Der quantenmechanische Messprozess beschreibt die Messung einer physikalischen Größe an einem Objekt der Quantenphysik. Für die klassische Physik gilt immer, aber für die Quantenphysik nur teilweise, dass der Messwert schon vor der Messung eindeutig festliegt und bei Wiederholungsmessungen an gleichen und gleich präparierten Messobjekten stets den gleichen Wert hat.
In der Quantenphysik haben aber viele physikalische Größen nicht schon vor der Messung einen bestimmten Wert. Das gilt auch dann, wenn der Zustand des Messobjekts mit idealer Genauigkeit präpariert wird. Bei Wiederholungsmessungen streuen die Messwerte dann unvermeidlich in einem ganzen Wertebereich. Beispiele sind der Zeitpunkt, an dem ein radioaktiver Atomkern ein Strahlungsquant aussendet, oder die seitliche Ablenkung, mit der in einem Beugungsexperiment mit Elektronen eins der Teilchen auf den Schirm trifft. Am Messgerät ist, wie bei jeder Messung in der klassischen Physik auch, immer nur ein Wert abzulesen, aber es ist bis heute nicht befriedigend gelöst, auf welche Weise dieser aus den vielen möglich gewesenen Werten ausgewählt wird. Mit der Quantenmechanik und der Quantenfeldtheorie lässt sich für jeden der möglichen Messwerte nur die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass er auftritt, und die Möglichkeit einer präzisen Vorhersage scheint außer bei gewissen Ausnahmen prinzipiell ausgeschlossen. Damit stellt der quantenmechanische Messprozess für die Interpretation dieser beiden ansonsten überaus erfolgreichen Theorien eins der größten ungelösten Probleme dar.
Bei Messungen an einem makroskopischen Objekt gilt, dass sich bei einer exakten Wiederholung von Präparation und Messung dasselbe Ergebnis einstellt (idealerweise exakt, real im Rahmen der Messgenauigkeit). Das erfüllt die Forderung an die Wissenschaft, dass ihre Ergebnisse reproduzierbar seien. Des Weiteren kann man die Rückwirkung des Messprozesses auf das makroskopische Objekt entweder wegen ihrer Geringfügigkeit vernachlässigen (ideale Messung) oder genau angeben.
Bei Messungen an Quantenobjekten hingegen ist es typisch, dass identische Messprozeduren an identisch vorbereiteten (‚präparierten‘) Objekten zu weit streuenden Messergebnissen führen. Beispiele sind der Zeitpunkt, an dem ein radioaktiver Kern sein Strahlungsquant emittiert, aber auch der Ort, an dem dieses Strahlungsquant in einem ausgedehnten Detektor die Reaktion auslöst, mit der es nachgewiesen wird. Nach der vorherrschenden Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik sind solche Abweichungen nicht in der Unkenntnis über den genauen Zustand des Objekts oder des Messapparates begründet, sondern liegen in der Natur der Quantenobjekte und sind damit ein wesentliches Merkmal der Quantenphysik. Reproduzieren lässt sich eine quantenphysikalische Messung und ihr Ergebnis nur in Sonderfällen. Nur in diesen Fällen bleibt auch das Objekt in dem Zustand, den es vor der Messung hatte. Andernfalls wird es auf unvorhersagbare Weise – jeweils passend zum erhaltenen Messwert – verändert. Doch auch bei den nicht reproduzierbaren Messungen kann man reproduzierbare Werte finden, wenn man aus genügend vielen Einzelmessungen Mittelwerte bestimmt, z. B. für die Lebensdauer, die Reaktionsrate bzw. den Wirkungsquerschnitt.
Bei jedem Messprozess gibt es eine physikalische Wechselwirkung zwischen gewissen Eigenschaften des Messobjektes (z. B. Ort, Impuls, magnetisches Moment) und dem Zustand der Messapparatur (allgemein „Zeigerstellung“ genannt). Nach dem Messprozess kann der Wert der gemessenen Größe an der Zeigerstellung des Messgeräts abgelesen werden.
