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Das '''chemische Potential''' oder '''chemische Potenzial''' <math>\mu</math> ist eine [[thermodynamische Zustandsgröße]], die zur Analyse von [[Heterogenes System|heterogenen]], thermodynamischen Systemen von [[Josiah Willard Gibbs]] eingeführt wurde. Jeder Stoffkomponente (chemisches Element oder chemische Verbindung) einer jeden [[Phase (Materie)|homogenen Phase]] eines [[Thermodynamisches System|thermodynamischen Systems]] ist ein chemisches Potential zugeordnet. | |||
Die Bedingungen für das thermodynamische Gleichgewicht und die [[Stöchiometrie|stöchiometrischen Bilanzen]] bei chemischen Stoffumwandlungen führen auf lineare Gleichungen zwischen den chemischen Potentialen. Diese Gleichungen ermöglichen die Bestimmung der verschiedenen Stoffanteile in den einzelnen Phasen (etwa bei der [[Destillation]]), die Berechnung der Druckdifferenz bei einer [[Osmose]], die Bestimmung der [[Gefrierpunktserniedrigung]], die Berechnung der [[Gleichgewichtskonstante]]n von [[Chemische Reaktion|chemischen Reaktionen]] und die Analyse der [[Gibbssche Phasenregel|Koexistenz verschiedener Phasen]]. Darüber hinaus kann für eine Einwirkung von außen auf eine Größe wie die Temperatur, den Druck oder einen Stoffmengenanteil mittels der chemischen Potentiale die spontane Entwicklungsrichtung des Systems zurück zu einem Gleichgewichtszustand ermittelt werden.<ref name="Gibbs_1"/><ref name="GWedlerPhysChemie_2_3"/><ref name="Lucas_7"/> | |||
Das '''chemische Potential''' oder '''chemische Potenzial''' <math>\mu</math> ist eine [[ | |||
Die Bedingungen für das thermodynamische Gleichgewicht und die [[Stöchiometrie| | |||
== Anschauliche Interpretation == | == Anschauliche Interpretation == | ||
Das chemische Potential einer Komponente gibt die Änderung der inneren Energie eines Systems an, wenn sich die Teilchenzahl dieser Komponente ändert. Es beschreibt zum Beispiel die Änderung der inneren Energie pro zugesetzter Stoffmenge einer bestimmten Komponente oder die Änderung der inneren Energie, wenn eine Komponente während einer [[chemische Reaktion|Reaktion]] verbraucht wird. | Das chemische Potential einer Komponente gibt die Änderung der inneren Energie eines Systems an, wenn sich die Teilchenzahl dieser Komponente ändert und dabei Volumen und Entropie konstant bleiben. Es beschreibt zum Beispiel die Änderung der inneren Energie pro zugesetzter Stoffmenge einer bestimmten Komponente oder die Änderung der inneren Energie, wenn eine Komponente während einer [[chemische Reaktion|Reaktion]] verbraucht wird. | ||
Das chemische Potential kann in Analogie zu anderen [[Intensive Größe|intensiven Zustandsgrößen]] wie dem [[Druck (Physik)|Druck]] gesehen werden. Der Druck beschreibt die Änderung der inneren Energie wenn sich das [[Volumen]] ändert. Gleich wie der Druck ist das chemische Potential einer Komponente ein Maß für die verrichtete [[ | Das chemische Potential kann in Analogie zu anderen [[Intensive Größe|intensiven Zustandsgrößen]] wie dem [[Druck (Physik)|Druck]] gesehen werden. Der Druck beschreibt die Änderung der inneren Energie, wenn sich das [[Volumen]] ändert. Gleich wie der Druck ist das chemische Potential einer Komponente ein Maß für die verrichtete [[Arbeit (Physik)|Arbeit]]; statt mechanischer handelt es sich aber um chemische Arbeit. | ||
== Definition == | == Definition == | ||
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:<math>\mathrm{d}U= \delta Q + \delta W</math> | :<math>\mathrm{d}U= \delta Q + \delta W</math> | ||
Das bedeutet, dass sich die innere Energie ändert, wenn man Wärme hinzufügt oder abführt (<math>\delta Q </math>) oder das System Arbeit verrichtet oder Arbeit an ihm verrichtet wird (<math>\delta W </math>). Die Art der Arbeit kann dabei mechanischer, elektrischer oder chemischer Natur sein. Im Folgenden werden nur mechanische und chemische Arbeit betrachtet. Die mechanische Arbeit kann als <math> -p\mathrm{d}V </math> geschrieben werden. Komprimiert man ein System (<math>\mathrm{d}V < 0</math>), so verrichtet man Arbeit am System und die gespeicherte Energie wird erhöht. Per Definition ist eine Erhöhung der gespeicherten Energie als positive Änderung der inneren Energie definiert. Die Änderung der gespeicherten Wärmeenergie <math>\delta Q = T\mathrm{d}S</math> ist über die Änderung der Entropie <math>S</math> im System definiert wobei <math>T</math> die Temperatur repräsentiert. Es folgt somit: | Das bedeutet, dass sich die innere Energie ändert, wenn man Wärme hinzufügt oder abführt (<math>\delta Q </math>) oder das System Arbeit verrichtet oder Arbeit an ihm verrichtet wird (<math>\delta W </math>). Die Art der Arbeit kann dabei mechanischer, elektrischer oder chemischer Natur sein. Im Folgenden werden nur mechanische und chemische Arbeit betrachtet. Die mechanische Arbeit kann als <math> -p\mathrm{d}V </math> geschrieben werden. Komprimiert man ein System (<math>\mathrm{d}V < 0</math>), so verrichtet man Arbeit am System und die gespeicherte Energie wird erhöht. Per Definition ist eine Erhöhung der gespeicherten Energie als positive Änderung der inneren Energie definiert. Die Änderung der gespeicherten Wärmeenergie <math>\delta Q = T\mathrm{d}S</math> ist über die Änderung der Entropie <math>S</math> im System definiert, wobei <math>T</math> die Temperatur repräsentiert. Es folgt somit: | ||
