Granulare Materie: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Granulare Materie''', auch ein '''Granulares Medium''' oder '''Granulat''' genannt, besteht aus vielen kleinen, festen Partikeln wie Körnern oder Kugeln. Beispiele für diesen Zustand sind ''körnige Materialien'' wie [[Sand]], ''pulverförmige Materialien'' wie [[Puder]], oder in großen Mengen auch ''loses Material'' wie beispielsweise [[Geröll]]. Man verwendet auch die Begriffe ''[[Haufwerk]]'' für mechanische und ''[[Schüttgut]]'' für logistische Aspekte.
'''Granulare Materie''', auch '''granulares Medium''' oder '''Granulat''' genannt, besteht aus vielen kleinen, festen Partikeln wie Körnern oder Kugeln. Beispiele für diesen Zustand sind ''körnige Materialien'' wie [[Kunststoffgranulat]], ''pulverförmige Materialien'' wie [[Puder]] oder in großen Mengen auch ''loses Material'' wie beispielsweise [[Geröll]]. Man verwendet auch die Begriffe ''[[Haufwerk]]'' für mechanische und ''[[Schüttgut]]'' für logistische Aspekte.


== Grundlagen ==
== Grundlagen ==
Die Teilchen granularer Materie haben [[makroskopisch]]e Größe (materialkundlich heißen sie ''[[Korngröße|Korn]]'') und werden daher weder durch [[Quantenphysik|Quanteneffekte]] noch [[Brownsche Bewegung|thermische Bewegung]] merklich beeinflusst. Sie wechselwirken nur über Kontaktkräfte ([[Reibungskraft]]). Es handelt sich nicht um einen [[Aggregatzustand]] der Materie, sondern um eine Ansammlung von [[Festkörper]]n. Granulare Materie verhält sich manchmal wie ein einzelner Festkörper - beispielsweise können Steine auf Sand liegen, ohne einzusinken - und manchmal wie eine [[Flüssigkeit]]: Sand passt sich der Form eines Gefäßes an und „fließt“ bei Kippen aus ihm heraus. Beim Entleeren eines Silos oder Bunkers verhält sich das Schüttgut manchmal wie ein Festkörper (fließt nicht), manchmal wie eine Flüssigkeit (fließt oder schießt heraus).
Die Teilchen granularer Materie haben [[makroskopisch]]e Größe (materialkundlich heißen sie ''[[Korngröße|Korn]]'') und werden daher weder durch [[Quantenphysik|Quanteneffekte]] noch [[Brownsche Bewegung|thermische Bewegung]] merklich beeinflusst. Sie wechselwirken nur über Kontaktkräfte ([[Reibungskraft]]). Es handelt sich nicht um einen [[Aggregatzustand]] der Materie, sondern um eine Ansammlung von [[Festkörper]]n. Granulare Materie verhält sich manchmal wie ein einzelner Festkörper beispielsweise können Steine auf Sand liegen, ohne einzusinken und manchmal wie eine [[Flüssigkeit]]: Sand passt sich der Form eines Gefäßes an und „fließt“ bei Kippen aus ihm heraus. Beim Entleeren eines Silos oder Bunkers verhält sich das Schüttgut manchmal wie ein Festkörper (fließt nicht), manchmal wie eine Flüssigkeit (fließt oder schießt heraus).


