Mondkalender in Hieroglyphen | ||||||
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Altes Reich |
Renpet-hebu-en-heb-en-pesdjenetiu Rnpt-ḥbw-n-ḥb-psḏntjw Jahr der Feiern vom Neumondfest | |||||
Animation der Mondphasen |
Im Alten Ägypten kamen zwei Mondkalender zur Anwendung. Während der stellare Mondkalender an den heliakischen Aufgang von Sirius gebunden war, richtete sich der bürgerliche Mondkalender nach dem ägyptischen Kalender, der bei seiner Einführung wiederum der Nilschwemme angepasst wurde. Beide Mondkalender stellen Mischformen dar, da sie nicht als reine Lunisolar- und Lunarkalender einzustufen sind. Die ältesten belegten Erwähnungen von Mondkalenderdaten finden sich ab etwa 2350 v. Chr. in den Pyramidentexten.[1] Die Verwendung von astronomischen Aufzeichnungen ist jedoch bereits unter König Wadji um 2880 v. Chr. dokumentiert.
Geminos von Rhodos beschrieb etwa 70 v. Chr. den altägyptischen Mondkalender als „eigentümliches Prinzip, was die Ägypter im Gegensatz zu anderen Kulturen nicht für die Anzeige ihres Jahres nutzen. Ihnen sind die heiligen Feste wichtig. Darauf richten sich ihre Kalender“.[2] Die Erklärung von Geminos zeigt treffend die mythologische Rolle der altägyptischen Mondkalender, deren zentrale Funktion auf die Datierung der Himmelsfeste beschränkt war, während der ägyptische Verwaltungskalender als Jahreskalender fungierte.
In der Priesterschaft oblag die Aufgabe, die Himmelsfeste anzusetzen, den dafür zuständigen Astronomen, die durch Beobachtungen und Berechnungen die zu feiernden Tage über den „Vorsteher“ („Größter der Schauenden“) verkünden ließen. Nach erfolgter Ausrufung wurde der tatsächliche Termin im Verwaltungskalender vermerkt und im jeweiligen Tempeltagebuch protokolliert.[3]
Die ägyptische Bezeichnung für Monate lautete „pesdjenet“. Jeder Monat erhielt eine Ordinalzahl, beispielsweise „pesdjenet 1“. Neben den zwölf Hauptmonaten erfolgte die Einfügung eines dreizehnten Schaltmonats, falls der erste Monat vor dem Neujahr des bürgerlichen Kalenders oder dem heliakischen Aufgang von Sirius begann.
Im Gegensatz zu den anderen altorientalischen Ländern begann der Mondmonat nicht kurze Zeit nach Neumond mit dem Neulicht, sondern mit dem ersten Tag der Nichtsichtung des Mondes in der Morgendämmerung. Die Länge des Zeitraums zwischen Alt- und Neulicht ist unter anderem von der geografischen Lage des Beobachtungsortes abhängig. In südlichen Breiten der Nordhalbkugel ist die Dauer der Nichtsichtbarkeit des Mondes kürzer als in nördlichen Breiten, was zu längeren Beobachtungsphasen des Mondes in südlichen Gebieten gegenüber nördlichen Regionen führt.
Die Beobachtungszeitpunkte waren zudem von verschiedenen anderen Einflüssen abhängig: Je flacher die Ekliptik, desto früher erreicht der Mond die Mindesthöhe und wird unsichtbar; je höher die Ekliptik, desto später der Zeitpunkt der Unsichtbarkeit. Als weiterer Faktor kommt die gegen die Ekliptik geneigte Mondbahn hinzu. Der Mond kann sich 5,3° über oder unter der Ekliptik bewegen. Die Schnittpunkte der Mond- und Sonnenbahn wandern entgegengesetzt zu der Eigenbewegung des Mondes.[4] Diese Bedingungen sind auch in Ägypten wirksam. Die höchsten Ekliptikwerte werden mit etwa 83,7°[5] im Herbstäquinoktium erreicht, die niedrigsten mit etwa 36,3°[5] im Frühjahrsäquinoktium. Die Mittelwerte von etwa 60°[5] fallen auf die Monate Januar und Juli. Damit verbunden ist zwischen Ende September und Ende Oktober die Dauer der Nichtsichtbarkeit des Mondes am kürzesten; in Umrechnung auf die kürzeste Unsichtbarkeitsdauer zwischen dem letzten sichtbaren Altlicht und dem Neumond ergeben sich in der Nildeltaregion etwa 16 h, in Elephantine etwa 10 Minuten weniger. Der längste Zeitraum liegt zwischen Mitte März und Mitte April, in der Nildeltaregion etwa 33 h.