:<math>\mathrm{d}U= T\mathrm{d}S - p\mathrm{d}V + \delta W_\text{chemisch}</math> | :<math>\mathrm{d}U= T\mathrm{d}S - p\mathrm{d}V + \delta W_\text{chemisch}</math> | ||
Die chemischen | Die chemischen Potentiale müssen sich nun im Term <math>\delta W_\text{chemisch}</math> wiederfinden, da sie ja die Änderung der inneren Energie bei Verrichtung von chemischer Arbeit charakterisieren sollen. Da chemische Arbeit mit dem Ablaufen von chemischen Reaktionen verbunden ist, sei nun eine chemische Reaktion formuliert. | ||
:<math>\mathrm{ A + B \longrightarrow C + D}</math> | :<math>\mathrm{ A + B \longrightarrow C + D}</math> | ||
Die Stoffe A und B werden dabei zu den Stoffen C und D umgesetzt, wobei chemische Arbeit verrichtet wird. Wenn die Reaktion freiwillig abläuft, erniedrigt sich die innere Energie des Systems, wohingegen die innere Energie des Systems erhöht wird, wenn die Reaktion erzwungen werden muss. Im ersten Fall verrichtet das System chemische Arbeit, im zweiten Fall wird chemische Arbeit an ihm verrichtet. Jedenfalls ändert sich die Teilchenanzahl jedes Stoffs im System beim Fortschreiten der Reaktion. Meist ist es gebräuchlich anstatt der Änderung der Teilchenanzahl <math>\mathrm{d}N_i</math>, die Änderung der Stoffmenge zu <math>\mathrm{d}n_i</math> zu verwenden, wobei der Subskript <math>i</math> den betrachteten Stoff bezeichnet. Da nun das chemische Potential die Änderung der inneren Energie pro umgesetzter Stoffmenge charakterisieren soll, ergibt sich für die chemische Arbeit: | |||
:<math>\delta W_\text{chemisch} = \mu_A \mathrm{d}n_A + \mu_B \mathrm{d}n_B + \mu_C \mathrm{d}n_C + \mu_D \mathrm{d}n_D</math> | :<math>\delta W_\text{chemisch} = \mu_A \mathrm{d}n_A + \mu_B \mathrm{d}n_B + \mu_C \mathrm{d}n_C + \mu_D \mathrm{d}n_D</math> | ||
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:<math>\mathrm{d}U = T\, \mathrm{d}S - p\, \mathrm {d}V + \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i \!\quad.</math> | :<math>\mathrm{d}U = T\, \mathrm{d}S - p\, \mathrm {d}V + \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i \!\quad.</math> | ||
Die innere Energie ist somit eine Funktion der Entropie, des Volumens sowie der Stoffmengen der | Die innere Energie ist somit eine Funktion der Entropie, des Volumens sowie der Stoffmengen der Komponenten des Systems <math>U(S, V, n_i)</math>. Das chemische Potential einer Komponente <math>i</math> kann nun als partielle Ableitung der inneren Energie nach seiner Stoffmenge definiert werden. Die anderen extensiven Zustandsgrößen wie die Entropie, das Volumen und die Stoffmengen der anderen Komponenten <math>\mathrm{d}n_j</math> werden dabei konstant gehalten. | ||
:<math>\Rightarrow \mu_i := \left( \frac{\partial U(S,V,n_j)}{\partial {n_i}} \right)_{S,V,n_{j\ne i}}</math> | :<math>\Rightarrow \mu_i := \left( \frac{\partial U(S,V,n_j)}{\partial {n_i}} \right)_{S,V,n_{j\ne i}}</math> | ||
Somit ist gezeigt, dass das chemische Potential als Änderung der inneren Energie pro Änderung der Stoffmenge bzw. Teilchenanzahl definiert. | Somit ist gezeigt, dass das chemische Potential als Änderung der inneren Energie pro Änderung der Stoffmenge bzw. Teilchenanzahl definiert ist. | ||
Diese Definition zeigt auch die Unterschiede zu anderen Potentialen, wie zum Beispiel dem [[Elektrisches Potential|elektrischen Potential]] auf. Bei elektrischen Potential handelt es sich um die Stammfunktion des [[Elektrisches Feld|elektrischen Feldes]]. Das chemische Potential ist jedoch die Ableitung eines thermodynamischen Potentials. Es ist in diesem Vergleich also analog zu einer Komponente des elektrischen Feldes. | Diese Definition zeigt auch die Unterschiede zu anderen Potentialen, wie zum Beispiel dem [[Elektrisches Potential|elektrischen Potential]] auf. Bei elektrischen Potential handelt es sich um die Stammfunktion des [[Elektrisches Feld|elektrischen Feldes]]. Das chemische Potential ist jedoch die Ableitung eines thermodynamischen Potentials. Es ist in diesem Vergleich also analog zu einer Komponente des elektrischen Feldes. | ||
Das chemische Potential eines Stoffs setzt sich aus einem [[Ideales Gas#Chemisches Potential|idealen Anteil]] und einem Wechselwirkungs-Anteil (excess) zusammen: | |||
:<math> \mu_i = \mu_i^\text{ideal}+\mu_i^\text{excess},</math> | |||
wobei der ideale Anteil durch das chemische Potential eines idealen Gases gegeben ist. Gelegentlich wird auch die folgende Definition getroffen | |||
:<math> \mu_i =\mu_i^0+ \mu_i^\text{ideal}+\mu_i^\text{excess},</math> | |||
wobei <math>\mu_i^0</math> das Standard chemische Potential der Teilchensorte i ist. | |||
== Alternative Formulierungen == | == Alternative Formulierungen == | ||
Alternativ zur inneren Energie lassen sich auch andere [[Thermodynamisches Potential|thermodynamische Potentiale]] definieren, die Auskunft darüber geben ob eine chemische Reaktion freiwillig abläuft oder nicht. Im Falle der inneren Energie läuft eine chemische Reaktion freiwillig ab (das System gibt Energie an die Umgebung ab) wenn <math>\mathrm{d}U < 0 </math>. Dasselbe gilt für die [[Enthalpie]], die [[freie Energie]] sowie die [[freie Enthalpie]]. Diese thermodynamischen Potentiale werden durch sukzessive [[Legendre- | Alternativ zur inneren Energie lassen sich auch andere [[Thermodynamisches Potential|thermodynamische Potentiale]] definieren, die Auskunft darüber geben, ob eine chemische Reaktion freiwillig abläuft oder nicht. Im Falle der inneren Energie läuft eine chemische Reaktion freiwillig ab (das System gibt Energie an die Umgebung ab) wenn <math>\mathrm{d}U < 0 </math>. Dasselbe gilt für die [[Enthalpie]], die [[freie Energie]] sowie die [[freie Enthalpie]]. Diese thermodynamischen Potentiale werden durch sukzessive [[Legendre-Transformation]]en der inneren Energie gewonnen. | ||
