Eine nackte Singularität ist in der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) eine gravitative Singularität, also ein hypothetischer Punkt der Raumzeit mit unendlicher Krümmung, die aber im Unterschied zu einem Schwarzen Loch nicht von einem Ereignishorizont umgeben ist. Die Existenz solcher Singularitäten würde bedeuten, dass es möglich wäre, einen perfekten Gravitationskollaps von außen zu beobachten auch in Bereichen, in denen die Lösungen mathematisch nach den klassischen Gleichungen der ART nicht mehr definiert sind.
Die Frage, ob nackte Singularitäten auch in der Natur vorkommen, wird unter anderem von Roger Penrose[1] in der Annahme eines Noumenons, welches er kosmischen Zensor (Cosmic Censorship) nennt, verneint.[2] Die Cosmic Censorship-Hypothese von Penrose wurde von vielen Astrophysikern unterstützt, wie John Archibald Wheeler[3] und Stephen Hawking. Andere, wie Kip Thorne, hielten die Möglichkeit der Bildung nackter Singularitäten zum Beispiel bei stark nicht-sphärischem Kollaps für möglich. Thorne studierte Anfang der 1970er Jahre den (unphysikalischen) Fall des Gravitationskollapses eines unendlich in Längsrichtung ausgedehnten nicht rotierenden dünnen Zylinders und fand, dass sich keine Ereignishorizonte ausbilden.[4] Computersimulationen des Gravitationskollapses von Massenverteilungen in Form eines verlängerten Sphäroids durch Stuart L. Shapiro und Saul Teukolsky[5] deuteten ebenfalls auf die Möglichkeit nackter Singularitäten (obwohl die Simulationen das nicht beweisen können, sie zeigten nur, dass sich kein scheinbarer Horizont bildete). Thorne formulierte 1972 das Ringkriterium als Schranke für das Ausmaß an Anisotropie beim Kollaps, bei dem noch Schwarze Löcher entstehen und keine nackten Singularitäten (Hoop Conjecture).
Die Cosmic Censorship-Hypothese lässt sich auch noch mathematisch präziser fassen.[6]
Hawking ging 1991 mit Thorne und John Preskill eine Wette ein, ob nackte Singularitäten in der ART auftreten können.[7] Ausgeschlossen waren dabei Quanteneffekte. Hawking selbst gab wenige Monate nach Schließen der Wette zu, dass möglicherweise beim Verdampfen Schwarzer Löcher nackte Singularitäten zurückbleiben könnten, sah das aber für die Wette nicht als relevant an, da es Quanteneffekte und nicht die Entstehung innerhalb der klassischen ART betraf[8]. Nachdem 1993 von Matthew Choptuik[9] die Möglichkeit nackter Singularitäten mit skalarer Materie gezeigt wurde (allerdings für „nicht-generische“ Anfangsbedingungen[10]) gab Hawking den Verlust der Wette zu, sie wurde aber 1997 unter Einschränkung auf generische Anfangsbedingungen erneuert.[11] Etwa gleichzeitig mit Choptuik zeigte Demetrios Christodoulou mathematisch, dass sich im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie nackte Singularitäten im Gravitationskollaps mit Skalarfeldern bilden können (1992, veröffentlicht 1994), er zeigte aber kurz darauf auch, dass diese instabil sind.[12][13][14]
Im Fall der von der Kerr-Metrik beschriebenen rotierenden Schwarzen Löchern würde bei genügend hoher Rotation ($ a\geq M $ mit dem Kerr-Paramter $ a={\frac {J}{M}} $, der proportional zum Drehimpuls $ J $ ist) der Ereignishorizont „aufreißen“ und damit Cosmic Censorship verletzt werden. Neuere Computersimulationen von 2009 lassen vermuten, dass Schwarze Löcher ihren Ereignishorizont sogar im Falle einer ultrarelativistischen Kollision mit einem anderen Schwarzen Loch beibehalten würden[15][16] und der Grenzwert $ a=M $ nicht erreicht würde, auch wenn man ihm sehr nahekommt. Thorne selbst sah 1994 durch eine Arbeit von Werner Israel[17] zum dritten Hauptsatz der Dynamik Schwarzer Löcher sichergestellt, dass der Grenzwert unerreichbar ist. [18] Dieser besagt analog zum Dritten Hauptsatz der Thermodynamik, dass durch keinen physikalischen Prozess[19] die Oberflächengravitation des Schwarzen Lochs, die der Hawking-Temperatur entspricht, auf null reduziert werden kann (das Verschwinden entspräche bei der Kerr-Lösung $ a=M $).
Argumente, die die Cosmic Censorship-Hypothese stützen, sind die Stabilität der Schwarzschild-Lösung und Kerr-Lösung gegen kleine lineare Störungen und Gedankenexperimente mit extremalen Schwarzen Löchern. Diese sind bei geladenen, rotierenden Schwarzen Löchern (Kerr-Newman-Metrik) durch $ M^{2}=Q^{2}+a^{2} $ ($ a={\frac {J}{M}} $ wie oben) definiert. Wird die rechte Seite größer als die linke, gibt es keine Schwarzen Löcher als stationäre Lösungen der zugehörigen Gleichungen, was vermutlich nackte Singularitäten zur Folge hätte. Es ist nicht möglich, mit kleinen Testteilchen Ladung oder Drehimpuls auf das extremale Schwarze Loch zu übertragen, wie Robert Wald 1974 zeigte[20] und wie auch verschiedene neue Analysen derartiger Gedankenexperimente ergaben.[21] Geht man allerdings nicht von einem extremalen Schwarzen Loch aus (in der Reissner-Nordström-Lösung), sondern einem, das diesem beliebig nahe kommt, fand Veronika Hubeny 1998 doch eine Möglichkeit, die Schranke mit einem geladenen Testteilchen zu überwinden.[22] Das zeigte, dass auch dieses einfache Testmodell für Cosmic Censorship noch nicht vollständig geklärt war.
Es gibt keine astronomischen Hinweise auf die Existenz nackter Singularitäten. Bei George F. R. Ellis sind sie allerdings Bestandteil seines alternativen physikalischen Weltbilds, und nach dem Standardmodell der Kosmologie kann der Urknall als eine nackte Singularität aufgefasst werden. Hier und auch bei Betrachtung anderer nackter Singularitäten würden Fragen der Quantengravitation eine Rolle spielen, die über die ART hinausgehen.
Es gibt neben der oben behandelten schwachen Cosmic Censorship-Hypothese, dass die Singularitäten der ART von Ereignishorizonten eingeschlossen sind, auch noch eine starke Cosmic Censorship-Hypothese[23]. Sie schließt generell zeitartige Singularitäten aus: Auch ein Beobachter, der in das Schwarze Loch fällt, wird die Singularität der Hypothese nach niemals „sehen“.