William Thomson, 1. Baron Kelvin: Unterschied zwischen den Versionen

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'''William Thomson, 1. Baron Kelvin''', [[Order of Merit|OM]], [[Royal Victorian Order|GCVO]], [[Privy Council|PC]], [[Royal Society|PRS]], [[Royal Society of Edinburgh|FRSE]], (* [[26. Juni]] [[1824]] in [[Belfast]], [[Nordirland]]; † [[17. Dezember]] [[1907]] in Netherhall bei [[Largs]], [[Schottland]]) war ein in [[Irland (Insel)|Irland]] geborener [[Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland|britischer]] [[Physiker]].
 
'''William Thomson, 1. Baron Kelvin''' oder kurz '''Lord Kelvin''', [[Order of Merit|OM]], [[Royal Victorian Order|GCVO]], [[Privy Council|PC]], [[Royal Society|FRS]], [[Royal Society of Edinburgh|FRSE]], (* [[26. Juni]] [[1824]] in [[Belfast]], [[Provinz Ulster]], [[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland]]; † [[17. Dezember]] [[1907]] in Netherhall bei [[Largs]], [[Schottland]]) war ein britischer [[Physiker]] auf den Gebieten der Elektrizitätslehre und der [[Thermodynamik]]. Die Einheit [[Kelvin]] wurde nach William Thomson benannt, der im Alter von 24 Jahren die thermodynamische Temperaturskala einführte. Thomson ist sowohl für theoretische Arbeiten als auch für die Entwicklung von Messinstrumenten bekannt.


== Leben ==
== Leben ==
Er war von 1846 bis 1899 Professor für [[theoretische Physik]] in Glasgow und forschte hierbei hauptsächlich auf den Gebieten der Elektrizitätslehre und der [[Thermodynamik]]. Ein Ergebnis war bereits 1848 eine Arbeit zur Thermodynamik auf Basis der [[Nicolas Léonard Sadi Carnot|Carnotschen]] Wärmetheorie, in der er unter anderem die später nach ihm benannte absolute Temperaturskala einführte. Deren Einheit ''[[Kelvin]]'' ist in ihrer heutigen Form die seit 1968 gesetzlich festgelegte [[SI-Einheit]] der Temperatur.


Gemeinsam mit [[James Prescott Joule]] entdeckte er 1852 den [[Joule-Thomson-Effekt]], ferner 1857 den magnetischen [[AMR-Effekt]]. Im Jahr 1867 entwickelte Thomson das harmonische Verfahren zur Berechnung der Gezeiten und konstruierte 1872 die erste [[Gezeitenrechenmaschine]]. Er war auch an der Vorbereitung und Verlegung von Tiefseetelegraphenkabeln beteiligt und erfand dafür eine 1876 in Großbritannien patentierte [[Thomsonsche Lotmaschine]]. Die [[Telegraphengleichung]] wurde aber nicht von Thomson, sondern von [[Oliver Heaviside]] 1885 entwickelt.<ref>Ernst Weber and Frederik Nebeker, ''The Evolution of Electrical Engineering'', IEEE Press, Piscataway, New Jersey USA, 1994 ISBN 0-7803-1066-7</ref>
William Thomson war der Sohn von [[James Thomson (Mathematiker)|James Thomson]] (1786–1849), der Professor für Mathematik an der [[Queen’s University Belfast]] war und ab 1832 Professor für Mathematik an der [[University of Glasgow|Universität Glasgow]]. Thomson hatte 1817 Margaret Gardiner geheiratet; das Ehepaar hatte sieben Kinder (von denen drei das Erwachsenenalter nicht erreichten).<ref>[http://www.newulsterbiography.co.uk/index.php/home/printPerson/2070 Lebenslauf] (englisch)</ref> Sein zwei Jahre älterer Bruder [[James Thomson (Ingenieur)|James]] wurde Ingenieur. Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war (1830); sein Vater erzog seine Kinder streng [[presbyterianisch]].
 
William erhielt seinen ersten Mathematikunterricht von seinem Vater. Ab 1834 studierte er an der Universität Glasgow, wobei eigentliche Universitätsstudien ab 1838 erfolgten, darunter Astronomie, Chemie und Physik. 1839 erhielt er eine Goldmedaille der Universität für einen Essay über die Figur der Erde. Dozenten in theoretischer Physik waren damals in Glasgow der Professor für Naturphilosophie [[William Meikleham]] und der Astronomieprofessor [[John Pringle Nichol]]; diese waren beeinflusst von französischen Physikern und Mathematikern wie [[Pierre Simon de Laplace]] (besonders dessen Himmelsmechanik), [[Joseph-Louis Lagrange]], [[Augustin Jean Fresnel]], [[Adrien-Marie Legendre]] und [[Joseph Fourier]], dessen ''Analytische Theorie der Wärme'' Thomson studierte. Das war ein Gegensatz zur [[Universität Cambridge]], wo es damals noch nicht einmal einen Lehrstuhl für [[Naturphilosophie]] gab. Thomson besuchte 1839 Paris und studierte ab 1841 in Cambridge. Seine erste Veröffentlichung war 1841 eine Verteidigung der [[Fourieranalyse]] gegen mathematische Kritik aus Edinburgh. 1842 veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er die mathematische Behandlung des Wärmeflusses durch Fourier auf die Elektrizität übertrug. In Cambridge nahm er 1845 am letzten Teil der [[Tripos (Cambridge)|Tripos-Prüfungen]] teil, auf die er sich unter dem damals für diese Vorbereitungskurse bekannten Privat-Tutor [[William Hopkins]] vorbereitete, was einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch nahm, und wurde ''Second Wrangler''. Damals waren weder Elektrizität, Magnetismus noch Wärme Gegenstand der Prüfungen, was sich erst durch die Reformen von [[James Clerk Maxwell]] wesentlich änderte. Er erhielt einen Bachelor-Abschluss (B.A.), gewann den [[Smith-Preis]] und wurde Fellow des [[Peterhouse|Peterhouse College]] in Cambridge. Um diese Zeit studierte er auch das Werk von [[George Green]], das großen Einfluss auf ihn hatte<ref>[[Karl-Eugen Kurrer]]: ''The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium''. [[Ernst & Sohn]], Berlin 2018, S. 924 u. 1003, ISBN 978-3-433-03229-9.</ref>, und ging 1845 zu weiterem Studium nach Paris, wo er unter anderem mit [[Augustin-Louis Cauchy]], [[Charles-François Sturm]], [[Jean-Baptiste Biot]] und [[Joseph Liouville]] Kontakt hatte und im Labor von [[Henri Victor Regnault]] war. Auf Anregung von Liouville begann er sich intensiv mit der Theorie der Elektrizität zu befassen und den damals damit verbundenen physikalischen Konzepten (damals herrschte die Vorstellung elektrischer Flüssigkeiten vor, und neben [[Nahwirkung und Fernwirkung|Fernwirkungstheorien]] der zugehörigen Kräfte auch Vorstellungen über ein vermittelndes Medium, den [[Äther (Physik)|Äther]]).
 
