Das Nizza-Modell (englisch Nice model, Aussprache: [ˈniːs], nach der Stadt Nizza, wo es am Observatoire de la Côte d’Azur entwickelt wurde) ist ein Modell für eine späte Migration der Planeten im Sonnensystem, das 2005 von R. Gomes, H. F. Levison, A. Morbidelli und K. Tsiganis (in alphabetischer Reihenfolge) in drei Nature-Artikeln vorgeschlagen wurde. Das Modell kann etliche Eigenschaften des Sonnensystems vorhersagen.
Das Modell beschreibt eine Migration der Planeten, nachdem sich die protoplanetare Gasscheibe aufgelöst hat. Es ist also kein Migrationsmodell im engeren Sinne wie etwa das Grand-Tack-Modell. Das Nizza-Modell nimmt an, dass die Planeten ursprünglich auf nahezu kreisförmigen, kompakten Bahnorbits liefen. Außerdem nimmt es an, dass bei der Planetenentstehung eine Scheibe von Planetesimalen entstand, die von außerhalb der Planetenorbits bis hinaus zu einer Entfernung von 35 AU reichte und eine Gesamtmasse von etwa 35 Erdmassen hatte.
Die Riesenplaneten des Sonnensystems streuen nun zunächst vereinzelt Planetesimale aus der Scheibe. Dabei wird Drehimpuls übertragen, und die Bahnen der Planeten ändern sich leicht. Mit numerischen Simulationen kann gezeigt werden, dass dadurch Saturn, Uranus und Neptun langsam nach außen wandern und Jupiter nach innen.
Nach ein paar hundert Millionen Jahren (500–800 Mio. Jahre nach Entstehung der Sonne) kommt es zu einer 2:1-Resonanz (englisch mean motion resonance, MMR) zwischen Jupiter und Saturn. Dadurch steigen die Exzentrizitäten, und das System destabilisiert sich. Die Planeten Saturn, Uranus und Neptun kommen einander und der Scheibe aus Planetesimalen nahe. Dadurch werden die Planetesimale praktisch schlagartig zerstreut, ein Teil der Planetesimale fliegt in das innere Planetensystem und löst dort das Große Bombardement aus. In etwa 50 Prozent der simulierten Modelle kommt es dabei auch zu einem Platzwechsel zwischen den zwei äußersten Gasplaneten Uranus und Neptun (siehe die Grafik rechts).[1] Nach etwa hundert Millionen Jahren erreichen die Planeten schließlich ihre heutigen Entfernungen, ihre Exzentrizitäten werden gedämpft und das System stabilisiert sich wieder.
Neben den Positionen, Exzentrizitäten und Inklinationen der Riesenplaneten und dem großen Bombardement erklärt das Modell noch eine Reihe weitere Eigenschaften des heutigen Sonnensystems:
Das Modell beschreibt nicht die Migration in der protoplanetaren Gasscheibe, sondern setzt erst danach an. Die Probleme und offenen Fragen der klassischen planetaren Migration werden dadurch also nicht gelöst.
Bei der Entwicklung des Modells wurden nur die vier äußeren Riesenplaneten betrachtet, die Auswirkung auf die Bahnen der terrestrischen Planeten wurden nicht berücksichtigt. In der Instabilitätsphase würden diese jedoch wahrscheinlich gestört werden. Auch neigen derart instabile Systeme dazu, Planeten zu verlieren. Beides kann möglicherweise dadurch vermieden werden, dass man dem System ursprünglich einen weiteren Riesenplaneten hinzufügt, der das System stabilisiert und schließlich selbst aus dem Sonnensystem geworfen wird.
David Nesvorný vom Southwest Research Institute zeigte 2011, dass die Wahrscheinlichkeit dafür wesentlich höher ist als für ein Modell ohne fünften Riesenplaneten. Dabei wurden eine Vielzahl von Simulationen mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen, Migrationsraten der Planeten, Auflösungsgeschwindigkeiten der Gasscheibe, Massen der Scheibe aus Planetesimalen und Massen des zusätzlichen Planeten (zwischen 1/3 und 3 Uranusmassen) gemacht und nach vier Kriterien ausgewertet:
Bei der Auswertung stellte man fest, dass das Kriterium A bei anfangs 4 Riesenplaneten in unter 13 % der Simulationen erfüllt ist, während es bei anfangs 5 Planeten bei 37 % der Simulationen erfüllt ist; Kriterium B ist bei 4 Planeten in nur 2,5 % der Fällen erfüllt, während es bei Hinzunahme eines 5. Planeten in 23 % der Fälle erfüllt ist. Bei richtiger Wahl der Masse des fünften Planeten von 1/2 Uranusmasse steigen die Wahrscheinlichkeiten für Kriterium A und B sogar auf 50 % bzw. 20–30 %. Die inneren Planeten überleben beim klassischen Modell nur in etwa 1 % der Fälle – beim um einem Planeten erweiterten Modell steigt die Wahrscheinlichkeit jedoch auf etwa 10 %.
Die Untersuchung zeigt jedoch auch, dass das Kriterium C bei beiden Modellen nur sehr selten erfüllt ist. Da das Modell auch die irregulären Monde Jupiters nicht beschreiben kann, ist es fragwürdig, ob es zur Erklärung irregulärer Monde herangezogen werden kann.