Während dieser Variablentransformationen bleibt jedoch die Stoffmenge unberührt. Somit kann das chemische Potential einer Komponenten <math>i</math> auch als partielle Ableitung der vorher genannten thermodynamischen Potentiale nach der Stoffmenge der Komponente <math>i</math> definiert werden. Neben den Definitionen des chemischen Potentials der Komponente <math>i</math> ist auch die Transformationsgleichung für das dementsprechende thermodynamische Potential gegeben. Beispielsweise wird | Während dieser Variablentransformationen bleibt jedoch die Stoffmenge unberührt. Somit kann das chemische Potential einer Komponenten <math>i</math> auch als partielle Ableitung der vorher genannten thermodynamischen Potentiale nach der Stoffmenge der Komponente <math>i</math> definiert werden. Neben den Definitionen des chemischen Potentials der Komponente <math>i</math> ist auch die Transformationsgleichung für das dementsprechende thermodynamische Potential gegeben. Beispielsweise wird die Enthalpie direkt aus der inneren Energie gewonnen. Wie man sieht geht in keine Transformationsgleichung die Stoffmenge ein, wie vorhin bereits erwähnt wurde. Somit kann das chemische Potential wie folgt geschrieben werden: | ||
:<math>\mu_i := \left( \frac{\partial H(S,p,n_j)}{\partial {n_i}}\right)_{S,p,n_{j\ne i}}</math> aus der [[Enthalpie]] <math>H = U + pV</math> | :<math>\mu_i := \left( \frac{\partial H(S,p,n_j)}{\partial {n_i}}\right)_{S,p,n_{j\ne i}}</math> aus der [[Enthalpie]] <math>H = U + pV</math> | ||
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== Chemisches Gleichgewicht == | == Chemisches Gleichgewicht == | ||
Die chemischen Potentiale der Komponenten die an einer chemischen Reaktion beteiligt sind eignen sich auch zur Beschreibung des chemischen Gleichgewichtes. Zuerst sei die Bedingung für chemisches Gleichgewicht mit Hilfe der freien Enthalpie bei konstantem Druck und konstanter Temperatur formuliert: | Die chemischen Potentiale der Komponenten, die an einer chemischen Reaktion beteiligt sind, eignen sich auch zur Beschreibung des chemischen Gleichgewichtes. Zuerst sei die Bedingung für chemisches Gleichgewicht mit Hilfe der freien Enthalpie bei konstantem Druck und konstanter Temperatur formuliert: | ||
:<math>(\mathrm{d}G)_{T,p} = 0</math> | :<math>(\mathrm{d}G)_{T,p} = 0</math> | ||
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Eine chemische Reaktion im Gleichgewicht kann wie folgt formuliert werden: | Eine chemische Reaktion im Gleichgewicht kann wie folgt formuliert werden: | ||
:<math> \nu_ \mathrm A\,\mathrm A + \nu_ \mathrm B\,\mathrm B \rightleftharpoons \nu_ \mathrm C\,\mathrm C + \nu_ \mathrm D\,\mathrm D </math> | :<math> \nu_\mathrm A\,\mathrm A + \nu_\mathrm B\,\mathrm B \rightleftharpoons \nu_\mathrm C\,\mathrm C + \nu_\mathrm D\,\mathrm D </math> | ||
Die oben genannte Gleichgewichtsbedingung kann für diese Reaktion wie folgt formuliert werden: | Die oben genannte Gleichgewichtsbedingung kann für diese Reaktion wie folgt formuliert werden: | ||
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:<math>\mu_A \mathrm{d}n_A + \mu_B \mathrm{d}n_B + \mu_C \mathrm{d}n_C + \mu_D \mathrm{d}n_D = 0 </math> | :<math>\mu_A \mathrm{d}n_A + \mu_B \mathrm{d}n_B + \mu_C \mathrm{d}n_C + \mu_D \mathrm{d}n_D = 0 </math> | ||
Jede Änderung der Stoffmenge einer Komponente kann durch die Stoffmengenänderung einer anderen Komponente beschrieben werden. So kann die Änderung der Stoffmenge der Komponente A durch <math>\mathrm{d}n_A = -\frac{\nu_ \mathrm A}{\nu_ \mathrm D} \mathrm{d}n_D </math> ausgedrückt werden. Das negative Vorzeichen stammt daher, dass die Stoffmenge der Komponente A abnimmt wenn die Stoffmenge der Komponente D zunimmt. | Jede Änderung der Stoffmenge einer Komponente kann durch die Stoffmengenänderung einer anderen Komponente beschrieben werden. So kann die Änderung der Stoffmenge der Komponente A durch <math>\mathrm{d}n_A = -\frac{\nu_\mathrm A}{\nu_\mathrm D} \mathrm{d}n_D </math> ausgedrückt werden. Das negative Vorzeichen stammt daher, dass die Stoffmenge der Komponente A abnimmt wenn die Stoffmenge der Komponente D zunimmt. | ||
Führt man dies nun für alle Terme durch so gelangt man zu: | Führt man dies nun für alle Terme durch so gelangt man zu: | ||
:<math>\left(-\mu_A \frac{\nu_ \mathrm A}{\nu_ \mathrm D} - \mu_B \frac{\nu_ \mathrm B}{\nu_ \mathrm D} + \mu_C \frac{\nu_ \mathrm C}{\nu_ \mathrm D} + \mu_D \frac{\nu_ \mathrm D}{\nu_ \mathrm D}\right) \mathrm{d}n_D = 0 </math> | :<math>\left(-\mu_A \frac{\nu_\mathrm A}{\nu_\mathrm D} - \mu_B \frac{\nu_\mathrm B}{\nu_\mathrm D} + \mu_C \frac{\nu_\mathrm C}{\nu_\mathrm D} + \mu_D \frac{\nu_\mathrm D}{\nu_\mathrm D}\right) \mathrm{d}n_D = 0 </math> | ||