Wenn der Neumond im September und Oktober auf eine Zeit um 22:00 Uhr fällt, ist am Morgen des gleichen Tages teilweise noch die Sichtung des Altlichts in der Morgendämmerung gegeben, bei Neumonden vor 22:00 Uhr konnte das letzte Altlicht zumeist nur am Morgen des Vortags beobachtet werden. Tritt dagegen zur Zeit der Winter- und Sommersonnenwende der tatsächliche Neumond etwa um 22:00 Uhr ein, kann am gleichen Tag keine Mondsichel gesehen werden. Der erste Monatstag im altägyptischen Mondkalender konnte durch die Pendelzeiten des Mondes im julianischen beziehungsweise gregorianischen Kalender auch auf dem Tag nach Neumond liegen.[4] In mehreren Papyri sind daher einunddreißigtägige Mondmonate belegt.
Nichtsichtbarkeitsdauer des Mondes zwischen Altlicht und Neumond in der Region Memphis | |||||||||||
Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
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23 Std. | 26 Std. | 30 Std. | 33 Std. | 29 Std. | 26 Std. | 22 Std. | 20 Std. | 17 Std. | 16 Std. | 17 Std. | 20 Std. |
Der altägyptische Mondmonat begann analog zum altägyptischen Tag immer mit Sonnenaufgang, wobei zumeist die erstmalige Nichtsichtung der Mondsichel nach dem letzten Altlicht in die zwölfte Nachtstunde des vergangenen Tages fiel. So wie sich der Sonnengott Re in der Nacht seiner Unsichtbarkeit „erneuerte“, symbolisierte in der altägyptischen Mythologie auch der erste Mondmonatstag den „Tag der Erneuerung des Horus“ mit der sich anschließenden „Geburt“, die mit der ersten Nacht des ersten Mondmonatstages begann und mit Sonnenaufgang des zweiten Mondmonatstages vollzogen war. Die letztmalige Sichtung des Altlichts repräsentierte somit im Normalfall immer den letzten Mondmonatstag.
In den Sargtexten gilt der zweite Mondmonatstag als „Tag, an dem der Mond klein ist“. Ein ptolemäischer Text aus dem Chonsu-Tempel in Karnak beschreibt die beiden ersten Mondmonatstage: „Der Mond wird am Tag der Nichtsichtbarkeit empfangen und am zweiten Mondmonatstag geboren.“[6] Aus den Pyramidentexten des Alten Reiches geht hervor, dass der zweite Mondmonatstag mit dem „Himmelsaufstieg des verstorbenen Königs“ als „Krönungs- und Erscheinungstag“ verbunden war: „Dein Erscheinen gehört dem zweiten Mondmonatstag“.[1]
Monddaten, die auf Beobachtung beruhen, können bei schwierigen Sichtverhältnissen oder wetterbedingter Unsichtbarkeit zu einer kurzfristigen Fehlerquote von einem Tag führen. Stand ein altägyptischer Beobachter aufgrund schlechter Witterung vor diesem Problem, blieb ihm nur die Möglichkeit des Abschätzens oder der Blick in die Mondtabellen. Die synodische Periode unterliegt außerdem zeitlichen Schwankungen; gegenüber dem Mittelwert im Alten Ägypten bis etwa 6,5 Stunden. Dieser Umstand führt zu kleineren Abweichungen innerhalb der Mondzyklen.