[[Datei:The Thomson family grave and memorial, Glasgow Necropolis.jpg|mini|hochkant|Familiengrab Thomson, Glasgow Necropolis]]
 
Thomson kehrte 1846 nach Glasgow zurück, als der Lehrstuhl für Naturphilosophie ([[theoretische Physik]]) frei wurde, für den er mit Unterstützung seines einflussreichen Vaters erfolgreich kandidierte. Er war von 1846 bis 1899 Professor für theoretische Physik in Glasgow und forschte hauptsächlich auf den Gebieten der [[Elektrizitätslehre]] und der [[Thermodynamik]].
 
== Werk ==
 
Frühe Arbeiten von Thomson betrafen die Thermodynamik, so 1848 eine Arbeit zur Thermodynamik auf Basis der [[Nicolas Léonard Sadi Carnot|Carnotschen]] Wärmetheorie, in der er unter anderem die später nach ihm benannte absolute Temperaturskala einführte. Deren Einheit ''[[Kelvin]]'' ist in ihrer heutigen Form die seit 1968 gesetzlich festgelegte [[SI-Einheit]] der Temperatur. Seine Überlegungen zur Thermodynamik waren damals noch fehlerbehaftet und erst der Ideenaustausch mit [[James Prescott Joule]] ab 1847 überzeugte ihn von einer dynamischen Theorie der Wärme. 1847 begann eine intensive Zusammenarbeit mit dem theoretischen Physiker [[George Gabriel Stokes]], die sich dann in einem umfangreichen Briefwechsel über fünfzig Jahre fortsetzte und anfangs die Hydrodynamik betraf.


Thomson konstruierte die noch heute übliche Form des [[Kompass|Trockenkompasses]] und beschäftigte sich auch intensiv mit Elektrizität. Dabei entwickelte er die nach ihm benannte [[Thomson-Brücke]], die [[Thomsonsche Schwingungsgleichung]] und den [[Kelvin-Generator]] und beschrieb den [[Thomson-Effekt]]. Darüber hinaus konstruierte er ein Spiegel-Galvanometer, eine Spannungswaage und nicht zuletzt das Quadranten-Elektrometer. Seine Vielseitigkeit auf fast allen Gebieten der Physik führte dazu, dass ihm über 70 Patente erteilt wurden. Sowohl wissenschaftliche Anerkennung als auch finanzielle Unabhängigkeit wurden ihm dadurch zuteil.
Thomson war auch vor [[James Clerk Maxwell]] ein Vorläufer der dynamischen Theorie der Elektrizität und des Magnetismus (einschließlich von Licht als elektrodynamischer Erscheinung). Als Anregung diente Thomson dabei die dynamische Theorie der Wärme. Außerdem war er der erste, der das Kraftlinien-Konzept von [[Michael Faraday]] mathematisch formulierte. Die Theorien von Thomson aus den 1850er Jahren waren von wesentlichem Einfluss auf Maxwells eigene Theorie. Thomson selbst zögerte aber lange Maxwells Theorie anzuerkennen und verfolgte eine eigene Theorie, die Elektrodynamik, Licht, chemische Prozesse und Gravitation in einheitlicher Weise über die Wirkung im Äther behandeln sollte. Er lehnte auch das Atom-Konzept ab (und unterstützte P. G. Tait in dessen Versuch, Atome als verknotete Ringe im Äther darzustellen) und war später ein Gegner der Ideen von [[Ernest Rutherford]] zur Radioaktivität.


Thomson griff auch in die Debatte um die Evolutionstheorie ein. Er schätzte 1862 das Alter der Erde auf 25–400 Millionen Jahre, wobei 98 Millionen Jahre der wahrscheinlichste Wert sei. 1869 erklärte er, dass dieser Zeitrahmen für eine Evolution nach den von [[Charles Darwin]] angenommenen Mechanismen zu kurz sei und schlug vor, das Leben habe mit einem Meteoriten die Erde erreicht. Später grenzte er den Zeitpunkt der [[Entstehung der Erde]] bis auf 24,1 Millionen Jahre ein und sah dies als seine größte Leistung. Zu diesem Ergebnis kam er aufgrund der noch vorhandenen [[Geothermie|Erdwärme]], die jedoch nach späterem Wissen zum Teil aus radioaktiven Prozessen im Erdinneren gespeist wird. Als später Messungen des radioaktiven Zerfalls zu höheren Werten führten, revidierte er seine Meinung nicht.
Sehr einflussreich war sein Lehrbuch der theoretischen Physik ''Treatise on Natural Philosophy'' mit [[Peter Guthrie Tait]] von 1867, das erstmals Newtonsche, Lagrange- und Hamiltonmechanik vereinte mit einer auf dem Energiekonzept basierenden Darstellung.<ref>M. Norton Wise: ''William Thomson and Peter Guthrie Tait, Treatise on Natural Philosophy (1867), First Edition'', in Grattan-Guinness (Hrsg.), Landmark Writings in Western Mathematics 1650-1940, Elsevier 2005, Kapitel 40</ref> Die Kraft war darin nur noch ein abgeleitetes Konzept aus Extremalprinzipien der Energie. Die Zusammenarbeit von Thomson mit Tait, der Professor in Edinburgh war, begann 1861. Es waren mehrere Bände geplant, erschienen sind aber nur die Teile über Kinematik und Dynamik. Das lag auch daran dass 1873 der ''Treatise on Electricity and Magnetism'' von Maxwell erschien, mit dem sich Thomson abstimmte.


