Brownsche Bewegung

Brownsche Bewegung

2-dimensionaler "Random Walk" eines Silber-Adatoms auf einer Silber (111) Oberfläche[1].

Die brownsche Bewegung ist die vom schottischen Botaniker Robert Brown im Jahr 1827 unter dem Mikroskop entdeckte unregelmäßige und ruckartige Wärmebewegung kleiner Teilchen in Flüssigkeiten und Gasen. Der ebenfalls gebräuchliche Name brownsche Molekularbewegung rührt daher, dass das Wort Molekül damals noch generell zur Bezeichnung eines kleinen Körpers gebraucht wurde. Moleküle im heutigen Sinn sind aber noch um ein Vielfaches kleiner als die im Mikroskop sichtbaren Teilchen und bleiben hier vollständig unsichtbar. Die Moleküle der umgebenden Materie bringen aber die brownsche Bewegung hervor. Nach der 1905 von Albert Einstein und 1906 von Marian Smoluchowski gegebenen Erklärung wird die im Mikroskop sichtbare Verschiebung der Teilchen dadurch bewirkt, dass die unsichtbaren Moleküle der Umgebung eine Wärmebewegung ausführen und aufgrund dieser ungeordneten Wärmebewegung ständig und aus allen Richtungen in großer Zahl gegen die beobachteten Teilchen stoßen und dabei rein zufällig mal die eine Richtung, mal die andere Richtung stärker zum Tragen kommt. Diese Vorstellung wurde in den folgenden Jahren durch die Experimente und Messungen von Jean Baptiste Perrin quantitativ bestätigt. Die erfolgreiche Erklärung der brownschen Bewegung gilt als Meilenstein auf dem Weg zum wissenschaftlichen Nachweis der Existenz der Moleküle und damit der Atome.

Brownsche Bewegung von fluoreszierenden Latex-Kügelchen (Durchmesser etwa 20 nm) in Wasser mit einem SPI-Mikroskop beobachtet.

Erforschungsgeschichte

Bei der Beobachtung der Pollen von Clarkia pulchella in einem Wassertropfen stellte Brown 1827 fest, dass es dazwischen weitere, etwa 6–8 Mikrometer große Partikel gab, die unregelmäßige ruckartige Bewegungen vollführten. Die Pollen selbst waren mit 100 Mikrometern Durchmesser zu groß, um bei ihnen eine Bewegung ausmachen zu können.[2][3] Heute ist bekannt, dass es sich bei diesen Partikeln um Organellen wie Amyloplasten und Spherosomen handelte.[4] Ursprünglich nahm Brown an, dass dies ein Hinweis auf eine den Pollen innewohnende Lebenskraft sei, wie sie lange Zeit von Wissenschaftlern als existent vermutet wurde (siehe organische Chemie). Jedoch konnte er die gleiche Bewegung dann auch an sicher unbelebten Staubkörnern in Wasser beobachten.

Von einem ganz ähnlichen Phänomen bei Rußteilchen auf Alkohol hatte Jan Ingenhousz bereits 1784 berichtet. Er gab als Ursache die Verdunstung der Flüssigkeit an. Ingenhousz erwähnte dies Phänomen nur nebenbei als Beispiel für vermeidbare Störungen beim Studium von Mikroben, wenn man den Tropfen unter dem Mikroskop nicht mit einem Deckglas abdeckt.[5] Seine Beobachtung blieb dann bis ins 20. Jahrhundert vergessen. Dennoch wird zuweilen Ingenhousz als der eigentliche Entdecker der brownschen Bewegung bezeichnet.[6] Wie David Walker[7] aber bemerkte, waren die in Alkohol suspendierten Kohleteilchen, die Ingenhousz beschrieb, zu groß, um an ihnen brownsche Bewegung zu studieren, und die Bewegung außerdem völlig durch Konvektionsbewegungen aufgrund der Verdunstung überlagert, was schon Ingenhousz richtig als wahrscheinliche Quelle der Bewegung vermutete. Ingenhousz beschrieb im selben Buch die Abdeckung der Tropfen mit Glasplättchen, was die Verdunstungsbewegungen auf Randbereiche beschränkte, falls diese nicht versiegelt waren. Auch hier war aber die Brownsche Bewegung nur bei kleinsten Kohleteilchen (mit Durchmessern von rund 5 Mikrometer oder weniger) zu beobachten und dieser Fall war auch nicht von Ingenhousz beschrieben worden. Eine bedeutende Fehlerquelle waren auch Vibrationen, die allein schon durch den Atem des Beobachters ausgelöst wurden.

