Physikalische Größe | |||||||
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Name | Äquivalentdosis | ||||||
Formelzeichen | $ H $ | ||||||
Abgeleitet von | Energiedosis | ||||||
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Die Äquivalentdosis ist eine im Strahlenschutz verwendete Dosisgröße für ionisierende Strahlung. Sie berücksichtigt neben der übertragenen Energiedosis auch die relative biologische Wirksamkeit (RBW) der verschiedenen Strahlenarten. Beispielsweise sind bei gleicher Energiedosis Alphateilchen um ein Vielfaches wirksamer als Photonen der Gammastrahlung oder Röntgenstrahlung.
Für jede Strahlenart – bei manchen Strahlenarten auch noch je nach dem Bereich der Strahlenenergie – ist ein Wichtungsfaktor festgelegt. Er drückt aus, wievielfach wirksamer diese Strahlung im Vergleich mit einer Bezugsstrahlung ist. Die Äquivalentdosis ist die gewichtete, d. h. mit dem Wichtungsfaktor multiplizierte Energiedosis. Äquivalentdosen jeder Strahlenart können in ihrer Wirkung direkt miteinander verglichen und durch Vergleich mit einer dosisgleichen Exposition der Bezugsstrahlung leicht bewertet werden.
Im Strahlenschutz gibt es zwei Konzepte für die Wichtung:
Welches Wichtungskonzept angewendet wird, richtet sich nach der zu beschreibenden dosimetrischen Größe. Im Strahlenschutz wird bei Dosisangaben zwischen „Schutzgrößen“ und „Messgrößen“ unterschieden (vgl. ICRP-Publikation 103[1], Ziffern 101 und 102). Erstere sind die Körperdosen, die eigentlich maßgebenden Dosiswerte, die von Organen und Geweben aufgenommen und zu deren Begrenzung Rechtsvorschriften erlassen werden. Da Körperdosen jedoch im praktischen Strahlenschutz der Messung nicht zugänglich sind, muss auf Dosismessgrößen zurückgegriffen werden, von denen auf die Körperdosen geschlossen werden kann.
Da es sich bei den Wichtungsfaktoren um dimensionslose Verhältniszahlen handelt, haben Äquivalentdosen dieselbe physikalische Maßeinheit wie die Energiedosis, also Joule pro Kilogramm. Zur Unterscheidung wird bei Äquivalentdosen die Einheitenbezeichnung Sievert (Sv) benutzt.
Messgröße ist die Äquivalentdosis $ H $, die der Orts- und Personendosisüberwachung bei äußerer Strahlenexposition dient (vgl. Strahlenschutzverordnung[2], Anlage VI, Teil A). Sie bezieht sich auf Messpunkte und die dort von der Strahlenart R erzeugte Energiedosis $ D_{R} $. Als Wichtungsfaktor wird der Qualitätsfaktor $ Q_{R} $ verwendet, der von der ICRU (International Commission on Radiation Units and Measurements) für ein standardisiertes Weichteilgewebe definiert ist.
Wirken mehr als eine Strahlenart R mit jeweils unterschiedlichen Energiedosen $ D_{R} $ und Qualitätsfaktoren $ Q_{R} $ auf den Messpunkt ein, so addieren sich die jeweiligen Äquivalentdosen.
Eine Ausprägung der Äquivalentdosis $ H $ ist die Personendosis $ H_{p}(d) $. Sie bestimmt den Standard für die Kalibrierung von Personendosimetern. Der Messpunkt liegt in standardisierten Weichteil-Phantomen (u. a. ICRU-Kugel) in der Tiefe $ d $[3].
Eine weitere Ausprägung ist die Umgebungs-Äquivalentdosis $ H^{*}(10) $, die den Standard für die Kalibrierung von Messgeräten zur Messung von Ortsdosis und Ortsdosisleistung bestimmt. Der maßgebende Messpunkt liegt in der ICRU-Kugel in einer Tiefe von 10 mm. Ortsdosis und Ortsdosisleistung haben eine überragende Bedeutung im praktischen Strahlenschutz, insbesondere bei Photonenstrahlung. Die Ortsdosisleistung ist die Zunahme der Ortsdosis pro Zeiteinheit, die von andauernder Strahlung bewirkt wird. Sie wird meist in Mikrosievert pro Stunde (µSv/h) gemessen.