Da die Änderung der Stoffmenge der Komponente D nicht null sein kann | Da die Änderung der Stoffmenge der Komponente D nicht null sein kann, gelangt man durch Multiplikation mit <math>\nu_\mathrm D</math> zu folgender Gleichgewichtsbedingung: | ||
:<math>-\nu_\mathrm A \mu_A -\nu_ \mathrm B \mu_B + \nu_ \mathrm C \mu_C + \nu_ \mathrm D \mu_D =0 </math> | :<math>-\nu_\mathrm A \mu_A -\nu_\mathrm B \mu_B + \nu_\mathrm C \mu_C + \nu_\mathrm D \mu_D =0 </math> | ||
Dies stellt eine wichtige Erkenntnis dar. Das chemische Gleichgewicht kann somit vollständig durch die chemischen Potentiale der Komponenten sowie durch deren Reaktionskoeffizienten beschrieben werden. Allgemein gilt bei chemischem Gleichgewicht: | Dies stellt eine wichtige Erkenntnis dar. Das chemische Gleichgewicht kann somit vollständig durch die chemischen Potentiale der Komponenten sowie durch deren Reaktionskoeffizienten beschrieben werden. Allgemein gilt bei chemischem Gleichgewicht: | ||
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:<math> \Sigma_{i, \text{Produkte}} \nu_\mathrm i \mu_i - \Sigma_{j, \text{Edukte}} \nu_\mathrm j \mu_j = 0 </math> | :<math> \Sigma_{i, \text{Produkte}} \nu_\mathrm i \mu_i - \Sigma_{j, \text{Edukte}} \nu_\mathrm j \mu_j = 0 </math> | ||
Die Einsicht, dass sich das chemische Gleichgewicht mit Hilfe der chemischen Potentiale der Komponenten ausdrücken lässt ermöglicht die Formulierung der [[Massenwirkungsgesetz|Gleichgewichtskonstanten]] für eine chemische Reaktion. Zuallererst muss dafür die Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials erarbeitet werden. Man erinnere sich erst dass für die Änderung der freien Enthalpie im Gleichgewicht folgende Beziehung gilt: | Die Einsicht, dass sich das chemische Gleichgewicht mit Hilfe der chemischen Potentiale der Komponenten ausdrücken lässt ermöglicht die Formulierung der [[Massenwirkungsgesetz|Gleichgewichtskonstanten]] für eine chemische Reaktion. Zuallererst muss dafür die Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials erarbeitet werden. Man erinnere sich erst, dass für die Änderung der freien Enthalpie im Gleichgewicht folgende Beziehung gilt: | ||
:<math>\mathrm{d}G = \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i \!\quad = 0</math> | :<math>\mathrm{d}G = \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i \!\quad = 0</math> | ||
Integriert man diese Gleichung und bildet anschließend das [[totales Differential|totale Differential]], so gelangt man zu folgendem Ausdruck: | Integriert man diese Gleichung und bildet anschließend das [[totales Differential|totale Differential]], so gelangt man zu folgendem Ausdruck<ref name="tanaka"/>: | ||
:<math>\mathrm{d}G = \Sigma \mu_i\mathrm{d}n_i + \Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i=0</math> | :<math>\mathrm{d}G = \Sigma \mu_i\mathrm{d}n_i + \Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i=0</math> | ||
Durch Vergleich der | Durch Vergleich mit dem totalen Differential der [[Gibbs-Energie#Ableitungen der Gibbs-Energie|freien Enthalpie]] erhält man: | ||
:<math>\Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i= | :<math>\Sigma \mu_i\mathrm{d}n_i + \Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i=-SdT+Vdp+ \Sigma \mu_i\mathrm{d}n_i</math> | ||
Unter der Annahme konstanter Temperatur vereinfacht sich diese Gleichung weiters zu: | |||
:<math>\Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i=V\mathrm{d}p</math> | :<math>\Sigma n_i\mathrm{d}\mu_i=V\mathrm{d}p</math> | ||
Der Einfachheit halber sei angenommen, bei dem betrachteten System handle es sich um ein [[ideales Gas]], dessen Gesamtdruck sich aus den [[Partialdruck|Partialdrücken]] der einzelnen Komponenten ergibt. Somit kann die letzte Gleichung nur für eine Komponente geschrieben werden: | |||
:<math>n_i\mathrm{d}\mu_i=\frac{n_i R T}{p_i}\mathrm{d}p_i</math> | :<math>n_i\mathrm{d}\mu_i=\frac{n_i R T}{p_i}\mathrm{d}p_i</math> | ||
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:<math>\int_{{\mu_i}^o}^{\mu_i} n_i\mathrm{d}\mu_i = \int_{{p}^o}^{p}\frac{n_i R T}{p_i}\mathrm{d}p_i</math> | :<math>\int_{{\mu_i}^o}^{\mu_i} n_i\mathrm{d}\mu_i = \int_{{p}^o}^{p}\frac{n_i R T}{p_i}\mathrm{d}p_i</math> | ||
so ergibt sich die Abhängigkeit des chemischen Potentials einer Komponente | so ergibt sich die Abhängigkeit des chemischen Potentials einer Komponente (siehe [[Raoultsches Gesetz]]): | ||
:<math>\mu_i = {\mu_i}^o + RT \ln\left(\frac{p_i}{{p_i}^o}\right)</math> | :<math>\mu_i = {\mu_i}^o + RT \ln\left(\frac{p_i}{{p_i}^o}\right)</math> | ||
Der Quotient im Logarithmus-Term kann als [[Molenbruch]] des idealen Gases identifiziert werden. Sollen nun auch nicht ideale Wechselwirkungen wie bei realen Gasen oder Elektrolytlösungen mitberücksichtigt werden, so ist der Molenbruch durch die [[Aktivität (Chemie)|Aktivität]] zu ersetzen. Alternativ könnte man weiter oben auch mit einer Gasgleichung ansetzen die nicht ideales Verhalten berücksichtigt. Jedoch wird das schon im Falle der [[Van-der-Waals-Gleichung]] für reale Gase sehr kompliziert und man wählt daher die vorgestellte Herangehensweise. | Der Quotient im Logarithmus-Term kann als [[Molenbruch]] des idealen Gases identifiziert werden. Sollen nun auch nicht ideale Wechselwirkungen wie bei realen Gasen oder Elektrolytlösungen mitberücksichtigt werden, so ist der Molenbruch durch die [[Aktivität (Chemie)|Aktivität]] zu ersetzen. Alternativ könnte man weiter oben auch mit einer Gasgleichung ansetzen die nicht ideales Verhalten berücksichtigt. Jedoch wird das schon im Falle der [[Van-der-Waals-Gleichung]] für reale Gase sehr kompliziert und man wählt daher die vorgestellte Herangehensweise. | ||