Eine falsche Einschätzung korrigierte sich in den Folgemonaten von selbst und wurde mit den nächsten Altlicht-Aufzeichnungen behoben. Die Fortschreibung des Fehlers war aus statistischem Blickwinkel nicht möglich und hatte daher keinen Einfluss auf die langfristigen Eintragungen. Vergleiche von altägyptischen Daten mit den astronomischen Werten ergab eine Übereinstimmung von 85 % und deckt sich mit der Zuverlässigkeitsquote der Neulicht-Sichtungen in Mesopotamien.
Im Alten Ägypten sind absichtliche Fälschungen von kalendarischen Mondbeobachtungen nicht bekannt, da an gewisse Mondphasen keine unbequemen kultischen Gesetzmäßigkeiten geknüpft wurden. Gegenbeispiele sind nur im babylonischen Mondkalender nachgewiesen beziehungsweise in den Ländern, die ähnliche Omendeutungen verwendeten.
Hinweise auf Einschaltung von einzelnen Zusatztagen zur Kalenderkorrektur liegen nicht vor und waren in den ägyptischen Kalendern bis zum Kanopus-Dekret unbekannt. Es fehlen auch Belege für falsche Angaben in den Kalendern, um besondere religiöse Ereignisse nachträglich mit wichtigen Mondphasen zu verbinden. Vermutungen, dass das Datum der Megiddo-Schlacht unter Thutmosis III. nachträglich auf den Neumondtag verlegt wurde, konnten bislang nicht bewiesen werden und lassen sich auch nicht mit den vorliegenden Mondtabellen vereinbaren.
Als besondere Tage galten im Mondkalender die folgenden Tage, die die Ägypter allmonatlich als Mondfeste feierten:
Bei dem bürgerlichen Mondkalender handelt es sich um ein an das Wandeljahr gebundenes synodisches Mondjahr, das zusammen mit dem ägyptischen Kalender durch die natürlichen Jahreszeiten wanderte. Frühester Beginn war der 1. Achet oder ein Folgetag.
Vermutlich wurde der bürgerliche Mondkalender gemeinsam mit dem ägyptischen Kalender Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. eingeführt. Erste deutliche Hinweise zur Nutzung finden sich im Mittleren Reich, da die ägyptischen Feste „Chenep-scha“ und „Menchet“, die in den Al Lahun Papyri erwähnt werden, wahrscheinlich an den bürgerlichen Mondkalender gebunden sind.[8] Sicher nachweisbar ist diese Jahresform erst im Neuen Reich.
Spätestens ab der griechisch-römischen Zeit erfolgte die Einführung eines schematischen Datenzyklus, der nicht mehr mit der direkten Beobachtung des Mondes in Zusammenhang stand.
Die ägyptische Kalenderlänge von 365 Tagen eignete sich sehr gut zur Berechnung und Planung von religiösen Festen, da die zugehörigen Lunationen Mondzyklen mit überschaubarer Rechnung ermöglichten.
25-Jahreszyklus im altägyptisch-bürgerlichen Mondkalender (Zeitraum 3000 bis 1 v. Chr.) | ||||||
Zeitraum | Zyklusdauer | Ägyptische Tage | Mondmonate | Mondtage[A 1] | Abweichung | 1-Tagesverschiebung |
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3000–1500 v. Chr.[A 2] | 25 Jahre | 9.125 | 309 | 9.124,9563[9] | 0,0437 Tage (1 h 3 min) |
nach 572,44 ägyptischen Jahren |
1500-1 v. Chr.[A 3] | 25 Jahre | 9.125 | 309 | 9.124,9545[9] | 0,0455 Tage (1 h 5 min) |
nach 549,45 ägyptischen Jahren |
3000-1 v. Chr.[A 4] | 25 Jahre | 9.125 | 309 | 9.124,9554[9] | 0,0446 Tage (1 h 4 min) |
nach 560,54 ägyptischen Jahren |
Im Ergebnis fielen die Mondmonatstage im ägyptischen Kalender nach 25 Jahren wieder auf den gleichen Tag. Die Abweichung war so gering, dass eine Änderung von einem Tag erst im 23. Zyklus auftrat. Die Ägypter mussten damit nur einmalig für die ersten 25 Jahre die Beobachtungen aufzeichnen, um mindestens für die nächsten 21 Zyklen ein Berechnungsschema zu besitzen.[10]
Großes und kleines Jahr in Hieroglyphen | ||||||
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Renpet nedjes Rnpt nḏs Kleines Jahr |
Innerhalb des Zeitraums von 25 Jahren sind neun Schaltmonate notwendig, um zu gewährleisten, dass der erste Tag des lunaren Jahres auf den ersten Tag oder die Folgetage der Jahreszeit Achet I des ägyptischen Verwaltungskalenders fällt. Die jeweiligen Schaltjahre trugen wegen des zusätzlichen Monats den Namen „Großes Jahr“, der bereits im Mittleren Reich öfter belegt ist, entsprechend galt das Jahr ohne Schaltmonate als „Kleines Jahr“.