Schutzgröße bzw. Körperdosis ist die Organdosis $ H_{T} $. Bei der Inkorporation von Radionukliden ist Schutzgröße die Organ-Folgedosis. Die Dosisangaben beziehen sich auf die über ein Organ oder ein Gewebe T gemittelte Energiedosis $ D_{T} $ der Strahlenart R. Wichtungsfaktor ist der Strahlungs-Wichtungsfaktor $ w_{R} $.
Wirken Strahlenarten R mit unterschiedlichen Werten für $ w_{R} $ und Energiedosen $ D_{T,R} $ auf das Organ T ein, so addieren sich die diesbezüglichen Äquivalentdosen.
Wegen Einzelheiten der Definition und der Größe des Strahlungs-Wichtungsfaktors für Strahlenarten siehe den Artikel Strahlungs-Wichtungsfaktor und die ICRP-Publikation 103[1].
Die effektive Dosis wird aus den Organdosen und den entsprechenden Folgedosen abgeleitet. Bei dieser für Strahlenschutzzwecke wichtigen Dosisgröße handelt es sich daher ebenfalls um eine Äquivalentdosis im Rahmen der Körperdosen. Wegen Einzelheiten siehe den Artikel effektive Dosis.
Die Strahlenschutzverordnung spricht im Einklang mit der ICRP-Publikation 103 bei den Körperdosen nicht explizit von Äquivalentdosen. Die Bezeichnung Äquivalentdosis bleibt dort der Messgröße gemäß dem vorigen Abschnitt vorbehalten. Dies hat historische Gründe (siehe Abschnitt Historisches). Die aktuelleren EURATOM-Grundnormen[4] benutzen jedoch anstelle der o. a. Bezeichnungen Organ-Dosis und Organ-Folgedosis die Bezeichnungen „Organ-Äquivalentdosis“ und „Folge-Organ-Äquivalentdosis“, was diese Strahlendosen explizit als Äquivalentdosen ausweist. Im Zuge der Umsetzung der EURATOM-Grundnormen wurden diese Begriffe in das deutsche Strahlenschutzrecht übernommen und werden ebenfalls explizit für Körperdosen verwendet (§ 5 Abs. 19 und 27 des Strahlenschutzgesetzes). Zur besseren Unterscheidung könnte in einer weitergehenden Umsetzung außerdem für die Äquivalentdosis im Sinne einer Messgröße der Begriff „Mess-Äquivalentdosis“ eingeführt werden (vgl. SSK-Empfehlung „Radiologische Grundlagen“[5], Abschnitt 3.1).
Die Äquivalentdosis als Messgröße ist im praktischen Strahlenschutz von großer Bedeutung zur Feststellung und Überwachung von Körperdosen. Dies ist allerdings auf bestimmte Anwendungsbereiche bei externer Strahlenexposition begrenzt. Die Oberflächen-Personendosis $ H_{p}(0{,}07) $ dient im Rahmen der Haut-, Hand-, und Fußdosimetrie der direkten Abschätzung der damit verbundenen Körperdosen. Mit der Personendosis $ H_{p}(10) $ ist eine Abschätzung von Körperdosen vor allem bei durchdringender Strahlung sehr gut möglich. Insbesondere bei Photonenstrahlung kann für Strahlenschutzzwecke die Körperdosis der Messgröße einfach gleichgesetzt werden (gleichbedeutend mit $ Q_{R}=w_{R}=1 $), was einer konservativen, d. h. auf der sicheren Seite liegenden Abschätzung der Körperdosen gleichkommt[6]. Bei niedriger Dosis kann die Messgröße $ H_{p}(10) $ mit hinreichender Genauigkeit der effektiven Dosis gleichgesetzt werden. Voraussetzung ist eine homogene Ganzkörperexposition[7].
