Als Trägheitsfusion werden Verfahren bezeichnet, für sehr kurze Zeit geeignete Bedingungen für thermonukleare Reaktionen herzustellen, und zwar die Fusion von Deuterium und Tritium.
Anders als beim magnetischen Einschluss des Fusionsplasmas (siehe Kernfusionsreaktor und Fusion mittels magnetischen Einschlusses) wird beim „Trägheitseinschluss“ das Lawson-Kriterium dadurch erfüllt, dass der Brennstoff durch sehr schnelle, oberflächliche Energiezufuhr extrem verdichtet und aufgeheizt wird. Die nötige Einschlussdauer, um einen Großteil des Brennstoffs "abzubrennen", beträgt dann nur Nanosekunden. Während dieser kurzen Zeit genügt die Massenträgheit des Plasmas selbst, um es zusammenzuhalten; daher die Bezeichnung Trägheitsfusion. Die Trägheitsfusion kann für sich in Anspruch nehmen, dass ihr Funktionieren mit Energiegewinn bereits praktisch nachgewiesen ist, denn die Wasserstoffbombe arbeitet nach diesem Prinzip. Die Arbeiten zur Trägheitsfusion am Lawrence Livermore National Laboratory entstanden denn auch aus Bemühungen, Wasserstoffbomben zu miniaturisieren. Erstmals öffentlich dargelegt wurden Überlegungen zur Trägheitsfusion mit Lasern 1972 in einem Nature-Artikel von John Nuckolls und Kollegen.[1]
Durch energiereiche, genügend fein fokussierbare Licht- oder Teilchenstrahlen (siehe Treiber) kann eine kleine Menge Fusionsbrennstoff innerhalb eines Reaktorgefäßes sehr schnell aufgeheizt werden. Diese Strahlen – mindestens zwei Strahlen aus entgegengesetzten Richtungen, in den meisten Konzepten aber weit mehr – gelangen durch kleine Öffnungen in das Target, einen Hohlkörper von einigen Millimetern Größe. In dessen Innerem befindet sich eine kleine Kugel aus einigen Milligramm Fusionsbrennstoff in fester Form, etwa gefrorenes Deuterium-Tritium-Gemisch. Die Strahlen treffen auf die Innenwand des Targets und heizen sie so auf, dass das entstehende Plasma im Röntgenbereich thermisch strahlt. Durch Strahlungstransport werden alle Oberflächen, einschließlich der des Brennstoffkügelchens gleichmäßig erhitzt, siehe Hohlraumstrahlung. Der Gasdruck des Plasmas sprengt eine äußere Schicht ab, wodurch der restliche Brennstoff konzentrisch zusammengedrückt wird. Im Zentrum der Schockwelle reicht die Temperatur aus für die Fusionsreaktion. Diese Methode, den Fusionsbrennstoff mittels des zwischengeschalteten Hohlkörpers zur Reaktion zu bringen, wird als indirect drive bezeichnet.
Ursprüngliche Hoffnungen, man könne die mit dünnem Glas oder Metall umhüllte Brennstoffkugel ohne Zwischenschaltung des Strahlungshohlkörpers direkt mittels der als Treiber dienenden Strahlen genügend gleichmäßig komprimieren (direct drive), haben sich als unrealistisch erwiesen; die Rayleigh-Taylor-Instabilität verstärkt jede Ungleichmäßigkeit.
Eine weitere Methode - bisher (2012) noch nicht praktisch erprobt - besteht darin, Kompression und Zündung getrennt herbeizuführen, indem ein zusätzlicher hochintensiver Laserpuls (fast ignitor) das komprimierte Plasma an einer Stelle stark aufheizt.[2]
Experimentelle Beobachtungen des Brennvorganges in einem Fusionsplasma extrem hoher Dichte sind bei einer Wasserstoffbombe nicht möglich, denn deren Energieausstoß ist durch die zur Zündung notwendige Kernspaltungs-Explosion nach unten begrenzt; eine Reaktionskammer und Messeinrichtungen würden dabei zerstört. Die Trägheitsfusion kann dagegen mit sehr kleinen (Milligramm-)Brennstoffmengen in einer Reaktionskammer herbeigeführt und untersucht werden.