Erst sehr spät sollte ein schematisierter 25-jähriger Schaltzyklus eingeführt werden. Der Papyrus Carlsberg 9 enthält ein Schaltschema für die Dauer von 25 Jahren, das den Beginn der Mondmonate im ägyptischen Verwaltungskalender anzeigt. Der Papyrus wurde nicht vor 144 n. Chr. niedergeschrieben. Die ursprüngliche Originalvorlage konnte in das vierte Jahrhundert v. Chr. datiert werden und nimmt unter anderem Bezug auf die Schaltzyklen von 19 n. Chr., dem sechsten Regierungsjahr unter Tiberius, bis zum siebten Herrschaftsjahr 144 n. Chr. unter Antoninus Pius. Die Schaltmonate wurden im Schaltschema auf die Jahre 1, 3, 6, 9, 12, 14, 17, 20 und 23 angesetzt.
Der Schaltkalender führte nur die Daten für jeden zweiten Monat auf, um etwaige Rhythmuswechsel auszugleichen. Der 25-Jahreszyklus begann wahrscheinlich mit dem 1. Thot. Die Ptolemäer übernahmen den Zyklus im dritten Jahrhundert v. Chr. und addierten zu dem darin vermerkten Datum einen Tag hinzu. Otto Neugebauer stellte in diesem Zusammenhang eine Verbindung der Zyklusdaten zu den Anfängen der ägyptischen Mondmonate im vierten Jahrhundert v. Chr. her, obwohl die Differenz der Zeitverschiebung um einen Tag auch eine Datierung in das fünfte Jahrhundert v. Chr. zulässt. Ob möglicherweise das Schaltschema im Rahmen der Herrschaft des Achämenidenreiches übernommen wurde, wird kontrovers diskutiert.
Andere Monatszyklen im bürgerlichen Mondkalender (Zeitraum 3000 bis 1500 v. Chr.) | |||||
Zyklusdauer | Ägyptische Tage | Mondmonate | Mondtage | Abweichung | Zyklus-Periode |
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14 Jahre | 5.110 Tage | 173 Lunationen | 5.108,794 Tage[9] | minus 1,206 Tage | etwa 4.237 Jahre |
11 Jahre | 4.015 Tage | 136 Lunationen | 4.016,162 Tage[9] | plus 1,162 Tage | etwa 3.455 Jahre |
Für den Sothis-Mondkalender galten ähnliche Bestimmungen wie für den bürgerlichen Mondkalender. Das synodische Lunarjahr war an den heliakischen Aufgang von Sirius geknüpft. Die Koppelung an Sirius bewirkten eine relative Konstanz der Jahreszeiten, da der heliakische Aufgang von Sirius vom Ende des 5. bis Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. langsam vom 3. Juni auf den 15. Juni wanderte.