Er grenzte seine thermodynamischen Berechnungen auch deutlich gegen „vage Beobachtungen“ von Geologen wie [[Charles Darwin]] ab, der abgeschätzt hatte,  dass es etwas mehr als 300 Millionen Jahre gedauert haben müsse, bis ein 500 Fuß hohes [[Kalkstein|Kalkstein-Kliff]] im Süden Englands durch das Meer abgetragen wurde.<ref>Heuel-Fabianek, B. (2017): Natürliche Radioisotope: die „Atomuhr“ für die Bestimmung des absoluten Alters von Gesteinen und archäologischen Funden. Strahlenschutz Praxis, 1/2017, S. 31-42</ref>
Gemeinsam mit James Prescott Joule entdeckte er 1852 den [[Joule-Thomson-Effekt]], ferner 1857 den magnetischen [[AMR-Effekt]]. Die Erfindung der Mehrfachtelegrafie von [[Chajim Slonimski]] und [[Aaron Bernstein]] konnte William 1856 verbessern.<ref>''Polnische Rechenmaschinenerfinder des 19. Jahrhunderts Ein wenig bekanntes Kapitel polnischer Wissenschaftsgeschichte'' aus ''wissenschaft und fortschritt 26 (1976) 2 als PDF ''[http://www.rechenmaschinen-illustrated.com/Detlefsen.pdf S. 88 PDF online]</ref> Im Jahr 1867 entwickelte Thomson die Anwendung der Fourieranalyse zur Berechnung der Gezeiten und konstruierte 1872 die erste [[Gezeitenrechenmaschine]]. Er war auch wesentlich an der Vorbereitung und Verlegung von [[Transatlantisches Telefonkabel|Tiefseetelegraphenkabeln im Atlantik]] beteiligt. Beim ersten Kabel, das 1858 verlegt wurde, war er einer der Direktoren der Gesellschaft und technischer Berater, geriet aber mit dem Leiter E. O. W. Whitehouse in Konflikt, da dieser sich nicht an die Empfehlungen von Thomson hielt.<ref>[http://atlantic-cable.com/Books/Whitehouse/DDC/index.htm D. de Cogan, Dr E.O.W. Whitehouse and the 1858 trans-Atlantic Cable], History of Technology, Band 10, 1985, S. 1–15</ref> Außerdem gab es Patentstreitigkeiten. Erfolgreicher war das zweite Kabelprojekt in den 1860er Jahren. Für die Bestimmung der Wassertiefe bei den Kabelprojekten erfand er eine 1876 in Großbritannien patentierte [[Thomsonsche Lotmaschine]]. Die [[Telegraphengleichung]] wurde aber nicht von Thomson, sondern von [[Oliver Heaviside]] 1885 entwickelt.<ref>Ernst Weber and Frederik Nebeker, ''The Evolution of Electrical Engineering'', IEEE Press, Piscataway, New Jersey USA, 1994 ISBN 0-7803-1066-7</ref> Die Erlöse aus dem Kabelprojekt machten Thomson wohlhabend und waren ein wesentlicher Grund für seine Erhebung in den Adelsstand und die Peerswürde. Unter anderem kaufte er sich ein großes Anwesen an der schottischen Küste in [[Largs]] und eine 126 Tonnen-Yacht, die er ''Lalla Rookh'' nannte.
 
Thomson konstruierte die noch heute übliche Form des [[Kompass|Trockenkompasses]] und beschäftigte sich auch intensiv mit Elektrizität. Dabei entwickelte er die nach ihm benannte [[Thomson-Brücke]], die [[Thomsonsche Schwingungsgleichung]] und den [[Kelvin-Generator]] und beschrieb den [[Thomson-Effekt]]. Darüber hinaus konstruierte er ein Spiegel-Galvanometer (verwendet in den ersten Telegraphenkabeln über den Atlantik), eine Spannungswaage und nicht zuletzt das Quadranten-Elektrometer. Seine Vielseitigkeit auf fast allen Gebieten der Physik führte dazu, dass ihm über 70 Patente erteilt wurden. Sowohl wissenschaftliche Anerkennung als auch finanzielle Unabhängigkeit wurden ihm dadurch zuteil.
 
Er veröffentlichte über 600 wissenschaftliche Arbeiten.
 
Als Professor führte er Laborkurse ein auf gleicher Stufe mit theoretischen Vorlesungen und vergab Preise an begabte Studenten.
 
== Ansichten zur Evolutionstheorie und Alter der Erde ==
 
Thomson griff auch in die Debatte um die Evolutionstheorie ein. Er schätzte 1862 das Alter der Erde auf 25–400 Millionen Jahre, wobei 98 Millionen Jahre der wahrscheinlichste Wert sei. 1869 erklärte er, dass dieser Zeitrahmen für eine Evolution nach den von [[Charles Darwin]] angenommenen Mechanismen zu kurz sei und schlug vor, das Leben habe mit einem [[Meteorit]]en die Erde erreicht. Später grenzte er den Zeitpunkt der [[Entstehung der Erde]] bis auf 24,1 Millionen Jahre ein und sah dies als seine größte Leistung. Zu diesem Ergebnis kam er aufgrund der noch vorhandenen [[Geothermie|Erdwärme]], die jedoch nach späterem Wissen zum Teil aus radioaktiven Prozessen im Erdinneren gespeist wird. Als später Messungen des radioaktiven Zerfalls zu höheren Werten führten, revidierte er seine Meinung nicht.
 
Er grenzte seine thermodynamischen Berechnungen auch deutlich gegen seiner Meinung nach „vage Beobachtungen“ von Geologen wie [[Charles Darwin]] ab, der abgeschätzt hatte,  dass es etwas mehr als 300 Millionen Jahre gedauert haben müsse, bis ein 500 Fuß hohes [[Kalkstein|Kalkstein-Kliff]] im Süden Englands durch das Meer abgetragen wurde.<ref>Heuel-Fabianek, B. (2017): Natürliche Radioisotope: die „Atomuhr“ für die Bestimmung des absoluten Alters von Gesteinen und archäologischen Funden. Strahlenschutz Praxis, 1/2017, S. 31–42.</ref>
 
Lord Kelvin bezweifelte Darwins Ergebnis auch, weil er 1862 als dauerhafteste Energiequelle für die [[Sonnenstrahlung]] die von [[Hermann von Helmholtz|Helmholtz]] vorgeschlagene Freisetzung gravitativer Bindungsenergie vermutete. Unter der Annahme, dass die [[Sonnenmasse]] stark zum Zentrum hin konzentriert sei, wäre ihr Alter unter 100 Millionen Jahren.<ref name="kelvin">{{Cite journal | last=Thomson | first=William | title=On the Age of the Sun’s Heat | url=http://zapatopi.net/kelvin/papers/on_the_age_of_the_suns_heat.html | journal=[[:en:Macmillan's Magazine]] | year=1862 | volume=5 | pages=388–393 | doi=}}</ref> Später engte er die Abkühlungdauer des Erdmantels auf 20 bis 40 Mio. Jahre ein. Er erlebte zwar noch, dass [[Ernest Rutherford]] 1904 den radioaktiven Zerfall als Quelle der Erdwärme vorschlug, teilte diese Meinung aber nicht. Die Energieabgabe der Sonne über geologische Zeiträume hinweg konnte erst ab 1920 mit der [[Kernfusion]] erklärt werden.
 
