Die optische Aktivität ist eine Eigenschaft mancher durchsichtiger Materialien, die Polarisationsrichtung des Lichts zu drehen. Beim Durchgang von linear polarisiertem Licht durch ein optisch aktives Medium wird die Polarisationsebene des Lichts an jedem Molekül ein wenig gedreht. Bei chiralen Molekülen mittelt sich dieser an jedem Einzelmolekül auftretende Effekt nicht mit statistischer Sicherheit wieder zu Null heraus, so dass sich die Einzeldrehungen akkumulieren können. Es resultiert nach Durchgang des Lichts durch den gesamten Substanzkörper ein großer messbarer Netto-Drehbetrag.
Man unterscheidet zwischen rechtsdrehenden (Polarisationsebene beobachterseitig rechtsdrehend) und linksdrehenden Substanzen. Eine dritte Kategorie bilden Racemate, in denen stets gleiche Konzentrationen der beiden rechts- und linksdrehenden Substanzen (Enantiomere) vorliegen und die somit optisch inaktiv sind.
Licht ist eine elektromagnetische Welle. Bei einer solchen schwingt ein elektrisches Feld – d. h. der Feldvektor, der die Feldstärke und -richtung beschreibt – senkrecht zum Wellenvektor (Ausbreitungsrichtung) der Welle. Durch die Schwingung des Vektors und die Ausbreitungsrichtung ist also eine ganz bestimmte Ebene im Raum ausgezeichnet. Schaut man dem Strahl entgegen, so sieht man nur die „Kante“ dieser Ebene, die in einem bestimmten Winkel geneigt ist.
Normales Licht enthält Strahlen, die in jeder beliebigen Richtung schwingen, linear polarisiertes Licht dagegen schwingt nur in einer Ebene. In optisch aktiven Substanzen wird die Neigung dieser Ebene verändert. Somit wird auch normales Licht von optisch aktiven Stoffen gedreht, nur fällt es nicht auf, weil vorher wie nachher alle Richtungen vertreten sind. Im Gegensatz dazu ist bei polarisiertem Licht die Änderung des Winkels direkt messbar.
Um das Phänomen der optischen Aktivität zu verstehen, muss man sich zunächst klarmachen, warum die meisten Stoffe nicht optisch aktiv sind. Denn jedes Molekül jeder Verbindung enthält Ladungsschwerpunkte und somit ein elektrisches Feld, das mit der Welle in Wechselwirkung tritt und die Schwingungsebene leicht drehen kann. Der Grad dieser Drehung hängt entscheidend von der räumlichen Orientierung des Moleküls zur Welle ab. Durch das exakte Spiegelbild eines Moleküls (das Enantiomer) wird eine erfolgte Drehung genau wieder rückgängig gemacht.
In einer Lösung sind die Moleküle durch die thermische Bewegung in jede mögliche Lage statistisch verteilt. Man kann also sagen, ein durch ein Molekül gedrehter Strahl wird auf ein Molekül treffen, das so gedreht ist, dass es genau dem Spiegelbild des ersten entspricht und die Drehung rückgängig macht. Im Allgemeinen sind Substanzen also nicht optisch aktiv. Wenn Enantiomere in gleicher Menge (1:1-Gemisch) vorhanden sind und sich somit die Drehung des polarisierten Lichts wieder aufhebt, spricht man von einem Racemat.
Genau bei der Spiegelbild-Vorstellung liegt nun der Grund für die optische Aktivität chiraler Substanzen: nach Definition lassen sie sich nicht durch Rotation zur Deckung mit ihrem Spiegelbild bringen, d. h., durch Drehen in ihr Spiegelbild umwandeln, wodurch beim reinen Enantiomer keine Spiegelbilder vorliegen und die Drehung also nicht genau rückgängig gemacht werden kann. Daraus resultiert tatsächlich eine makroskopische Drehung der Polarisation.
