Die Landau-Lifschitz-Gilbert-Gleichung (mit englischer Transkription im Deutschen gelegentlich auch Landau-Lifshitz-Gilbert-Gleichung genannt) beschreibt in der Festkörperphysik das Zeit-Verhalten der magnetischen Momente (bzw. der Magnetisierungsdichte) eines ferromagnetischen Materials in Abhängigkeit des sogenannten effektiven magnetischen Feldes. Das effektive magnetische Feld setzt sich unter anderen aus externen Magnetfeldern und internen Wechselwirkungen wie magnetischer Anisotropie, Austauschwechselwirkung und dipolarer magnetischer Wechselwirkung zusammen. Thermische Eigenschaften können durch einen stochastischen Anteil beschrieben werden. In diesem Fall wird die Landau-Lifshitz-Gilbert-Gleichung als Langevin-Gleichung interpretiert. Die Wechselwirkung mit freien elektrischen Strömen oder elektromagnetischen Wellen wird durch Kopplung mit den Maxwell-Gleichungen beschrieben. Die Anwendungen sind sehr weitreichend, Beispiele sind die Berechnung von Hysteresekurven, die Simulation mikromagnetischer Strukturen z. B. zur Erforschung magnetischer Speichermedien, in der Materialforschung z. B. in Verbindung mit Neutronen-Streuung und Hyperthermie in Verbindung mit magnetischen Nanopartikeln. Benannt ist sie nach Lew Dawidowitsch Landau, Jewgeni Michailowitsch Lifschitz[1] und Thomas L. Gilbert.[2][3] Unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen in realen Materialien sind keine expliziten Lösungen der Landau-Lisfhitz-Gilbert-Gleichung bekannt. Open-Source Software zur Simulation der Landau-Lifshitz-Gleichung sind z. B. numax3[4] und VAMPIRE.[5]
Die ursprüngliche Landau-Lifschitz-Gleichung wurde im Jahr 1935 aufgestellt. Sie lautet
und beschreibt sowohl die Präzession der magnetischen Momente als auch die auftretende Dissipation. Dabei bezeichnet:
Der erste Term beschreibt die Präzession, der zweite die Dissipation. Dabei bleibt der Betrag von $ {\vec {M}} $ erhalten, denn es ist
Diesen konstanten Betrag nennt man die Sättigungsmagnetisierung $ M=|{\vec {M}}| $.
In der stationären Lösung des Systems, zu der das System strebt, wenn es sich selbst überlassen wird, stehen Magnetisierung und effektives magnetisches Feld parallel zueinander.
1955 führte Gilbert eine Herleitung der Landau-Lifschitz-Gleichung auf der Basis des Lagrange-Formalismus durch. Er konnte zeigen, dass eine rigorose quantenstatistische Rechnung dasselbe Ergebnis liefert wie die Hinzufügung einer klassischen Rayleighschen Dissipationsfunktion zur Lagrangefunktion. Mit dieser gelangt man zu der Landau-Lifschitz-Gilbert-Gleichung
Wird diese Gleichung iteriert in sich eingesetzt, ergibt sich eine Form, die der der Landau-Lifschitz-Gleichung entspricht,
Der einzige Unterschied ist, dass das gyromagnetische Verhältnis durch ein effektives gyromagnetisches Verhältnis ersetzt wird, das vom Dämpfungsparameter abhängig ist. Wie in der Mechanik beim gedämpften Oszillator wirkt sich die Dämpfung somit auf die Präzessionsfrequenz aus. Für den Fall kleiner Dämpfung geht die Landau-Lifschitz-Gilbert-Gleichung in die Landau-Lifschitz-Gleichung über.
