Einstein erneut erfolgreich
Physik-News vom 13.12.2021
Ein internationales Forscherteam hat in einem 16 Jahre dauernden Experiment Einsteins allgemeine Relativitätstheorie mit einigen der bisher rigidesten Tests überprüft. Sie erforschten ein einzigartiges Sternpaar mit extremen Eigenschaften, zwei Pulsare in einem Doppelsternsystem. Bei den Untersuchungen, an denen sieben Radioteleskope auf der ganzen Welt beteiligt waren, traten neue relativistische Effekte zutage, die zum ersten Mal beobachtet wurden. Einsteins Theorie aus einer Zeit, als man sich weder solch extreme Sterne noch die verwendeten Untersuchungstechniken vorstellen konnte, stimmt mit den Beobachtungen besser als 99,99 % überein.
Mehr als 100 Jahre, nachdem Albert Einstein seine Gravitationstheorie veröffentlicht hat, bemühen sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt weiterhin, mögliche Grenzen der allgemeinen Relativitätstheorie aufzuzeigen. Die Beobachtung einer Abweichung von den Vorhersagen dieser Theorie wäre eine wichtige Entdeckung, die ein Fenster zu einer neuen Physik öffnen würde, und über unser derzeitiges theoretisches Verständnis des Universums hinausgeht.
Publikation:
M. Kramer et al.
Strong-Field Gravity Tests with the Double Pulsar
Physical Review X
DOI: 10.1103/PhysRevX.11.041050
Der Leiter des Forschungsteams, Prof. Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, sagt: "Wir haben ein System mit zwei Sternen von extrem hoher Dichte untersucht, das ein einzigartiges Labor darstellt, um Gravitationstheorien in der Anwesenheit sehr starker Gravitationsfelder zu testen. Zu unserer Freude konnten wir einen Eckpfeiler der Einsteinschen Theorie, nämlich die Energieabstrahlung von Gravitationswellen, mit einer Genauigkeit testen, die 25-mal besser ist als bei dem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Hulse-Taylor-Pulsar und 1000-mal besser als es derzeit mit Gravitationswellendetektoren auf der Erde möglich ist." Er erklärt weiterhin, dass die Beobachtungen nicht nur exzellent mit der Theorie übereinstimmen, "sondern wir konnten auch Effekte sehen, die vorher nicht zugänglich waren.“
Prof. Ingrid Stairs von der University of British Columbia in Vancouver nennt ein Beispiel: "Wir verfolgen die Ausbreitung von Radiophotonen, die von einem kosmischen Leuchtturm, einem Pulsar, ausgesandt werden, und untersuchen ihre Bewegung im starken Gravitationsfeld eines Begleitpulsars. Wir sehen zum ersten Mal, dass das Licht nicht nur aufgrund einer starken Krümmung der Raumzeit um den Begleiter verzögert wird, sondern dass das Licht auch um einen kleinen Winkel von 0,04 Grad abgelenkt wird, den wir nachweisen können. Nie zuvor wurde ein solches Experiment bei einer so starken Raumzeitkrümmung durchgeführt."
Dieses kosmische Labor, das unter dem Namen "Doppelpulsar" bekannt ist, wurde von Mitgliedern des Teams im Jahr 2003 entdeckt. Es besteht aus zwei Radiopulsaren, die einander in nur 147 Minuten mit Geschwindigkeiten von etwa 1 Million km/h umkreisen. Der eine Pulsar dreht sich sehr schnell, etwa 44 Mal pro Sekunde. Der Begleiter ist jung und hat eine Rotationsperiode von 2,8 Sekunden. Ihre Bewegung umeinander kann als nahezu perfektes Labor zur Untersuchung von Gravitationstheorien in extremer Umgebung genutzt werden.