== Physik der granularen Materie ==
== Physik der granularen Materie ==
Die Physik der granularen Materie beruht auf [[Mechanik|mechanischen]] und, bei genügend kleinen Körnern, [[Elektrostatik|elektrostatischen]] Wechselwirkungen. Durch die große Zahl der Reaktionspartner entsteht jedoch ein [[Vielkörperproblem]] mit hoher [[Komplexität]], das zu vielfältigen Effekten führt. Ein Beispiel ist der [[Paranuss-Effekt]], bei dem durch Bewegen eines Gemischs verschieden großer Körner die größeren an die Oberfläche driften. Die Eigenschaften granularer Materie ändern sich stark, wenn ihr geringe Mengen an Flüssigkeit zugefügt werden, da diese die [[Reibung]] der Teilchen senken und durch [[Kohäsion (Chemie)|Kohäsion]] zu gegenseitiger Anziehung führen kann. So erklärt sich etwa die Standfestigkeit von [[Sandburg]]en.
Die Physik der granularen Materie beruht auf [[Mechanik|mechanischen]] und, bei genügend kleinen Körnern, [[Elektrostatik|elektrostatischen]] Wechselwirkungen. Durch die große Zahl der Reaktionspartner entsteht jedoch ein [[Vielkörperproblem]] mit hoher [[Komplexität]], das zu vielfältigen Effekten führt. Ein Beispiel ist der [[Paranuss-Effekt]], bei dem durch Bewegen eines Gemischs verschieden großer Körner die größeren an die Oberfläche driften. Die Eigenschaften granularer Materie ändern sich stark, wenn geringe Mengen an Flüssigkeit hinzugefügt werden, da diese die [[Reibung]] der Teilchen senkt und aufgrund von [[Kohäsion (Chemie)|Kohäsion]] zu gegenseitiger Anziehung führen kann. So erklärt sich etwa die Standfestigkeit von [[Sandburg]]en.


Granulare Materie ist erst seit wenigen Jahrzehnten ein aktives Forschungsgebiet, sodass viele Phänomene zwar aus dem Alltag oder physikalischen Experimenten bekannt, aber theoretisch noch nicht sauber erklärt sind.
Granulare Materie ist erst seit wenigen Jahrzehnten ein aktives Forschungsgebiet, sodass viele Phänomene zwar aus dem Alltag oder physikalischen Experimenten bekannt, aber theoretisch noch nicht sauber erklärt sind.
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Alternativ lässt sich das mechanische Verhalten von granularer Materie auch mit der [[Theorie poröser Medien]] beschreiben. Hierbei werden die Körner nicht einzeln berücksichtigt, sondern gehen gemittelt über ihren [[Volumenanteil]] in die Beschreibung ein.
Alternativ lässt sich das mechanische Verhalten von granularer Materie auch mit der [[Theorie poröser Medien]] beschreiben. Hierbei werden die Körner nicht einzeln berücksichtigt, sondern gehen gemittelt über ihren [[Volumenanteil]] in die Beschreibung ein.


== Anwendungsgebiet==
== Anwendungsgebiet ==
[[Datei:Kleckerburg1 2006 08.jpg|mini|Burg aus nass getropftem Sand]]
[[Datei:Kleckerburg1 2006 08.jpg|mini|Burg aus nass getropftem Sand]]
Erkenntnisse über granulare Materie können von großer Bedeutung für Fertigungsprozesse und [[Lagerhaltung]] in der Industrie sein.
Erkenntnisse über granulare Materie können von großer Bedeutung für Fertigungsprozesse und [[Lagerhaltung]] in der Industrie sein.
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Eine weitere wichtige Anwendung ist die Physik der geophysikalischen [[Massenbewegung (Geologie)|Massenbewegungen]], wie [[Murgang|Murgänge]] und [[Lawine]]n. Auch [[Felssturz#Felsstürze|Felsstürze]] und [[Geschiebe]] in Sturzwässern können als – riesige – Teilchen modelliert werden. Diese Modelle bilden die Grundlagen für [[Gefahrenkarte|Gefahrenzonenauszeichnung]] und [[Katastrophenschutz]].
Eine weitere wichtige Anwendung ist die Physik der geophysikalischen [[Massenbewegung (Geologie)|Massenbewegungen]], wie [[Murgang|Murgänge]] und [[Lawine]]n. Auch [[Felssturz#Felsstürze|Felsstürze]] und [[Geschiebe]] in Sturzwässern können als – riesige – Teilchen modelliert werden. Diese Modelle bilden die Grundlagen für [[Gefahrenkarte|Gefahrenzonenauszeichnung]] und [[Katastrophenschutz]].


