Lagrangesche Betrachtungsweise

Lagrangesche Betrachtungsweise

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Der rote Punkt zeigt einen möglichen Standpunkt für die lagrangesche Betrachtungsweise einer sich in einem Raum (schwarzes Gitter) bewegenden Gummihaut (grau)

Die lagrangesche Betrachtungsweise bezeichnet eine spezielle Perspektive bei der Beobachtung einer Bewegung eines Körpers, stellt also einen bestimmten Beobachterstandpunkt dar. Bei der lagrangeschen Betrachtungsweise oder im Lagrange-Bild wird die Bewegung des Körpers von einem seiner materiellen Punkte (Partikel) aus analysiert, weshalb diese Betrachtungsweise auch materiell genannt wird. Beispielsweise würde eine frei mit dem Wasser mit schwimmende Boje in einem Fluss die Strömung in der lagrangeschen Betrachtungsweise wahrnehmen. Ein Beispiel aus der Festkörpermechanik zeigt die Abbildung rechts. Hier wird also danach gefragt, welche Bedingungen, z. B. welcher Druck oder welche Temperatur, in einem bestimmten Partikel vorliegen. Die lagrangesche Betrachtungsweise wird von der Festkörpermechanik bei kleinen bis nicht zu großen Verformungen benutzt.

Die lagrangesche Betrachtungsweise wurde von Leonhard Euler 1762 eingeführt.[1]

Beschreibung

Im Lagrange-Bild steht der Beobachter einer Bewegung an einem festen materiellen Punkt oder Partikel. Indem alle Raumpunkte, die ein Partikel mit der Zeit passiert, markiert werden, entsteht eine Bahnlinie, die also mit der lagrangeschen Betrachtungsweise assoziiert ist. In der lagrangeschen Betrachtungsweise werden alle physikalischen Größen bezüglich der Ausgangskonfiguration, die den Körper zeitlich fixiert für Berechnungen abbildet, dargestellt. Wenn immer dieselbe Ausgangskonfiguration benutzt wird, wird von der totalen lagrangeschen Betrachtungsweise gesprochen, andernfalls von der updated lagrangeschen Betrachtungsweise (engl. total lagrange bzw. updated lagrange). Die mit der lagrangeschen Betrachtungsweise abgeleiteten Gleichungen liegen dann in der lagrangeschen Fassung oder lagrangeschen Darstellung vor. In der Kontinuumsmechanik werden in den Gleichungen die auf die Ausgangskonfiguration bezogenen Größen zumeist mit Großbuchstaben geschrieben oder mit dem Index (.)0 versehen.

Vorteile

Weil bei der lagrangeschen Betrachtungsweise die physikalischen Größen am Partikel vorliegen, besitzt deren Zeitableitung keinen konvektiven Anteil und ist leicht zu berechnen. Ein Massentransport über die Grenze des Körpers kann nicht stattfinden, so dass die Massenbilanz ebenso wie die anderen Bilanzgleichungen einfach zu formulieren sind. Viele der auf die Ausgangskonfiguration bezogenen Spannungs- und Verzerrungstensoren sind genauso wie ihre Zeitableitungen objektiv. Die Angabe von Nebenbedingungen an freien Flächen bereitet keine Schwierigkeiten. Bei kleinen Deformationen und linearem Materialverhalten, was in vielen Fällen, vor allem im technischen Bereich, vorliegt, vereinfachen sich die Gleichungen derart, dass für viele wichtige Probleme analytische Lösungen vorliegen oder herleitbar sind.

Nachteile

Wegen des Bezuges zur Ausgangskonfiguration bereiten große Deformationen, wie z. B. bei Umformprozessen, erhebliche numerische Schwierigkeiten. Die mit großen Deformationen einhergehende Änderung der Eigenschaften eines Körpers, z. B. bei einer Einschnürung, bewirken geometrisch nichtlineare Effekte, die den Rechenaufwand um ein Vielfaches gegenüber einer geometrisch linearen erhöhen. Die Inkompressibilität eines Materials führt zu zusätzlichen Schwierigkeiten.

Zusammenfassung

Die Eigenschaften der lagrangeschen Betrachtungsweise sind nochmal in der Tabelle zusammengestellt.

Eigenschaft Belegung
Namensgeber Joseph-Louis Lagrange
Urheber[1] Leonhard Euler (1762)
Beobachterstandort Materieller Punkt
Anwendung Festkörpermechanik bei nicht zu großen Verformungen
Visualisierung Bahnlinie
Ursache der kinematischen Nichtlinearität Formänderungen des Körpers (geometrische Nichtlinearität)
Zeitableitung Partielle Ableitung, enthält keinen konvektiven Anteil
Aufwand für Bilanzen von Feldgrößen gering
Zugeordnete Konfiguration Ausgangs- und/oder Referenzkonfiguration
Bezeichnung der Variablen in der Kontinuumsmechanik Großbuchstaben oder Index null
Kinematische Unbekannte Verschiebungen
Tauglichkeit für Inkompressibilität eingeschränkt
Tauglichkeit für Randbedingungen an freien Flächen hoch

Siehe auch

Fußnoten

  1. 1,0 1,1 C. Truesdell: A First Course in Rational Continuum Mechanics. Academic Press, 1977, ISBN 0-12-701300-8.

Literatur

  • H. Altenbach: Kontinuumsmechanik. Springer, 2012, ISBN 978-3-642-24118-5.