Somit kann man nun das chemische Potential einer Komponente in Abhängigkeit von der Aktivität <math> | Somit kann man nun das chemische Potential einer Komponente in Abhängigkeit von der Aktivität <math>a_i</math> anschreiben: | ||
:<math>\mu_i = {\mu_i}^o + RT \ln( | :<math>\mu_i = {\mu_i}^o + RT \ln(a_i)</math> | ||
[[Datei:Chemical | [[Datei:Chemical Potential as Function of Activity a.png|alternativtext=Das chemische Potenzial ist definiert bei idealen Bedingungen für eine Aktivität von a = 1.chemische Potenzial ist definiert bei idealen Bedingungen für eine Aktivität v|mini|Das Standard chemische Potenzial μ<sup>o</sup> ist definiert bei idealen Bedingungen für eine Aktivität a = 1. Dabei kann das chemische Potenzial μ positive, aber auch negative Werte annehmen.]] | ||
Eingangs wurde bereits die Erkenntnis gewonnen, dass das chemische Gleichgewicht durch die chemischen Potentiale und durch die Koeffizienten in der Reaktionsgleichung der Gleichgewichtsreaktion definiert ist. Setzt man den gewonnenen Ausdruck ein, der die Aktivität einer Komponenten berücksichtigt, so erhält man nach Umformen: | |||
:<math>- \Delta {G_r}^o = RT \ln\left(\frac{({a_C})^{\nu_C} ({a_D})^{\nu_D}}{({a_A})^{\nu_A} ({a_B})^{\nu_B}}\right) </math> | |||
:<math>- \Delta {G_r}^o = RT \ln\left(\frac{({ | |||
Der Term auf der linken Seite ist die freie Reaktionsenthalpie bei Standardbedingungen und beinhaltet alle <math>{\mu_i}^o</math> Terme, die die chemischen Potentiale der Komponenten bei Standardbedingungen beschreiben. Die freie Reaktionsenthalpie bei Standardbedingungen ist konstant. Das heißt nun, dass auch der Quotient im Logarithmusterm konstant sein muss. Es handelt sich dabei um die [[Gleichgewichtskonstante]] im chemischen [[Massenwirkungsgesetz]]: | Der Term auf der linken Seite ist die freie Reaktionsenthalpie bei Standardbedingungen und beinhaltet alle <math>{\mu_i}^o</math> Terme, die die chemischen Potentiale der Komponenten bei Standardbedingungen beschreiben. Die freie Reaktionsenthalpie bei Standardbedingungen ist konstant. Das heißt nun, dass auch der Quotient im Logarithmusterm konstant sein muss. Es handelt sich dabei um die [[Gleichgewichtskonstante]] im chemischen [[Massenwirkungsgesetz]]: | ||
:<math>K = \frac{({ | :<math>K = \frac{({a_C})^{\nu_C} ({a_D})^{\nu_D}}{({a_A})^{\nu_A} ({a_B})^{\nu_B}} </math> | ||
Das chemisches Gleichgewicht ist durch die chemischen Potentiale der Komponenten der Gleichgewichtsreaktion gegeben. Daraus kann das chemische Massenwirkungsgesetz abgeleitet werden. | |||
Neben dem Massenwirkungsgetz lassen sich aus der Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials auch die [[Diffusion]]sgesetze für gelöste Teilchen sowie der Diffusionskoeffizient ableiten. Eine detaillierte Herleitung ist im Artikel [[Diffusion]] zu finden. | Neben dem Massenwirkungsgetz lassen sich aus der Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials auch die [[Diffusion]]sgesetze für gelöste Teilchen sowie der Diffusionskoeffizient ableiten. Eine detaillierte Herleitung ist im Artikel [[Diffusion]] zu finden. | ||
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Bisher wurde das chemische Potential im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen diskutiert. Das chemische Potential tritt aber auch in [[Verteilungsfunktion]]en auf, die die Energieverteilung von Teilchen beschreiben. Dabei handelt es sich um die [[Fermi-Dirac-Statistik]] sowie die [[Bose-Einstein-Statistik]]. Die Fermi-Dirac Statistik beschreibt die Verteilung von Elektronen auf eine Zustandsdichte in einem Festkörper. Formelmäßig ist die Fermi-Dirac Statistik wie folgt definiert: | Bisher wurde das chemische Potential im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen diskutiert. Das chemische Potential tritt aber auch in [[Verteilungsfunktion]]en auf, die die Energieverteilung von Teilchen beschreiben. Dabei handelt es sich um die [[Fermi-Dirac-Statistik]] sowie die [[Bose-Einstein-Statistik]]. Die Fermi-Dirac Statistik beschreibt die Verteilung von Elektronen auf eine Zustandsdichte in einem Festkörper. Formelmäßig ist die Fermi-Dirac Statistik wie folgt definiert: | ||
:<math>f(E) = \frac{1}{\exp{\left(\frac{E-\mu}{k_\mathrm{B}T}\right)}+1}</math> | :<math>f(E) = \frac{1}{\exp{\left(\frac{E-\mu}{k_\mathrm{B}T}\right)}+1}</math>, | ||
wobei <math>f(E)</math> die Besetzungswahrscheinlichkeit eines Zustandes in Abhängigkeit von der Energie ist, während <math>k_\mathrm{B}</math> die Boltzmann-Konstante, <math>T</math> die absolute Temperatur und <math>\mu</math> das chemische Potential des Elektrons ist (im folgenden Text wird abgekürzt nur mehr vom chemischen Potential gesprochen). In diesem Fall ist das chemische Potential die partielle Ableitung der [[Freie Energie|freien Energie]] nach der Teilchenanzahl <math>N</math>. | |||
:<math>\mu = \frac{\partial F}{\partial N}</math> | :<math>\mu = \frac{\partial F}{\partial N}</math> | ||
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:<math>f(E) = \frac{1}{\exp{\left(\frac{E-\mu}{k_\mathrm{B}T}\right)}-1}</math> | :<math>f(E) = \frac{1}{\exp{\left(\frac{E-\mu}{k_\mathrm{B}T}\right)}-1}</math> | ||