Der quantenmechanische Messprozess erfordert wegen der prinzipiellen Unterschiede zum klassischen Messprozess eine tiefergehende Interpretation. John v. Neumann hat 1932 als erster den Messvorgang im Rahmen der Kopenhagener Deutung formal beschrieben und damit die heute noch weitgehend akzeptierte Sichtweise entwickelt.[1][2] Formale Grundlage ist, dass in der Quantenmechanik die Zustände eines physikalischen Systems durch Vektoren in einem Hilbertraum und die beobachtbaren Größen (z. B. Ort, Impuls, Spin, Energie) durch hermitesche Operatoren dargestellt werden (z. B. für Energie, Drehimpuls etc., oder Masse und Ladung des Teilchens). Die Eigenwerte der Operatoren sind die möglichen Messwerte. Sie sind auch diejenigen Messwerte, die wohlbestimmt sind und bei jeder guten Messung denselben Wert ergeben, wenn das Objekt sich in einem Eigenzustand des betreffenden Operators befindet.
Nach von Neumann müssen beim typischen quantenphysikalischen Messprozess zunächst drei Schritte unterschieden werden:
Obwohl diese drei Schritte so auch für Messungen in der klassischen Physik gelten, sind die Folgen der quantenmechanischen Messung höchst unterschiedlich. Aufgrund des Zustandsbegriffs der Quantenmechanik ist der Messwert vor der Messung nur in den Sonderfällen festgelegt, dass das Quantenobjekt sich in einem Eigenzustand der Messgröße befindet. Im Allgemeinen wird dieser aber erst bei der Messung aus einer Vielzahl der im betrachteten Zustand vorhandenen Eigenzustände ausgewählt. Ein Beispiel ist die Messung der Ortskoordinate in einem Beugungsexperiment, wenn die zum Teilchen gehörende Materiewelle auf dem ganzen Schirm auftrifft, aber nur an einem Ort ein Signal hervorruft.
Da die Quantenobjekte sich außerhalb eines Messprozesses nach einer Bewegungsgleichung (wie z. B. der Schrödingergleichung) stetig entwickeln, sind in infinitesimalen Zeiten keine endlichen Veränderungen möglich. Daher muss eine zweite Messung direkt im Anschluss an die erste Messung für dieselbe Messgröße auch dasselbe Ergebnis liefern. Damit die Theorie dies sicherstellt, muss sie voraussetzen, dass das Quantenobjekt durch die Messung in denjenigen Eigenzustand der Messgröße überführt wurde, der den gefundenen Messwert zum Eigenwert hat. Alle Komponenten des für die Messung präparierten Zustands, die zu anderen Eigenwerten gehören, müssen bei der Messung gelöscht werden. Dieser Prozess ist irreversibel, denn am überlebenden Eigenzustand lässt sich nicht spezifizieren, welche anderen Komponenten das Quantensystem vorher noch besessen hat. Dieser Vorgang wird als Kollaps der Wellenfunktion oder Zustandsreduktion bezeichnet, konnte aber bisher in seinem Ablauf nicht aufgeklärt werden.
Dabei wird manchmal ein entscheidender Unterschied gegenüber einer „klassischen“ Zustandsbeschreibung übersehen: Die Wellenfunktion enthält vor der Messung Wahrscheinlichkeiten <100 % für die einzelnen Eigenzustände. Sie beschreibt daher gewissermaßen nicht wirklich das System, sondern das unvollständige Wissen über das System. Fröhner[3] hat nachgewiesen, dass die quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten widerspruchsfrei als Bayessche Wahrscheinlichkeiten aufgefasst werden können. Diese ändern sich, indem die Messung den Informationsstand des Beobachters ändert. Dazu wird keine Zeit benötigt; was kollabiert („zusammenbricht“), ist nichts Physikalisches, sondern nur der Informationsmangel des Beobachters. Ganz entsprechend haben sich hierzu Heisenberg 1960 in einer brieflichen Diskussion (siehe Zitat bei Fröhner) und Styer[4] geäußert.
Als Präparation eines Quantenobjekts bezeichnet man einen Vorgang, durch den das Objekt in einen bestimmten Zustand gebracht wird, etwa den, der durch den Vektor $ |\psi \rangle $ des Hilbertraums beschrieben ist (z. B. ein Elektron mit bestimmtem Impuls und bestimmter Richtung des Spin). Für die Praxis wichtiger ist der Fall, dass eine ganze Gruppe von Zuständen vorliegt (z. B. beim gegebenen Impuls alle möglichen Richtungen des Spin). Dann handelt es sich um ein Zustandsgemisch, das besser mit einem Dichteoperator beschrieben wird (s. u.).
