Als Größte Digression werden jene zwei Stellen bzw. Zeitpunkte der täglichen Sternbewegung bezeichnet, bei denen sich ein Gestirn genau senkrecht nach oben bzw. nach unten bewegt (östliche bzw. westliche Digression). Dabei bedeutet Digression die momentane, auf den Horizont bezogene Winkeldifferenz eines Gestirns zum örtlichen Meridian oder einer entsprechenden Mire. Auf der täglichen Sternbahn ist dieser Winkel dann am größten, wenn der Stern sich senkrecht zum Horizont (also parallel zum Meridian) bewegt. Relevant ist der Sachverhalt nur bei Zirkumpolarsternen.
In diesem Moment – der allerdings im Messfernrohr einige Sekunden und freiäugig einige Minuten dauert – ist der parallaktische Winkel q genau 90° bzw. -90° (siehe Bild), und das Gestirn erreicht sein größtes östliches bzw. westliches Azimut, also den größten Winkelabstand (Digression) vom Nordpunkt.
Diese zwei Stellungen treten nur bei Zirkumpolarsternen auf, deren obere Kulmination zwischen Pol und Zenit liegt. Auf der Nordhalbkugel der Erde muss daher die Deklination δ des Sterns größer als die geografische Breite B des Beobachtungsortes sein, z. B. für München oder Wien δ > +48°. Auf der Südhalbkugel muss die Deklination kleiner als B (also südlicher) sein, beispielsweise für Kapstadt δ < -34°.
Alle anderen (südlicheren) Sterne des Nordhimmels bewegen sich monoton nach rechts, d. h. immer im Sinne Ost → Süd → West. Sieht man vom Sternauf- bzw. Untergang ab, nimmt ihr Azimut von 0° (Untere Kulmination tief im Norden) über 90° (Osten, Erster Vertikal) aufsteigend bis 180° (Süden, Obere Kulmination) dauernd zu, und dann absinkend über 270° (Westen) wieder bis 360° (= 0°) im Norden.
Da das astronomische Dreieck (Pol-Zenit-Stern) für den Moment der größten Digression rechtwinklig wird, vereinfachen sich die sphärischen Formeln wesentlich. Wird das Azimut des Sterns mit A bezeichnet, seine Deklination mit δ, sein Stundenwinkel mit t und die geografische Breite des Standorts mit B, so reduziert sich der Sinus- bzw. Tangenssatz auf
Die erste Formel lässt sich nach W. Embacher für präzise Breiten- und Azimutmessungen nützen, wenn man Sternpaare im Nordosten und -westen kombiniert:
Denn die größte Digression ist beobachtungstechnisch interessant und von Vorteil, weil der senkrechte Sterndurchgang eine besonders genaue Einstellung am Vertikalfaden eines Theodolits oder Passageninstruments erlaubt. Dabei lässt sich auch die Luftunruhe visuell gut herausmitteln, ferner benötigt man keine genaue Uhrzeit (Zeitfehler). Diese drei Vorteile macht sich z. B. die Embacher-Methode der Azimut- und Breitenbestimmung zunutze.