== Kelvins „Wolken“ über der Physik des 19. Jahrhunderts ==
Am 27.  April 1900 hielt Thomson eine Freitagsabend-Vorlesung vor der [[Royal Institution]] mit dem Titel ''Nineteenth-Century Clouds over the Dynamical Theory of Heat and Light''.<ref>Abgedruckt mit Ergänzungen in seinen ''Baltimore lectures on molecular dynamics and the wave theory of light'', Baltimore, Johns Hopkins University, London: Clay and Sons, 1904, Appendix B, S. 486ff,[https://archive.org/details/baltimorelecture00kelviala Internet Archive], und in Philosophical Magazine, Series 6, Band 2, Juli 1901, S. 1-40</ref> Die eine Wolke betraf die scheinbar widerstandslose und nicht beobachtbare Bewegung der Erde durch den „Äther“ als dem Ausbreitungsmedium des Lichts und speziell die negativen Ergebnisse des [[Michelson-Morley-Experiment]]s. Kelvin gab zu, dass er keinen Fehler in der Ausführung oder Idee des Experiments finden konnte. Einen möglichen Ausweg sah er im Vorschlag einer [[Lorentzsche Äthertheorie#Längenkontraktion|Längenkontraktion]] des Äthers durch [[Hendrik Antoon Lorentz]] und [[George Francis FitzGerald]].<ref>Kelvin, Baltimore Lectures, 1904, S. 492</ref> Er schloss aber mit der Feststellung, dass trotzdem diese erste Wolke noch sehr dicht erschien (''I am afraid we still must regard Cloud Nr.1 as very dense''). Gelöst wurde das bald darauf 1905 durch die [[spezielle Relativitätstheorie]] und die Aufgabe der Vorstellung eines Äthers, auch wenn die Durchsetzung dieser Theorie noch länger dauerte. Die 2. Wolke betraf die Maxwell-Boltzmann-Verteilung in der statistischen Mechanik und dem [[Gleichverteilungssatz]], die Kelvin – wie auch andere bedeutende Physiker seiner Zeit wie Maxwell selbst und [[John Strutt, 3. Baron Rayleigh|Rayleigh]] – als unvereinbar mit den beobachteten Werten der [[Spezifische Wärme|spezifischen Wärme]] von Gasen sah. Die Lösung dieses Problems kam erst durch die [[Quantentheorie]]. Im Gegensatz zu einigen modernen Darstellungen von Kelvins Vortrag erwähnte er die [[Schwarzkörperstrahlung]] und die damit verbundene UV-Katastrophe nicht. Auch die Kelvin zugeschriebene Behauptung, von diesen Problemen abgesehen wäre in der Physik nichts Neues mehr zu entdecken, findet sich nicht in der Vorlesung und auch sonst nicht in seinen Schriften, sondern geht möglicherweise auf eine Verwechslung mit einer Äußerung von [[Albert Michelson]] zurück.<ref> Oliver Passon, Kelvin's Clouds, 2021, [https://arxiv.org/abs/2106.16033 Arxiv]</ref>


== Ehrungen ==
== Ehrungen ==
[[Datei:William Thomson Arms.svg|mini|Wappen des Baron Kelvin]]
[[Datei:William Thomson Arms.svg|mini|Wappen des Baron Kelvin]]
1856 wurde ihm die [[Royal Medal]] der [[Royal Society]] verliehen. 1872 wurde er in die [[American Academy of Arts and Sciences]] gewählt. 1876 erhielt er als erst dritter Wissenschaftler die [[Matteucci-Medaille]]. 1884 wurde Thomson in den Orden [[Pour le Mérite|Pour le mérite für Wissenschaft und Künste]] aufgenommen. 1887 wurde er Mitglied der [[Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina|Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina]].<ref>{{Leopoldina|5304|Name=Sir William Thomson|Kommentar=|Datum=18. Juni 2016}}</ref> Von 1890 bis 1895 war er Präsident der britischen Akademie ([[Royal Society]]).


Am 23. Februar 1892 wurde er zum [[Knight Bachelor|Ritter]] geschlagen und 1892 als [[Peer_(Adel)|Baron]] Kelvin, of [[Largs]] in the [[Ayrshire|County of Ayr]]<ref name="tLG">[[The London Gazette]]: [https://www.thegazette.co.uk/London/issue/26260/page/991 Nr. 26260, S. 991], 23. Februar 1892.</ref>, in den [[Peerage of the United Kingdom|erblichen Adelsstand]] erhoben. Der Namensgeber für den Titel ist der Fluss [[Kelvin (Fluss)|Kelvin]] durch Glasgow. Mit dem Titel war ein Sitz im [[House of Lords]] verbunden. Da er keine Nachkommen hinterließ, erlosch der Adelstitel bei seinem Tod.
* 1851 wurde er Fellow der [[Royal Society]], deren [[Royal Medal]] er 1856 und deren Copley Medal 1883 er erhielt und deren Präsident er 1890 bis 1895 war.
* 1872 wurde er in die [[American Academy of Arts and Sciences]] gewählt.
* 1876 erhielt er als erst dritter Wissenschaftler die [[Matteucci-Medaille]].
* 1877 wurde Thomson in die [[Académie des sciences]],<ref>{{Internetquelle| url=https://www.academie-sciences.fr/fr/Liste-des-membres-depuis-la-creation-de-l-Academie-des-sciences/les-membres-du-passe-dont-le-nom-commence-par-k.html| titel=Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe K| hrsg=Académie des sciences| zugriff=2020-01-05| sprache=fr}}</ref> 1883 in die [[National Academy of Sciences]], 1884 in den Orden [[Pour le Mérite|Pour le mérite für Wissenschaft und Künste]] aufgenommen.
* 1887 wurde er Mitglied der [[Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina|Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina]].<ref>{{Leopoldina|5304|Name=Sir William Thomson|Kommentar=|Datum=18. Juni 2016}}</ref>
* 1877 wurde er korrespondierendes und 1896 Ehrenmitglied der [[Russische Akademie der Wissenschaften|Russischen Akademie der Wissenschaften]] in St. Petersburg.<ref>{{Internetquelle| url=http://www.ras.ru/win/db/show_per.asp?P=.id-52390.ln-ru| titel=Ehrenmitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724: Томсон Уильям, лорд Кельвин| hrsg=Russische Akademie der Wissenschaften| zugriff=2021-03-16| sprache=ru}}</ref> 1871 war er Präsident der [[British Association for the Advancement of Science]].
* Er war Fellow der [[Royal Society of Edinburgh]] und mehrfach deren Präsident (1873 bis 1878, 1886 bis 1890, 1895 bis zu seinem Tod 1907).
* 1866 wurde er zum [[Knight Bachelor|Ritter]] geschlagen und 1892 als [[Peer (Adel)|Baron]] Kelvin of [[Largs]] in the [[Ayrshire|County of Ayr]]<ref name="tLG">[[The London Gazette]]: [https://www.thegazette.co.uk/London/issue/26260/page/991 Nr. 26260, S. 991], 23. Februar 1892.</ref>, in den [[Peerage of the United Kingdom|erblichen Adelsstand]] erhoben. Der Namensgeber für den Titel ist der Fluss [[Kelvin (Fluss)|Kelvin]] durch Glasgow, an dem die Universität liegt, und Largs der Ort seines Landsitzes an der Küste. Mit dem Titel war ein Sitz im [[House of Lords]] verbunden. Da er keine Nachkommen hinterließ, erlosch der Adelstitel bei seinem Tod.