Für die mathematische Beschreibung des Messprozesses stellt man einen beliebigen Zustandsvektor $ |\psi \rangle $ als Linearkombination der Eigenvektoren $ |\phi _{n}\rangle $ des der Messgröße zugeordneten Operators $ {\hat {Q}} $ dar:
Sind die $ |\phi _{n}\rangle $, wie üblich, normiert, so sind die Koeffizienten $ c_{n} $ durch $ |\psi \rangle $ eindeutig definiert und es ist
Für die Eigenzustände $ |\phi _{n}\rangle $ und die Eigenwerte $ q_{n} $, die die prinzipiell möglichen Messergebnisse sind, gilt $ {\hat {Q}}|\phi _{n}\rangle =q_{n}|\phi _{n}\rangle $.
Hier ist dies für eine endliche oder höchstens abzählbar unendliche Menge relevanter Eigenzustände geschrieben. Bei einem Kontinuum ist anstelle der Summe ein Integral zu verwenden.
Um einen Zustand zu präparieren, misst man Material, das in Form eines (anderen) Zustands oder als Zustandsgemisch vorliegt. Einen reinen Zustand stellt man dar als Linearkombination von orthogonalen Komponenten, von denen eine der gewünschte Zustand ist. Die Messung reduziert dann den vorliegenden auf den Zielzustand. Bei einem geeigneten Zustandsgemisch dient die Messung nur dazu, die Objekte auszusortieren, die sich im gewünschten Zustand befinden. Ein Spalt, der einen Anteil aus einem breiten Strahl ausblendet, bewirkt in erster Linie eine Ortsmessung in Richtung quer zum Strahl. Als Bestandteil eines Spektrographen dient er zur Frequenz- bzw. Energiemessung. Ein Polarisationsfilter kann in beiden Funktionen, nämlich auf reine wie gemischte Zustände angewendet werden.
Auch die (makroskopische) Messapparatur wird mit ihren verschiedenen „Zeigerstellungen“ durch Basisvektoren $ |M_{n}\rangle $ in einem entsprechenden Hilbertraum beschrieben. Jeder Basiszustand entspricht einer bestimmten Zeigerstellung $ n $. Das Messgerät ist so konstruiert, dass es bei der Messung das Objekt im Eigenzustand $ |\phi _{n}\rangle $ in den Zustand $ |M_{n}\rangle $ übergeht. Vor Beginn einer Messung sei das Messgerät in einem beliebigen Zustand $ |M_{\text{vor}}\rangle $ und das Objekt im Eigenzustand $ |\phi _{n_{0}}\rangle $. Dann hat das Gesamtsystem aus Messobjekt und Messgerät anfangs den Zustand
und nach der Messung den Zustand
denn der Zeiger zeigt nun auf $ n_{0} $. Das Objekt selbst, wenn es schon in einem Eigenzustand zum betreffenden Operator ist, verändert sich im Messprozess nach von Neumann nicht. Die Voraussetzung ist in der Realität selten gegeben, ist aber als Modellvorstellung hilfreich.
Im interessierenden Fall ist das System nicht vor der Messung schon in einem Eigenzustand des Messoperators, sondern in einer aus verschiedenen Eigenzuständen gebildeten Linearkombination $ |\psi _{0}\rangle =\sum _{n}\,c_{n}\,|\phi _{n}\rangle $. Der Anfangszustand des Gesamtsystems ist dann $ |\Psi _{0}\rangle =|\psi _{0}\rangle |M_{\text{vor}}\rangle $. Durch die Wechselwirkung bildet sich nach den Regeln der Quantenmechanik zunächst der Zustand
denn auf jede Komponente $ |\phi _{n}\rangle $ des Objektzustands reagiert das Messgerät, indem es den Zustand $ |M_{n}\rangle $ annimmt.
In diesem Zustand des Gesamtsystems nach der Wechselwirkung kommen gleichzeitig alle Komponenten des Anfangszustands in Korrelation mit ihren zugehörigen Zeigerstellungen vor. Die Superposition der Eigenzustände im Anfangszustand $ \sum _{n}\,c_{n}\,|\phi _{n}\rangle $ des Messobjekts wurde durch die Wechselwirkung auf die makroskopischen Zustände des Messgerätes übertragen. Der Zustand ist nicht mehr als Produkt eines Zustands des Systems mit einem Zustand des Geräts darzustellen, sondern entspricht einem verschränkten Zustand von System und Messgerät.
