Die Relativität der Gleichzeitigkeit ist eine aus der speziellen Relativitätstheorie folgende Aussage. Danach gibt es keine universelle Gleichzeitigkeit von Ereignissen, über die sich alle Beobachter einig sind.
Gleichzeitigkeit ist ein grundlegender Begriff in der Physik. Alle Aussagen über Zeitabläufe beruhen auf Zeitvergleichen und somit auf dem Begriff Gleichzeitigkeit. Bei zwei Ereignissen, die am selben Ort erfolgen, ist unmittelbar beobachtbar, ob sie gleichzeitig stattfinden. Bei Ereignissen, die weiter voneinander entfernt eintreten, ist ein Vergleich über synchronisierte Uhren möglich, die unmittelbar an den jeweiligen Ereignisorten aufgestellt sind und miteinander verglichen werden.
Im Rahmen der newtonschen Physik scheint es möglich, ein einheitliches Zeitsystem zu definieren, das für unser gesamtes Universum gilt. Mit dieser Annahme ist es durchaus verträglich, dass unser subjektives Zeitempfinden mitunter trügt, so etwa beim Wahrnehmen von Schallereignissen, die aus unterschiedlicher Entfernung übertragen werden. Wir kennen die Verzögerung durch die Schallgeschwindigkeit – so kann man aus der Zeitspanne zwischen Blitz und Donner die Entfernung des Blitzes abschätzen. Auch die Lichtübertragung braucht ihre Zeit – das ist uns aus der Beobachtung von Himmelsobjekten bekannt, deren Licht Jahrzehnte oder Jahrhunderte unterwegs ist, bis es uns erreicht.[1] Solche Beobachtungen stehen völlig im Einklang mit der Vorstellung aus der Newtonschen Physik, dass es im Universum eine universell gültige Zeit gäbe. Erst in der speziellen Relativitätstheorie wird die Existenz einer universell gültigen Zeit – und somit eines universellen Verständnisses von Gleichzeitigkeit – widerlegt. Der Grund ist die durch zahlreiche Beobachtungen bestätigte Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Bezugssystemen – wie auch immer sie sich gegeneinander bewegen – konstant ist. Unter dieser Voraussetzung machen wir folgendes Gedankenexperiment:
Ein Zug und ein Bahnhof sollen zueinander eine Relativgeschwindigkeit von 60 % der Lichtgeschwindigkeit ($ \textstyle v=0,6c $) besitzen. Dabei wird im Zug mittig zwischen zwei Uhren A1 und A2 ein Lichtblitz ausgelöst, wobei bei Ankunft der Lichtblitze die jeweilige Uhr zu laufen beginnt. Da ein Beobachter im Ruhesystem des Zuges (d. h. dem Inertialsystem, in dem der Zug ruht) aufgrund der Relativitätstheorie annimmt, dass die Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen gleich ist, werden seiner Meinung nach A1 und A2 von den Lichtblitzen gleichzeitig erreicht und synchron zu laufen beginnen.
Vom Standpunkt eines Beobachters im Ruhesystem des Bahnhofes sieht die Reihenfolge der Ereignisse aber anders aus. Um den Zeitpunkt der Ankunft der Lichtblitze bei A1 und A2 genau bestimmen zu können, hat er mit Lichtsignalen synchronisierte und mit Sensoren ausgestattete Uhren auf den Gleisen befestigt. Für diesen Beobachter ist nun die Lichtgeschwindigkeit ebenfalls konstant in alle Richtungen, und der Zug bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit nach rechts. Daraus folgt, dass der Blitz zu A2 einen längeren Weg zurücklegen muss als zu A1, weil A2 sich von der Stelle, von der der Blitz ausging, fortbewegt, wohingegen A1 sich auf diese Stelle hinbewegt. Die an den Gleisen befestigten Uhren werden folglich anzeigen, dass A1 vor A2 vom Blitz getroffen worden ist und früher zu laufen begonnen hat. A1 und A2 sind aus Sicht des Ruhesystems des Bahnhofes also nicht synchron.
Die Relativität der Gleichzeitigkeit besagt somit, dass an unterschiedlichen Orten stattfindende Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig sind, aus Sicht eines relativ dazu bewegten Inertialsystems nicht gleichzeitig sind. Wichtig dabei ist, dass die Messungen in allen Inertialsystemen am Ort der Ereignisse durchgeführt wurden – es ist somit klar, dass die Relativität der Gleichzeitigkeit nichts mit rein optischen Effekten bzw. Täuschungen zu tun hat.
Ein Beispiel: In einem Inertialsystem sollen zwei Ereignisse an unterschiedlichen Orten gleichzeitig stattfinden. Befindet sich ein weiterer, relativ dazu bewegter Beobachter vom Ort des einen Ereignisses 50.000 km, und vom anderen Ort 300.000 km entfernt, so wird ihn das erste Signal vor dem zweiten erreichen. Doch indem er die unterschiedliche Entfernung zu den beiden Ereignissen berücksichtigt, kann er die Lichtlaufzeiten herausrechnen und würde bei Gültigkeit der klassischen Physik nun ebenfalls feststellen, dass die beiden Ereignisse gleichzeitig stattgefunden haben. Hingegen bei Gültigkeit der Relativitätstheorie wird der Beobachter auch unter Berücksichtigung der optischen Effekte feststellen, dass zwischen beiden Ereignissen eine zeitliche Differenz bestanden hat.
Dies bedeutet aber insbesondere, dass die zeitliche Abfolge von zwei Ereignissen von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich beurteilt werden kann.