Belegt ist der Sothis-Mondkalender bereits im Mittleren Reich. Die Kenntnis der konstanten Festtage des Alten Reichs, die unverändert auch in späterer Zeit fortbestanden und an den Sothis-Mondkalender gekoppelt waren, lassen eine Existenz vor der frühdynastischen Zeit möglich erscheinen, obwohl archäologische Beweise dafür fehlen.[11]
Etwa im Jahr 2755 v. Chr., zur Zeit des Sechemib, ereignete sich das seltene Ereignis, dass sowohl die Ankunft der Nilschwemme im Delta, der heliakische Aufgang von Sirius in Memphis und der Neujahrstag des Sothis-Mondkalenders auf den 1. Achet I (19. Juni) fielen.[A 5]
Richard-Anthony Parker vermutet, dass der erste Mondmonat mindestens elf Tage nach dem Sothisaufgang begann; fiel der Neumond dagegen vor den elften Tag oder auf Zeitpunkt des Sothisaufgangs, wurde ein zusätzlicher Mondmonat geschaltet. Parker nimmt weiter an, dass es das Ziel war, den Sothisaufgang immer in den zwölften Mondmonat fallen zu lassen. Die elftägige Differenz nach dem Sothisaufgang erklärt Parker mit selbigen Unterschied zwischen Sonnen- und Mondjahr. Nach Parkers Hypothese beinhaltet die von ihm angenommene Schaltregel Mondjahreslängen von 354 oder 385 Tagen, die im arithmetischem Mittel zu einem 365-tägigen schematisierten Mondjahr führen.
Die Theorie Parkers wirft technische Fragen auf, die in der Ägyptologie teilweise zu Ablehnungen dieser Schaltregel führten, zumal die entscheidende Frage bislang nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnte: Parkers Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass ein Jahr von 365 Tagen bekannt war. Es ist jedoch fraglich, wie eine solche Regel funktionieren sollte, ohne dass vorher ein 365-tägiges Jahr bestand. Hinzu kommt, dass in den sonst bekannten Mondkalendern ein dreizehnter Monat ohne rechnerischen Bezug auf ein 365-tägiges Jahr geschaltet wurde. Andererseits war der ägyptische Kalender im Altertum zunächst auch der einzige Kalender, der ein Jahr von 365 Tagen kannte, weshalb Vergleichsmöglichkeiten fehlen.
Ergänzend verweisen Ägyptologen auf fehlende Belege, die Parkers Schaltregel eindeutig bestätigen, da die von ihm herangezogenen altägyptischen Aufzeichnungen auch andere Verfahrensweisen zulassen. Die im Alten Reich angewendete Praxis, die fünf Schalttage des ägyptischen Verwaltungskalenders und den Tag des Sothisaufgangs dem neuen Jahr „als Tage vor dem 1. Achet I“ zuzuordnen, spricht zumindest im Alten Reich gegen Parkers „Zielvorgabe“, den Sothisaufgang immer in den zwölften Monat verlegen zu wollen.
Die Sothis-Zyklusdauer ist vom geografischen Beobachtungspunkt abhängig. Für die in Frage kommenden altägyptischen Orte weisen die Sothis-Perioden Differenzen auf, die sich aber erst langfristig in den Mondzyklen auswirken. Im Gegensatz zum bürgerlichen Mondkalender fielen die Mondmonatstage im Sothis-Mondkalender schon alle 19 Jahre wieder auf denselben Tag.
Sothis-Mondzyklus (Zeitraum 2770 bis 1500 v. Chr.)[12] | |||||
Beobachtungsort | 1 Sothis-Jahr | 19 Sothis-Jahre | 235 Mondmonate | Abweichung | 1-Tagesverschiebung |
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Nildelta | 365,2500098 Tage | 6939,7502 Tage | 6939,6917 Tage | 0,0585 Tage | nach etwa 325 Jahren |
Memphis | 365,2500103 Tage | 6939,7502 Tage | 6939,6917 Tage | 0,0585 Tage | nach etwa 325 Jahren |
Elephantine | 365,2500217 Tage | 6939,7504 Tage | 6939,6917 Tage | 0,0587 Tage | nach etwa 324 Jahren |
Der 19-Jahreszyklus verschob sich mit den Mondmonatstagen frühestens nach 324 Jahren um einen Tag. Der Vergleich zum bürgerlichen Mondkalender zeigt eine höhere Dynamik im Sothis-Mondkalender. Eine einfache Vorausschau war dennoch für mehrere Pharaonen-Herrschaftsperioden möglich. So hatte beispielsweise das Berechnungsschema der Mondmonatstage Ende der 12. Dynastie (1793 v. Chr.) bei Gründung der 18. Dynastie (1550 v. Chr.) in der bestehenden 19-Jahreszyklus-Periode immer noch Gültigkeit. Die Planung der religiösen Feste erwies sich im Sothis-Mondkalender als einfacher, da nur 18 statt 24 Verschiebungen innerhalb des Sothis-Mondzyklus auftraten. Gegenüber dem späteren ebenfalls neunzehnjährigen Meton-Zyklus wies der Sothis-Mondzyklus im Alten Ägypten eine etwas größere Präzision auf.