Zu diesen Teilchen können auch Teilchen wie [[Phonon | Zu diesen Teilchen können auch Teilchen wie [[Phonon]]en oder [[Photonen]] gehören, für die keine Teilchenerhaltung notwendig ist wie zum Beispiel für Elektronen in einem Festkörper. Eine Konsequenz davon ist, dass das chemische Potential für diese Teilchen Null ist. | ||
== Elektrochemisches Potential == | == Elektrochemisches Potential == | ||
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:''Hauptartikel'' [[Elektrochemisches Potential]] | :''Hauptartikel'' [[Elektrochemisches Potential]] | ||
Eingangs wurde das chemische Potential mit Hilfe der inneren Energie definiert wobei keine [[ | Eingangs wurde das chemische Potential mit Hilfe der inneren Energie definiert, wobei keine [[elektrische Arbeit]] berücksichtigt wurde. Tut man dies so gelangt man zu folgendem Ausdruck für die Änderung der inneren Energie: | ||
:<math>\mathrm{d}U = T\, \mathrm{d}S - p\, \mathrm {d}V + \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i + \Sigma z_iF\phi\mathrm{d}n_i</math> | :<math>\mathrm{d}U = T\, \mathrm{d}S - p\, \mathrm {d}V + \Sigma\mu_i\, \mathrm{d}n_i + \Sigma z_iF\phi\mathrm{d}n_i</math> | ||
Der letzte Term entspricht der elektrischen Arbeit die nötig ist um eine infinitesimale Stoffmenge eines geladenen Teilchens <math>i</math> an einen Ort zu bringen an dem das [[Elektrisches Potential]] <math>\phi</math> vorherrscht. <math>F</math> ist dabei die [[Faraday-Konstante]] und <math>z_i</math> die [[Oxidationszahl]] des Teilchens <math>i</math>. Diese abstrakte Definition kann man wie folgt beschreiben. Die elektrische Arbeit ist über die Gleichung <math>W_\text{elektrisch} = QU</math> definiert, wobei <math>Q</math> die Ladung und <math>U</math> die elektrische Potentialdifferenz darstellen. Abhängig von der Richtung des elektrischen Feldes und der Ladung (positiv oder negativ) eines Teilchens muss man also Energie aufwenden um ein geladenes Teilchens gegen eine elektrische Potentialdifferenz zu bewegen oder sie wird frei wenn das Teilchen durch die Potentialdifferenz beschleunigt wird. | Der letzte Term entspricht der elektrischen Arbeit die nötig ist um eine infinitesimale Stoffmenge eines geladenen Teilchens <math>i</math> an einen Ort zu bringen an dem das [[Elektrisches Potential|Elektrische Potential]] <math>\phi</math> vorherrscht. <math>F</math> ist dabei die [[Faraday-Konstante]] und <math>z_i</math> die [[Oxidationszahl]] des Teilchens <math>i</math>. Diese abstrakte Definition kann man wie folgt beschreiben. Die elektrische Arbeit ist über die Gleichung <math>W_\text{elektrisch} = QU</math> definiert, wobei <math>Q</math> die Ladung und <math>U</math> die elektrische Potentialdifferenz darstellen. Abhängig von der Richtung des elektrischen Feldes und der Ladung (positiv oder negativ) eines Teilchens muss man also Energie aufwenden um ein geladenes Teilchens gegen eine elektrische Potentialdifferenz zu bewegen oder sie wird frei wenn das Teilchen durch die Potentialdifferenz beschleunigt wird. | ||
Dieser elektrische Arbeitsterm ist in die obige Gleichung eingefügt worden. Die Ladung kann für die infinitesimale Stoffmenge eines Teilchen durch <math>z_iF\mathrm{d}n_i</math> geschrieben werden. An Stelle einer Potentialdifferenz tritt das elektrische Potential <math>\phi</math>, wobei als Referenz das elektrische Potential in unendlicher Entfernung tritt und willkürlich Null gesetzt wird. | Dieser elektrische Arbeitsterm ist in die obige Gleichung eingefügt worden. Die Ladung kann für die infinitesimale Stoffmenge eines Teilchen durch <math>z_iF\mathrm{d}n_i</math> geschrieben werden. An Stelle einer Potentialdifferenz tritt das elektrische Potential <math>\phi</math>, wobei als Referenz das elektrische Potential in unendlicher Entfernung tritt und willkürlich Null gesetzt wird. | ||
Die Interpretation des elektrischen Arbeitsterms für ein Teilchen <math>i</math> kann nun folgendermaßen gegeben werden. Er entspricht der elektrischen Arbeit die notwendig ist um eine infinitesimale Stoffmenge eines elektrisch geladenen Teilchens von unendlicher Entfernung an einen Ort zu bringen an dem das elektrische Potential <math>\phi</math> vorherrscht. | Die Interpretation des elektrischen Arbeitsterms für ein Teilchen <math>i</math> kann nun folgendermaßen gegeben werden. Er entspricht der elektrischen Arbeit die notwendig ist um eine infinitesimale Stoffmenge eines elektrisch geladenen Teilchens von unendlicher Entfernung an einen Ort zu bringen an dem das elektrische Potential <math>\phi</math> vorherrscht. | ||
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== Werte == | == Werte == | ||
Die Werte des chemischen Potentials sind für Standardbedingungen (<math>T = 298{,}15\ \mathrm{K}</math>; <math>p = 101{,}325\ \mathrm{kPa}</math>) tabelliert, s. u. | Die Werte des chemischen Potentials sind für Standardbedingungen (<math>T = 298{,}15\ \mathrm{K}</math>; <math>p = 101{,}325\ \mathrm{kPa}</math>) tabelliert, s. u. [[Chemisches Potential#Weblinks|Weblinks]]. | ||
Ist das chemische Potential für einen bestimmten Zustand (z. B. Standardbedingungen) bekannt, so lässt es sich für Drücke und Temperaturen in der Umgebung dieses Zustandes in linearer Näherung berechnen: | Ist das chemische Potential für einen bestimmten Zustand (z. B. Standardbedingungen) bekannt, so lässt es sich für Drücke und Temperaturen in der Umgebung dieses Zustandes in linearer Näherung berechnen: | ||