Diese Untersuchungen sind – als Ersatz für die früher von den Nuklearmächten durchgeführten Kernwaffentests – vor allem von militärischem Interesse. Die Versuchsanlagen NIF in den USA und LMJ in Frankreich (siehe unten) werden zu diesem Zweck betrieben bzw. gebaut und im Wesentlichen aus militärischen Budgets finanziert. Sie sind somit nicht auf die Entwicklung von Trägheitsfusions-Kraftwerken ausgerichtet. Als Nebenmotiv für die hohen Investitionen wurde teils auch die „Soziologie der Waffenlabore“ angeführt, da diese nach dem Zurückfahren der atomaren Aufrüstung neue Projekte bräuchten, um junge Wissenschaftler anzuziehen.[3]
Der entscheidende Unterschied zwischen diesen Experimenten mit jeweils einzelnen "Schüssen" und einem dauerhaft Nutzenergie liefernden Reaktor liegt darin, dass im Reaktor die Targets in schneller Folge (mehrere pro Sekunde) positioniert und gezündet werden müssten. Außerdem scheitert die Erzielung eines Netto-Energiegewinns – zumindest bei Lasertreibern – bisher auch am Wirkungsgrad der Treiber.
Theoretisch untersucht werden Konzepte mit Laser-, Leichtionen- und Schwerionenstrahlen. Experimentell ist bisher nur die Lasertechnik nennenswert weit entwickelt worden.
Das NIF (National Ignition Facility) befindet sich am Lawrence Livermore National Laboratory im kalifornischen Livermore. Auf einer Fläche von 20.000 m² wurden 192 Hochleistungslaser installiert, deren Strahlen in einer kugelförmigen Reaktionskammer von 10 Metern Durchmesser zusammenlaufen. In der Mitte der Kammer wird der wenige Millimeter große Hohlkörper angebracht. Die Anlage hat 2009 den vollen Betrieb aufgenommen. Im Oktober 2010 wurde erstmals ein vollwertiger Schuss in ein tritiumhaltiges Target eingekoppelt.[4] Im Juli 2012 wurde eine Spitzenleistung des Laserimpulses von 423 Terawatt erzielt, ein Weltrekord für Hochleistungslaser.[5] Im September und November 2013 gelang es in zwei Durchführungen eines Experiments, bei dem alle 192 Laser eingesetzt wurden, durch Kernfusion mehr Energie zu erzeugen, als der Brennstoff zuvor aus der Ablationsschicht des Brennstoffkügelchens aufgenommen hat.[6][7]
Das französische LMJ (Laser Mégajoule) wird seit 1994 in der Nähe von Bordeaux entwickelt und seit 2004 aufgebaut. Aktuell ist mit dem LIL (ligne d'intégration laser) eine erste Anlage zur Erprobung der Techniken im Betrieb. Hier werden auf einer Fläche von 10.000 m² 360 Blitzlampen eingesetzt, die 15 MJ (Megajoule) gespeicherte elektrische Energie umsetzen. Die geplante LMJ-Anlage soll auf 40.000 m² 10.800 Blitzlampen und 440 MJ einsetzen.[8] Projektträger ist das CEA2 (Commissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives), die französische Kernenergiebehörde, die auch für militärische Forschung zuständig ist.
Die geplante europäische Fusionsversuchsanlage High Power laser Energy Research facility (HiPER)[9] soll die fast ignitor-Technik anwenden.
Für Kraftwerkszwecke, also eine Netto-Energiegewinnung, sind Hochleistungs-Lasertreiber noch nicht geeignet, weil der Wirkungsgrad und auch die mögliche Schuss-Folgefrequenz noch zu gering sind.
Schwerionenstrahlen[10][11] haben eine sehr viel höhere Energiedichte als Laserstrahlen und könnten – mit im Wesentlichen bekannter Technologie – mit viel besserem Wirkungsgrad erzeugt werden. Auch Leichtionenstrahlen (beispielsweise Lithiumionen[12]) haben physikalisch und beschleunigertechnisch verschiedene Argumente für sich.
Die ionengetriebene Fusion zur Energiegewinnung wird derzeit (Stand 2012) jedoch nur noch theoretisch erörtert.[13] Angedachte Versuche in Deutschland mit dem Ionenbeschleuniger des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und deren PHELIX Hochenergie-Lasersystem in Kombination werden nicht weiter verfolgt, da der Ausbau von FAIR Vorrang hat.