In Al-Lahun fanden Einheimische bruchstückhaft erhaltene Papyri, die sie im Jahr 1899 auf dem Kunstmarkt Ludwig Borchardt zum Kauf anboten, der die Aufzeichnungen kurze Zeit später im Auftrag des Ägyptischen Museums in Berlin erwarb. Auf den Papyri sind unter anderem Daten des Mondkalenders niedergeschrieben, die Borchardt kurze Zeit als Papyrus Berlin teilweise veröffentlichte. Aufgrund der Namensnennung von Königen und Beamten konnten die Papyri auf die späte 12. Dynastie im Mittleren Reich datiert werden.
Neben der Angabe des heliakischen Aufgangs von Sirius im siebten Regierungsjahr von Sesostris III. sind Einträge von Festdaten in Verbindung von Mondmonatseinträgen aus Tempeltagebüchern erhalten geblieben. Das Sirius-Datum ermöglichte die Zuweisung der Monddaten an die Könige Sesostris III. und Amenemhet III., weshalb die Al-Lahun-Papyri in ihrer Rolle als sichere chronologische Stütze der altägyptischen Geschichte von großer Bedeutung sind.
Im Neuen Reich sind verschiedene Monddaten im altägyptischen Verwaltungskalender bekannt; seltener dagegen die Tage des Neumonds. Thutmosis III. nennt beispielsweise während seiner Vorbereitungen auf die Schlacht bei Megiddo den „Tag des Neumondfestes“. Ergänzend sind vereinzelte Monddaten von Krönungs- und Himmelsfesten belegt. In Verbindung von Regierungsjahraufzeichnungen der jeweiligen Könige sind die protokollierten Monddaten zwar hilfreich, ohne jedoch zuverlässig ein bestimmtes Jahr in der bisher vorliegenden Chronologie des Neuen Reiches bestätigen zu können, wenn anderweitige Parallelnennungen von Ereignissen fehlen.
In der Spät- und griechisch-römischen Zeit lassen sich dagegen genaue zeitliche Zuordnungen vornehmen, da durch kalendarische Neumondeinträge anderer Kulturen die entsprechenden altägyptischen Monddaten bestätigt werden; beispielsweise für das Jahr 432 v. Chr. eine Parapegma-Erwähnung in Verbindung des attischen Kalenders.
Die Präzession und die Verlangsamung der Erdrotation bewirken die Veränderung der Dauer eines synodischen Monats sowie eines Sonnenjahres, weshalb die gegenwärtigen Werte nicht in historische Berechnungen übernommen werden können. Mathematiker und Astronomen wie beispielsweise Jean Meeus, Fred Espenak sowie zuletzt L.V. Morrison und F.R. Stephenson konnten aufgrund von historischen Auswertungen genauere Berechnungen durchführen.[13] Gegenüber früheren Datierungsmodellen ergaben sich Abweichungen, die als „astronomisches Delta T“ bezeichnet werden. Die veränderten Werte werden zwischenzeitlich bereits auch in den Berechnungsprogrammen der NASA verwendet.[14]
Die altägyptische Chronologie fußt in nicht unerheblichem Maß auf kalendarische Zuordnungen der Sothis- und Monddaten. Als Bezugsort wird von den meisten Ägyptologen Memphis neben dem Censorinus-Datum im Sothis-Zyklus als Berechnungsgrundlage gewählt. Damit einhergehend wurden die Monddaten in das altägyptische Kalendersystem übertragen, dessen Einteilung ebenfalls nur auf Grundlage des Bezugsortes Memphis und den Censorinus-Aufzeichnungen vorgenommen wurde. Eine weitere mögliche „Fehlerquelle“ stellt die Tageszuordnung des ersten Mondmonatstages dar. In der Ägyptologie werden gegenwärtig zumeist noch die alten Berechnungsmodelle beziehungsweise Berechnungswerte aus Aufzeichnungen verschiedener Ägyptologen übernommen, deren Erstveröffentlichungen bis in das Jahr 1937 zurückreichen können.