Im Transportwesen ist der Begriff ''lose Schüttung'' und die zugrundeliegenden mechanisch-physikalischen Vorgänge von Bedeutung für die Sicherheit und die [[Stabilität (Schiffskörper)|Stabilität von Frachtschiffen]] und [[Fluglage|von Flugzeugen]]. Auch die [[Explosion|Explosivwirkung]] (siehe auch [[Staubexplosion]]) granularer Materie, bedingt durch ihre große Oberfläche, Oxidationswirkung und [[Reibungselektrizität]], wurde erst nach schweren Unfällen als Risikofaktor erkannt.
Im Transportwesen sind der Begriff ''lose Schüttung'' und die zugrundeliegenden mechanisch-physikalischen Vorgänge von Bedeutung für die Sicherheit und die [[Stabilität (Schiffskörper)|Stabilität von Frachtschiffen]] und [[Fluglage|von Flugzeugen]]. Auch die [[Explosion|Explosivwirkung]] (siehe auch [[Staubexplosion]]) granularer Materie, bedingt durch ihre große Oberfläche, Oxidationswirkung und [[Reibungselektrizität]], wurde erst nach schweren Unfällen als Risikofaktor erkannt.


== Literatur ==
== Literatur ==
* P. Grassmann: ''Physikalische Grundlagen der Chemie-Ingenieur-Technik.'' Verlag H. R. Sauerländer, Aarau/ Frankfurt am Main 1961, insbesondere Kapitel 5: ''Oberflächenreiche Körper und feinverteilte Stoffe.''
* P. Grassmann: ''Physikalische Grundlagen der Chemie-Ingenieur-Technik.'' Verlag H. R. Sauerländer, Aarau/ Frankfurt am Main 1961, insbesondere Kapitel 5: ''Oberflächenreiche Körper und feinverteilte Stoffe.''
* J. Schwedes: ''Fließverhalten von Schüttgütern in Bunkern.'' Verlag Chemie, Weinheim (Bergstraße) 1968.
* J. Schwedes: ''Fließverhalten von Schüttgütern in Bunkern.'' Verlag Chemie, Weinheim (Bergstraße) 1968.
* M. Stieß: ''Mechanische Verfahrenstechnik - Partikeltechnologie 1.'' 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/ Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-32551-2.
* M. Stieß: ''Mechanische Verfahrenstechnik Partikeltechnologie 1.'' 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/ Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-32551-2.
* R. Bunge: ''Mechanische Aufbereitung.'' Wiley-VCH Verlag, Weinheim (Bergstraße) 2012, ISBN 978-3-527-33209-0
* R. Bunge: ''Mechanische Aufbereitung.'' Wiley-VCH Verlag, Weinheim (Bergstraße) 2012, ISBN 978-3-527-33209-0


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.physikdidaktik.uni-bayreuth.de/projekte/piko/GranulareMaterie1_WeberSM.pdf Granulare Materie - Handreichung für die Unterrichtsentwicklung] (PDF-Datei; 3,62&nbsp;MB) - <small>Allgemeine Einführung in das Thema</small>
* [https://www.physikdidaktik.uni-bayreuth.de/projekte/piko/GranulareMaterie1_WeberSM.pdf Granulare Materie - Handreichung für die Unterrichtsentwicklung] (PDF-Datei; 3,62&nbsp;MB) <small>Allgemeine Einführung in das Thema</small>


[[Kategorie:Festkörperphysik]]
[[Kategorie:Festkörperphysik]]
[[Kategorie:Werkstoffeigenschaft]]
[[Kategorie:Werkstoffeigenschaft]]
[[Kategorie:Material nach Struktur]]
[[Kategorie:Nichtnewtonsches Fluid]]

Aktuelle Version vom 22. Dezember 2021, 15:46 Uhr

Sand besteht aus vielen Einzelkörnern.

Granulare Materie, auch granulares Medium oder Granulat genannt, besteht aus vielen kleinen, festen Partikeln wie Körnern oder Kugeln. Beispiele für diesen Zustand sind körnige Materialien wie Kunststoffgranulat, pulverförmige Materialien wie Puder oder in großen Mengen auch loses Material wie beispielsweise Geröll. Man verwendet auch die Begriffe Haufwerk für mechanische und Schüttgut für logistische Aspekte.