Prof. Dick Manchester von der nationalen Wissenschaftsagentur CSIRO in Australien veranschaulicht dies wie folgt: "Eine derart schnelle Umlaufbewegung von solch kompakten Objekten - sie sind etwa 30 % massereicher als die Sonne, haben aber nur einen Durchmesser von etwa 24 km - ermöglicht es uns, eine Reihe von Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie zu testen - insgesamt sind es sieben Stück! Neben den Gravitationswellen können wir mit der Präzision unseres Experiments auch Effekte der Lichtausbreitung untersuchen, wie die so genannte "Shapiro-Verzögerung" und die Beugung des Lichts. Wir messen auch den Effekt der "Zeitdilatation", der Uhren in Gravitationsfeldern langsamer laufen lässt. Wir müssen sogar Einsteins berühmte Gleichung E = mc2 berücksichtigen, wenn wir die Wirkung der elektromagnetischen Strahlung des sich so schnell drehenden Pulsars auf die Bahnbewegung untersuchen. Diese Strahlung entspricht einem Massenverlust von 8 Millionen Tonnen pro Sekunde! Das scheint viel zu sein, aber es ist nur ein winziger Bruchteil - 3 Teile von tausend Milliarden Milliarden (!) - der Gesamtmasse des Pulsars pro Sekunde."
Die Forscher haben auch mit einer Genauigkeit von 1 Teil in einer Million(!) nachweisen können, dass die Bahn ihre Ausrichtung ändert. Das ist ein relativistischer Effekt, der auch von der Merkurbahn bekannt ist, hier aber 140.000 Mal stärker auftritt. Sie erkannten, dass sie bei dieser Genauigkeit auch die Auswirkungen der Rotation des Pulsars auf die umgebende Raumzeit berücksichtigen müssen, die mit dem rotierenden Pulsar sozusagen "mitgeschleift" wird. Dr. Norbert Wex vom MPIfR, ein weiterer Hauptautor der Studie, erklärt: "Physiker nennen dies den Lense-Thirring-Effekt oder Frame-Dragging. In unserem Experiment bedeutet es, dass wir die innere Struktur eines Pulsars als Neutronenstern betrachten müssen. Unsere Messungen ermöglichen es uns daher zum ersten Mal, eine Technik, die wir Pulsar-Timing nennen, nämlich die präzise Nachverfolgung der Umdrehung des Neutronensterns zu nutzen, um Aussagen über die Größe des Sterns treffen zu können."
Radiopulsare
Radiopulsare - schnell rotierende, stark magnetisierte Neutronensterne - sind faszinierende Objekte. Diese unglaublich dichten Objekte, die mehr wiegen als unsere Sonne, aber nur einen Durchmesser von etwa 24 km haben, erzeugen Radiostrahlen, die den Himmel wie das Signal eines Leuchtturms überstreichen. Seit ihrer Entdeckung durch Jocelyn Bell-Burnell und Antony Hewish im Jahr 1967 wurden mehr als 3000 Pulsare gefunden. Pulsare liefern eine Fülle von Informationen über die Physik von Neutronensternen, Gravitationspotential und Magnetfeld der Milchstraße, das interstellare Medium, Himmelsmechanik, Planetenphysik und sogar Kosmologie. Sie ermöglichen die strengsten Überprüfungen der Vorhersagen von Gravitationstheorien für stark gekrümmte Raumzeiten.
Die Technik der Pulsarzeitmessung wurde mit sorgfältigen interferometrischen Messungen des Systems kombiniert, um seine Entfernung mit hochauflösender Bildgebung zu bestimmen. Das Ergebnis beträgt 2400 Lichtjahre, mit einem Fehler von nur 8%. Teammitglied Prof. Adam Deller von der Swinburne-Universität in Australien, der für diesen Teil des Experiments verantwortlich ist, hebt hervor: "Es ist die Kombination verschiedener, sich ergänzender Beobachtungstechniken, die den extremen Wert des Experiments ausmacht. In der Vergangenheit wurden ähnliche Studien oft durch das begrenzte Wissen über die Entfernung solcher Systeme behindert". Dies ist hier nicht der Fall, da neben der Pulsarzeitmessung und der Interferometrie auch die Informationen aus den Effekten des interstellaren Mediums sorgfältig berücksichtigt wurden. Prof. Bill Coles von der University of California San Diego stimmt dem zu: "Wir haben alle möglichen Informationen über das System gesammelt und ein vollkommen konsistentes Bild abgeleitet, das die Physik aus vielen verschiedenen Bereichen wie Kernphysik, Gravitation, interstellares Medium, Plasmaphysik und mehr einbezieht. Das ist sehr außergewöhnlich."