Winfried Barta publizierte 1980 mehrere Neumondwerte; beispielsweise den astronomischen Neumond für den 22. November (julianisches Datum) im Jahr 1353 v. Chr. für 6:48 Uhr, ohne jedoch die veränderten Mondaufgangszeiten zu berücksichtigen. Barta nahm die Ergebnisse seiner Berechnungen zum Anlass, den Tag des astronomischen Neumonds als „ersten Mondmonatstag“ zu postulieren.[15] Gemäß neuer Ermittlungen von Rita Gautschy treffen die Berechnungen Bartas bezüglich des astronomischen Neumonds zu. Allerdings lag für den Vortag nur ein sehr knapper Sichtbarkeitszeitraum von einigen Minuten vor. Eine sichere Altlichtsichtung kann daher für diesen Tag nicht bestätigt werden. Möglicherweise fungierte bereits der 21. November als erster Mondmonatstag. Die letzte zweifelsfreie Altlichtsichtung kann nur für den 20. November bestätigt werden.[16] Die Berechnungsdifferenzen anderer Ägyptologen liegen für den Zeitraum des 14. Jahrhunderts v. Chr. etwa im Bereich von neun Stunden[17] und führen in einigen Fällen zu fehlerhaften Zuordnungen der Neumondtage, was wiederum eine falsche Ansetzung einer Regentschaftszeit bewirken kann. Hinzu kommt, dass in älterer Fachliteratur öfter der Tagesbeginn mit der Morgendämmerung vor Sonnenaufgang gleichgesetzt wird, obwohl in der ägyptischen Mythologie die zwölfte Nachtstunde den heliakischen Aufgängen zugeordnet ist. Daneben wird der Beginn der ersten Tagesstunde unter anderem im Nutbuch definiert:
„So entsteht [der Befehl], dass er (Re) sich zum Himmel entfernt, in der ‚Stunde, die zufriedenstellt‘ (1. Tagesstunde). So wird seine Gestalt stark und groß. Bei Nacht gehen die (Dekansterne als) Bas beim Fahren am Himmel hervor. Die Dekansterne folgen Re bei seinem Aufgang in der „Stunde, die zufriedenstellt“. Am Tag sind sie nicht sichtbar für die Menschen.“
Aufgrund unklarer Aussagen im Almagest interpretierten in der älteren Fachliteratur zahlreiche Ägyptologen die dortigen Hinweise als Beweis, dass der erste Mondmonatstag mit der Morgendämmerung zu verbinden sei. Neuere Untersuchungen stützen sich zusätzlich auf andere altägyptische Texte, die, wie beispielsweise Alexandra von Lieven feststellte, den Beginn des ersten Mondmonatstages auf den Zeitpunkt des Sonnenaufgangs legen. Die in der Fachliteratur unterschiedlichen Berechnungsmethoden führen teilweise zu unterschiedlichen Datierungen des ersten Mondmonatstages. Siegfried Schott und Rolf Krauss verweisen in diesem Zusammenhang auf mögliche Änderungen des Kalendersystems und betonen, dass die bisherigen älteren chronologischen Monddatenzuweisungen ihre Gültigkeit verlieren können, was zu teilweisen Änderungen der Regierungsjahransetzungen der altägyptischen Könige führt.