Nach Browns Veröffentlichung erbrachten detaillierte Experimente, insbesondere durch Christian Wiener 1863, zunehmend die Gewissheit, dass die brownsche Bewegung eine allgemeine und grundsätzliche Erscheinung ist, die durch die Bewegung unsichtbar kleiner Flüssigkeitsteilchen hervorgerufen wird. Damit ergab sich aus der brownschen Bewegung der erste Nachweis der in der molekularen Theorie der Wärme angenommenen allgemeinen Wärmebewegung aller Teilchen (siehe auch Geschichte der Thermodynamik, Phlogiston).[8]

Einstein kam 1905 auf rein theoretischem Weg, ausgehend von der molekularen Theorie der Wärme, zu einer quantitativen „Vorhersage“ der brownschen Bewegung. Er hielt es für „möglich“, dass die theoretisch abgeleitete Bewegung mit der Brownschen Bewegung übereinstimmte, befand die ihm zugänglichen Informationen darüber aber als zu „ungenau“, um sich ein „Urteil bilden“ zu können. Nach seiner Formel wächst das Quadrat der von einem Teilchen zurückgelegten Strecke im Durchschnitt proportional zur Zeitspanne und zur (absoluten) Temperatur, sowie umgekehrt proportional zum Radius des Teilchens und zur Viskosität der Flüssigkeit. Diese Formel konnte in den folgenden Jahren durch die Experimente von Jean Baptiste Perrin bestätigt werden,[9] der unter anderem hierfür 1926 den Nobelpreis für Physik erhielt. Auch Diffusion, Osmose und Thermophorese basieren auf der Wärmebewegung der Moleküle.

Physikalisches Modell

Für Teilchen in einem viskosen Medium, die sich durch unregelmäßige Stöße von ihrem Ausgangspunkt entfernen, konnten Albert Einstein (1905),[10] Marian Smoluchowski (1906)[11] und Paul Langevin (1908)[12] zeigen, dass der mittlere quadratische Abstand von ihrem Ausgangspunkt proportional zur Zeit anwächst. Für Bewegung in einer Dimension gilt

$ \langle x^{2}\rangle ={\frac {k_{\mathrm {B} }T}{3R_{0}\pi \eta }}\,t $

Darin bezeichnet $ \langle x^{2}\rangle $ die zurückgelegte mittlere quadratische Wegstrecke des brownschen Teilchens, $ k_{\mathrm {B} } $ ist die Boltzmann-Konstante, $ T $ die absolute Temperatur, $ R_{0} $ der hydrodynamische Radius der Teilchen und $ \eta $ die Viskosität der Flüssigkeit bzw. des Gases. Ein wichtiger Aspekt der Formel ist, dass hier die Boltzmann-Konstante $ k_{\mathrm {B} } $ mit makroskopisch messbaren Größen verknüpft wird. Das ermöglicht die direkte experimentelle Bestimmung dieser Größe und damit der Avogadro-Konstante und weiter der Anzahl, Größe und Masse der wegen ihrer Kleinheit unsichtbaren Moleküle.