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* J. Willard Gibbs: ''The Scientific Papers of J. Willard Gibbs: Vol. I Thermodynamics.'' Dover Publications, New York 1961. | * J. Willard Gibbs: ''The Scientific Papers of J. Willard Gibbs: Vol. I Thermodynamics.'' Dover Publications, New York 1961. | ||
* G. Job, F. Herrmann: ''Chemical Potential – a quantity in search of recognition.'' In: ''Eur. J. Phys.'' 27, 2006, S. 353–371 ({{DOI|10.1088/0143-0807/27/2/018}}, [http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de/publication/ejp/chem_pot_ejp.pdf PDF]). | * G. Job, F. Herrmann: ''Chemical Potential – a quantity in search of recognition.'' In: ''Eur. J. Phys.'' 27, 2006, S. 353–371 ({{DOI|10.1088/0143-0807/27/2/018}}, [http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de/publication/ejp/chem_pot_ejp.pdf PDF]). | ||
* Ulrich Nickel | * Ulrich Nickel: ''Lehrbuch der Thermodynamik. Eine anschauliche Einführung.'' 3., überarbeitete Auflage. PhysChem, Erlangen 2019, ISBN 978-3-937744-07-0. | ||
== Weblinks == | == Weblinks == | ||
* [http://www.job-stiftung.de/index.php?id=11,0,0,1,0,0 Tabelle chemischer Potentiale und Temperaturkoeffizienten] | * [http://www.job-stiftung.de/index.php?id=11,0,0,1,0,0 Tabelle chemischer Potentiale und Temperaturkoeffizienten] | ||
* [http://www.job-stiftung.de/index.php?id=9,0,0,1,0,0 Das chemische Potential in Experimenten:] Schauversuche Marmorauflösung, Ammoniak-Springbrunnen, [[Karbidlampe]] (jeweils Versuchsanleitung und Video) | * [http://www.job-stiftung.de/index.php?id=9,0,0,1,0,0 Das chemische Potential in Experimenten:] Schauversuche Marmorauflösung, Ammoniak-Springbrunnen, [[Karbidlampe]] (jeweils Versuchsanleitung und Video) | ||
* Das chemische Potential für Reinstoffe ist gleich der molaren freien Enthalpie wie etwa tabelliert bei [[b: | * Das chemische Potential für Reinstoffe ist gleich der molaren freien Enthalpie wie etwa tabelliert bei [[b:Tabellensammlung Chemie/ Thermodynamische Daten|(wikibooks) Thermodynamische Daten]] | ||
* {{TIBAV |15665 |Linktext=Chemisches Potential und formale Thermodynamik – Welche Parameter ändern die freie Enthalpie? | |||
|Herausgeber=Lauth |Jahr=2013 |DOI=10.5446/15665}} | |||
== Einzelnachweise == | == Einzelnachweise == | ||
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{{Literatur | |||
|Autor=[[Tomoyasu Tanaka]] | |||
|Titel=Methods of Statistical Physics | |||
|Auflage=1 | |||
|Kapitel=2 Thermodynamic Relations | |||
|Verlag= Cambridge University Press | |||
|Ort= | |||
|Datum=2002 | |||
|ISBN= 978-0521580564 | |||
|Seiten=42-44}} | |||
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Das chemische Potential oder chemische Potenzial
Das chemische Potential einer Komponente gibt die Änderung der inneren Energie eines Systems an, wenn sich die Teilchenzahl dieser Komponente ändert und dabei Volumen und Entropie konstant bleiben. Es beschreibt zum Beispiel die Änderung der inneren Energie pro zugesetzter Stoffmenge einer bestimmten Komponente oder die Änderung der inneren Energie, wenn eine Komponente während einer Reaktion verbraucht wird. Das chemische Potential kann in Analogie zu anderen intensiven Zustandsgrößen wie dem Druck gesehen werden. Der Druck beschreibt die Änderung der inneren Energie, wenn sich das Volumen ändert. Gleich wie der Druck ist das chemische Potential einer Komponente ein Maß für die verrichtete Arbeit; statt mechanischer handelt es sich aber um chemische Arbeit.
Das chemische Potential beschreibt die Änderung der in einem System gespeicherten Energie, wenn sich die Teilchenanzahl einer chemischen Spezies im System verändert. Um dies zu präzisieren muss erst die in einem System gespeicherte Energie definiert werden. Dies geschieht durch die Änderung der inneren Energie
Das bedeutet, dass sich die innere Energie ändert, wenn man Wärme hinzufügt oder abführt (
Die chemischen Potentiale müssen sich nun im Term
Die Stoffe A und B werden dabei zu den Stoffen C und D umgesetzt, wobei chemische Arbeit verrichtet wird. Wenn die Reaktion freiwillig abläuft, erniedrigt sich die innere Energie des Systems, wohingegen die innere Energie des Systems erhöht wird, wenn die Reaktion erzwungen werden muss. Im ersten Fall verrichtet das System chemische Arbeit, im zweiten Fall wird chemische Arbeit an ihm verrichtet. Jedenfalls ändert sich die Teilchenanzahl jedes Stoffs im System beim Fortschreiten der Reaktion. Meist ist es gebräuchlich anstatt der Änderung der Teilchenanzahl
Wenn nun
Die innere Energie ist somit eine Funktion der Entropie, des Volumens sowie der Stoffmengen der Komponenten des Systems
Somit ist gezeigt, dass das chemische Potential als Änderung der inneren Energie pro Änderung der Stoffmenge bzw. Teilchenanzahl definiert ist.
Diese Definition zeigt auch die Unterschiede zu anderen Potentialen, wie zum Beispiel dem elektrischen Potential auf. Bei elektrischen Potential handelt es sich um die Stammfunktion des elektrischen Feldes. Das chemische Potential ist jedoch die Ableitung eines thermodynamischen Potentials. Es ist in diesem Vergleich also analog zu einer Komponente des elektrischen Feldes.