Zu Ehren Lord Kelvins wurden zwei [[Mond]]<nowiki>formationen</nowiki> benannt, das [[Promontorium Kelvin|Kap Kelvin]] und die [[Rupes Kelvin]]. Weiterhin wurden verschiedene Objekte nach ihm benannt, an deren Entwicklung er maßgeblich beteiligt war, beispielsweise die [[Kelvingleichung]], die [[Kelvin-Kontraktion]], die [[Kelvin-Sonde]] und die [[Kelvinwelle]].
Zu Ehren Lord Kelvins wurden zwei [[Mond]]<nowiki />formationen benannt, das [[Promontorium Kelvin|Kap Kelvin]] und die [[Rupes Kelvin]]. Weiterhin wurden verschiedene Objekte nach ihm benannt, an deren Entwicklung er maßgeblich beteiligt war, beispielsweise die [[Kelvingleichung]], die [[Kelvin-Kontraktion]], die [[Kelvin-Sonde]] und die [[Kelvinwelle]]. Darüber hinaus sind die [[Kelvin Crests]], ein Gebirge in der Antarktis, nach ihm benannt.


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Silvanus P. Thompson]]: [https://archive.org/stream/lifeofwilliamtho02thomuoft#page/n7/mode/2up ''The life of William Thomson, Baron Kelvin of Largs'']. In two volumes. Publisher: Macmillan & Co., London 1910
 
* {{DictSciBiogr |Autor=[[Jed Z. Buchwald]] |Lemma=Thomson, Sir William (Baron Kelvin of Largs) |Band=13 |Seiten=374–388}}
* [[Silvanus P. Thompson]]: [https://archive.org/stream/lifeofwilliamtho02thomuoft#page/n7/mode/2up ''The life of William Thomson, Baron Kelvin of Largs'']. In two volumes. Publisher: Macmillan & Co., London 1910 (mit Bibliographie der Schriften von Thomson und umfangreichen Briefauszügen)
* Silvanus P. Thompson:[https://archive.org/stream/lifeofwilliamtho01thomuoft#page/n9/mode/2up ''The life of William Thomson, Baron Kelvin of Largs'']. Volume I
* Silvanus P. Thompson:[https://archive.org/stream/lifeofwilliamtho01thomuoft#page/n9/mode/2up ''The life of William Thomson, Baron Kelvin of Largs'']. Volume I
* Alexander Russell: [https://archive.org/stream/lordkelvinhislif00russuoft#page/n3/mode/2up ''Lord Kelvin; his life and work''] Publisher: T.C. & E.C. Jack; London 1912
* Alexander Russell: [https://archive.org/stream/lordkelvinhislif00russuoft#page/n3/mode/2up ''Lord Kelvin; his life and work''] Publisher: T.C. & E.C. Jack; London 1912
* Andrew Grey: [https://archive.org/stream/lordkelvinanacc00graygoog#page/n10/mode/2up ''Lord Kelvin: an account of his scientific life and work'']. Publisher: J. M. Dent & Co., London 19o8
* Andrew Grey: [https://archive.org/stream/lordkelvinanacc00graygoog#page/n10/mode/2up ''Lord Kelvin: an account of his scientific life and work'']. Publisher: J. M. Dent & Co., London 1908
* George F. Fitzgerald: [https://archive.org/stream/lordkelvinprofes00fitzrich#page/n7/mode/2up ''Lord Kelvin, professor of natural philosophy in the University of Glasgow, 1846-1899: with an essay on his scientific work'']. Publisher: James MacLehose and Sons,  Glasgow 1899
* George F. Fitzgerald: [https://archive.org/stream/lordkelvinprofes00fitzrich#page/n7/mode/2up ''Lord Kelvin, professor of natural philosophy in the University of Glasgow, 1846–1899: with an essay on his scientific work'']. Publisher: James MacLehose and Sons,  Glasgow 1899
* [https://archive.org/stream/cu31924012430694#page/n5/mode/2up ''In memoriam. The Right Honorable William Thomson, Lord Kelvin, born June 26, 1824; died December 17, 1907; interred in Westminster Abbey December 23, 1907''] Publisher: The American Institute of Electrical Engineers, New York 1908
* [https://archive.org/stream/cu31924012430694#page/n5/mode/2up ''In memoriam. The Right Honorable William Thomson, Lord Kelvin, born June 26, 1824; died December 17, 1907; interred in Westminster Abbey December 23, 1907''] Publisher: The American Institute of Electrical Engineers, New York 1908
* C. Smith, N. M. Wise: ''Energy and Empire. A biographical study of Lord Kelvin'', Cambridge University Press 1989
* P. Volkmann: ''Technikpioniere: Namensgeber von Einheiten physikalischer Einheiten'', VDE Verlag, Berlin/Offenbach 1990, ISBN 3-8007-1563-5, S. 69–72
* [[Isaac Asimov]]: ''Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik'', Herder, Freiburg/Basel/Wien 1974, ISBN 3-451-16718-2, S. 309–310
== Schriften ==
* Reprint of Papers on Electrostatics and Magnetism, London 1872, [https://archive.org/details/reprintofpaperso00kelvrich Ausgabe 1884, Archive]
* Mathematical and Physical Papers, 6 Bände, Cambridge 1911, [https://archive.org/details/mathematicaland01kelvgoog Band 1, Archive], [https://archive.org/details/mathematicaland00larmgoog Band 2], [https://archive.org/details/mathematicaland03kelvgoog Band 3], [https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.212310 Band 4], [https://archive.org/details/mathematicalphys05kelvuoft Band 5],  [https://archive.org/details/mathematicalphys06kelvuoft Band 6]
* mit P. G. Tait: Treatise on Natural Philosophy, 2 Bände, Oxford 1867, [https://archive.org/details/treatisnatphil01kelvrich Band 1, 1912, Archive], [https://archive.org/details/treatiseonnatura02kelv_0 Band 2, 1895, Archive]
** deutsche Übersetzung: Handbuch der theoretischen Physik, Übersetzt von [[Gustav Wertheim (Mathematiker)|Gustav Wertheim]], [[Hermann von Helmholtz]], Vieweg 1871, [https://archive.org/details/handbuchdertheo00taitgoog Band 1, Archive]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* {{DNB-Portal|118777033}}
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* [http://www.av.ph.tum.de/Bios/Thomsonw.php Kurzbiographie der TU München, Fakultät für Physik]
* [http://www.av.ph.tum.de/Bios/Thomsonw.php Kurzbiographie der TU München, Fakultät für Physik]
* [https://archive.org/stream/storyofatlanticc00brigrich#page/78/mode/2up Prof Thomson’s (Lord Kelvin) Mirror instrument] in: Charles Bright: [https://archive.org/stream/storyofatlanticc00brigrich#page/n5/mode/2up The story of the Atlantic cable]. Publisher: Georges  Newnes Ltd., London 1903
* [https://archive.org/stream/storyofatlanticc00brigrich#page/78/mode/2up Prof Thomson’s (Lord Kelvin) Mirror instrument] in: Charles Bright: [https://archive.org/stream/storyofatlanticc00brigrich#page/n5/mode/2up The story of the Atlantic cable]. Publisher: Georges  Newnes Ltd., London 1903
* [http://www.npg.org.uk/collections/search/person/mp02493/william-thomson-baron-kelvin?search=sas&sText=William+Thomson William Thomson, Baron Kelvin] - in der National Portrait Gallery, London
* [http://www.npg.org.uk/collections/search/person/mp02493/william-thomson-baron-kelvin?search=sas&sText=William+Thomson William Thomson, Baron Kelvin] in der National Portrait Gallery, London


== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 10. Februar 2022, 07:16 Uhr

William Thomson, 1. Baron Kelvin (Fotografie 1906)
Thomsons Spiegel-Galvanometer, 1858, Science Museum London

William Thomson, 1. Baron Kelvin oder kurz Lord Kelvin, OM, GCVO, PC, FRS, FRSE, (* 26. Juni 1824 in Belfast, Provinz Ulster, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland; † 17. Dezember 1907 in Netherhall bei Largs, Schottland) war ein britischer Physiker auf den Gebieten der Elektrizitätslehre und der Thermodynamik. Die Einheit Kelvin wurde nach William Thomson benannt, der im Alter von 24 Jahren die thermodynamische Temperaturskala einführte. Thomson ist sowohl für theoretische Arbeiten als auch für die Entwicklung von Messinstrumenten bekannt.

Leben

William Thomson war der Sohn von James Thomson (1786–1849), der Professor für Mathematik an der Queen’s University Belfast war und ab 1832 Professor für Mathematik an der Universität Glasgow. Thomson hatte 1817 Margaret Gardiner geheiratet; das Ehepaar hatte sieben Kinder (von denen drei das Erwachsenenalter nicht erreichten).[1] Sein zwei Jahre älterer Bruder James wurde Ingenieur. Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war (1830); sein Vater erzog seine Kinder streng presbyterianisch.

William erhielt seinen ersten Mathematikunterricht von seinem Vater. Ab 1834 studierte er an der Universität Glasgow, wobei eigentliche Universitätsstudien ab 1838 erfolgten, darunter Astronomie, Chemie und Physik. 1839 erhielt er eine Goldmedaille der Universität für einen Essay über die Figur der Erde. Dozenten in theoretischer Physik waren damals in Glasgow der Professor für Naturphilosophie William Meikleham und der Astronomieprofessor John Pringle Nichol; diese waren beeinflusst von französischen Physikern und Mathematikern wie Pierre Simon de Laplace (besonders dessen Himmelsmechanik), Joseph-Louis Lagrange, Augustin Jean Fresnel, Adrien-Marie Legendre und Joseph Fourier, dessen Analytische Theorie der Wärme Thomson studierte. Das war ein Gegensatz zur Universität Cambridge, wo es damals noch nicht einmal einen Lehrstuhl für Naturphilosophie gab. Thomson besuchte 1839 Paris und studierte ab 1841 in Cambridge. Seine erste Veröffentlichung war 1841 eine Verteidigung der Fourieranalyse gegen mathematische Kritik aus Edinburgh. 1842 veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er die mathematische Behandlung des Wärmeflusses durch Fourier auf die Elektrizität übertrug. In Cambridge nahm er 1845 am letzten Teil der Tripos-Prüfungen teil, auf die er sich unter dem damals für diese Vorbereitungskurse bekannten Privat-Tutor William Hopkins vorbereitete, was einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch nahm, und wurde Second Wrangler. Damals waren weder Elektrizität, Magnetismus noch Wärme Gegenstand der Prüfungen, was sich erst durch die Reformen von James Clerk Maxwell wesentlich änderte. Er erhielt einen Bachelor-Abschluss (B.A.), gewann den Smith-Preis und wurde Fellow des Peterhouse College in Cambridge. Um diese Zeit studierte er auch das Werk von George Green, das großen Einfluss auf ihn hatte[2], und ging 1845 zu weiterem Studium nach Paris, wo er unter anderem mit Augustin-Louis Cauchy, Charles-François Sturm, Jean-Baptiste Biot und Joseph Liouville Kontakt hatte und im Labor von Henri Victor Regnault war. Auf Anregung von Liouville begann er sich intensiv mit der Theorie der Elektrizität zu befassen und den damals damit verbundenen physikalischen Konzepten (damals herrschte die Vorstellung elektrischer Flüssigkeiten vor, und neben Fernwirkungstheorien der zugehörigen Kräfte auch Vorstellungen über ein vermittelndes Medium, den Äther).

Familiengrab Thomson, Glasgow Necropolis

Thomson kehrte 1846 nach Glasgow zurück, als der Lehrstuhl für Naturphilosophie (theoretische Physik) frei wurde, für den er mit Unterstützung seines einflussreichen Vaters erfolgreich kandidierte. Er war von 1846 bis 1899 Professor für theoretische Physik in Glasgow und forschte hauptsächlich auf den Gebieten der Elektrizitätslehre und der Thermodynamik.

Werk

Frühe Arbeiten von Thomson betrafen die Thermodynamik, so 1848 eine Arbeit zur Thermodynamik auf Basis der Carnotschen Wärmetheorie, in der er unter anderem die später nach ihm benannte absolute Temperaturskala einführte. Deren Einheit Kelvin ist in ihrer heutigen Form die seit 1968 gesetzlich festgelegte SI-Einheit der Temperatur. Seine Überlegungen zur Thermodynamik waren damals noch fehlerbehaftet und erst der Ideenaustausch mit James Prescott Joule ab 1847 überzeugte ihn von einer dynamischen Theorie der Wärme. 1847 begann eine intensive Zusammenarbeit mit dem theoretischen Physiker George Gabriel Stokes, die sich dann in einem umfangreichen Briefwechsel über fünfzig Jahre fortsetzte und anfangs die Hydrodynamik betraf.