Eine Erweiterung der Landau-Lifshitz-Gilbert-Gleichung zur Berücksichtigung von Trägheitseffekten welche z. B. zu Nutationsbewegungen führen, beinhaltet einen Zusatzterm mit einer Zeitableitung zweiter Ordnung:
In der Literatur wird auch oftmals eine negierte Variante dieser Gleichung verwendet, was eine gegenläufige Dynamik beschreibt. Um es in diesem Artikel konsistent zu halten ist die Notation der Gleichungen aus den vorigen Abschnitten beibehalten. Der Parameter $ \iota $ wird in Analogie zur klassischen Mechanik als magnetisches Trägheitsmoment bezeichnet (magnetic moment of inertia).[6][7]
Landau und Lifschitz haben 1935 noch angegeben, wie der Vektor $ {\vec {H}}_{\mathrm {eff} } $ von allen vier beteiligten Wechselwirkungen (der „magnetischen Austauschenergie“, der „Dipol-Dipol-Energie“, der „Anisotropieenergie“ und der „Zeeman-Energie“) abhängt. Das effektive Feld $ {\vec {H}}_{\mathrm {eff} } $wird in der Regel zunächst durch ein Energie-Funktional $ {\mathcal {H}} $ (bzw. Hamiltonian) repräsentiert und ergibt sich folglich aus der ersten Variation nach der Magnetisierung $ {\vec {M}} $. Dabei stellen $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {ex} } $ die Energie der Austauschwechselwirkung, $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {dmi} } $ die Energie der Dzyaloshinkii-Moriya Wechselwirkung, $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {mc} } $ die Energie der magnetokristallinen Wechselwirkung, $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {me} } $ die Energie der magnetoelastischen Wechselwirkung, $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {Z} } $ die Energie der Wechselwirkung mit externen Felder (Zeeman-Wechselwirkung) und $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {d} } $ die Energie der Dipol-Dipol-Wechselwirkung dar.[8][9][10]
In der nachfolgenden Tabelle sind die Energien für den mesoskopischen Fall angeben. Auf kleineren Längenskalen sind andere Ausdrücke zu verwenden, welche die Energien auf atomarer Ebene (diskret, nicht-kontinuierlich) beschreiben. Die Energien der magnetokristallinen und magnetoelastischen Anisotropie hängen von der Gitterstruktur des Material's ab.[11] Daher sind hier keine expliziten Ausdrücke der Energiedichten angegeben.
Hamiltonian (Energie) | |
---|---|
Magnetische Austauschwechselwirkung | $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {ex} }=A\int _{V}(\nabla m_{x})^{2}+(\nabla m_{y})^{2}+(\nabla m_{z})^{2}\;\mathrm {d} ^{3}r $ |
Magnetische Dipol-Dipol-Wechselwirkung
(Demagnetisierungs Feld) |
$ {\mathcal {H}}_{\mathrm {d} }=-{\frac {1}{2}}\int _{V}{\vec {H}}_{d}\cdot {\vec {M}}\;\mathrm {d} ^{3}r $ |
Magnetokristalline Anisotropie | $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {mc} }=\int \omega _{\mathrm {mc} }\;\mathrm {d} ^{3}r $ |
Magnetoelastische Anisotropie | $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {me} }=\int \omega _{\mathrm {me} }\;\mathrm {d} ^{3}r $ |
Zeeman-Wechselwirkung | $ {\mathcal {H}}_{Z}=-\int _{V}{\vec {H}}_{\mathrm {ext} }\cdot {\vec {M}}\;\mathrm {d} ^{3}r $ |
Dzyaloshinskii-Moriya-Wechselwirkung | $ {\mathcal {H}}_{\mathrm {dmi} }=\int \sum _{i,j,k}D_{ijk}\left(m_{i}{\frac {\partial m_{j}}{\partial k}}-m_{j}{\frac {\partial m_{i}}{\partial k}}\right)\;\mathrm {d} ^{3}r\;,\quad i,j,k\in \{x,y,z\} $ |
Mit den Landau-Lifschitz-Gilbert-Gleichungen können u. a. auch dynamische Zustände (z. B. Spinwellen, wie im nebenstehenden Bild) realistisch behandelt werden, wobei alle relevanten Geometrien (beispielsweise auch Dünnschicht-Geometrien) und Wechselwirkungen (u. a. auch die sehr langreichweitige magnetische Dipol-Dipol-Wechselwirkung) voll berücksichtigt werden können, wenn man bei den Computersimulationen hohen Speicherbedarf und entsprechende Rechenzeiten in Kauf nimmt.[12]
Die Dispersionsrelationen in diesen Systemen – das sind die Beziehungen zwischen Frequenz und Wellenlänge der Anregungszustände – sind wegen der hohen Zahl der charakteristischen Längen des Systems und der beteiligten Winkel sehr komplex.