Die Bezeichnungen für die Drehrichtungen lauten (+) für rechtsdrehende Stoffe oder Enantiomere und (–) für linksdrehende. Es gibt keine beständige, d. h. für alle Stoffe geltende Korrelation zwischen der (R)- bzw. (S)-Konfiguration (oder der D- bzw. L-Konfiguration) von Enantiomeren und der Drehrichtung des linear-polarisierten Lichts.
Überlagern sich zwei gegensinnig zirkular polarisierte Wellen gleicher Frequenz, so entsteht eine linear polarisierte Welle. Bei der optischen Aktivität erfolgt das Gegenteil: eine linear polarisierte Welle wird in zwei zirkular polarisierte Wellen aufgeteilt, eine links- und eine rechtsdrehende. Optisch aktive Stoffe haben nun die Eigenschaft, dass eine dieser beiden Wellen eine höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit hat. Am Ende des Kristalls hat sich also eine Welle nicht so weit gedreht wie die andere, die Überlagerung beider Wellen ergibt wieder eine linear polarisierte Welle (die Frequenz wird im Medium nicht verändert), deren elektrischer Feldvektor allerdings um einen Winkel Alpha gedreht ist.
Der makroskopische Drehwinkel $ \alpha $, den man beim Durchgang von linear polarisiertem Licht durch eine optisch aktive Substanz findet, hängt zunächst von der Substanz selbst ab, d. h. verschiedene Moleküle beeinflussen das Licht unterschiedlich. Darüber hinaus wird der Drehwinkel von folgenden Faktoren beeinflusst:
Wenn die Wellenlänge λ des Lichts und die Temperatur T gegeben sind, kann man den spezifischen Drehwinkel a einer Substanz (für diese Wellenlänge und diese Temperatur) bestimmen:
mit
Normalerweise ist der Winkel angegeben für gelbes Natriumlicht (λ = 589 nm bzw. „D“ für die Natrium-D-Linie) und eine Temperatur von 20 °C (oder 25 °C):
Literaturwerte beziehen sich auf die sonst eher unüblichen Einheiten $ \beta =1 $ (entspricht 1 g Substanz pro 100 cm³ Lösung) und d = 1 dm.
Nach
mit der Kreiswellenzahl $ k $ hängt der Drehwinkel reziprok vom Quadrat der Wellenlänge ab, sofern ein Wellenlängenbereich betrachtet wird, in dem der optisch aktive Stoff kein Licht absorbiert. Im Bereich von Absorptionsmaxima dominiert dagegen der Cotton-Effekt.
Auch die meisten Kristalle drehen das Licht, u. a. Quarz, Calcit, Zinnober und Natriumchlorat. Bei ihnen liegt die Asymmetrie in der Kristallstruktur.
In Anwesenheit eines statischen magnetischen Feldes sind alle Moleküle optisch aktiv. Dieser Faraday-Effekt war eine der ersten Entdeckungen, die einen Zusammenhang zwischen Licht und Elektromagnetismus zeigten.
Der Drehwinkel $ \alpha $, um den die Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht der Wellenlänge $ \lambda $ nach Durchlaufen der Strecke $ d $ gedreht wurde, ist:
wobei $ n_{\mathrm {l} } $ der Brechungsindex für linksdrehendes und $ n_{\mathrm {r} } $ derjenige für rechtsdrehendes Licht ist.
Messbar ist die optische Aktivität mittels eines Polarimeters. Aus dem gemessenen Drehwinkel lässt sich mit obiger Formel die Konzentration einer Lösung errechnen, was besonders in der Zuckerverarbeitung Anwendung findet (Saccharimetrie). Einige historische Bezeichnungen sind auf diese praktische Anwendung zurückzuführen:
Naturstoffe besitzen häufig eine Vielzahl chiraler Zentren mit eindeutiger Konfiguration und liegen daher in Form von Enantiomeren vor. Diese drehen die Ebene des polarisierten Lichtes um den gleichen Betrag in entgegengesetzte Richtungen (unterschiedliche Vorzeichen) und besitzen gewöhnlich unterschiedliche physiologische Wirkungen auf lebende Organismen. Deshalb ist die Messung der optischen Reinheit mit einem Polarimeter ein wichtiges Qualitätskriterium für chirale Arzneistoffe.