"Unsere Ergebnisse sind eine gute Ergänzung zu anderen experimentellen Studien, die die Schwerkraft unter anderen Bedingungen testen oder unterschiedliche Effekte beobachten, wie Gravitationswellendetektoren oder das Event-Horizon-Teleskop. Sie ergänzen ebenfalls andere Pulsarexperimente, wie unser Timing-Experiment mit einem Pulsar in einem stellaren Dreifachsystem, das einen unabhängigen (und hervorragenden) Test der Universalität des freien Falls geliefert hat", sagt Paulo Freire, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie.
Michael Kramer fasst zusammen: "Wir haben einen Grad von Präzision erreicht, der beispiellos ist. Künftige Experimente mit noch größeren Teleskopen können und werden noch weiter gehen. Unsere Arbeit hat gezeigt, wie genau solche Experimente durchgeführt werden müssen und welch subtile Effekte dafür berücksichtigt werden müssen. Und vielleicht werden wir eines Tages wirklich eine Abweichung von der allgemeinen Relativitätstheorie finden..."
Doppelpulsar PSR J0737-3039 A/B
Der "Doppelpulsar" PSR J0737-3039 A/B wurde von Mitgliedern des Teams entdeckt (M. Burgay et al., 2003, Nature 426, 531-533; A. Lyne et al., 2004, Science 303, 1153). In der ersten Arbeit wurde ein Pulsar in einem Doppelsternsystem beschrieben, während in der zweiten Arbeit auch der Begleiter als Pulsar bestätigt werden konnte. Es ist das einzige bisher bekannte System, in dem zwei Radiopulsare einander umkreisen. Die Quelle wurde in einer Entfernung von 2400 Lichtjahren in Richtung des Sternbildes Puppis (direkt links von Canis Major mit Sirius, dem hellsten Stern am Nachthimmel) im Rahmen einer Pulsardurchmusterung in hohen galaktischen Breiten mit dem Parkes-Radioteleskop gefunden. Die beiden Pulsare umkreisen einander in nur 147 Minuten. Einer von ihnen dreht sich sehr schnell, etwa 44 Mal pro Sekunde, während der jüngere Begleiter eine Rotationsperiode von 2,8 Sekunden aufweist. Die Geometrie des Systems führt zu Verdeckungen der gepulsten Emission des einen Pulsars durch die Magnetosphäre des anderen. Außerdem hat die geodätische Präzession der Rotationsachse von Pulsar B dazu geführt, dass die Pulssignale des Begleiters seit dem Jahr 2008 vorübergehend verschwunden sind. Der genaue Zeitpunkt ihres Wiederauftauchens hängt von den Details der Gestalt des Pulsarstrahls ab und kann bereits in einigen Monaten oder erst in einer Reihe von Jahren erfolgen. Die Bewegung zweier Pulsare umeinander macht sie zu einem nahezu perfekten Labor für Tests der Gravitation.
Für die Beobachtungen wurden sieben empfindliche Radioteleskope eingesetzt. Dazu gehören das Parkes-Teleskop der CSIRO in Australien (Beobachtungen bei 700 MHz, 1400 MHz und 3100 MHz), das Green-Bank-Teleskop in den USA (Beobachtungen bei 820 MHz und 1400/1500 MHz) (Beobachtungen bei 820 MHz und 1400/1500 MHz), das Nançay-Radioteleskop in Frankreich (Beobachtungen in zwei Bändern mit Zentralfrequenzen von 1484 MHz bzw. 2520 MHz), das 100m-Teleskop Effelsberg (zwei verschiedene 20-cm-Empfängersysteme), das Lovell-Radioteleskop in Großbritannien (im Frequenzbereich von 1300-1700 MHz) und das Westerbork-Synthesis-Radioteleskop in den Niederlanden (Beobachtungen bei 334 MHz). Darüber hinaus wurden Beobachtungen mit dem Very Long Baseline Array (VLBA) mit zehn über die USA verteilten Einzelteleskopen durchgeführt (bei 1,56 GHz).
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.