In diesem Abschnitt ist die Lösung der Landau-Lifshitz-Gleichung für ein magnetisches Moment (Einpartikel-System) unter dem Einfluss eines homogenen effektiven Feldes $ {\vec {H}}_{\text{eff}} $ präsentiert. Die besagte Problemstellung ist nachfolgend dargestellt, wobei die Konstante $ \beta $ als Platzhalter dient. Durch Anpassung der Kofaktoren $ \gamma ,\beta $ ergibt sich ebenfalls die Lösung der Landau-Lifshitz-Gilbert-Gleichung im Falle eines homogenen effektiven Feldes.
Die Lösung dieser Differentialgleichung findet sich am einfachsten durch die Zerlegung von $ {\vec {m}} $ in einen orthogonalen und parallelen Anteil bezüglich $ {\vec {H}}_{\mathrm {eff} } $. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit lässt sich $ {\vec {H}}_{\mathrm {eff} }=H_{\mathrm {eff} }(t)\cdot {\vec {e}}_{z} $ ansetzen, wodurch sich die nachfolgende Parametrisierung findet. Alle weiteren Lösungen zu beliebig anderen Richtungen von $ {\vec {H}}_{\mathrm {eff} } $ finden sich mit Hilfe der Anwendung von Rotationsmatrizen.
So reduziert sich die Landau-Lifshitz-Gleichung durch transformation auf zwei lineare Differentialgleichungen der Form:
Die Lösungen dieser Differentialgleichungen findet sich durch direkte Integration:
Im Falle eines zeitkonstanten effektiven Feldes $ H_{\mathrm {eff} }(t)=\mathrm {const.} $ und $ \beta =0 $, führt das magnetische Moment eine reine Präzessionsbewegung aus. Die Lösung ist dabei gegeben durch die folgende Gleichung, wobei die Frequenz der Präzession auch als Larmor-Frequenz $ f_{\mathrm {Larmor} } $ bezeichnet wird.
Im Falle eines zeitkonstanten effektiven Feldes $ H(t)=H_{\mathrm {eff} }=\mathrm {const.} $ und $ \beta \neq 0 $ findet sich hingegen die Lösung:
In der nebenstehenden Abbildung ist diese Lösung bildlich dargestellt. Die Spitze des magnetischen Moments $ {\boldsymbol {m}} $ führt eine spiralförmige Bewegung auf einer Kugeloberfläche mit Radius $ m_{0} $ aus und zeigt im stationären Endwert parallel zum effektiven Feld.
Zur Abschätzung des Zeitverhaltens der Dämpfung bietet es sich an, den Parameter $ \eta $ in Abhängigkeit vom Winkel $ \phi _{0} $ zwischen dem Anfangswert der Magnetisierung $ {\boldsymbol {m}}_{0} $ und des effektiven Feldes $ {\vec {H}}_{\text{eff}} $ zu beschreiben. Hierzu ist die geometrische Eigenschaft des Skalarproduktes hilfreich:
Im stationären Gleichgewicht für $ t\rightarrow \infty $ läuft die $ \tanh() $-Funktion gegen den Wert $ 1 $. Deshalb lässt sich folgende Gleichung zu Abschätzung ansetzen: