich die Korrekturen nicht notwendigerweise zu Null, liefern aber oft vergleichsweise kleinere Effekte.
Die (teilweise) Kompensation der Schleifenkorrekturen durch Superpartner hat zwei Effekte, die stark zur Attraktivität supersymmetrischer Ansätze beigetragen haben:
Um nicht in Widerspruch zu experimentellen Ergebnissen zu geraten, muss man annehmen, dass Zerfallsprozesse von Superpartnern in Standardmodellteilchen (ohne einen weiteren Superpartner als Zerfallsprodukt) stark unterdrückt oder unmöglich sind (R-Paritätserhaltung). Dadurch ist das leichteste supersymmetrische Partnerteilchen (LSP) praktisch stabil. Da nach aktuellen kosmologischen Modellen in den Frühphasen des Universums Teilchen beliebiger Masse erzeugt werden konnten, stellt ein elektrisch neutrales LSP – etwa das leichteste Neutralino – einen Kandidaten für die Erklärung Dunkler Materie dar.[5]
Das MSSM ist die im Sinne der Teilchenzahl kleinste Möglichkeit, ein realistisches supersymmetrisches Teilchenphysikmodell aufzubauen. Das MSSM erweitert das Standardmodell um ein zusätzliches Higgs-Dublett und um SUSY-Partnerteilchen für alle Teilchen des Modells. Dabei wird kein expliziter Mechanismus angegeben, der begründet, warum die neuen Teilchen andere Massen besitzen als ihre Standardmodellpartner. Stattdessen werden alle supersymmetriebrechenden Terme, die renormierbar, eichinvariant und R-paritätserhaltend sind, explizit mit zunächst unbekannten Kopplungskonstanten in das Modell aufgenommen.
Die Existenz der neuen Teilchen ab einer Masse von 100 bis 1000 GeV beeinflusst das Running, d. h. die Energieabhängigkeit der Parameter („Kopplungskonstanten“), die die Stärke der drei im Standardmodell vorkommenden Wechselwirkungen charakterisieren, so dass sie sich bei extrem hohen Energien von $ 10^{16} $ GeV einem gemeinsamen Wert nähern. Im Standardmodell treffen sie nur fast an einem Punkt zusammen, während supersymmetrische Theorien einen sehr viel genaueren „Vereinigungspunkt“ liefern.[6] Dies wird manchmal als ein Hinweis auf vereinheitlichte Theorien interpretiert, in denen die drei Wechselwirkungen des Standardmodells nur verschiedene Effekte einer einzigen übergeordneten Wechselwirkung sind, analog der elektrischen und der magnetischen Wechselwirkung.
Die um die SUSY-Generatoren erweiterten Raumzeitsymmetrien sind zunächst wie auch im Standardmodell globale Symmetrien. Deklariert man SUSY jedoch als lokale Symmetrie, so erzwingt dies zwei neue Teilchen: das Graviton mit Spin 2, von dem erwartet wird, das Wechselwirkungsteilchen der Gravitation zu sein,[7] und das Gravitino mit Spin 3/2. Daher werden lokale SUSY-Theorien auch Supergravitation (SUGRA) genannt.
Diese besitzt gegenüber lokaler Raumzeitsymmetrie innerhalb des Standardmodells, die nicht renormierbar ist, zwei potentielle Vorteile, die insbesondere in der Anfangsphase supersymmetrischer Ansätze die Hoffnung nährten, dass SUSY einen möglichen Mechanismus für eine Theorie der Quantengravitation liefert:
Bis heute ist es jedoch – mit potentieller Ausnahme von Superstringansätzen, die über einfache Supersymmetrie hinausgehen – nicht gelungen, eine widerspruchsfreie Theorie der Supergravitation aufzustellen. SUGRA könnte allerdings eine effektive Theorie unterhalb der Planck-Skala sein: sie ist ein möglicher Mechanismus für spontane Brechung der Supersymmetrie.
In manchen Modellen ist der Nachweis des Gravitinos an Beschleunigerexperimenten wie dem LHC denkbar.[8]
Als Dynamische Symmetrie fand die Supersymmetrie Anwendung zum Beispiel in der Kernphysik (Interacting Boson Model) und in der Festkörperphysik und bei ungeordneten Systemen, zum Beispiel durch Konstantin Efetov.
Die integrierte Optik wurde 2013[9] als neues Anwendungsfeld supersymmetrischer Konzepte erschlossen. So wird es möglich, mit Hilfe optischer Modellsysteme ausgewählte Eigenschaften supersymmetrischer Konfigurationen in leicht zugänglichen Laboranordnungen zu erforschen. Bei diesem Ansatz bedient man sich der analogen mathematischen Struktur der quantenmechanischen Schrödinger-Gleichung und der Wellengleichung, die die Propagation von Licht in eindimensionalen Systemen beschreibt. Die räumliche Verteilung des Brechungsindex entspricht dabei einer Potentiallandschaft, in der sich optische Wellenpakete ausbreiten. Neben Aspekten der Grundlagenforschung sind supersymmetrische optische Systeme für Anwendungen in den Bereichen Phasenanpassung, Modenkonversion[10] und räumlichem Multiplexing von Interesse.