Die einfachste Herleitung stammt von Langevin:

Ein Teilchen der Masse $ m $ folgt der Bewegungsgleichung (hier nur in $ x $-Richtung)

$ m{\frac {\mathrm {d} ^{2}x}{\mathrm {d} t^{2}}}=F_{x}-f\,{\frac {\mathrm {d} x}{\mathrm {d} t}}\ , $

wenn neben einer Kraft $ F_{x} $ vom Medium eine Reibungskraft $ F_{R}=-f\,\mathrm {d} x/\mathrm {d} t $ ausgeübt wird. Nach Multiplikation mit $ x $ kann das umgeformt werden zu

$ {\frac {1}{2}}m\cdot {\frac {\mathrm {d} }{\mathrm {d} t}}\left({\frac {\mathrm {d} x^{2}}{\mathrm {d} t}}\right)-m\cdot \left({\frac {\mathrm {d} x}{\mathrm {d} t}}\right)^{2}=x\cdot F_{x}-{\frac {1}{2}}f{\frac {\mathrm {d} x^{2}}{\mathrm {d} t}}\ . $

Hiervon wird der Mittelwert über viele Teilchen gebildet (oder über viele wiederholte Beobachtungen am selben Teilchen). Auf der linken Seite der Gleichung wird die Größe $ x^{2} $ im 1. Term dann zur mittleren quadratischen Entfernung des Teilchens vom Punkt $ x=0 $, also zur Varianz $ V $ der von vielen Teilchen gebildeten statistischen Verteilung. Der 2. Term auf der linken Seite wird die doppelte mittlere kinetische Energie und ist durch den Gleichverteilungssatz gegeben:

$ {\frac {1}{2}}m\cdot \left({\frac {\mathrm {d} x}{\mathrm {d} t}}\right)^{2}={\overline {E_{\text{kin,x}}}}={\frac {1}{2}}k_{\mathrm {B} }T\ . $

Der Durchschnittswert des Terms $ x\cdot F_{x} $ verschwindet, wenn die Kräfte $ F_{x} $ von ungeordneten Stößen der Moleküle herrühren, die das Teilchen im Mittel weder nach $ +x $ noch nach $ -x $ stoßen. Für die Durchschnittswerte bleibt also:

$ {\frac {1}{2}}m\cdot {\frac {\mathrm {d} }{\mathrm {d} t}}\left({\frac {\mathrm {d} V}{\mathrm {d} t}}\right)=k_{\mathrm {B} }T-{\frac {1}{2}}f{\frac {\mathrm {d} V}{\mathrm {d} t}}\ . $

Das ist eine Differentialgleichung, nach der die Varianz $ V(t) $ mit der Zeit anwächst, wobei die Geschwindigkeit einem Sättigungswert zustrebt. Nach Erreichen dieses stationären Zustands verschwindet die linke Seite der Gleichung und es bleibt:

$ {\frac {1}{2}}f{\frac {\mathrm {d} V}{\mathrm {d} t}}=k_{\mathrm {B} }T\ . $

$ V(t) $ wächst dann also proportional zur Zeit. Einsetzen von $ f=6\pi r\eta $ (Gesetz von Stokes) ergibt schließlich die oben angegebene Formel für den mittleren quadratischen Abstand vom Ausgangspunkt.

Mathematisches Modell

In der Mathematik ist eine brownsche Bewegung $ B=(B_{t})_{t\in [0,\infty ]} $ ein zentrierter Gauß-Prozess mit Kovarianzfunktion $ \operatorname {Cov} (B_{t},B_{s})=\operatorname {min} (t,s) $ für alle $ t,s\geq 0 $. Der resultierende stochastische Prozess ist heute zu Ehren von Norbert Wiener, der die wahrscheinlichkeitstheoretische Existenz desselben 1923 bewies, als Wiener-Prozess bekannt.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, eine brownsche Bewegung mathematisch zu konstruieren:

  • die abstrakte Konstruktion anhand des Schemas von Kolmogorow, wobei man dann Probleme mit der Pfadstetigkeit bekommt.
  • die Lévy-Ciesielski-Konstruktion: Hierbei wird die brownsche Bewegung mit Hilfe der durch das Haarsystem auf $ C([0,1]) $ induzierten Schauderbasis bereits als stochastischer Prozess mit stetigen Pfaden konstruiert.
  • Seien $ Z_{0} $, $ Z_{1} $, … unabhängig und standardnormalverteilt,

dann ist

$ S(t)=Z_{0}t+\sum _{k=1}^{\infty }Z_{k}{\frac {{\sqrt {2}}\sin(k\pi t)}{k\pi }} $

eine brownsche Bewegung.