Grundlagen

Die Teilchen granularer Materie haben makroskopische Größe (materialkundlich heißen sie Korn) und werden daher weder durch Quanteneffekte noch thermische Bewegung merklich beeinflusst. Sie wechselwirken nur über Kontaktkräfte (Reibungskraft). Es handelt sich nicht um einen Aggregatzustand der Materie, sondern um eine Ansammlung von Festkörpern. Granulare Materie verhält sich manchmal wie ein einzelner Festkörper – beispielsweise können Steine auf Sand liegen, ohne einzusinken – und manchmal wie eine Flüssigkeit: Sand passt sich der Form eines Gefäßes an und „fließt“ bei Kippen aus ihm heraus. Beim Entleeren eines Silos oder Bunkers verhält sich das Schüttgut manchmal wie ein Festkörper (fließt nicht), manchmal wie eine Flüssigkeit (fließt oder schießt heraus).

Physik der granularen Materie

Die Physik der granularen Materie beruht auf mechanischen und, bei genügend kleinen Körnern, elektrostatischen Wechselwirkungen. Durch die große Zahl der Reaktionspartner entsteht jedoch ein Vielkörperproblem mit hoher Komplexität, das zu vielfältigen Effekten führt. Ein Beispiel ist der Paranuss-Effekt, bei dem durch Bewegen eines Gemischs verschieden großer Körner die größeren an die Oberfläche driften. Die Eigenschaften granularer Materie ändern sich stark, wenn geringe Mengen an Flüssigkeit hinzugefügt werden, da diese die Reibung der Teilchen senkt und aufgrund von Kohäsion zu gegenseitiger Anziehung führen kann. So erklärt sich etwa die Standfestigkeit von Sandburgen.

Granulare Materie ist erst seit wenigen Jahrzehnten ein aktives Forschungsgebiet, sodass viele Phänomene zwar aus dem Alltag oder physikalischen Experimenten bekannt, aber theoretisch noch nicht sauber erklärt sind.

Alternativ lässt sich das mechanische Verhalten von granularer Materie auch mit der Theorie poröser Medien beschreiben. Hierbei werden die Körner nicht einzeln berücksichtigt, sondern gehen gemittelt über ihren Volumenanteil in die Beschreibung ein.

Anwendungsgebiet

Burg aus nass getropftem Sand

Erkenntnisse über granulare Materie können von großer Bedeutung für Fertigungsprozesse und Lagerhaltung in der Industrie sein.

Eine weitere wichtige Anwendung ist die Physik der geophysikalischen Massenbewegungen, wie Murgänge und Lawinen. Auch Felsstürze und Geschiebe in Sturzwässern können als – riesige – Teilchen modelliert werden. Diese Modelle bilden die Grundlagen für Gefahrenzonenauszeichnung und Katastrophenschutz.

Im Transportwesen sind der Begriff lose Schüttung und die zugrundeliegenden mechanisch-physikalischen Vorgänge von Bedeutung für die Sicherheit und die Stabilität von Frachtschiffen und von Flugzeugen. Auch die Explosivwirkung (siehe auch Staubexplosion) granularer Materie, bedingt durch ihre große Oberfläche, Oxidationswirkung und Reibungselektrizität, wurde erst nach schweren Unfällen als Risikofaktor erkannt.

Literatur

  • P. Grassmann: Physikalische Grundlagen der Chemie-Ingenieur-Technik. Verlag H. R. Sauerländer, Aarau/ Frankfurt am Main 1961, insbesondere Kapitel 5: Oberflächenreiche Körper und feinverteilte Stoffe.
  • J. Schwedes: Fließverhalten von Schüttgütern in Bunkern. Verlag Chemie, Weinheim (Bergstraße) 1968.
  • M. Stieß: Mechanische Verfahrenstechnik – Partikeltechnologie 1. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/ Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-32551-2.
  • R. Bunge: Mechanische Aufbereitung. Wiley-VCH Verlag, Weinheim (Bergstraße) 2012, ISBN 978-3-527-33209-0

Weblinks