Aus dieser Verschränkung heraus wird zum Abschluss des Messprozesses durch die Zustandsreduktion eine der Komponenten $ |\phi _{n}\rangle |M_{n}\rangle $ ausgewählt, und zwar jeweils mit Wahrscheinlichkeit $ |c_{n}|^{2} $. Der ursprüngliche Zustand $ |\psi _{0}\rangle =\sum _{n}\,c_{n}\,|\phi _{n}\rangle $ ist nun in zufälliger Wahl durch einen der Zustände $ |\psi _{\text{nach}}\rangle =|\phi _{n_{\text{nach}}}\rangle $ ersetzt worden. Mathematisch findet eine Abbildung statt, die aus dem Anfangszustand $ |\psi _{0}\rangle $ den Endzustand mit dem normierten Zustandsvektor $ |\psi _{\text{nach}}\rangle $ macht und daher so geschrieben werden kann:
Darin ist
der Projektor auf den Unterraum zum Eigenvektor $ |\psi _{\text{nach}}\rangle $.
Dass sich keine lineare Bewegungsgleichung denken lässt, die diese Abbildung verursachen könnte, wie dies in der Natur aber bei jeder Messung geschieht, ist der Kern des Messproblems der Quantenmechanik.
Aus der verschränkten Superposition, die durch die Wechselwirkung im Messgerät entstanden ist, bildet sich durch die Messung genau einer der Zustände $ |\Psi \rangle _{\text{nach}}=|\phi _{n}\rangle |M_{n}\rangle $, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit
Dies kann nicht durch eine zeitliche Entwicklung beschrieben werden, die nach einer Schrödingergleichung abläuft (oder einer anderen Bewegungsgleichung, die wie diese linear ist und die Norm erhält).
Zur Lösung, oder wenigstens zur Beschreibung des Messproblems wird eine „Reduktion“ des quantenmechanischen Zustandes postuliert, die auch als Kollaps der Wellenfunktion bezeichnet wird. Sie bewirkt den durch die Messung verursachten Übergang
Damit wird gleichzeitig die durch $ P(n)=|c_{n}|^{2} $ gegebene Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Messwerte auf einen einzigen Wert – den Messwert reduziert. Erst dann kann durch Ablesen des Messgeräts der Wert der gemessenen physikalischen Größe festgestellt werden, und das Quantensystem befindet sich dann mit Sicherheit im zugehörigen Eigenzustand $ |\phi _{n}\rangle $. Damit wird gesichert, dass eine unmittelbar anschließende Wiederholung der Messung dasselbe Ergebnis hat.
Die Zustandsreduktion ist unstetig und findet augenblicklich statt. Wann und wie die Reduktion erfolgt und was ihre physikalische Ursache ist, ist ein auch heute noch ungelöstes Problem. Die vielverwendete Ausdrucksweise, die Zustandsreduktion geschehe bei dem Wechselwirkungsprozess, der mit dem Messgerät beobachtet werden soll, kann spätestens seit der Realisierung von Delayed-Choice-Experimenten und Quantenradierern als widerlegt gelten. Annahmen über Zeitpunkt oder Ursache der Reduktion reichen bis zum Moment der subjektiven Wahrnehmung im Bewusstsein eines Experimentators (z. B. bei Schrödingers Katze und Wigners Freund).
Diese offene Frage hat wesentlich dazu beigetragen, dass mehrere Interpretationen der Quantenmechanik entwickelt wurden, die der Kopenhagener Deutung in diesem Punkt widersprechen. Zu nennen ist die spontane Reduktion zu stochastisch verteilten Zeitpunkten in der GRW-Theorie des dynamischen Kollaps oder durch Dekohärenz aufgrund der Energie-Zeit-Unschärferelation, wenn die Selbstenergie durch Gravitation berücksichtigt wird[5]. Eine grundsätzlich andere Antwort bietet die Viele-Welten-Interpretation, in der bei jeder Messung unbemerkt so viele Kopien der Welt entstehen wie es mögliche Messwerte gibt, sodass in jeder der Welten einer der Werte realisiert ist.
Für Systeme, deren Zustand durch einen Dichteoperator $ {\hat {\rho }} $ beschrieben wird, ist die Wahrscheinlichkeit, bei der Messung den Eigenwert $ q_{n} $ des Operators $ {\hat {Q}} $ zu finden, gegeben durch:
Der Operator $ {\hat {P}}_{n} $ ist der Projektor in den Teilraum der Eigenzustände zum Eigenwert $ q_{n} $. Direkt nach der Messung befindet sich das System im Zustand, der durch den Dichteoperator
gegeben ist.