Wirkung (Physik)

Die Wirkung $S$ ist eine physikalische Größe mit der Dimension Energie mal Zeit oder Länge mal Impuls. Sie hat also die gleiche Dimension wie der Drehimpuls. Die Wirkung bezeichnet in der theoretischen Physik nicht wie im allgemeinen Sprachgebrauch die Auswirkung einer Ursache, sondern ein Funktional, das die physikalisch durchlaufenen Bahnen in der Menge der denkbaren Bahnen auszeichnet. Die Bewegungsgleichungen der physikalisch durchlaufenen Bahnen besagen, dass bei festgehaltenem Anfangs- und Endpunkt die Wirkung der physikalischen Bahn unabhängig von kleinen zwischenzeitlichen Bahnänderungen ist. Diese Bedingung heißt auch Hamiltonsches Prinzip oder Prinzip der kleinsten Wirkung.

Wirkung eines Punktteilchens

In der klassischen Mechanik ordnet die Wirkung $S$ jeder zweifach differenzierbaren Bahn $\mathrm{\Gamma }:t\mapsto x(t)$, die ein Punktteilchen mit der Zeit $t$ von einem Anfangspunkt $\underset{―}{x}=x(t_1)$ zu einem Endpunkt $\bar{x}=x(t_2)$ durchläuft, den Wert des Integrals

$S[\mathrm{\Gamma }]={\int }_{t_1}^{t_2}L(t,x(t),\frac{\mathrm{d}x}{\mathrm{d}t}(t))\mathrm{d}t$

zu. Dabei ist in Newtons Mechanik die Lagrangefunktion $L(t,x,v)$ eines Teilchens der Masse $m$, das sich im Potential $V(t,x)$ bewegt, die Differenz von kinetischer und potentieller Energie als Funktion der Zeit $t$, des Ortes $x$ und der Geschwindigkeit $v$,

$L(t,x,v)=\frac{1}{2}m{v}^2-V(t,x).$

Im Integranden der Wirkung $S[\mathrm{\Gamma }]$ wird für $x$ der Ort $x(t)$ der Bahn zur Zeit $t$ und für $v$ seine Zeitableitung $\frac{\mathrm{d}x}{\mathrm{d}t}(t)$ eingesetzt. Das Integral dieser verketteten Funktion der Zeit ist die Wirkung der Bahn $\mathrm{\Gamma }:t\mapsto x(t)$.

Verglichen mit der Wirkung aller anderen zweifach differenzierbaren Bahnen, die anfänglich durch $\underset{―}{x}$ und schließlich durch $\bar{x}$ laufen, ist die Wirkung der physikalischen Bahn stationär, denn ihre Bewegungsgleichung

$m\frac{{\mathrm{d}}^{2}x}{\mathrm{d}{t}^2}+{\partial }_{x}V(t,x)=0$

ist die Euler-Lagrange-Gleichung der Wirkung $S$.

Beispiel: harmonischer Oszillator

Beispielsweise ist

$L(t,x,v)=\frac{1}{2}m{v}^2-\frac{1}{2}m{\omega }^2{x}^2$

die Lagrangefunktion eines harmonischen Oszillators mit Masse $m$ und Federkonstanten $\kappa =m{\omega }^2$.

Die physikalischen Bahnen genügen der Euler-Lagrange-Gleichung, der zufolge zu allen Zeiten $t$ die Euler-Ableitung

$\frac{\partial L}{\partial x}-\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\frac{\partial L}{\partial v}=-m({\omega }^{2}x+\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}v)$

verschwindet, wenn man für $x$ den Ort $x(t)$ einsetzt, der zur Zeit $t$ durchlaufen wird, und für $v$ die Zeitableitung der Bahn $\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}x(t)$.

Die zu $L$ gehörigen physikalischen Bahnen $t\mapsto x(t)$ erfüllen also

$-m(\frac{{\mathrm{d}}^2}{\mathrm{d}{t}^2}x(t)+{\omega }^{2}x(t))=0$.

Jede Lösung dieser Gleichung ist von der Form

${\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }:t\mapsto x(t)=A\cos (\omega t-\alpha )$,

wobei $A$ die Amplitude der Schwingung und $\alpha$ ihre Phasenverschiebung ist.

Zur Zeit $t_1$ durchläuft sie den Ort $\underset{―}{x}=A\cos (\omega t_1-\alpha )$ und zur Zeit $t_2$ den Ort $\bar{x}=A\cos (\omega t_2-\alpha )$.

Ihre Wirkung ist das Integral

$S[{\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }]={\int }_{t_1}^{t_2}\mathrm{d}t\frac{1}{2}m{A}^2{\omega }^2({\sin }^2(\omega t-\alpha )-{\cos }^2(\omega t-\alpha ))$.

Das Integral kann mit dem Additionstheorem

${\cos }^2\beta -{\sin }^2\beta =\cos (2\beta )$

leicht ausgewertet werden, aber das ist für unsere Betrachtungen unerheblich,

$S[{\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }]=-{\int }_{t_1}^{t_2}\mathrm{d}t\frac{1}{2}m{A}^2{\omega }^2\cos 2(\omega t-\alpha )=\frac{1}{4}m{A}^2\omega (\sin 2(\omega t_2-\alpha )-\sin 2(\omega t_1-\alpha ))$.

Auf jeder anderen Bahn

${\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }+\delta :t\mapsto A\cos (\omega t-\alpha )+\delta (t)$,

die zwischenzeitlich um $\delta (t)$ ein wenig von ${\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }$ abweicht, $\delta (t_1)=\delta (t_2)=0$, unterscheidet sich die Wirkung in erster Ordnung in $\delta$ um

$\delta S[{\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha },\delta ]=S[{\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }+\delta ]-S[{\mathrm{\Gamma }}_{A,\alpha }]={\int }_{t_1}^{t_2}\mathrm{d}tAm\omega (-\sin (\omega t-\alpha )\dot{\delta }(t)-\omega \cos (\omega t-\alpha )\delta (t)).$

Partielle Integration wälzt im ersten Term die Ableitung von $\dot{\delta }$ ohne Randterme (weil dort $\delta$ verschwindet) mit einem Minuszeichen auf $\sin (\omega t-\alpha )$ ab und ergibt für alle zwischenzeitlichen Änderungen $\delta (t)$ das Negative des zweiten Terms

$\delta S={\int }_{t_1}^{t_2}\mathrm{d}tAm{\omega }^2(\cos (\omega t-\alpha )\delta (t)-\cos (\omega t-\alpha )\delta (t))=0.$

Es ist also die Wirkung jeder physikalischen Bahn stationär unter allen zwischenzeitlichen Änderungen.

Bedeutung in der Theoretischen Physik

Die Wirkung als Funktional von Bahnen oder Feldern ist auch grundlegend für

• die relativistische Mechanik
• die Maxwellgleichungen der Elektrodynamik
• die Einsteingleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie
• das Standardmodell der elementaren Wechselwirkungen.

Literatur

• L. Landau / J. M. Lifschitz: Lehrbuch der theoretischen Physik (Band 1): Mechanik, Verlag Harri Deutsch, Nachdruck der 14., korrigierten Aufl. 1997 (2007), ISBN 978-3-8171-1326-2
• Florian Scheck: Theoretische Physik 1: Mechanik, Springer, 2007, ISBN 978-3-540-71377-7

Weblinks

• Norbert Dragon, Stichworte und Ergänzungen zu Mathematische Methoden der Physik (PDF; 1,9 MB) Kapitel 13