Thomson war auch vor James Clerk Maxwell ein Vorläufer der dynamischen Theorie der Elektrizität und des Magnetismus (einschließlich von Licht als elektrodynamischer Erscheinung). Als Anregung diente Thomson dabei die dynamische Theorie der Wärme. Außerdem war er der erste, der das Kraftlinien-Konzept von Michael Faraday mathematisch formulierte. Die Theorien von Thomson aus den 1850er Jahren waren von wesentlichem Einfluss auf Maxwells eigene Theorie. Thomson selbst zögerte aber lange Maxwells Theorie anzuerkennen und verfolgte eine eigene Theorie, die Elektrodynamik, Licht, chemische Prozesse und Gravitation in einheitlicher Weise über die Wirkung im Äther behandeln sollte. Er lehnte auch das Atom-Konzept ab (und unterstützte P. G. Tait in dessen Versuch, Atome als verknotete Ringe im Äther darzustellen) und war später ein Gegner der Ideen von Ernest Rutherford zur Radioaktivität.

Sehr einflussreich war sein Lehrbuch der theoretischen Physik Treatise on Natural Philosophy mit Peter Guthrie Tait von 1867, das erstmals Newtonsche, Lagrange- und Hamiltonmechanik vereinte mit einer auf dem Energiekonzept basierenden Darstellung.[3] Die Kraft war darin nur noch ein abgeleitetes Konzept aus Extremalprinzipien der Energie. Die Zusammenarbeit von Thomson mit Tait, der Professor in Edinburgh war, begann 1861. Es waren mehrere Bände geplant, erschienen sind aber nur die Teile über Kinematik und Dynamik. Das lag auch daran dass 1873 der Treatise on Electricity and Magnetism von Maxwell erschien, mit dem sich Thomson abstimmte.

Gemeinsam mit James Prescott Joule entdeckte er 1852 den Joule-Thomson-Effekt, ferner 1857 den magnetischen AMR-Effekt. Die Erfindung der Mehrfachtelegrafie von Chajim Slonimski und Aaron Bernstein konnte William 1856 verbessern.[4] Im Jahr 1867 entwickelte Thomson die Anwendung der Fourieranalyse zur Berechnung der Gezeiten und konstruierte 1872 die erste Gezeitenrechenmaschine. Er war auch wesentlich an der Vorbereitung und Verlegung von Tiefseetelegraphenkabeln im Atlantik beteiligt. Beim ersten Kabel, das 1858 verlegt wurde, war er einer der Direktoren der Gesellschaft und technischer Berater, geriet aber mit dem Leiter E. O. W. Whitehouse in Konflikt, da dieser sich nicht an die Empfehlungen von Thomson hielt.[5] Außerdem gab es Patentstreitigkeiten. Erfolgreicher war das zweite Kabelprojekt in den 1860er Jahren. Für die Bestimmung der Wassertiefe bei den Kabelprojekten erfand er eine 1876 in Großbritannien patentierte Thomsonsche Lotmaschine. Die Telegraphengleichung wurde aber nicht von Thomson, sondern von Oliver Heaviside 1885 entwickelt.[6] Die Erlöse aus dem Kabelprojekt machten Thomson wohlhabend und waren ein wesentlicher Grund für seine Erhebung in den Adelsstand und die Peerswürde. Unter anderem kaufte er sich ein großes Anwesen an der schottischen Küste in Largs und eine 126 Tonnen-Yacht, die er Lalla Rookh nannte.

Thomson konstruierte die noch heute übliche Form des Trockenkompasses und beschäftigte sich auch intensiv mit Elektrizität. Dabei entwickelte er die nach ihm benannte Thomson-Brücke, die Thomsonsche Schwingungsgleichung und den Kelvin-Generator und beschrieb den Thomson-Effekt. Darüber hinaus konstruierte er ein Spiegel-Galvanometer (verwendet in den ersten Telegraphenkabeln über den Atlantik), eine Spannungswaage und nicht zuletzt das Quadranten-Elektrometer. Seine Vielseitigkeit auf fast allen Gebieten der Physik führte dazu, dass ihm über 70 Patente erteilt wurden. Sowohl wissenschaftliche Anerkennung als auch finanzielle Unabhängigkeit wurden ihm dadurch zuteil.

Er veröffentlichte über 600 wissenschaftliche Arbeiten.

Als Professor führte er Laborkurse ein auf gleicher Stufe mit theoretischen Vorlesungen und vergab Preise an begabte Studenten.

Ansichten zur Evolutionstheorie und Alter der Erde

Thomson griff auch in die Debatte um die Evolutionstheorie ein. Er schätzte 1862 das Alter der Erde auf 25–400 Millionen Jahre, wobei 98 Millionen Jahre der wahrscheinlichste Wert sei. 1869 erklärte er, dass dieser Zeitrahmen für eine Evolution nach den von Charles Darwin angenommenen Mechanismen zu kurz sei und schlug vor, das Leben habe mit einem Meteoriten die Erde erreicht. Später grenzte er den Zeitpunkt der Entstehung der Erde bis auf 24,1 Millionen Jahre ein und sah dies als seine größte Leistung. Zu diesem Ergebnis kam er aufgrund der noch vorhandenen Erdwärme, die jedoch nach späterem Wissen zum Teil aus radioaktiven Prozessen im Erdinneren gespeist wird. Als später Messungen des radioaktiven Zerfalls zu höheren Werten führten, revidierte er seine Meinung nicht.

Er grenzte seine thermodynamischen Berechnungen auch deutlich gegen seiner Meinung nach „vage Beobachtungen“ von Geologen wie Charles Darwin ab, der abgeschätzt hatte, dass es etwas mehr als 300 Millionen Jahre gedauert haben müsse, bis ein 500 Fuß hohes Kalkstein-Kliff im Süden Englands durch das Meer abgetragen wurde.[7]

Lord Kelvin bezweifelte Darwins Ergebnis auch, weil er 1862 als dauerhafteste Energiequelle für die Sonnenstrahlung die von Helmholtz vorgeschlagene Freisetzung gravitativer Bindungsenergie vermutete. Unter der Annahme, dass die Sonnenmasse stark zum Zentrum hin konzentriert sei, wäre ihr Alter unter 100 Millionen Jahren.[8] Später engte er die Abkühlungdauer des Erdmantels auf 20 bis 40 Mio. Jahre ein. Er erlebte zwar noch, dass Ernest Rutherford 1904 den radioaktiven Zerfall als Quelle der Erdwärme vorschlug, teilte diese Meinung aber nicht. Die Energieabgabe der Sonne über geologische Zeiträume hinweg konnte erst ab 1920 mit der Kernfusion erklärt werden.