Die einzigen Aussagen, deren Gültigkeit nicht vom Beobachter abhängen, sind:
Die Animation links demonstriert, wie sich die Minkowski-Raumzeit für einen beschleunigten Beobachter darstellt. Die punktierte Linie stellt dabei die Weltlinie des Beobachters dar, der sich jeweils in der Mitte des Bildes befindet. Die dicken Punkte markieren gleiche (Eigen)zeitintervalle. Dehnung und Stauchung der Weltlinie zeigen Beschleunigung des Beobachters in Bewegungsrichtung, Krümmung Beschleunigung quer dazu. Das Diagramm zeigt die Welt zu jedem Zeitpunkt im Inertialsystem, also aus Sicht des Beobachters. Bei den Beschleunigungen kann man beobachten, dass Punkte der Raumzeit nach oben, also entgegen dem „Zeitfluss“, laufen. Jedoch überqueren sie dabei niemals den Lichtkegel (die Diagonallinien) von unten; dieser wird durch den Zeitablauf stets nur nach unten durchquert. Somit kann ein Punkt niemals in den Vorwärtslichtkegel eintreten (man kann durch Beschleunigung kein Ereignis in die absolute Zukunft versetzen) und niemals den Rückwärtslichtkegel verlassen (man kann Ereignisse durch Beschleunigung nicht aus der absoluten Vergangenheit herausholen).
Man sieht auch, dass die Weltlinie des Beobachters stets innerhalb des Lichtkegels verläuft. Ereignisse, die der Beobachter erreichen wird bzw. erreicht hat, liegen stets in seiner absoluten Zukunft bzw. Vergangenheit; die Reihenfolge dieser Ereignisse lässt sich durch Beschleunigung nicht verändern. Insbesondere kann der Beobachter vergangene Ereignisse nicht zu zukünftigen Ereignissen machen.
Da die Reihenfolge raumartiger Ereignisse vom Beobachter (bzw. von dessen Bewegungszustand) abhängt, würde die Möglichkeit, dass eines der beiden Ereignisse das andere beeinflussen kann, zu Problemen mit der Kausalität führen. Denn wenn in einem Bezugssystem Ereignis A vor Ereignis B kommt, im anderen Bezugssystem jedoch Ereignis B vor Ereignis A, dann folgt daraus, dass sowohl A Ursache von B, als auch B Ursache von A sein kann. Damit lassen sich Paradoxien konstruieren, bei denen ein Ereignis sich selbst in der Vergangenheit rückwirkend verhindert. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit Zeitreisen erlauben würden. Man reist von A zum späteren Ereignis B. Dann wechselt man durch normale Beschleunigung in ein Bezugssystem, in dem A später als B stattfindet. Anschließend reist man wiederum mit Überlichtgeschwindigkeit von B zu einem Ereignis vor A.
Nur zeitartig oder lichtartig zueinander gelegene Ereignisse können sich daher ohne Kausalitätsprobleme gegenseitig beeinflussen, wobei hier die zeitliche Reihenfolge und damit Ursache und Wirkung festliegen. Daher wird generell angenommen, dass Überlichtgeschwindigkeit nicht möglich ist, zumal die Relativitätstheorie auch nicht erlaubt, einen Körper von Unterlichtgeschwindigkeit auf Überlichtgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Die Präzisierung des Gesagten erfolgt am besten durch folgende verbale und formelmäßige Darstellung:
Hierbei ist zu beachten, dass nicht dt, sondern allein diese Eigenzeit $ d\tau $, bei allen Lorentztransformationen denselben Wert hat.
Zwischen der Zeit dt und der in einem mit der Geschwindigkeit v bewegten System gemessenen Zeit $ dt' $ besteht gemäß der Lorentztransformation die Beziehung $ dt={\frac {dt'+(v/c^{2})dx'}{\sqrt {1-{\frac {v^{2}}{c^{2}}}}}}\,, $ wobei v die Geschwindigkeit des Systems und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Ferner ist $ dx' $ die zurückgelegte Strecke.
Für das Intervall $ dt $ und die Eigenzeit $ d\tau $ ergibt sich mit $ dt'\to d\tau $ und $ dx'\to 0 $ die fundamentale Relation
Im obigen Beispiel ist $ v $ bestenfalls von der Größenordnung der Schallgeschwindigkeit an Luft, $ \approx 330 $ m/s, was verglichen mit c sehr klein ist ($ c\approx 300.000 $ km/s). Man braucht also in der Praxis schon extrem genaue Uhren, um die Effekte zu messen.
Gegenüber $ d\tau $ ist dt vergrößert (Zeitdilatation).
In der allgemeinen Relativitätstheorie ist die Gleichzeitigkeit selbst für „mitbewegte“ (bedeutet hier „frei fallende“) Beobachter schwer zu definieren, weil das Verhältnis $ d\tau /dt $ jetzt nicht nur von v, sondern auch von sämtlichen gravitierenden Massen abhängt. Außerdem müssen zwei verschiedene Ereignisse keineswegs immer „kausal verbunden“ sein. Das hat insbesondere zur Folge, dass Aussagen wie „etwas passiert jetzt im Andromeda-Nebel“ wenig sinnvoll sind.
Für menschliche Alltagserfahrung spielen diese Effekte keine Rolle: Selbst wenn man auf dem Mount Everest stünde und aufs Meer hinaussehen könnte, wäre für den gesamten sichtbaren Bereich der Erdoberfläche bis zum Horizont die Relativität der Gleichzeitigkeit auf einen Bereich von wenigen Millisekunden beschränkt. Dieses Zeitintervall liegt unterhalb der Schwelle, ab der wir überhaupt in der Lage sind, die Reihenfolge von Ereignissen aufzulösen, und unterhalb der Schwelle, ab der wir optische Eigenschaften als nicht-gleichzeitig wahrnehmen können. Für die Alltagserfahrung ist also das Licht stets unendlich schnell und die Gleichzeitigkeit wohldefiniert.