Die brownsche Bewegung spielt auch bei der Simulation von Aktienkursverläufen eine Rolle, außerdem dient sie als Grundlage der Erforschung von Warteschlangen.[13]

Literatur

  • Rüdiger Bessenrodt: Brownsche Bewegung: Hundert Jahre Theorie der wichtigsten Brücke zwischen Mikro- und Makrophysik, Physik Journal, 1977, Band 33, Seiten 7–16, doi:10.1002/phbl.19770330104

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Teaching the Growth, Ripening, and Agglomeration of Nanostructures in Computer Experiments, Jan Philipp Meyburg und Detlef Diesing, Journal of Chemical Education, (2017), 94, 9, 1225–1231, doi:10.1021/acs.jchemed.6b01008
  2. Robert Brown: "A brief account of microscopical observations made in the months of June, July and August, 1827, on the particles contained in the pollen of plants; and on the general existence of active molecules in organic and inorganic bodies." In: Philosophical Magazine. Band 4, 1905, S. 161–173.
  3. Brian J. Ford: Robert Brown, Brownian Movement, and teethmarks on the hatbrim. In: The Microscope. Band 39 (3&4), 1991, S. 161–171.
  4. Philip Pearle, Brian Collett, Kenneth Bart, David Bilderback, Dara Newman and Scott Samuels: "What Brown saw and you can too ". In: Am. J. Phys. Band 78, 2010, S. 1278, doi:10.1119/1.3475685, arxiv:1008.0039.
  5. Jan Ingenhousz: Bemerkungen über den Gebrauch des Vergrößerungsglases. In: N. C. Molitor (Hrsg.): Vermischte Schriften von Ingen-Housz. 2. Auflage, Band II, Wien 1784, S. 123–124 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Zuerst P. W. van der Pas The Early History of the Brownian Motion, XIIe Congrès International d'Histoire des Sciences, Paris 1968, Actes Tome VIII, Histoire des Sciences Naturelles et de la Biologie, Paris: Blanchard 1971, S. 143–158, van der Pas The Discovery of the Brownian Motion, Scientiarum Historia, Band 13, 1971, S. 27–35. Und der Artikel über Ingehousz von van der Pas im Dictionary of Scientific Biography.
  7. David Walker: Did Jan Ingenhousz in 1784 unwittingly report Brownian motion / movement in an inert material to give him priority over Brown? A review of the evidence with videos. Abgerufen am 6. Februar 2018.
  8. The Svedberg: Die Existenz der Moleküle. Akad. Verlagsgesellschaft, Leipzig 1828, S. 161–173.
  9. Jean Perrin: Mouvement brownien et réalité moléculaire. In: Annales de chimie et de physique. ser. 8, 18, 1909, S. 5–114.
  10. A. Einstein: Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen. In: Annalen der Physik. Band 322, Nr. 8, 1905, S. 549–560 (Online [PDF; 716 kB; abgerufen am 7. August 2021]).
  11. M. Smoluchowski: Zur kinetischen Theorie der Brownschen Molekularbewegung und der Suspensionen. In: Annalen der Physik. Band 326, Nr. 14, 1906, S. 756–780 (Online [PDF; 1,3 MB; abgerufen am 7. August 2021]).
  12. P. Langevin: Sur la théorie du mouvement Brownien. In: Comptes Rendues. Band 146, 1908, S. 530 (Online [abgerufen am 7. August 2021] bei Gallica).
  13. Mathematik des Schlangestehens „Beim Warten sind wir wie Moleküle“. auf sueddeutsche.de, 17. Mai 2010.

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