Kelvins „Wolken“ über der Physik des 19. Jahrhunderts

Am 27. April 1900 hielt Thomson eine Freitagsabend-Vorlesung vor der Royal Institution mit dem Titel Nineteenth-Century Clouds over the Dynamical Theory of Heat and Light.[9] Die eine Wolke betraf die scheinbar widerstandslose und nicht beobachtbare Bewegung der Erde durch den „Äther“ als dem Ausbreitungsmedium des Lichts und speziell die negativen Ergebnisse des Michelson-Morley-Experiments. Kelvin gab zu, dass er keinen Fehler in der Ausführung oder Idee des Experiments finden konnte. Einen möglichen Ausweg sah er im Vorschlag einer Längenkontraktion des Äthers durch Hendrik Antoon Lorentz und George Francis FitzGerald.[10] Er schloss aber mit der Feststellung, dass trotzdem diese erste Wolke noch sehr dicht erschien (I am afraid we still must regard Cloud Nr.1 as very dense). Gelöst wurde das bald darauf 1905 durch die spezielle Relativitätstheorie und die Aufgabe der Vorstellung eines Äthers, auch wenn die Durchsetzung dieser Theorie noch länger dauerte. Die 2. Wolke betraf die Maxwell-Boltzmann-Verteilung in der statistischen Mechanik und dem Gleichverteilungssatz, die Kelvin – wie auch andere bedeutende Physiker seiner Zeit wie Maxwell selbst und Rayleigh – als unvereinbar mit den beobachteten Werten der spezifischen Wärme von Gasen sah. Die Lösung dieses Problems kam erst durch die Quantentheorie. Im Gegensatz zu einigen modernen Darstellungen von Kelvins Vortrag erwähnte er die Schwarzkörperstrahlung und die damit verbundene UV-Katastrophe nicht. Auch die Kelvin zugeschriebene Behauptung, von diesen Problemen abgesehen wäre in der Physik nichts Neues mehr zu entdecken, findet sich nicht in der Vorlesung und auch sonst nicht in seinen Schriften, sondern geht möglicherweise auf eine Verwechslung mit einer Äußerung von Albert Michelson zurück.[11]

Ehrungen

Wappen des Baron Kelvin
  • 1851 wurde er Fellow der Royal Society, deren Royal Medal er 1856 und deren Copley Medal 1883 er erhielt und deren Präsident er 1890 bis 1895 war.
  • 1872 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.
  • 1876 erhielt er als erst dritter Wissenschaftler die Matteucci-Medaille.
  • 1877 wurde Thomson in die Académie des sciences,[12] 1883 in die National Academy of Sciences, 1884 in den Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste aufgenommen.
  • 1887 wurde er Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.[13]
  • 1877 wurde er korrespondierendes und 1896 Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.[14] 1871 war er Präsident der British Association for the Advancement of Science.
  • Er war Fellow der Royal Society of Edinburgh und mehrfach deren Präsident (1873 bis 1878, 1886 bis 1890, 1895 bis zu seinem Tod 1907).
  • 1866 wurde er zum Ritter geschlagen und 1892 als Baron Kelvin of Largs in the County of Ayr[15], in den erblichen Adelsstand erhoben. Der Namensgeber für den Titel ist der Fluss Kelvin durch Glasgow, an dem die Universität liegt, und Largs der Ort seines Landsitzes an der Küste. Mit dem Titel war ein Sitz im House of Lords verbunden. Da er keine Nachkommen hinterließ, erlosch der Adelstitel bei seinem Tod.

Zu Ehren Lord Kelvins wurden zwei Mondformationen benannt, das Kap Kelvin und die Rupes Kelvin. Weiterhin wurden verschiedene Objekte nach ihm benannt, an deren Entwicklung er maßgeblich beteiligt war, beispielsweise die Kelvingleichung, die Kelvin-Kontraktion, die Kelvin-Sonde und die Kelvinwelle. Darüber hinaus sind die Kelvin Crests, ein Gebirge in der Antarktis, nach ihm benannt.

Literatur

Schriften

Weblinks

Commons: William Thomson, 1. Baron Kelvin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Lebenslauf (englisch)
  2. Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Ernst & Sohn, Berlin 2018, S. 924 u. 1003, ISBN 978-3-433-03229-9.
  3. M. Norton Wise: William Thomson and Peter Guthrie Tait, Treatise on Natural Philosophy (1867), First Edition, in Grattan-Guinness (Hrsg.), Landmark Writings in Western Mathematics 1650-1940, Elsevier 2005, Kapitel 40
  4. Polnische Rechenmaschinenerfinder des 19. Jahrhunderts Ein wenig bekanntes Kapitel polnischer Wissenschaftsgeschichte aus wissenschaft und fortschritt 26 (1976) 2 als PDF S. 88 PDF online
  5. D. de Cogan, Dr E.O.W. Whitehouse and the 1858 trans-Atlantic Cable, History of Technology, Band 10, 1985, S. 1–15
  6. Ernst Weber and Frederik Nebeker, The Evolution of Electrical Engineering, IEEE Press, Piscataway, New Jersey USA, 1994 ISBN 0-7803-1066-7
  7. Heuel-Fabianek, B. (2017): Natürliche Radioisotope: die „Atomuhr“ für die Bestimmung des absoluten Alters von Gesteinen und archäologischen Funden. Strahlenschutz Praxis, 1/2017, S. 31–42.
  8. William Thomson: On the Age of the Sun’s Heat. In: en:Macmillan's Magazine. 5. Jahrgang, 1862, S. 388–393 (zapatopi.net).
  9. Abgedruckt mit Ergänzungen in seinen Baltimore lectures on molecular dynamics and the wave theory of light, Baltimore, Johns Hopkins University, London: Clay and Sons, 1904, Appendix B, S. 486ff,Internet Archive, und in Philosophical Magazine, Series 6, Band 2, Juli 1901, S. 1-40
  10. Kelvin, Baltimore Lectures, 1904, S. 492
  11. Oliver Passon, Kelvin's Clouds, 2021, Arxiv
  12. Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe K. Académie des sciences, abgerufen am 5. Januar 2020 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  13. Mitgliedseintrag von Sir William Thomson bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 18. Juni 2016.
  14. Ehrenmitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724: Томсон Уильям, лорд Кельвин. Russische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 16. März 2021 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  15. The London Gazette: Nr. 26260, S. 991, 23. Februar 1892.