Das chemische Potential eines Stoffs setzt sich aus einem idealen Anteil und einem Wechselwirkungs-Anteil (excess) zusammen:
wobei der ideale Anteil durch das chemische Potential eines idealen Gases gegeben ist. Gelegentlich wird auch die folgende Definition getroffen
wobei
Alternativ zur inneren Energie lassen sich auch andere thermodynamische Potentiale definieren, die Auskunft darüber geben, ob eine chemische Reaktion freiwillig abläuft oder nicht. Im Falle der inneren Energie läuft eine chemische Reaktion freiwillig ab (das System gibt Energie an die Umgebung ab) wenn
Die chemischen Potentiale der Komponenten, die an einer chemischen Reaktion beteiligt sind, eignen sich auch zur Beschreibung des chemischen Gleichgewichtes. Zuerst sei die Bedingung für chemisches Gleichgewicht mit Hilfe der freien Enthalpie bei konstantem Druck und konstanter Temperatur formuliert:
Eine chemische Reaktion im Gleichgewicht kann wie folgt formuliert werden:
Die oben genannte Gleichgewichtsbedingung kann für diese Reaktion wie folgt formuliert werden:
Jede Änderung der Stoffmenge einer Komponente kann durch die Stoffmengenänderung einer anderen Komponente beschrieben werden. So kann die Änderung der Stoffmenge der Komponente A durch
Führt man dies nun für alle Terme durch so gelangt man zu:
Da die Änderung der Stoffmenge der Komponente D nicht null sein kann, gelangt man durch Multiplikation mit
Dies stellt eine wichtige Erkenntnis dar. Das chemische Gleichgewicht kann somit vollständig durch die chemischen Potentiale der Komponenten sowie durch deren Reaktionskoeffizienten beschrieben werden. Allgemein gilt bei chemischem Gleichgewicht:
Die Einsicht, dass sich das chemische Gleichgewicht mit Hilfe der chemischen Potentiale der Komponenten ausdrücken lässt ermöglicht die Formulierung der Gleichgewichtskonstanten für eine chemische Reaktion. Zuallererst muss dafür die Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials erarbeitet werden. Man erinnere sich erst, dass für die Änderung der freien Enthalpie im Gleichgewicht folgende Beziehung gilt:
Integriert man diese Gleichung und bildet anschließend das totale Differential, so gelangt man zu folgendem Ausdruck[4]:
Durch Vergleich mit dem totalen Differential der freien Enthalpie erhält man:
Unter der Annahme konstanter Temperatur vereinfacht sich diese Gleichung weiters zu:
Der Einfachheit halber sei angenommen, bei dem betrachteten System handle es sich um ein ideales Gas, dessen Gesamtdruck sich aus den Partialdrücken der einzelnen Komponenten ergibt. Somit kann die letzte Gleichung nur für eine Komponente geschrieben werden:
Integriert man nun diese Gleichung auf beiden Seiten von Standardbedingungen bis zu einem frei wählbaren Zustand,
so ergibt sich die Abhängigkeit des chemischen Potentials einer Komponente (siehe Raoultsches Gesetz):
Der Quotient im Logarithmus-Term kann als Molenbruch des idealen Gases identifiziert werden. Sollen nun auch nicht ideale Wechselwirkungen wie bei realen Gasen oder Elektrolytlösungen mitberücksichtigt werden, so ist der Molenbruch durch die Aktivität zu ersetzen. Alternativ könnte man weiter oben auch mit einer Gasgleichung ansetzen die nicht ideales Verhalten berücksichtigt. Jedoch wird das schon im Falle der Van-der-Waals-Gleichung für reale Gase sehr kompliziert und man wählt daher die vorgestellte Herangehensweise.
Somit kann man nun das chemische Potential einer Komponente in Abhängigkeit von der Aktivität
Eingangs wurde bereits die Erkenntnis gewonnen, dass das chemische Gleichgewicht durch die chemischen Potentiale und durch die Koeffizienten in der Reaktionsgleichung der Gleichgewichtsreaktion definiert ist. Setzt man den gewonnenen Ausdruck ein, der die Aktivität einer Komponenten berücksichtigt, so erhält man nach Umformen:
Der Term auf der linken Seite ist die freie Reaktionsenthalpie bei Standardbedingungen und beinhaltet alle
Das chemisches Gleichgewicht ist durch die chemischen Potentiale der Komponenten der Gleichgewichtsreaktion gegeben. Daraus kann das chemische Massenwirkungsgesetz abgeleitet werden.
Neben dem Massenwirkungsgetz lassen sich aus der Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials auch die Diffusionsgesetze für gelöste Teilchen sowie der Diffusionskoeffizient ableiten. Eine detaillierte Herleitung ist im Artikel Diffusion zu finden.
Bisher wurde das chemische Potential im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen diskutiert. Das chemische Potential tritt aber auch in Verteilungsfunktionen auf, die die Energieverteilung von Teilchen beschreiben. Dabei handelt es sich um die Fermi-Dirac-Statistik sowie die Bose-Einstein-Statistik. Die Fermi-Dirac Statistik beschreibt die Verteilung von Elektronen auf eine Zustandsdichte in einem Festkörper. Formelmäßig ist die Fermi-Dirac Statistik wie folgt definiert:
wobei
Das chemische Potential charakterisiert dabei den Wendepunkt der Fermi-Verteilung. Die Fermi-Energie ist der Grenzwert des chemischen Potentials für 0 Kelvin. Häufig wird auch für höhere Temperaturen der Begriff Fermi-Energie an Stelle des chemischen Potentials verwendet, da die Temperaturabhängigkeit bei Raumtemperatur nicht sehr stark ausgeprägt ist. Eine physikalische Interpretation des chemischen Potentials ist hierbei analog zu der oben gegebenen. Es charakterisiert die Energie die notwendig ist um ein Elektron aus dem Festkörper zu entfernen. An diesem Beispiel ist auch ersichtlich, dass für diesen Fall das chemische Potential nicht die Einheit Joule/Mol trägt, sondern schlicht Joule. Beides ist zulässig, da die Einheit Mol nur eine definierte Teilchenanzahl darstellt.
In der Bose-Einstein Statistik tritt ebenfalls das chemische Potential auf. Sie dient zur Beschreibung der Besetzungswahrscheinlichkeit von Bosonen, die im Gegensatz zu Elektronen keine Teilchenbeschränkung pro Energiezustand haben.
Zu diesen Teilchen können auch Teilchen wie Phononen oder Photonen gehören, für die keine Teilchenerhaltung notwendig ist wie zum Beispiel für Elektronen in einem Festkörper. Eine Konsequenz davon ist, dass das chemische Potential für diese Teilchen Null ist.
Eingangs wurde das chemische Potential mit Hilfe der inneren Energie definiert, wobei keine elektrische Arbeit berücksichtigt wurde. Tut man dies so gelangt man zu folgendem Ausdruck für die Änderung der inneren Energie:
Der letzte Term entspricht der elektrischen Arbeit die nötig ist um eine infinitesimale Stoffmenge eines geladenen Teilchens
Mit dem zusätzlich eingefügten Term für die elektrische Arbeit wird die partielle Ableitung der inneren Energie nach der Stoffmenge einer Komponente zu:
Diese partielle Ableitung ist nun als das elektrochemische Potential
Das elektrochemische Potential tritt also an die Stelle des chemischen Potentials wenn geladene Teilchen behandelt werden.
Die Werte des chemischen Potentials sind für Standardbedingungen (
Ist das chemische Potential für einen bestimmten Zustand (z. B. Standardbedingungen) bekannt, so lässt es sich für Drücke und Temperaturen in der Umgebung dieses Zustandes in linearer Näherung berechnen:
mit
Aus den Maxwell-Beziehungen folgt, dass
und