Kollaps der Wellenfunktion

Kollaps der Wellenfunktion

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Kollaps der Wellenfunktion oder Zustandsreduktion ist ein Begriff der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik. Gemeint ist die Änderung der Beschreibung eines Quantensystems, die sich aus einer quantenmechanischen Messung ergibt.

Erklärung

In der Quantenmechanik wird ein physikalisches System vollständig durch die Angabe seines momentanen quantenmechanischen Zustands beschrieben. Dieser Zustand kann in einer Eigenbasis eines Operators entwickelt werden.

In der Bra-Ket-Notation schreibt sich die Wellenfunktion dann:

$ |\psi \rangle =\sum \limits _{i=1}^{n}c_{i}|\varphi _{i}\rangle $

Der Gesamtzustand $ |\psi \rangle $ ist eine Überlagerung aller möglichen Eigenzustände $ |\varphi _{i}\rangle $ mit ihren Wahrscheinlichkeitsamplituden $ c_{i} $. Wird an einem solchen System eine Messung durchgeführt, so werden die Experimentatoren stets einen einzigen Messwert ermitteln. Dieser ist der Eigenwert eines der Eigenzustände, die der Art der Messung entsprechen. Unmittelbar nach der Messung befindet sich das System in genau diesem Eigenzustand, denn würde sie wiederholt, müsste sie den gerade bestimmten Messwert mit Sicherheit reproduzieren. Formal bedeutet dies, dass die Superposition von Eigenzuständen durch die Messung auf einen einzelnen dieser Zustände reduziert wird, der Gesamtzustand wird dabei auf einen Eigenraum projiziert. Dieser Übergang vom Zustand der Superposition zu einem bestimmten Eigenzustand wird als Zustandsreduktion bezeichnet. Wenn der Ausgangszustand als Schrödingersche Wellenfunktion dargestellt wird, spricht die Kopenhagener Interpretation auch vom „Kollaps (oder Zusammenbruch) der Wellenfunktion“.

Der Reduktionsvorgang

Der Kollaps der Wellenfunktion erfolgt instantan, d. h., auch an räumlich weit getrennten Orten ergeben sich sofortige Konsequenzen für die Vorhersage von Messungen am System. Diese Eigenschaft wird als Quanten-Nichtlokalität bezeichnet. An verschränkten Systemen führt die Quanten-Nichtlokalität zur statistischen Korrelation der Messergebnisse, selbst wenn die Orte der Messungen an einem ausgedehnten verschränkten System so weit voneinander entfernt sind, dass eine physikalische Wirkung (Information) selbst mit Lichtgeschwindigkeit nicht schnell genug übertragen werden könnte. Mit einem unpassenden Wort wird dies manchmal als Fernwirkung bezeichnet.[1]

Ein entscheidender Unterschied zu einer „klassischen“ Zustandsbeschreibung wird manchmal übersehen: Sofern die Wellenfunktion nicht schon vor der Messung einen Eigenzustand beschreibt, enthält sie mehrere Eigenzustände und für jeden eine Wahrscheinlichkeit unter 100 %. Sie beschreibt dann gewissermaßen nicht wirklich das System, sondern das unvollständige Wissen über das System. Fröhner[2] hat nachgewiesen, dass die quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten widerspruchsfrei als Bayessche Wahrscheinlichkeiten aufgefasst werden können. Diese ändern sich, indem die Messung den Informationsstand des Beobachters ändert. Dazu wird keine Zeit benötigt; was kollabiert („zusammenbricht“), ist nichts Physikalisches, sondern nur der Informationsmangel des Beobachters. Ganz entsprechend haben sich hierzu Heisenberg 1960 in einer brieflichen Diskussion (siehe Zitat bei Fröhner) und Styer[3] geäußert.

Geschichte

Erste Ansätze zur Erklärung stammen von Werner Heisenberg[4] und wurden von John von Neumann 1932 in seinem Buch Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik als Postulate formuliert. Das Postulat eines instantanen Kollapses der Wellenfunktion ruft seit seiner Einführung Widerspruch hervor. So sollte Schrödingers Katze, ein populäres Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger, die Idee eines beobachterabhängigen Kollapses der Wellenfunktion ad absurdum führen.

Andere Interpretationen der Quantenmechanik wie die De-Broglie-Bohm-Theorie oder die Viele-Welten-Interpretation kommen ohne dieses Konzept aus. Die Viele-Welten-Interpretation muss jedoch zur Vermeidung des Kollapses der Wellenfunktion eine Vielzahl messtechnisch unerreichbarer „Welten“ zulassen. Die Dekohärenz spielt hier eine zentrale Rolle, sie kann aber auch in Interpretationen mit Kollaps dazu genutzt werden, den Zeitpunkt des Kollapses zu beschreiben.

Siehe auch

  • Schrödinger-Newton-Gleichung

Literatur

Das Konzept der quantenmechanischen Messung und damit der Kollaps der Wellenfunktion wird in vielen ein- und weiterführenden Lehrbüchern behandelt.

  • J. v. Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. 2. Auflage. Springer, 1996, ISBN 978-3-540-59207-5.
  • J. J. Sakurai: Modern Quantum Mechanics. Addison-Wesley, 1994, ISBN 0-201-53929-2.
  • T. Fließbach: Quantenmechanik. 5. Auflage. Spektrum, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8274-2020-6.

Einzelnachweise

  1. Max Born, Albert Einstein: Albert Einstein, Max Born. Briefwechsel 1916–1955. Nymphenburger, München 1955, S. 210.
    Einstein spricht von einer „spukhaften Fernwirkung“.
  2. F. H. Fröhner: Missing Link between Probability Theory and Quantum Mechanics: the Riesz-Fejér Theorem. In: Zeitschrift für Naturforschung. 53a (1998), S. 637–654 (online).
  3. Daniel F. Styer: The Strange World of Quantum Mechanics. Cambridge University Press, 2000, ISBN 0-521-66780-1, S. 115.
  4. W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. Band 43, 1927, S. 172–198 (online).