Unter weniger günstigen Voraussetzungen müssen bei externer Strahlenexposition aus den Daten der Strahlenfelder in Verbindung mit geeigneten rechnergestützten Modellen und anthropomorphen Phantomen angepasste Konversionskoeffizienten entwickelt werden, mit denen Körperdosen aus der Messgröße Umgebungs-Äquivalentdosis $ H^{*}(10) $ abgeschätzt werden können.
Für die innere Strahlenexposition sind keine Dosismessgrößen definiert. Es müssen andere Messgrößen herangezogen werden, auch indirekte, wie Aktivitätsbestimmungen von Urin- und Stuhlproben. Besonders hilfreich sind die Dosiskoeffizienten der ICRP[8], mit deren Hilfe Organ-Folgedosen und effektive Folgedosen direkt aus den Daten der Zufuhr (z. B. Radionuklid, Aktivität, Aktivitätskonzentration, chemische und physikalische Form des zugeführten radioaktiven Stoffs) abgeschätzt werden können.
Die Ortsdosisleistung bei Photonenstrahlung kann besonders einfach und schnell gemessen werden. In Berichten über Strahlenexpositionen wird sie daher oft an erster Stelle genannt. Folgende Tabelle soll eine Orientierungshilfe für die Bewertung solcher Angaben geben. Voraussetzung ist ein ausgedehntes homogenes und zeitlich konstantes Strahlungsfeld. Ggf. zugleich vorliegende weitere Strahlenexpositionen, z. B. durch Inkorporationen, wären zusätzlich zu berücksichtigen.
Ortsdosisleistung | Bewertung |
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0,08 µSv/h | Mittlere natürliche Ortsdosisleistung in Deutschland |
2,3 µSv/h | Nach einem Notfall maßgebender Wert für die Zulassung einer Rückkehr in ein evakuiertes Gebiet (vgl. den oberen Referenzwert von 20 mSv pro Jahr bei „bestehenden“ Expositionen gemäß der SSK-Empfehlung „Radiologische Grundlagen“[5])[9] |
3 µSv/h | Untere Grenze des „Kontrollbereichs“ bei beruflicher Strahlenexposition (vgl. § 36 Abs. 1 Ziffer 2 StrlSchV[2]) |
25 µSv/h | Grenze des Gefahrenbereichs im ABC-Einsatz in Deutschland (vgl. Abschnitt 2.3.2.1 FwDV 500[10]) |
60 µSv/h | Bei einem Notfall maßgebender Wert für die Schutzmaßnahme „Aufenthalt in Gebäuden“ (vgl. den entsprechenden Eingreifrichtwert von 10 mSv in 7 Tagen gemäß der SSK-Empfehlung „Radiologische Grundlagen“[5])[9] |
600 µSv/h | Bei einem Notfall maßgebender Wert für die Schutzmaßnahme „Evakuierung“ (vgl. den entsprechenden Eingreifrichtwert von 100 mSv in 7 Tagen gemäß der SSK-Empfehlung „Radiologische Grundlagen“[5])[9] |
3000 µSv/h | Untere Grenze des „Sperrbereichs“ (siehe § 36 Abs. 1 Ziffer 3 StrlSchV[2]) |
Für Beispiele von Äquivalentdosen als Körperdosen siehe den Artikel Größenordnung (Äquivalentdosis) und die Veröffentlichung der SSK „Orientierungshilfe für bildgebende Untersuchungen“[11]
Schon vor 1991 wurde die Äquivalentdosis als Bezeichnung sowohl für die Dosismessgröße als auch für Körperdosen verwendet, allerdings damals unter Nutzung allein des Qualitätsfaktors $ Q $ als Wichtungsfaktor. Mit der ICRP-Publikation 60[12] wurde für die Körperdosis der Strahlungs-Wichtungsfaktor $ w_{R} $ eingeführt. Die Äquivalentdosis als Messgröße und deren Definition blieben dabei unberührt.
Die Äquivalentdosis wurde früher in Rem (roentgen equivalent man) angegeben. 1 Sv ist gleich 100 Rem.