Numerische Strömungsmechanik

Numerische Strömungsmechanik

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Visualisierung einer CFD-Simulation der Boeing X-43 bei Mach 7

Die numerische Strömungsmechanik (englisch Computational Fluid Dynamics, CFD) ist eine etablierte Methode der Strömungsmechanik. Sie hat das Ziel, strömungsmechanische Probleme approximativ mit numerischen Methoden zu lösen. Die benutzten Modellgleichungen sind meist die Navier-Stokes-Gleichungen, Euler-Gleichungen, Stokes-Gleichungen oder die Potentialgleichungen.[1][2]

Die Motivation hierzu ist, dass wichtige Probleme wie zum Beispiel die Berechnung des Widerstandsbeiwerts sehr schnell zu nicht linearen Problemen führen, die nur in Spezialfällen exakt lösbar sind. Die numerische Strömungsmechanik bietet dann eine kostengünstige Alternative zu Versuchen im Windkanal oder Wasserkanal. Außerdem wird eine Kostenreduktion durch die Reduktion von Maschinenstunden und Ressourcenverbrauch bei der Auslegung von Prozessen erzielt.


Modelle

Das umfassendste Modell sind die Navier-Stokes-Gleichungen. Es handelt sich hierbei um ein System von nicht linearen partiellen Differentialgleichungen 2. Ordnung.[3][4] Insbesondere sind auch Turbulenz und die hydrodynamische Grenzschicht enthalten, was allerdings zu höchsten Ansprüchen an Rechnerleistung, Speicher und die numerischen Verfahren führt.

Ein einfacheres Modell sind die Euler-Gleichungen, die aufgrund der vernachlässigten Reibung die Grenzschicht nicht abbilden und auch keine Turbulenz enthalten, womit beispielsweise Strömungsabriss nicht über dieses Modell simuliert werden kann. Dafür sind wesentlich gröbere Gitter geeignet, um die Gleichungen sinnvoll zu lösen. Für diejenigen Teile der Strömung, in denen die Grenzschicht keine wesentliche Rolle spielt, sind die Euler-Gleichungen sehr gut geeignet.

Die Potentialgleichungen schließlich sind vor allem nützlich, wenn schnell grobe Vorhersagen gemacht werden sollen. Bei ihnen wird die Entropie als konstant vorausgesetzt, was bedeutet, dass keine starken Schockwellen auftreten können, da an diesen die Entropie sogar unstetig ist. Weitere Vereinfachung über konstante Dichte führt dann zur Laplace-Gleichung.

Bei Mehrphasenströmungen spielen Wechselwirkungskräfte zwischen den Phasen eine Rolle, wobei geeignete Vereinfachungen durchgeführt werden können.

CFD-Verfahren bilden auch die Grundlage für die numerische Aeroakustik, die sich mit der Berechnung von Strömungsgeräuschen befasst.

Verfahren

Die verbreitetsten Lösungsmethoden der numerischen Strömungsmechanik sind[5]

  • Finite-Differenzen-Methode (FDM)
  • Finite-Volumen-Methode (FVM)
  • Finite-Elemente-Methode (FEM).

Die FEM ist für viele Probleme geeignet, insbesondere für elliptische und parabolische im inkompressiblen Bereich, weniger für hyperbolische. Sie zeichnet sich durch Robustheit und solide mathematische Untermauerung aus. FVM ist für Erhaltungsgleichungen geeignet, insbesondere für kompressible Strömungen. FDM ist sehr einfach und deswegen vor allem von theoretischem Interesse.

Weitere gebräuchliche Methoden sind

  • Spektralmethode
  • Lattice-Boltzmann-Methode (LBM)
  • Smoothed Particle Hydrodynamics (SPH)
  • Randelementmethode (boundary element method, BEM)
  • Fast Multipole Method (FMM)
  • Method of Fundamental Solutions (MFS)
  • Finite-Punkte-Methode (FPM)
  • Moving Particle Semi-Implicit Method (MPS)
  • Fast Fluid Dynamics (FFD)
  • Particle in Cell Method (PIC)
  • Vortex in Cell Method (VIC)

Bei allen Methoden handelt es sich um numerische Näherungsverfahren, die zur Validierung mit quantitativen Experimenten verglichen werden müssen. Mit Ausnahme der partikelbasierten Methoden ist der Ausgangspunkt der oben genannten Methoden die Diskretisierung des Problems mit einem Rechengitter.

Zeitabhängige Gleichungen

Bei zeitabhängigen Gleichungen führt die Reihenfolge von Orts- und Zeitdiskretisierung auf zwei verschiedene Lösungsansätze:

  • Vertikale Linienmethode: Hier wird zunächst im Ort diskretisiert, sodass man ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen in der Zeit erhält.
  • Horizontale Linienmethode (oder Rothe-Methode): Die Zeitdiskretisierung erfolgt zuerst und die Gleichungen reduzieren sich auf die Lösung eines Randwertproblems in jedem Zeitschritt.

Die erste Methode wird vor allem bei hyperbolischen Gleichungen und kompressiblen Strömungen, letztere bei inkompressiblen Strömungen eingesetzt. Außerdem ist die Rothe-Methode flexibler im Hinblick auf eine Implementierung einer adaptiven Gitterverfeinerung im Ort während der Zeitevolution der Strömungsgleichungen.

Turbulente Strömungen

Bei turbulenten Strömungen gibt es für die numerische Strömungssimulation noch viele offene Fragen: Entweder man verwendet sehr feine Rechengitter wie bei der direkten numerischen Simulation oder man verwendet mehr oder weniger empirische Turbulenzmodelle, bei denen neben numerischen Fehlern zusätzliche Modellierungsfehler auftreten. Einfache Probleme können auf Highend-PCs in Minuten gelöst werden, während komplexe 3D-Probleme selbst auf Großrechnern teilweise kaum zu lösen sind.

Software

Im kommerziellen Bereich wird der Markt von den Produkten der Firma ANSYS (Fluent, CFX) und Siemens PLM Software (Simcenter™ STAR-CCM+) dominiert, beide basieren auf der Methode der finiten Volumen (FVM). Im Open-Source-Bereich ist OpenFOAM das am meisten verbreitete Software-Paket, welches ebenfalls auf der FVM basiert.

In dem Bereich der gitterfreien Löser, welche direkt die Navier-Stokes-Gleichungen analog zu den FEM oder FVM lösen, gibt es die kommerzielle Software LS-DYNA[6], MPMSim[7] und Nogrid points. Für Löser, die die Boltzmann-Gleichung lösen (sogenannte Partikelmethoden, Lattice-Boltzmann-Methode) gibt es andere kommerzielle und frei verfügbare Löser, wie z. B. Powerflow, OpenLB oder Advanced Simulation Library. Für die smoothed particle hydrodynamics-Methode (SPH) ist ebenfalls Software frei verfügbar, wie pysph oder sphysics.

Daneben gibt es aber eine große Vielzahl von Lösern, die auf spezielle Strömungsprobleme z. B. mit 3D-CFD-Strömungssimulationen ausgerichtet sind und dort Verwendung finden. An vielen Universitäten werden Löser entwickelt, die sich insbesondere in akademischen Kreisen großer Beliebtheit erfreuen.

Siehe auch

Literatur

  • Eckart Laurien, Herbert Oertel jr.: Numerische Strömungsmechanik: Grundgleichungen und Modelle ‒ Lösungsmethoden ‒ Qualität und Genauigkeit. 6., überarb. und erw. Aufl., Springer Vieweg, Wiesbaden [2018], ISBN 978-3-658-21059-5.

Weblinks

Details zu den verwendeten Algorithmen stehen in den oben unter „Verfahren“ verlinkten Artikeln. Umfangreiche Übersichten zu verfügbaren Anwendungen und Programmcodes sind über die folgenden Links zu erreichen:

Einzelnachweise

  1. Hermann Schlichting, Klaus Gersten: Grenzschicht-Theorie. Springer-Verlag, 1997, ISBN 978-3-662-07554-8, S. 73.
  2. F. Durst: Grundlagen der Strömungsmechanik. Springer, 2006, ISBN 3-540-31323-0, S. 10–16.
  3. L.D. Landau, E.M. Lifshitz: Fluid Mechanics-Course of Theoretical Physics, Volume 6, Institute of Physical Problems, Pergamon Press, 1966, S. 47–53
  4. A. Chorin, J.-E. Marsden: A Mathematical Introduction to Fluid Mechanics. Springer Verlag, 2000
  5. B. Noll: Numerische Strömungsmechanik. Springer Verlag, 1993, ISBN 3-540-56712-7
  6. http://www.dynaexamples.com/efg
  7. https://www.mpmsim.com/